Unauflösliche Märchenwelt: Oper Köln eröffnet die Spielzeit mit „Die Frau ohne Schatten“

Daniela Köhler (Kaiserin) und Irmgard Vilsmaier Der(Amme). (Foto: Matthias Jung)

Dem früheren Intendanten des Aalto-Theaters Essen, Hein Mulders, ist mit der Strauss-Oper „Die Frau ohne Schatten“ zum Spielzeitauftakt ein markantes Statement gelungen. Die Inszenierung von Katharina Thoma hat jedoch Leerstellen, die auch von der hervorragenden Orchesterleistung unter Marc Albrecht nicht verfüllt werden können.

Das üppige Orchester, die häufigen Verwandlungen, die Länge und die fünf extrem anspruchsvollen Hauptpartien: Richard Strauss‘ und Hugo von Hofmannsthals „letzte romantische Oper“ über ein Zwischenwesen aus dem Geisterreich, das keinen Schatten wirft, ist ein dicker Brocken selbst für große Bühnen. Im Staatenhaus, der Spielstätte der Oper Köln bis zur hoffentlich baldigen Wiedereröffnung des Hauses am Offenbachplatz, sind häufige Verwandlungen oder ein technischer Bühnenzauber nicht zu realisieren. So macht Johannes Leiacker die Not zur Tugend: Eine Erhöhung, aus Schichten geformt wie eine geologische Formation, ganz in Weiß, in organisch verlaufenden Kurven, mit einem krönenden Felsen – das war’s in Sachen Bühnenbild.

Das Gürzenich-Orchester sitzt weit gestaffelt rechts von der Bühne: Der Klang ist weniger fokussiert als in einem Graben. Dirigent Marc Albrecht lässt die Musiker diesen Raum nutzen: Strauss‘ filigran verwobene Linien und Motive bündeln sich, streben massiert zusammen, spritzen in glitzernder Gischt wieder auseinander, entfalten sich frei und räumlich. Die wundervoll ausgekosteten Piano-Stellen tragen. Albrecht kann die Musik großzügig aufblühen lassen, breitet ein leuchtendes Spektrum aparter Klangfarben aus, baut vom zurückhaltenden ersten bis zum pathossatten dritten Akt einen Spannungsbogen auf, der sich nicht dynamisch verausgabt, bevor er die Kulminationspunkte in der zweiten Hälfte des Abends erreicht.

Sinnlich und klug disponierte Musik

Die Musiker des Gürzenich-Orchesters können zeigen, was sie drauf haben, ob Celli oder Celesta, die fünf Tuben oder Tamtam und chinesische Gongs. Aber der Raum setzt auch Grenzen: Blechbläsereinsätze geraten allzu gerundet, wo sie scharf attackieren müssten, die Holzbläser gehen seltsamerweise immer wieder unter. Trotzdem: Albrecht präsentiert sich als ein Strauss-Dirigent von Format, der diese „Frau ohne Schatten“ so sinnlich wie klug disponiert und nicht an den knalligen Effekt verrät.

Der Kaiser (AJ Glueckert) und sein Falke (Giulia Montanari). (Foto: Matthias Jung)

Für die Sänger ist der Vorteil unüberhörbar: Sie müssen nicht forcieren, werden vom Orchester nicht übertönt, auch wenn Albrecht die massive Wucht dieser vollkommenen Synthese des Symphonischen und des Dramatischen auskostet. Diese Chance nutzt AJ Glueckert als Kaiser. Er nimmt die Dramatik zurück, legt die Partie kantabel an, betont so, dass dieser romantische Jäger der weißen Gazelle, die sich zur Frau verwandeln sollte, ein verträumter Held ist, dem Geisterreich nicht zugehörig, aber zugetan. Der Stimme des Tenors kommt dieser Ansatz sehr entgegen.

