Gegen die Wand – eine milde Brandrede

Muss alles erst in den USA ausbaldowert werden, kommerzialisiert oder erfunden werden, bevor es nach Europa schwappt? In der Popmusik war das so (Ausnahme: Beatles), in der Filmgeschichte sowieso, in der Mode ab und an, im Bereich political correctness bis zum Erbrechen. Endlich und sicher zu spät protestieren dort in den Zentren (wie immer, denn der Landmann will ein Cowboy sein) die Menschen gegen all das, was das soziale Gefüge in Gänze zu zerstören droht: Gegen das Finanzsystem. Man konnte auch sagen: Gegen kriminelle Dummheit und Angst der Entscheidungsträger in der Politik, die es sicher nicht mehr sind, aber meinen, es noch sein zu können if they still have guts.

Deutschland schläft und die, die Autos abfackeln, sind dumme Pappnasen. Hier liegt man am liebsten auf dem Sofa und meckert. Diese ganze geistkorrupte Bande, eine Melange aus Mainstreamern des Kapitalismus und Staatsträgern, sind ein Gräuel und wir merken es nicht – besser gesagt: wollen es nicht merken. Man kann ja nichts machen.

Nun wäre es ja der Lauf der Dinge, wenn diese Bewegung auf Europa abstrahlt und man sich hier mal traut, auf die oft zitierte Kacke zu hauen, die Börse besetzt, Bankkonten auflöst. Die Griechen protestieren in ihrem Interesse, die spanische Jugend wird endlich mal laut. Die Briten hauen Nachbars Garten kaputt. Wohin mit der Wut, mit der Ahnungslosigkeit, mit dem Gefühl, verarscht zu werden? Und hier geht es nicht um den niedlich als Wutbürger bezeichnen Mitmenschen. Vielleicht gibt es ja bald den Wutburger bei McDonalds, so wie alles schnell vermarktet wird. Hier geht es um eine fast globale Tendenz, die Gemeinschaft hinters Licht zuführen. Der virtuelle Finanzmarkt hat alle infiziert. Jede Stimme, doch vernünftig zu bleiben, schleimt durch die Polit-Talk-Shows. Hunderte von Experten erklären, warum es so ist, wie es ist und jeder erklärt es anders.

Derweil werden in Griechenland die Armen zu Bettlern, in Ungarn tobt der ungebremste Nationalismus, in Russland schmieren sich die Neureichen Goldstaub aufs Brot.

Vielleicht gibt es ja bald genügend Mutbürger, die Dinge machen, die nicht vernünftig sind.

 

(Foto: Bernd Berke)




Wenn uns die Gier beim Kragen packt – über ein menschliches Grundgefühl

Von Bernd Berke

Ja, darüber kann man sich von Herzen moralisch empören: Wie schrecklich gierig sind doch jene Menschen, die viele Millionen auf dem Konto haben und dann auch noch Steuern hinterziehen! Oder Leute, die an der Börse zocken, bis nichts mehr geht. Anlässe zur Entrüstung gab’s jüngst genug. Aber ist man selbst frei von solchen Regungen?

Wohl kaum. Die Gier ist zwar mit einiger Mühe halbwegs beherrschbar, doch gehört sie zur menschlichen Grundausstattung. Erst wenn wir Lust- und Glückshormone wie das Dopamin abgeschafft hätten, wäre vielleicht auch die Gier verschwunden. Bei allem furchtsamen Respekt vor der Gentechnik: Damit ist auf mittlere Sicht denn doch nicht zu rechnen.

Geiz und Neid sind nur die Spiegelbilder

Unsere Wirtschaft und das Profitstreben, auf dem sie basiert. sind nicht allein rational zu erklären. In Banken- und Börsenkrisen ahnen wir, wie sehr das ganze Metier von Stimmungen, Mutmaßungen (eben: Spekulationen) und schwankenden Gefühlen abhängt. Wahrlich keine, verlässliche, logische Mechanik.

Wenn uns die Gier beim Kragen packt, so tritt noch ein Effekt ein, der an die sprichwörtlichen Lemminge erinnert. Viele tun irgendwann mit, wenn eine anschwellende Masse etwas vormacht; schon aus Angst, eine Gewinnchance zu verpassen. Auch da ist’s wie im Sprichwort: Den Letzten beißen die Hunde. Doch der hat dann hoffentlich wenigstens etwas fürs weitere Leben gelernt.

