Endloses Trauma nach der Loveparade – Heinrich Peuckmanns Roman „Leere Tage“

Über fünf Jahre sind inzwischen seit der Loveparade-Katastrophe (24. Juli 2010) vergangen, doch vergessen kann Sven dieses Unglück nicht. Seine Freundin Klara ist bei dem Massengedränge auf dem Weg zur Technoparty gestorben, sie war eines der 21 Todesopfer.

Sven bemüht sich, wieder zurück in ein halbwegs normales Leben zu finden, doch der Weg ist steinig und kurvenreich, wie es Heinrich Peuckmann in seinem Roman „Leere Tage“ erzählt.

leeretage

Zu allem Überfluss gerät Sven auch noch in Hader mit seinem Arbeitskollegen Alex, den er in seine Wohnung aufgenommen hat. Dieser Alex verkehrt nicht gerade in den besten Kreisen und hat Schulden beim Boss einer Gang, der vor Gewalt nicht zurückschreckt. Als der Kumpel nun Schutz sucht, will sich Sven nicht verschließen, zumal er sich in seinen vier Wänden ohnehin mutterseelenallein fühlt und er auch mit seinem Studium der Sozialarbeit ins Hintertreffen zu geraten scheint.

Doch die Hoffnung, dass sich seine Stimmung heben würde, erfüllt sich für Sven nicht. Ob Alex nicht zu Sven passt oder ob Sven in seiner Sinnkrise mit sich selbst viel zu sehr beschäftigt ist, das lässt der Roman offen. Am Ende will Sven seinen Mitbewohner nur noch loswerden und wählt dazu einen recht ungewöhnlichen Weg, der aber erkennen lässt.

Wie andere Romane von Heinrich Peuckmann, so spielt auch dieser im Ruhrgebiet, vornehmlich in Dortmund mit dem Nebenschauplatz Duisburg. Die Erzählung ist zwar nicht darauf ausgelegt, Anklage gegen die Verantwortlichen für die Loveparade-Katastrophe zu erheben, wohl aber kommt zum deutlich Ausdruck, welche Folgen ein solches Unglück bei Angehörigen und Freunden der Opfer hinterlässt.

Zugleich zeigt Peuckmann schwierige soziale Wirklichkeiten auf, wenn er beispielsweise über die zerrüttete Familie von Klara schreibt. Man mag vortrefflich darüber diskutieren, ob der Autor damit nur Stereotypen verfestigt oder aber eindringlich daran erinnert, dass solche Lebensverhältnisse zum Alltag gehören – im Ruhrgebiet und anderswo.

Heinrich Peuckmann: „Leere Tage“, Assoverlag, Oberhausen. 175 Seiten. 9,90 Euro.

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Im Sinne der Transparenz sei angemerkt, dass Heinrich Peuckmann gelegentlich auch als Gastautor für die Revierpassagen schreibt.
(d. Red.)




Wenn New York in den Fluten versinkt – Nathaniel Richs Roman „Schlechte Aussichten“

9783608980035.jpg.18936Während das Gros der Menschen vor Katastrophen zurückschreckt, lebt Mitchell Zukor geradewegs auf, wenn er die Wahrscheinlichkeit von Untergangsszenarien berechnen und kalkulieren kann. Er, die Hauptfigur in Nathaniel Richs Buch „Schlechte Aussichten“, bändigt damit nicht nur seine eigene Angst vor den Unwägbarkeiten des Lebens. Seine Faszination hat vor allem auch finanzielle Gründe, arbeitet doch der studierte Mathematiker für eine Firma, die mit solchen Prophezeiungen ihr Geld verdient.

Futureworld heißt die Versicherungsgesellschaft, und der Name ist ähnlich perfide wie ihr Treiben. Die Zukunft dürfte nämlich für ein Unternehmen längst beendet sein, wenn es als Kunde die Dienstleistungen in Anspruch nehmen muss. Futureworld verspricht, die Firmen im Falle schlimmster Naturereignisse finanziell schützen zu wollen. Nun ist Mitchell kein Versicherungsagent, der sich mit der Akquise herumplagen muss, er vergräbt sich lieber in Zahlen, Daten und Fakten, um die Wahrscheinlichkeit von Leid, Unglücken und Widrigkeiten zu berechnen. Mitunter ist er auch gefordert, seine Rechenexempel noch weiter zu treiben, um beispielsweise den Wert eines menschlichen Lebens in Geldsummen exakt zu taxieren. Die Ergebnisse haben übrigens wenig mit dem Prinzip von der Gleichheit der Menschen zu tun.

Mitchell führt nun also sein Eigenleben, als eigenbrötlerisch lässt es sich durchaus charakterisieren. Während er sich ungemein darüber freut, einen solchen Job bekommen zu haben, der auch mit einem beruflichen Aufstieg verbunden ist, soll es ihm gelingen, sich als Prophet zu beweisen. Dank seiner exakten Analysen kann er eine Überschwemmung für weite Teile von New York vorhersagen. Mit seinen Visionen macht er sich nicht unbedingt beliebt, manch einer schenkt ihm auch keinen Glauben, doch es kommt, wie es Mitchell beschrieben hat. Big Apple versinkt in den Fluten, wenn auch nicht komplett.

Gerade weil Autor Nathaniel Rich keine Apokalypse heraufbeschwört, sondern vielmehr den Leser die Folgen eines verheerenden Tsunamis vor Augen führt, wirkt die gesamte Szenerie zwar beängstigend, aber auch ungemein real. Es gehört zweifellos zu den ganz starken Kapiteln des Buches, wenn US-Amerikaner Rich den Leser quasi mit ins Boot nimmt, um ihm das untergegangene New York zu zeigen. Mitchell steigt nämlich mit einer Kollegin in ein kleines Bötchen und schaut sich mit ihr gemeinsam die Wassermassen an. Vorlage für seine Schilderungen bekam der Autor in den vergangenen Jahren oft genug geliefert, New Orleans, Mozambique oder Sri Lanka sind da nur drei von vielen Beispielen.

Die Geschichte dieses Mitchells wäre aber noch nicht ganz zu Ende erzählt, würde man auf Elsa Brunner verzichten. Sie ist eine Kommilitonin und leidet an dem Brugada-Syndrom, läuft also Gefahr, jeden Moment tödlich umzufallen. Für einen Mann, der eine Vorliebe für Risiken und Unbill hat, geht von einer solchen Frau eine ungeheure Faszination aus. Und es drängt sich die Frage auf, ob ihre Psyche mitspielt, wenn New York in den Fluten versinkt. Die Antwort gestaltet sich zu einer der spannenden Stellen des Bandes.

Nathaniel Richs erstes Buch in deutscher Übersetzung lebt an vielen Stellen von sanfter Ironie, die entsteht, wenn der Mensch versucht, die Unwägbarkeiten des Lebens in den Griff zu bekommen. Seichte Kritik am Umgang mit der Umwelt lässt sich ebenso herausfiltern.

Nathaniel Rich: „Schlechte Aussichten“. Roman. Klett-Cotta, 352 Seiten, 21,95 Euro.