Die Kaiserin Daniela Köhler setzt zu Beginn („Ist mein Liebster dahin …“) zu viel Vibrato ein und stört damit den ruhigen Fluss der Stellen im piano. Doch mit zunehmend bewusstem Stützen normalisiert sich das Schwingen des Soprans, der substanzvoll, leuchtend und sich in den typischen weiten Strauss-Phrasen blühend aufschwingt. Köhler verkörpert die zentrale Figur dieser Inszenierung: Das Streben nach einem Schatten führt sie in die Welt einfacher Menschen, in der sie mehr und mehr erkennt, wie Empathie und Zuwendung das Leben menschlich machen – und der Schatten steht ja als Symbol nicht nur für weibliche Fruchtbarkeit, für die Erweiterung der Person in die Welt hinein, sondern für die ambivalente menschliche Existenz, die auch Schmerz, Opfer und Tod umfasst. Im Kontakt mit dem Färber Barak und seiner unverbrüchlich naiven Bereitschaft, Schattenseiten anzunehmen und zu ertragen, erkennt sie, was es bedeutet, als Mensch zu fühlen und zu handeln. Deutlich wird ihr Wandel in einer berührenden Szene im zweiten Akt, als sie dem erschöpften Barak den Schweiß von Stirn und Füßen wäscht.

Kampf mit vokalen Herausforderungen

Die Hierarchie ist klar: Oben steht die Kaiserin (Daniela Köhler), unten die Färberin (Lise Lindstrom), dazwischen die Amme (Irmgard Vilsmaier). Foto: Matthias Jung.

Auch die Färberin gestaltet ihre Rolle als einen Lernprozess: Lise Lindstrom kämpft nicht nur mit der Armut, mit den Zumutungen der drei versehrten Brüder im Haushalt (Insik Choi, Christoph Seidl, Ralf Rachbauer), sondern auch mit ihren unerfüllten Wünschen. Die bunten Kleider, die ihr Kostümbildnerin Irina Bartels verpasst, stehen für ein Lebensbegehren, das die Färberin im Mutterglück sucht, und für das Streben nach Anerkennung in einem Haus, in dem sie als „Weib“ abgewertet und lediglich „gehegt und gefüttert“ wird. Beide, der Färber und seine Frau, lernen, sich zu achten und Liebe aus gegenseitigem Respekt zu gewinnen.

Lindstrom kämpft aber auch mit den vokalen Herausforderungen: Ihr Sopran leidet unter übermäßigem Vibrato. Spitzen- und andere im Metrum bedeutende Töne werden überstark herauskatapultiert, während Linien unterbelichtet bleiben und nicht kontinuierlich durchgestützt werden. Die flackernde Tonproduktion lässt die Farben der Stimme verblassen und stört eine saubere Artikulation. Anders der Färber von Jordan Shanahan: Er singt verständlich, bildet den Klang füllig und sonor, ist auf entspannten Fluss bedacht.

Als Amme hat Irmgard Vilsmaier eine Reihe exponierter Momente, in denen sie stimmlich alles geben muss. Als alte Dame mit Stock, altbackenem Hütchen und einem großmütterlich schwarzem Kostüm mit weißen Handschuhen steht die Amme zwischen dem cleanen, gestylten Weiß der Geister und der realistisch farbvielfältigen Welt der Menschen. Die „schwarz-weiße Schlange“ wirkt enthoben und mutiert zum Symbol, wenn sie im zweiten Akt als Spinne in einem projizierten Netz den Schlaftrunk für Barak bereitet, auf dass der verführerische Jüngling als Preis für den Schatten ungestört für die Färbersfrau verfügbar sei. (Bryan Lopez Gonzalez sieht blendend aus, bewältigt die Rolle aber mit müden und mühevollen Tönen unbefriedigend). „Was Menschen bedürfen, du weißt es zu wenig“ sagt ihr die Kaiserin: Die Amme konnte die Entwicklung ihres Schützlings nicht mitvollziehen. Stimmlich wie szenisch bleibt Irmgard Vilsmaier mit herben und gleißenden Tönen präsent, bis sie von der machtvollen Stimme des Boten (Karl-Heinz Lehner) aus dem Geisterreich verstoßen und bewegungslos hinausgefahren wird.