Ohne Habgier würde ja der ganze Kapitalismus nicht funktionieren. Wenn keiner mehr (und immer noch mehr) haben wollte als die anderen, so würde der Antrieb zu Geschäften aller Art fehlen. Die Gier besiegt auch die Angst vor etwaigen Risiken.

Maßlosigkeit gehört wesentlich dazu. Man kriegt den Hals nicht voll. Es ist wie beim steinreichen Enterich Dagobert Duck, der bekanntlich in Geld und Gold badet. Die Schatzkammern können nie groß genug sein. Und wehe, es fehlt ein einziger Taler.

Wer ängstlich seinen Besitz hortet, verhält sich nur spiegelbildlich. Beim Geiz ist gleichfalls Habgier der Antrieb – wenn auch in defensiver Spielart. Doch die „Geiz-ist-geil“-Phase, so hämmert man uns weiblich ein, sei sowieso vorüber. Im Zeichen des (schon brüchigen?) Aufschwungs darf und soll wieder gescheffelt und geprasst werden. Keine Zeit für Askese oder fürs „Maßhalten“, wie es einst der Altkanzler Ludwig Erhard empfahl. Statt dessen heißt es wieder: „Ich will alles – und zwar jetzt.“

Die katholische Kirch rechnet die Habgier (Lateinisch: avaritia) zu den berühmten „Sieben Todsünden“ – ebenso wie den Neid. Ein beliebtes, weil schauriges Thema in der Kunst. Nicht nur Hieronymus Bosch und Otto Dix haben sich drastisch und orgiastisch ausgemalt, wie der teuflische Sündenpfuhl wohl ausschauen mag.

Die Gier kann sich, weil sie zu Sucht und Exzess tendiert, wahl- und zügellos auf schier alles richten. Gier nach Geld ist beileibe nicht die einzige Form. Man denke nur an die rauschhafte Gier nach Sex oder Drogen. Eine solche Aufzählung könnte schier endlos geraten. Auch hier ist wohl die Biochemie der Hormone am Werk. Sie gibt keine Ruhe. Gier ist ein großes Lebensthema, das alle betrifft. Und Natürlich hat sie auch zutiefst mit unserer Sterblichkeit zu tun. Lebten wir ewig, müssten uns nicht ständig einbilden, etwas Unwiederholbares zu yersäumen und ein für allemal „zu kurz“ zu kommen.

 

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HINTERGRUND

Auch für Künstler ein Thema

  • Die sieben Todsünden nach dem Verständnis der katholischen Kirche:
  • Stolz, Neid, Zorn, Faulheit, Geiz, Gier und Wollust.
  • Das Thema hat immer wieder Künstler inspiriert. Das Spektrum reicht von Bert Brechts „Die sieben Todsünden der Kleinbürger“ bis zum Song der Simple Minds:„Seven Deadly Sins“.
  • „Gier“ ist ein häufiger Titel von Kunstwerken. Zu nennen sind etwa Erich von Stroheims monumentaler Film „Gier“ (Greed) von 1924, Gabriele Wohmanns Erzählsammlung „Habgier“ oder der Roman „Gier“ von Elfriede Jelinek.
  • Neueres Sachbuch: Hans Leyendecker „Die große Gier“ (Rowohlt, 299 S., 19,90 €).



Der Kult um den Besitz – Düsseldorfer Ausstellung erkundet Wechselströme zwischen Geld und Kunst

Von Bernd Berke

Düsseldorf. „Wir zeigen keine Aktenkoffer“, stellt Jürgen Harten gleich klar. Der langjährige Chef der Düsseldorfer Kunsthalle, inzwischen im Ruhestand, hat noch einmal eine große Schau an früherer Wirkungsstätte inszeniert: „Das fünfte Element – Geld oder Kunst“.

Der Titel sagt’s: „Mammon“ wird als so elementar begriffen wie Feuer, Wasser, Luft und Erde. Er breitet sich überall aus, macht sich alles Untertan – so mitleidlos das Lebendige niederdrückend wie auf jenem Gemälde von George Frederick Watts (1884). Gewiss: Geld setzt die Werte, doch Kunst setzt die Zeichen.

