Wie die Kirche aufklären wollte – „Komm in meinen Wigwam“ im Dortmunder Schauspiel

Komm in meinen Wigwam

Ein beschwingter Moderator, ein irritierter Knabe (Ekkehard Freye und Leon Müller) im übermächtigen Blümchensex. (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Das sittliche Wohlergehen des jungen Menschen ging ihnen über alles. Beschützt und behütet sollte er seinen Weg in die Welt der Erwachsenen finden. Wenn da nur diese fluchwürdige Sexualität nicht gewesen wäre, die ja irgendwie zum Leben dazugehört, aber doch mächtig stört. Zumal sie den jungen Menschen beiderlei Geschlechts ablenkt vom Pfad der Tugend. Oder vom Pfad des Herrn, der tunlichst ein katholischer sein sollte.

So hat sich die Kirche in vergangenen Zeiten viel Mühe gegeben, Pubertierenden samt ihren „schmutzigen Gedanken“ mit einer Vielzahl von Jugendbüchern hilfreich zur Seite zu stehen. Und eine Fülle von Peinlichkeit hervorgebracht, die ihresgleichen sucht und großen Unterhaltungswert hat.

Ein besonders bemühter und produktiver Verfasser kirchlicher Jugendschriften war in den frühen 50er Jahren der Päpstliche Ehrenprälat Berthold Lutz, der 2013 im gesegneten Alter von 90 Jahren dahinging und dessen reiches Schaffen nun Widerhall in einem Theaterstück findet. „Komm in meinen Wigwam“ heißt es, im Studio des Dortmunder Theaters erlebte es seine Premiere.

Komm in meinen Wigwam

Der Prälat (Heinrich Fischer). (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Autor und Regisseur des Stücks ist Wenzel Storch, der vordem unter anderem als Filmemacher („Sommer der Liebe“, „Die Reise ins Glück“) oder Kolumnist („Der Bulldozer Gottes“) in Erscheinung trat. Ihn drängt es auch im fortgeschrittenen Alter noch, Lächerlichkeit und passagenweise auch Schlüpfrigkeit jener „Aufklärungsschriften“ aus den frühen 50er Jahren zu entlarven.

Das Stakkato unsäglicher Zitate indes, das mancher vielleicht erwartete, bleibt in der Inszenierung aus. Eher betulich wird das Eine oder Andere aus dem Leben des Prälaten berichtet, werden andeutungsschwere Buchtitel und Textpassagen mit anscheinend unfreiwilligem (homo-)erotischem Inhalt präsentiert, wirkt etwa ein Kapitel über ein Zeltlager mit dem Kaplan plötzlich wie eine nicht mehr ganz jugendfreie Verführungsgeschichte. Worte bekannter Dichter mit eindeutig erotischer Konnotation gelangen zu Gehör und zeigen eine verblüffende thematische Nähe zu den Hervorbringungen Berthold Lutz’.

Komm in meinen Wigwam

Thorsten Bihegue (links) sorgt als „Wissenschaftler“ für größte Heiterkeit auf der Bühne. Ob er das Alter Ego von Wenzel Storch ist oder nicht, diskutierte das Publikum nach der Vorstellung kontrovers. (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

All dies geschieht in einer Bühnenshow, in der ein geschniegelter Entertainer (Ekkehard Freye) sein Publikum zur „Pilgerreise in die wundersame Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur“ (Untertitel) einlädt. Weitere Mitwirkende sind ein Mädchen und ein Knabe (Jana Katharina Lawrence und Leon Müller), zwei Meßdiener(Finnja Loddenkemper und Maximilian Kurth) und der Kaplan selbst, dem Heinrich Fischer aus dem Seniorenclub des Schauspielhauses mit seinem urwestfälischen Zungenschlag starken Charakter einhaucht. (Er bleibt nur viel zu sympathisch).

Den größten Anteil am Unterhaltungswert dieses Abends jedoch hat ohne Frage Thorsten Bihegue, der als „Wissenschaftler“ dabei ist und mit pennälerhaft-schlaksiger, ungemein lebhafter Körpersprache für Heiterkeit sorgt. Wenn er als Zerrbild eines Showmasters verdruckste Jugendbuchtitel enthusiastisch präsentiert, ist das ein komödiantischer Höhepunkt des Abends.

Weiterhin wirken Damen und Herren des Dortmunder Sprechchores mit – mal als Nonnenchor, mal als wunderbar dekorierte bunte Blumen, Blüten, Samendolden, Fruchtstempel usw. (Bühne und Kostüme: Pia Maria Mackert). Ja, es geht um Sex, doch immer in der Light-Version, dramatische Spitzen bleiben aus. Man unterhält man sich gut in diesen 80 Minuten, die von einer vergangenen Zeit erzählen und augenzwinkernd in ihr verharren.