Zwischen Phantastik und Sozialrealismus

Der Vorzug der Inszenierung von Katharina Thoma ist, den Personen den erzählerischen Raum zu öffnen, soweit die Berg-Insel Leiackers es zulässt. Doch wohin mit dem Märchenhaften der „Frau ohne Schatten“, mit dem Symbolismus? Der Falke ist lediglich eine aparte, rot leuchtende Erscheinung (Giulia Montanari), aber die Nachtwächter (Sinhu Kim, Yongmin Kwon, Michael Terada) dürfen in schwarzen Priestersoutanen über die Bühne schreiten und ihren Sinnspruch in magischen Strauss-Choralklängen verkünden. Und wohin mit dem anfechtbaren Frauenbild oder gar dem Immanentismus von Richard Strauss, der seltsam quer zu den transzendierenden „romantischen“ Bestrebungen des Hoffmannsthal-Librettos steht? Dafür bietet Thoma keine plausible Lösung.

Die Regisseurin, Wunschkandidatin von Intendant Hein Mulders, gestaltet in den ersten beiden Aufzüge weitgehend die Story aus, nutzt Georg Lendorffs Projektionen, um erzählerischen Realismus aufzubrechen, setzt aber mit dem Verteilen und Verpacken von Altkleidern szenische Markierungen, die sich erst im dritten Aufzug auflösen: Jetzt wird verständlich, warum vorher schon Kinder die Fetzen und Lumpen von der Bühne geräumt haben. Alttextilhändler Barak ist am Werk! Doch jetzt, nach der videogesättigten Katastrophe am Ende des zweiten Aufzugs, wird ein Lebloser von Sanitätern abtransportiert, bevölkern Kinder und Erwachsene die Stufen wie Migranten den Strand von Lampedusa.

Gleichzeitig kriechen fantastische Lemuren am Bühnenrand entlang, die später die Amme hinausfahren werden. Die Kaiserin hat ihr Geisterweiß verloren und tritt in fraulichem Gewande auf, der Fels, an dem der Kaiser bereits in ununterscheidbarem Grau angeklebt war, zerbricht. Übermächte und Sozialrealismus vermischen sich, ohne dass eine Sinn-Synthese geboren würde. Katharina Thomas Inszenierung verpufft. Was bleibt, sind szenische Bilder und das Gefühl, diese unzeitgemäße „Frau ohne Schatten“ beharre starrköpfig in einer unauflösbaren Märchenwelt.

Weitere Vorstellungen am 23., 29. September, 3., 8., 11. Oktober.
Info: https://www.oper.koeln/de/programm/die-frau-ohne-schatten/6547




Reizender Scherz im Stimmenglanz: Richard Strauss‘ „Rosenkavalier“ kehrt ins Aalto-Theater zurück

Erstaunlich frisch für eine 15 Jahre alte Inszenierung präsentiert sich Anselm Webers „Rosenkavalier“ in der Wiederaufnahme am Aalto-Theater.

Traum im Museum: Der „Rosenkavalier“ in der Inszenierung von Anselm Weber aus dem Jahr 2004 ist wieder am Aalto-Theater zu sehen. (Foto: Saad Hamza)

Wiederaufnahme-Spielleiterin Marijke Malitius hat mit dem Ensemble ganze Arbeit geleistet. Kulinarik wird nicht negiert, aber Webers Traumlogik bricht Sentimentales und Nostalgisches konsequent auf. So wird etwa der Mummenschanz des dritten Aktes über die „Kreuzer-Komödi“ hinausgeführt und nicht nur für den genarrten großsprecherischen Baron Ochs auf Lerchenau, sondern auch für die Zuschauer zum unheimlich-skurrilen Theater.

„Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein“: Die Distanz zum Geschehen hebt auch die Illusion einer ungebrochenen Rokoko-Rückerinnerung des ersten Aktes auf, steigen die Figuren doch aus den Vitrinen eines Museums: Rückwärtsgewandte Imagination eines spießigen Aufsehers, der fotografierende japanische Touristinnen scheucht und sich – eine echte österreichische Thomas-Bernhard-Figur – in eine bessere Vergangenheit zurückschwärmt, die ihn am Ende ungnädig gefangen nimmt. Der Ochs auf Lerchenau, den er im Traum verkörpert, war eben doch nicht die richtige Rolle für die anbrechende Moderne.

