Wundersame Wandlung der Gefäße: Wie sich Keramik der freien Skulptur nähert – Werke von Bruno und Ingeborg Asshoff in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Drei Gefäß-Röhren stehen ganz eng beisammen und recken sich aufwärts, als wollten sie Hölderlins Hymne „An den Äther“ entsprechen, derzufolge alles Lebendige in luftige Höhen strebt.

Dies hat mit üblicher Töpferware oder Kursen zwischen Drehscheibe und Brennofen gar nichts mehr zu tun. Hier wandelt sich Keramik zur freien Skulptur, sie ist dem täglichen Gebrauch enthoben.

Das Museum Bochum widmet zwei Hauptvertretern der Nachkriegs-Keramik eine Überblicks-Ausstellung, die über 50 Jahre Werkentwicklung anhand von erlesenen Beispielen nachzeichnet: Bruno und Ingeborg Asshoff haben ihr langes (Ehe)-Leben der Gestaltung irdener Materialien verschrieben.

Schon 1947 bezogen sie ihre erste Werkstatt in der ehemaligen Waschkaue am Schacht 5 der stillgelegten Zeche Mansfeld, ab 1967 nutzten sie den Frielinghof in Bochum-Querenburg. Der Fachwerkbau wurde bald zur Pilgerstätte für Sammler aus nah und fern. So stammen denn auch die meisten Bochumer Exponate aus Privat-Kollektionen.

Nicht mehr benutzen, nur noch betrachten

Kurz nach dem Krieg könnte die Schöpfung von Keramik wohl etwas Mythisches gehabt haben. Das archaische, seit Urzeiten geübte Handwerk stand gleichsam für einen Neuaufbau von Grund auf. Freilich blieben die Asshoff-Arbeiten, wenngleich handwerklich perfekt, bis in die 50er Jahre hinein noch der Konvention verhaftet: karge Krüge, schmucklose Vasen, weitgehend im Stil der Zeit, formal noch nicht allzu aufregend.

Allmählich allerdings werden die Gefäße von den Zwecken befreit und mutieren zu „Objekten“. Flaschen etwa buchten beutelförmig aus oder werden so schmal, dass sie umzustürzen drohen. Sie sollen nicht mehr benutzt, sondern nur noch betrachtet werden. Vasen wuchern wie Kürbisse oder quallenförmige Wesen. Ein weiteres Merkmal sind die länglich-schmalen Gießöffnungen etlicher Behälter. Als „Asshoffsche Enghälse“ wurden sie gar zum Fachbegriff der Zunft.

In den 80er und 90er Jahren weichen die meist biologisch inspirierten Formen einer strengeren Geometrie. Häufig haben Bruno (heute 87 Jahre alt) und Ingeborg (die 1998 verstarb) Asshoff ihre Werkstücke paar- oder gruppenweise zu „Vasen-Familien“ gefügt, geschmiegt oder auf gewisse Distanz gestellt und mit erstaunlich vielfältigen Glasur-„Häuten“ überzogen – mal schrundig und rau, mal glatt und glitzernd.

Renger-Patzsch rückte die Objekte ins wahre Licht

Man könnte argwöhnen, dass in derlei Ensembles auch Spuren der Ferne und Nähe in den Lebens-„Beziehungen“ zu finden sein müssten.“ Doch was soll’s. Jedenfalls hat das Paar künstlerisch so inniglich miteinander gewirkt, dass der jeweilige Einzelbeitrag kaum noch von Bedeutung ist. Vielleicht hat Ingeborg den manchmal spröden Gestaltungen gelegentlich einen Hauch von figürlicher Heiterkeit hinzugefügt, den es wohl sonst nicht gäbe.

Gemeinsam also haben sie dem keramischen Kosmos nach allen Seiten hin ausgeschritten. Allein die Varianzbreite der Ei-Formen ist verblüffend. Solche kreative Kraft sprach sich bis Japan herum, wo Asshoff-Arbeiten zum Bestand großer Museen zählen.

Eine wunderbare Beigabe in der Bochumer Schau verleiht dem keramischen Schaffen der Asshoffs nochmals Weihen: Der mit beiden befreundete berühmte Fotograf Albert Renger-Patzsch hat Teile ihres Werks ins wahre Licht gesetzt. Da wirken die Schöpfungen vollends so, als wären sie naturnotwendig gewachsen. Man könnte wahrhaftig an einen „höheren Bauplan“ glauben, der die Künste leitet.