Weder nimmt das Stück ausdrücklich Bezug auf die zahlreichen Mißbrauchsskandale der Gegenwart, noch zeigt es uns Menschen, die unter sexuellen Übergriffen der Geistlichkeit leiden oder zerbrachen. Beides hätte ja nahe gelegen. Nein, Wenzel Storch beschränkt sich darauf, Unzulänglichkeit, Lächerlichkeit und Verkrampftheit bloßzustellen und das Weiterdenken dem Publikum selbst zu überlassen – über die Zusammenhänge zwischen Unterdrückung von Sexualität in der Pubertät und sexuellen Gewalthandlungen im Erwachsenenalter beispielsweise.

Komm in meinen Wigwam

Die Welt ist voller Blümchensex, den der Dortmunder Sprechchor in passender Kostümierung stilvoll auf die Bühne bringt. Die phantasievollen Dekorationen stammen von Pia Maria Mackert (Bühne und Kostüme). (Foto: Theater Dortmund/Birgit Hupfeld)

Zudem legt das Stück nahe, sich gesellschaftliche Kontinuitäten der Adenauer-Zeit vor Augen zu führen. Wie etwa konnte wenige Jahre nach der Menschheitskatastrophe Zweiter Weltkrieg sich eine (katholische) deutsche Erwachsenenwelt schon wieder anmaßen, die Jugend so erbarmungslos zu erziehen und zu formen? Welche eigenen Ängste und Gelüste wollten die oft traumatisierten Erwachsenen in ihrer Kindererziehung bekämpfen? Gedanken wie diese beim Publikum zu belassen und sie nicht als laut auftrumpfendes, hoch emotionales Theater zu inszenieren, macht den Dortmunder „Wigwam“ zu einer klugen, geschmeidigen Inszenierung, die gleichwohl ohne Tragik nicht ist. Schließlich auch fragt man sich, was einen Künstler wie Wenzel Storch zu so obsessiver, lebenslanger Beschäftigung mit seinem Thema veranlaßt.

Herzlicher Applaus.

Infos: http://www.theaterdo.de/detail/event/829/?not=1

Der Beitrag ist in ähnlicher Form im Westfälischen Anzeiger (Hamm) erschienen.




Der neue Papst setzt Zeichen: Mit dem Bus ins Gästehaus

Bei den Fernsehleuten herrschte eher Gelassenheit: Eine Diskussionsrunde mit der spekulativen Frage nach persönlichen Favoriten, ein paar Bilder von Menschen unter Regenschirmen auf dem Petersplatz, immer wieder der Schornstein über der Sixtinischen Kapelle, von Scheinwerfern angestrahlt. Und dann, um 19.05 Uhr, Rauch, dichter weißer Rauch. Eine schnelle Entscheidung, mit der kaum jemand unter den Wartenden gerechnet hatte: Schon im fünften Wahlgang war der neue Papst gewählt – eines der kürzesten Konklave der Kirchengeschichte.

Rom hat einen neuen Bischof - und die Weltkirche einen neuen Papst. Blick auf S. Pietro. Foto: Werner Häußner

Rom hat einen neuen Bischof – und die Weltkirche einen neuen Papst. Blick auf S. Pietro. Foto: Werner Häußner

Eine gute Stunde nach dem Rauchzeichen folgte die noch größere Überraschung: Keiner der „heißen“ Kandidaten trat da auf die Loggia des Petersdoms, angekündigt mit den Worten „Habemus Papam“. Mit Jorge Mario Bergoglio hatte keiner der Auguren gerechnet. Der Kardinal von Buenos Aires stand nicht auf der Liste der medialen Favoriten.

Die Wahl des argentinischen Jesuiten, Indiskretionen zufolge der Konkurrent Joseph Ratzingers im Konklave von 2005, dürfte eine klare Entscheidung der 115 wählenden Kardinäle gewesen sein: Kein Mann der Kurie wurde Papst. Kein Europäer. Keiner, der für eine ungebrochene Fortsetzung des Pontifikats Benedikts XVI. steht – da mögen die Harmonisierer noch so bemüht sein: Bergoglio verkörpert wohl nicht die „Kontinuität“, die der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch aus Freiburg, in seiner ersten Stellungnahme beschwor. Eher dürfte zutreffen, was der Würzburger Bischof Friedhelm Hofmann feststellte: „Die Entscheidung verspricht etwas Neues.“

Franziskus I.: Der Name ist Programm

Welche Richtung der neue Papst einschlagen wird, darüber dürfte in nächster Zeit viel spekuliert werden, bis er seine ersten inhaltlichen Positionen formuliert und seine ersten Personalentscheidungen getroffen hat. Ein Akzent ist allerdings jetzt schon deutlich: Jorge Maria Bergoglio hat sich den Papstnamen „Franziskus I.“ gewählt. Ein neuer Name in der Liste der nun 266 Päpste der Katholischen Kirche. Der Name eines Heiligen, der für seinen einfachen Lebensstil, für seine radikale Zuwendung zu den Armen und Ausgegrenzten, für seine tiefe Christusfrömmigkeit bis heute viel geliebt wird. Und ein Heiliger, der den Auftrag Gottes hörte, seine Kirche neu aufzubauen.