Der Essener GMD Tomas Netopil. Foto: Hamza Saad

Der Essener GMD Tomáš Netopil. (Foto: Hamza Saad)

Bei der Premiere 2004 ein Soltesz-Paradestück, liegt das „Getöse um einen reizenden Scherz“ jetzt in den gestaltenden Händen von GMD Tomáš Netopil. Er bevorzugt einen schlank-gefassten Ton, führt das Orchester präzise und hält es durchhörbar, hätte aber ruhig ausgeklügelter zupacken dürfen: Nicht in den ausladenden Lautstärkegraden, die manchem Sänger volle Kraft voraus abverlangen. Eher in der Flexibilität der Tempi und Metren, deren Wiener Charme immer wieder hinter die bewundernswerte Präzision zurücktreten. Und auch im Feinschliff der Klänge: Die Holzbläser im ersten Akt wirken unspezifisch, fast beiläufig, und die berühmte Überreichung der „silbernen Rose“ wird zu einem prosaischen Ereignis fern ihres impressionistischen Zaubers.

Das Ensemble kann sich hören lassen: Michaela Kaune als Feldmarschallin ist zu den schlank-transparenten Klängen des Orchesters zunächst eine mädchenhafte junge Frau, gewinnt im dritten Akt Reife und stimmlich opulenten Glanz. Karin Strobos als Octavian, anfangs mit Kratzern in der Mezzo-Lasur, kann sich ebenso profilieren wie Elena Gorshunova: Die Schulmädchen-Anmutung mit Matrosenkleid und Stofftier lässt sie schnell hinter sich zugunsten einer stimmlich standfesten, selbstbewussten Sophie. Karl-Heinz Lehner als träumender Museumswärter gibt den Ochs mit genießerisch ausgespieltem Wienerisch und probater Klang-Substanz.

Szene aus dem zweiten Akt mit Heiko Trinsinger als Faninal (Mitte). (Foto: Saad Hamza)

Heiko Trinsinger als pomadig frisierter neureicher Faninal tritt stets gequält von seinen Ambitionen auf; seine Tochter ist im Bühnenbild von Thomas Dreißigacker ein Ausstellungsstück im Vitrinenschrank, der im noch unfertigen Palais mit rauchenden Industrieanlagen an den Ursprung des Reichtums erinnert. Carlos Cardoso als Sänger mit Schmelz, aber auch Michal Doron als Annina und – wie schon 2004 – Albrecht Kludszuweit als Wirt und Rainer Maria Röhr als quirliger Intrigant Valzacchi tragen wie die vielen anderen Rollen nebst einem soliden Chor zum glücklichen Eindruck des Abends bei.

Weitere Vorstellungen am 22. März und 26. April, jeweils 16.30 Uhr. Karten: (0201) 81 22 200, www.theater-essen.de

 




In der Bar zum Krokodil: Verdis „Aida“ eröffnet die Intendanz von Heribert Germeshausen an der Oper Dortmund

Hyona Kim (Amneris) und Hector Sandoval (Radamès) in der Dortmunder Neuinszenierung von Verdis "Aida". Foto: Theater Dortmund

Hyona Kim (Amneris) und Hector Sandoval (Radamès) in der Dortmunder Neuinszenierung von Verdis „Aida“. (Foto: Björn Hickmann / Theater Dortmund)

Die ersten Premieren einer neuen Intendanz dürfen gewöhnlich als künstlerisches Statement gelesen werden. Heribert Germeshausen hat sich an der Oper Dortmund mit zwei Blockbustern eingeführt – einem überzeichneten „Barbiere di Siviglia“ aus dem komischen Genre und, als Eröffnung der Spielzeit, mit einer opulenten „Aida“. Beides viel gespielte Werke, mit denen sich ein Haus jedoch nur selten profiliert.