Museum Bochum, Kortumstraße 147. Vom 11. Februar (Eröffnung 11 Uhr) bis zum 16. April. Di, Do, Fr, Sa 11-17, Mi 11-20, So 11-18 Uhr. Internet: www.bochum.de/museum




Die Furcht vor der Leere überwinden – Arbeiten auf Porzellan und Keramik sowie Gouachen von Emil Schumacher

Von Bernd Berke

Hamm. Es ist eine allseits beliebte Abfolge bei Ausstellungen moderner Kunst: Am Anfang des Rundgangs kommen gegenständliche Arbeiten, dann wird es zusehends abstrakter. Ganz so, als könne Fortschritt nur in diese eine Richtung laufen. Der Hagener Emil Schumacher entzieht sich solchen Zuweisungen. Das belegt auch seine neue Ausstellung in Hamm.

In Schumachers Werk gibt es gerade in jüngerer Zeit wieder stärkere Andeutungen von Figürlichkeit. Man glaubt zum Beispiel Pferde oder Frauenakte zu erkennen. Nach wie vor aber ist bei Schumacher der körperlich-gestische Prozeß des Malens entscheidend. Ob daraus nun Abstraktionen oder Anklänge ans Gegenständliche entspringen, ist zweitrangig. Alles stammt aus dem gleichen schöpferischen Universum, hat gleiches Recht.

Die Ausstellung in Hamm umfaßt auf zwei Etagen rund 150 neuere Gouachen (Malerei mit speziellen Wasserfarben), dazu bemalte Keramik und Arbeiten auf Porzellan. Hätte Hamm nicht seinen Neubau des Lübcke-Museums, so wäre in dieser Stadt, die nun wieder eine deutliche Markierung auf der Kunst-Landkarte verdient, eine solch großzügige Schau nicht möglich. Zudem handelt es sich um Premieren, denn die Gouachen waren in unseren Breiten noch nicht öffentlich zu sehen, und die Präsentation der Porzellanbilder ist sogar eine „Uraufführung“.

Die Gouachen erinnern vielfach an Ur-Äußerungen des Menschen in der Höhlenmalerei. Solche Bilder altern nicht, denn sie sind nicht zu erschöpfen, sprich: Man kann ihnen immer wieder neue Aspekte abgewinnen. Keine Arbeit trägt einen Titel, der Betrachter wird nirgendwo festgelegt. Vor allem aber: Das ersichtlich Spontane fällt hier mit dem souverän Gelungenen und Gültigen ineins – reife Früchte eines langen Künstlerlebens.

Porzellan als blütenreines Material

Fast noch erstaunlicher ist Schumachers Porzellanmalerei, denn hier hat sich der inzwischen 81jährige auf Ungewohntes eingelassen. Während er – aus Angst vor Leere, vor Vakuum – sonst schneeweiße Malgründe meidet und lieber Unterlagen mit Schlieren oder kleinen Schäden verwendet, mußte er hier mit blütenreinem Material umgehen. Das „weiße Gold“ aus der Staatlichen/Königlichen Forzellan Manufaktur Betlin („KPM“) ist ein makelloses Spitzenerzeugnis. Schumacher wählte nicht die Standardform kreisrunder Schalen, sondern schlanke Ovale, die bereits Spannkraft und Dynamik in sich bergen. Doch nach Schumachers Behandlung werden diese kleinen Flächen zu Ereignissen, ja Dramen aus Linie und Farbe.

Den meisten Künstlern, die für teure Sammlerserien arbeiten, unterläuft auf derlei Material leicht dekoratives Kunstgewerbe. Nicht so Schumacher, Er gelangt mit diesen Unikaten weit übers lediglich Gefällige hinaus, selbst in der Verwendung von Goldfarbe wird er nicht geschmäcklerisch. Er setzt diese kostbare Farbe so ein, daß sie nicht prunkend, sondern ganz selbstverständlich wirkt. Und welch ein ungeheures Blau weiß er, in Gouachen ebenso wie auf Porzellan, zur Geltung zu bringen – ein Durchlaß für Blicke in die Unendlichkeit.