Das ist ein Ruf, der Franziskus I. ganz irdisch von vielen entgegenschallen wird. Festzustellen, die Katholische Kirche habe den Neuaufbau nach den Pädophilie- und Vatileaks-Skandalen bitter nötig, ist wohl richtig, greift aber zu kurz. Denn die Krise der Kirche liegt tiefer: in ihrem gebrochenen Verhältnis zu einer rasch sich wandelnden Welt, in ihrem Ringen um Tradition und Fortschritt, in ihren – etwa in der Einstellung zur Homosexualität deutlich sichtbaren – Problemen mit einer zeitgemäßen Anthropologie, im innerkirchlichen Umgang mit Pluralität und Autorität. Die deutschen Reizthemen wie Frauenpriestertum oder Zölibat sind da eher Randfragen: Kein Papst wird sie per Federstrich im Sinne der Kirchenkritiker hierzulande entscheiden können. Selbst wenn er es wollte. Er würde eine Spaltung der Kirche riskieren.

Warnung vor der Übermacht des Geldes

Franziskus I. wird sich mit vielerlei Erwartungen konfrontiert sehen. Wir wird sich der „stille Intellektuelle“ – wie ihn die „Zeit“ 2005 beschrieben hat – den Herausforderungen seines Amtes stellen? Sein bescheidener Lebensstil, seine Nähe zu den Armen, seine politische Entschiedenheit etwa in sozialen und ökologischen Konflikten sind bekannt. Ein erstes Zeichen hat er auch als Papst schon gesetzt: Statt mit der bereitgestellten Limousine fuhr der Eisenbahnersohn kurz vor Mitternacht mit den Kardinälen im Bus ins Quartier S. Marta.

Aber auch seine Vergangenheit dürfte dem neuen Papst zu schaffen machen: Hatte er tatsächlich irgendeinen Anteil am skandalösen Verhalten der als besonders konservativ geltenden argentinischen Kirchenspitze in der Zeit der Militärdiktatur? Bergoglio wurde beschuldigt, zwei seiner Ordensbrüder nicht ausreichend vor der Verfolgung durch die Militärs geschützt zu haben. Auch soll er Kontakte mit einem Mitglied der Junta gepflegt haben. Auf der anderen Seite der Bilanz steht der Kampf des Kardinals gegen das soziale Elend und die Korruption in seinem Land. Vor einigen Wochen erst warnte er vor der alltäglichen Übermacht des Geldes, prangerte Menschen- und Kinderhandel an. Man wird, das dürfte sicher sein, von diesem Papst deutliche Worte hören.

Erste Reaktionen aus Essen

Für das in Essen ansässige Bischöfliche Hilfswerk Adveniat ist Franziskus I. „ein Papst, der die Armen kennt“. Prälat Bernd Klaschka, Adveniat-Geschäftsführer, sagte kurz nach der Wahl: „Ich glaube, dass die von den lateinamerikanischen Bischöfen getroffene Option für die Armen und für die Jugend einen wichtigen Stellenwert in seinem Pontifikat einnehmen wird.“

Eine weitere Reaktion aus Essen kam von Bischof Franz-Josef Overbeck: Die Wahl „berührt und bewegt mich sehr“, sagt der Ruhrbischof in einem Beitrag auf YouTube. Die Namenswahl des ersten Papstes aus Lateinamerika sei für ihn „ganz bedeutsam“. Franziskus sei ein großer Reformer der Kirche gewesen, mit einer „großen Einfachheit des Lebensstils und einer großen Tiefe im Glauben. Das ist auch heute ganz wichtig“. Der frühere Ruhrbischof und jetzige Bischof von Münster, Felix Genn, sieht in der Namenswahl „eine Botschaft für die Armen“.

Für die Katholische Kirche könnte das nun anbrechende Pontifikat von Franziskus I. ein Schritt von erheblicher Tragweite werden. Jetzt schon vergleichen Kommentatoren die Wahl Bergoglios zum Papst mit derjenigen von Papst Johannes XXIII. Deutlich zeigt sich der Wunsch nach Veränderung.

Nicht durchgesetzt haben sich diejenigen, die wieder einen Italiener an der Spitze der Weltkirche sehen wollten. Auch die Kardinäle, die auf eine Reform der Kurie und ein kollegialeres Verhältnis zwischen der römischen Zentrale und den Ortskirchen drängen, werden ihre Erwartungen in dieser Wahl manifestiert haben. Schließlich dürfte auch der Eurozentrismus mit diesem ersten lateinamerikanischen Papst der Kirchengeschichte und ersten Nicht-Europäer seit dem Syrer Gregor III. (731 bis 741) beendet sein.