Mit Puccini und Wagner kündigt Germeshausen für die kommenden Jahre ebenfalls Komponisten an, bei denen man sich fragt, ob ihre Omnipräsenz nun ausgerechnet noch eines Schwerpunkts in Dortmund bedarf. Und der für 2020 angekündigte „Ring des Nibelungen“ führt die Tetralogie-Inflation an deutschen Mittelklasse-Häusern weiter, die schon längst nicht mehr über die Wiederholung von zum Überdruss gesteigerten szenisch-inhaltlichen Deutungen hinauskommt. Da hilft wohl auch nichts, dass mit Peter Konwitschny ein Altmeister gewonnen wurde, dessen letzte Arbeiten – Luigi Cherubinis „Medea“ in Stuttgart, Othmar Schoecks „Penthesilea“ in Bonn – nicht eben auf eine Lösung jenseits regietheaterlicher Dogmen hoffen lassen.

Erzählendes Theater in behutsam verfremdenden Bildern

Bei Jacopo Spirei braucht man sich der Frage, was mit dem unscharfen Begriff des „Regietheaters“ genau gemeint sei, gar nicht zu stellen: Der italienische Regisseur setzt auf erzählendes Theater in behutsam verfremdenden, ästhetischen Bildern, wie er sie für Nicola Porporas „Mitridate“ in Schwetzingen, für seine Mozart-Arbeiten am Landestheater Salzburg und für Charles Wuorinens Oper „Brokeback Mountain“ gefunden hat, welche im Mai 2018 aus Salzburg an die New York City Opera wanderte.

In „Aida“ öffnet sich Nikolaus Weberns Bühne in der Dreiecksform der ägyptischen Pyramide und gibt den Blick in einen Konferenzraum frei, wo der goldbefrackte, mit langem Rock würdevoll ausstaffierte Ramfis die Wahl der Isis für den neuen Oberbefehlshaber des Äthiopien-Feldzuges bekanntgibt. Sarah Rolke und Wicke Naujoks stecken die Militärs in adrette dunkle Uniformen. Die Dame des Hauses, Amneris, nimmt in einem steifen Modellkleid mit reichlich Goldbehang das Ägypten-Thema auf, während das Dienstpersonal, darunter Aida, in afrikanisch anmutenden Gewändern in Guantanamo-Orange Unterlagen verteilt.

Schon in diesen ersten Szenen zeigt sich, dass Spirei zwischen den Figuren kein Spannungsfeld schafft und sie auch in psychologischen Nuancen nicht ausdeutet. Was in Radamès vorgeht, erfahren wir, zum Glück, in der von Hector Sandoval mit sprödem Timbre gesungenen, aber sinnig gestalteten Romanze, die auf einem sauber-schlanken hohen b endet. Amneris wuselt reichlich unmotiviert zwischen Tisch und Stühlen herum, ohne dass die Bewegung bedeutsam würde.

Denis Velev als angenehm gerundet singender König steckt in goldenem Anzug und lässt sich als jovialer Dandy feiern, der später schon mal zu einem übermütigen Luftsprung aufgelegt ist. Welche Rolle dieser Mann zwischen straffer militärischer Organisation und bedrückender priesterlicher Bevormundung spielt, bleibt Spireis Geheimnis.

Ägyptisch glitzernde Halbwelt feiert After-Kriegs-Party

So ähnlich geht es weiter: Florian Franzens Licht setzt den blassblauen Hintergrund eines neutralen Raumes in ein Crescendo von Helligkeits- und Farbnuancen, in dessen Verlauf Radamès sein heiliges Sturmgewehr erhält. Im zweiten Akt erinnert man sich unwillkürlich an Willy Engel-Bergers „Bar zum Krokodil“ am schönen Nil mit einer auf ägyptisch getrimmten, glitzernden demi-monde, umrahmt vor vertikalen Streben, die an das verspiegelte Glas der Bankentürme einer Skyline erinnern. Zu Verdis „Allegro marziale“ reihen sich im Triumphmarsch-Bild Mütter oder Ehefrauen mit Bildern ihrer gefallenen Helden auf, die ihre Orden empfangen; Kinder salutieren kriegs- und rachebereit vor ihrem König, bevor in staubigem Grau die Gefangenen hereingetrieben werden. Der Herrscher legt schon mal – hier finden wir uns bereits in beachtlicher psychologischer Tiefe – einen Arm um die Schulter von Radamès. Eigentlich eine ganz nette After-Kriegs-Party.