Näher an seinem wohl eigentlichen Element, den sonnengegerbten Erdfarben, ist er bei der Bearbeitung von Keramik. Hier kann er auch das Material selbst formen und sodann beim Bemalen pastoser verfahren, also mächtige Farbspuren ziehen. Es ist, als sei er hier – nach seinem glückhaften Ausflug in die Weiße des Porzellans – wieder ganz bei sich daheim.

Emil Schumacher: Gouachen der 80er Jahre / Arbeiten auf Keramik und Porzellan. Gustav-Lübcke-Museum, Hamm (Neue Bahnhofstraße 9. Bis 12. Juni (di-sa 10-18 Uhr, mi 10-20 Uhr, mo geschlossen). Eintritt 5 DM, zwei Kataloge (55/45 DM).




Das große Lazarett der Vasen – Vier Museen zeigen die erstaunlichen Terrakotta-Arbeiten von Antonio Recalcati

Von Bernd Berke

Im Westen. Gleich vier deutsche Museen zeigen Vasen und Teller aus Terrakotta. Hat man sich da etwa auf breiter Front dem „Schöner wohnen“-Genre samt Luxus und Moden verschrieben? Nein, keine Sorge. In Duisburg, Marl, Köln und Hannover wird nach wie vor seriöse Museumsarbeit betrieben.

Mit den Keramik-Stücken hat es nämlich einiges auf sich. Manche dieser Vasen sehen ja von weitem einigermaßen intakt aus. Doch tritt man näher heran, so sieht man das (mal aggressive, mal beinahe verspielte) Zerstörungswerk: Die eine Vase hat Löcher, keine Flüssigkeit bliebe drinnen. Die Öffnung des nächsten Exemplars ist mit lauter tönernen „Knoten“ verschlossen, ein weiteres Exponat lappt nach oben rissig aus. Verrenkte Hälse, verzerrte Bäuche — ein wahres Vasen-Lazarett.

Die ihrer Funktion beraubten Gegenstände werden zu freien Formen, ja vielleicht zu Abbildern von Freiheit überhaupt. Gelegentlich unbehandelt, doch meist mit verschiedenen Glasuren (bis hin zum kostbaren Gold) überzogen, wirken sie wie individuelle Wesen.

Überaus erstaunlich, wie viele Vasen-Varianten dieser Künstler hervorgebracht hat. All diese Arbeiten stammen von Antonio Recalcati (54), der in den 60er Jahren zu den „Neuen Realisten“ zählte, die sich in Paris um Yves Klein, den Magier der blauen Farbe, gruppierten. Ähnlich wie Klein, der durch Körperabdrücke leibhaftig berühmt wurde, experimentierte auch Recalcati damals mit Körper- und Kleider-Spuren auf der Leinwand.

Doch das ist lang her, und der Mailänder ist ein unruhiger Geist, immer auf der Suche nach Veränderung – darin ein Spätling der Avantgarde. Jede Schaffenskrise zieht einen neuen, wieder ganz anders gearteten Werkzyklus nach sich. Derzeit arbeitet er in den Marmorbrüchen von Carrara an abstrakten Groß-Skulpturen. Doch von 1989 bis 1991 hat er sich in einen wahren Terrakotta-Schaffensrausch gesteigert. In dieser Zeit entstand ungefähr täglich eine Arbeit.

Dazu muß man wissen, daß rund ums Mittelmeer beim Anblick von Keramik ganz andere Gedanken aufkommen. Dort stellt man sofort die Verbindung zur antiken Tradition her, die auch von Künstlern wie Lucio Fontana und Giuseppe Spagnulo (kürzlich in Dortmund ausgestellt) mit neuem Leben erfüllt wurde.

Jedes der vier beteiligten Museen setzt bei der Präsentation andere Schwerpunkte. In Marl etwa hat man sich dafür entschieden, die Verfremdung des Alltags zu betonen. Man stellt Recalcatis Vasen neben Arbeiten von Beuys und Uecker. Auch Uecker machte ja, indem er ein TV-Gerät ringsum vernagelte, ein Alltagsding zur Spielform.

Marl: Skulpturenmuseum „Glaskasten“, 11. bis 25. Oktoher und 13. Dezember bis 10. Januar 1993 / Duisburg: Lehmbruck-Museum, 11. Oktober bis 29. November / Köln: Museum Ludwig, 10. November bis 3. Januar 1993 / Hannover: Sprengel Museum, gleiche Daten wie Köln. Gemeinsamer Katalog 49 DM.