Keine Aktenkoffer also. Es wäre ja auch zu naheliegend. Nein, hier geht es ungleich subtiler zu: Zwischen archäologischen Kostbarkeiten, älteren und neueren Kunstwerken sowie Alltagsdingen werden Wechselströme im Spannungsfeld zwischen Kunst und Leben aufgespürt.

„Das Museum der höchsten Werte“

Die sechs Abteilungen der Ausstellung tragen so schöne Überschriften wie „Im Atelier des Kapitals“ oder „Das Museum der höchsten Werte“. Bestimmt auf der Basis anspruchsvoller theoretischer Überlegungen, jedoch vom Besucher eher flanierend und assoziativ zu erschließen, begegnen einander die Epochen ganz unmittelbar: Neben dem altägyptischen Kodex findet sich etwa eine Raum-Installation neuesten-Datums, oder kurz nach dem klassischen Tafelbild (besonders prägnant: Quinten Massys‘ „Der Geldwechsler und seine Frau“, 1514) trifft man auf eine Harley Davidson, Baujahr 1945, jene fahrbare Wertanlage mit Kultcharakter.

Es gibt Motive, sozusagen Wert-Zeichen, die durch all die Jahrhunderte gelten. Beispielsweise das Gold als archaisches Unterpfand des Reichtums. Rein wirtschaftlich ist es nicht mehr so bedeutsam, doch das kultische Wesen des Besitzes kommt in ihm zum reinsten Ausdruck. Wir sehen es als Lasur auf einer Mumienmaske, in Gestalt altrömischer Münzen, aber auch als Phantasie-Währung und als Goldfarbe auf fotografierten Gesichtern der Künstler Joseph Beuys oder Katharina Sieverding, die sich somit selbst zu glitzernden Kultobjekten stilisieren.

Die Warenform drängt zur seriellen Kunst

Den „Tanz ums Goldene Kalb“ vollzieht man hier freilich nur virtuell, indem man um einen 1995 von Jeffrey Shaw gestalteten Bildschirm herumgeht. Apropos: Auch das Rind, als Hinweis auf stattlichen Besitz und Zeugungskraft, zählt zu den uralten Reichtums-Symbolen mit sexuellem Anspielungspotenzial. Selbst die Kuhkopf-Tapete von Andy Warhol bezieht sich lässig auf diese Tradition.

Spürbar werden nicht nur die aus Religion und Künsten geborgten kultischen, sondern auch die vom Einzelstück abstrahierenden, gleichmacherischen Kräfte des Geldes. Senta Connerts Regale mit Hemden und Handtüchern (1998) oder ein Verkaufsraum voller Teddybären zeigen die Dinge in ihrer Warengestalt, welche zur seriellen Kunst drängt. Die Sachen werden wie in einer Fabrik vervielfacht und damit letztlich herabgewertet.

Roboter zerreißt Familienbilder

Erschreckend konkret wird derlei Entseelung in einer Maschine von Max Dean, deren Roboterarm sich nach festem Zeitraster Familienfotos (Hochzeiten, Urlaube etc.) greift und sie säuberlich zerschnitzelt. Sind menschliche Bindungen derart zerstört, offeriert sich die käufliche Lust: Edward Kienholz baute 1980 den „Playboy“-Flipperautomaten. Heftige Hüftbewegungen beim Abschießen der Kugeln kann man hier gleich in die Öffnung eines vom ans Gerät montierten weiblichen Torsos leiten…

Gnadenlos abstrakt und lebensfern wirkt die abgebildete Realität des alles regierenden Geldverkehrs: Laura Kurgan macht den unaufhörlichen Fluss weltweiter Devisenströme mit Hilfe des Reuters-Nachrichtendienstes in beängstigender Echtzeit als ein schier ewig weiter zitterndes Kurvenbild sichtbar. Vorher las man auf einer Tafel: „Nur noch 1017 Tage bis zum Ende des Kapitalismus.“ Es muss wohl Jahre heißen, oder?

Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz. Bis14.Mai. Di-So11-18, Fr 11-21 Uhr. Katalog 65 DM.