Finale von Aida": Während sich zu ätherischen Tremoli und zu lichtvollen Pianissimi der Himmel öffnet, verschwimmt das Bild des Paares Aida und Radamès. Foto: Theater Dortmund

Finale von Aida“: Während sich zu ätherischen Tremoli und zu lichtvollen Pianissimi der Himmel öffnet, verschwimmt das Bild des Paares Aida und Radamès. (Foto: Björn Hickmann / Theater Dortmund)

Mit dem Nil-Akt versteigt sich Weberns Bühne dann endgültig in tiefenpsychologisch anmutende Bildwelten. Achttausend Liter Wasser, so recherchierte eine findige Lokalzeitung, füllen ein flaches Bassin. Gerät das Nass in Wallung, wirft es reizvoll gewellte Lichteffekte auf die hohen, in den Raum ragenden Wände. Viel Aufwand für ein mageres Ergebnis, denn über die Ästhetik des Augenblicks hinaus führt weder die Szene selbst noch ihre Einbettung in den Rest der Inszenierung. Die endet, durchaus als Bild wieder ansprechend, auf einem Podest im Wasserbad, auf dem der verurteilte Landesverräter sein Ende finden soll. Plexiglasplatten ersetzen den Stein, der ihn und seine treue Aida von Leben und Luft trennt. Sie schweben von oben herab und zwängen die Sterbenden immer enger ein. Und während sich zu ätherischen Tremoli und zu lichtvollen Pianissimi der Himmel öffnet, verschwimmt das Bild des Paares.

Tempo-Nuancen genau analysiert

Für die schier unendlichen Schattierungen der Dynamik und der Tempi, mit denen Verdi seine Figuren beleuchtet, sind in Dortmund die Philharmoniker unter ihrem Chef Gabriel Feltz verantwortlich. Das Ergebnis beweist, dass sich Feltz mit Verdis Angaben genau auseinandergesetzt hat. Das Orchester entfaltet das Spektrum zwischen reduziertem, fast überschlankem Pianissimo bis hin zum heftig akzentuierten Marschtritt der trivialen Aufzugsmusiken, mit denen Verdi seine Kritik an pompösem Machtgehabe musikalisch artikuliert. Jedes „animato“, jede Nuance im psychologisch fein durchdachten Tempogefüge Verdis wird registriert.

Gabriel Feltz. Foto: Thomas Jauk

Orchesterchef Gabriel Feltz. (Foto: Thomas Jauk)

Allerdings tut Feltz hin und wieder zu viel des Guten: Dem „marcato“ am Ende des ersten Bildes vor Aidas Arie „Ritorna vincitor“ nimmt er das Pathos und verwandelt es in ein ungeduldiges Drängen. Gut so. Aber dort, wo im Finale die aufgeblasene Größe eines „maestoso“ angebracht wäre, verfällt er ebenso ins Drängeln und zieht das Tempo unverhältnismäßig an. Das „mosso“ im Duett zwischen Aida und Amneris im zweiten Akt nimmt er zum Anlass, aufs Tempo zu drücken. Und im ausgedehnten Finale wackeln die Ensembles, wenn er bei jedem „piú animato“ die Versuchung des Davoneilens bedient.

Feltz liest „Aida“ auf sinnige Weise als intimes musikalisches Kammerspiel. Aber er sollte Verdis insistierendes Bemühen, durch vierfache Piani die Orchester seiner Zeit zu einem gezügelten Musizieren zu veranlassen, nicht missverstehen: Verdi wollte die „sonorità“, den tragenden, klingenden Ton nicht anämisch verdünnen. In diese Gefahr geraten die Philharmoniker hin und wieder, wenn sie in den leisen Momenten einen schönen Ton zu sehr reduzieren.

Weibliche Hauptrollen ein Glücksfall

Mit dem zurückgenommenen Ton hat Kelebogile Besong kein Problem: Die südafrikanische Sopranistin hat Aida bereits in Malmö, Essen und den USA gesungen und zeigt in Dortmund eine dunkel-schlanke, zu samtenem Legato und zu kultivierter Expression fähige, individuell gefärbte Stimme, bei der allenfalls die etwas erzwungen wirkende brustige Tiefe aus dem Gleichmaß der Töne herausfällt. Sehr sicher und stets ohne Druck geformt erreicht ihre Phrasierung die Klimax der langen Phrasen in „Numi, pietá“ und in „O patria mia“. Die resignierte, gleichwohl als fingiert durchschaubare Unterwürfigkeit, aber auch das aufblitzende Temperament der äthiopischen Prinzessin spiegelt sich in ihrer stimmlichen Gestaltung wie in ihrem überlegten Spiel.

Ein Glücksfall für Dortmund, dass die beiden weiblichen Hauptrollen gleich überzeugend besetzt sind: Hyona Kim trifft mit flexiblem Mezzosopran die lauernden Zwischentöne im Dialog mit ihrer Rivalin Aida, das schwärmerisch in fabelhaftem Legato ausgesungene Begehren der verliebten, verwöhnten Königstochter, aber auch die lodernde Empörung gegen die „üble Rasse“ der Priester und den zwischen Versöhnung, Ergebenheit und Verzweiflung changierenden Wunsch nach Frieden am Ende. Mit ihrer in allen Lagen gleich geschmeidig ansprechenden Stimme ist Kim die ideale Interpretin italienischer Mezzo-Partien; man darf hoffen, diese Gestalterin in anderen anspruchsvollen Rollen wieder zu erleben.

Weiter geht’s mit einem populären Potpourri

Eher als Darsteller denn als Sänger überzeugt Mandla Mndebele als Amonasro: Die kaltschnäuzige Zielstrebigkeit, mit der er seine Pläne verfolgt, drückt er im Nil-Akt mit rohem Zugriff aus; sein Bariton allerdings, bei gut klingendem Material, ist zu sorglos geführt, sitzt nicht kontrolliert genug im Fokus und neigt daher dazu, die Intonation haarscharf zu verfehlen. Karl-Heinz Lehner ist ein prägnant artikulierender Ramfis, der auch in der kraftvollen, aber nicht überzeichnenden Stimme den befehlsgewohnten Oberpriester hervorkehrt. Fritz Steinbacher nimmt in den wenigen Sätzen des Boten durch Timbre und Stimmkultur für sich ein. Natascha Valentin gibt eine wohlklingende Priesterin. Fabio Mancini hat den Dortmunder Opernchor auch in den wuchtigen Bildern des zweiten Akts auf einen konzentrierten Auftritt hingeführt; die Fernchöre allerdings klingen zu präsent.

Die Oper Dortmund startet mit einer neuen Intendanz in die kommenden Spielzeiten. Foto: Werner Häußner

Die Oper Dortmund startet mit einer neuen Intendanz in die kommenden Spielzeiten. Foto: Werner Häußner

Eine radikalere Befragung von Verdis „Aida“ hat schon im Frühjahr der Dortmunder Schauspielintendant Kay Voges vorgenommen – nicht in Dortmund, sondern an der Staatsoper Hannover, wo das Ergebnis demnächst wieder zu erleben ist. Germeshausens erste Spielzeit läuft indes mit einem fast schon ärgerlichen Populär-Potpourri mit Bernsteins „West Side Story“, Lehárs „Land des Lächelns“ und Puccinis „Turandot“ weiter, bis sie mit der deutschen Erstaufführung der Heiner-Müller-Oper „Quartett“ von Luca Francesconi und Philip Glass‘ „Echnaton“ in spannendere Bereiche vorstößt. Was Repertoire-Impulse angeht, bleibt also allem Anschein nach das Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen in der so reichhaltig mit Opernhäusern gesegneten Region Rhein-Ruhr ohne Konkurrenz.

Nächste Aida“-Vorstellungen: 27. Oktober, 1., 4., 18., 28. November, 15., 23. Dezember 2018; 13. Januar 2019.
Tickets: Tel.: (0231) 50 27 222, www.theaterdo.de/karten-abo/kauf/