Suche nach dem sicheren Ort: „Maxim“ von „Stücke“-Gewinnerin Anne Lepper für Kinder ab 9 in Dortmund

Das Bett ist zum Expreßballon geworden. Szene mit (von links) Philip Pelzer, Ann-Kathrin Hinz, Andreas Ksienzyk und Rainer Kleinespel (Foto: Edi Szekely/Theater Dortmund)

Das Stück heißt „Maxim“ und ist jetzt im Dortmunder Kinder- und Jugendtheater uraufgeführt worden. Geschrieben hat es Anne Lepper, und weil sie im letzten Jahr in Mülheim mit ihrem („Erwachsenen“)-Stück „Mädchen in Not“ den Stücke-Wettbewerb gewonnen hat, war von Interesse, wie nun ihr erstes Kinderstück (für Kinder ab 9 Jahre) geworden ist.

Mobbing und Anderssein

Mehrere Zeitungs- und Rundfunkkritiker hatten sich eingefunden, und überhaupt saßen mehr Erwachsene als Kinder im Zuschauerraum – ein Umstand, der im Kinder- und Jugendtheater nachdenklich stimmt. Möglicherweise waren besonders viele Lehrer zugegen, die prüfen wollten, ob das Stück für ihre Klassen geeignet sein könnte. Man sollte gelegentlich mal nachfragen.

Das Stück dreht sich, ganz grob beschrieben, um Mobbing und Anderssein, um Autonomie und Akzeptanz, um die Macht der Phantasie. Handlungsgang, Bezüge und Personen sind, für die pädagogische Arbeit wohl, stark und eindeutig gezeichnet, das Geschehen schreitet forsch voran, Langeweile kommt in den rund 70 Minuten Spielzeit nicht auf.

Sie sind die Mondelfen: Bettina Zobel, Bianka Lammert und Johanna Weißert (Foto: Edi Szekely/Theater Dortmund)

Mit Fußtritten

Die Dortmunder Inszenierung des Hausherrn Andreas Gruhn kommt brutal zur Sache. Auf dem Schulhof wird Mary-Lou (Ann-Kathrin Hinz) von den anderen mit Fußtritten malträtiert, selbst noch, als sie schon auf dem Boden liegt. Es ist nicht das erste Mal. Mary-Lou ist angeblich zu dick und gehört deshalb nicht dazu.

Auch Max (Philip Pelzer) gehört nicht dazu, weil er immer noch mit Puppen spielt. Die anderen wenden sich von ihm ab, trotz seiner leckeren Salamibrote. Max beschließt die Flucht zum Mond, im Expreßballon, zusammen mit Bär und Hund (Andreas Ksienzyk und Rainer Kleinespel). Denn der Mond ist angeblich repressionsfrei. Auch Mary-Lou kommt mit, doch muß sie zunächst einmal die Vorurteile der drei anderen gegen dicke Mädchen niederkämpfen („Dicke Mädchen wollen immer Blumen geschenkt haben“).

Mond ist auch keine Lösung

Auf dem Mond verheißen die Mondelfen (Bianka Lammert, Johanna Weißert, und Bettina Zobel) völlige Freiheit, doch die Mondpolizei (Thorsten Schmidt) trachtet den Neuankömmlingen nach dem Leben, weshalb sie im letzten Augenblick zur Sonne flüchten. Die ist aber auch nicht begeistert und außerdem sehr, sehr heiß. In letzter Konsequenz bleibt nichts als die gute alte Erde, wo jeder Mensch das Recht hat, so zu sein, wie er eben ist. „Was wir bräuchten, wäre Liebe“,sagt der weise Bär.

Das magische Bühnengeschehen ist sinnhaft mit Pop-Musik von David Bowie („Space Oddity“, „Starman“), Hubert Kah (Sternenhimmel“) und anderen angereichert worden, die die Stimmungen und Sehnsüchte der Personen spiegelt und verstärkt. Bemerkenswert ist der selbstverständliche Einsatz englischer Song-Texte, die unübersetzt bleiben. Können die Kinder in dem Alter schon so viel Englisch? Vielleicht die falsche Frage.

Mary-Lou tanzt; Szene mit (von links) Rainer Kleinespel, Philip Pelzer, Ann-Kathrin Hinz, Andreas Ksienzyk, Bianka Lammert, Johanna Weißert, Bettina Zobel (Foto: Edi Szekely/Theater Dortmund)

Mäßig originell

Alles im grünen Bereich; höchstens hätte man von einer „Stücke“-Preisträgerin etwas mehr Originalität erwartet, als hier an der Dortmunder Sckellstraße sichtbar wird. Auf einen neuen Stoff nach Art Wolfgang Herrndorfs hatten manche gehofft, eine Geschichte à la „Tschick“ für die etwas Jüngeren. Das wäre einfach schön gewesen, auch wenn dieser kritische Einwurf letztlich unzulässig ist, weil „Maxim“ für Kinder geschrieben wurde und sich deren Problemen mit großer Redlichkeit nähert. Sei’s drum.

Tanz ist Freiheit

Es wird viel getanzt auf der Bühne mit ihren drei großen Ballons und der anspruchsvollen Videoprojektion (Ausstattung: Oliver Kostecka, Video und Sound: Peter Kirschke, Choreographie: Joeri Burger). Tanz ist Freiheit, wer tanzt, ist bei sich selbst, eine Botschaft, die wohl auch über den recht konkreten Rahmen dieses Stücks hinausgeht. Und wenn Hund und Bär mit ihren ungelenken Stofftier-Riesenfüßen herumstapfen, ist das auch ausgesprochen lustig.

Bemerkenswert schließlich ist der Programmzettel, der in einigen Stichworten auf das Stück eingeht und auch noch ein kleines Glossar mit möglicherweise nicht bekannten Begriffen liefert, „Epidemie“, „zivilisiert“, „Regression“… . Sogar die „Heteronomie“ hat es bis auf die Liste geschafft, als Gegensatz zur Autonomie. Ganz schön anspruchsvoll, für Kinder ab 9.

Der lange, kräftige Schlußapplaus galt nicht zuletzt den acht Darstellerinnen und Darstellern, die in bis zu drei Rollen auf der Bühne standen, spielten, tanzten. Konzentration und eine im besten Sinne angemessene Ernsthaftigkeit prägten ihrer aller Spiel ebenso wie eine geradezu ansteckende Spielfreude.

  • Nächste Termine: 2., 3., 6. Mai, 4., 5. Juli.
  • https://www.theaterdo.de/detail/event/18822/

 




Fünf Sparten des Dortmunder Theaters präsentieren für 2017/18 ein üppiges Programm – Personalkarussell dreht sich

Das Programm ist üppig, das Programmbuch ein Schwergewicht. Wenn das Theater Dortmund seine Pläne für die neue Spielzeit vorstellt, mangelt es an Masse nicht. Trotzdem aber wohnt der munteren Zusammenkunft im Opernfoyer, wo die fünf Sparten Oper, Ballett, Philharmoniker, Schauspiel sowie Kinder- und Jugendtheater ihre Pläne dartun, etwas Passageres, Flüchtiges inne. Das ist auch kein Wunder, denn das Personalkarussell dreht sich.

Wie berichtet, wechselt Opernchef Jens Daniel Herzog nach der kommenden Spielzeit 2017/18 als Intendant an das Nürnberger Staatstheater, und wenige Stunden vor der Konferenz wurde bekannt, daß die langjährige Dortmunder Verwaltungschefin Bettina Pesch bereits zur kommenden Spielzeit nach Magdeburg geht. Verwaltungsdirektorin und stellvertretende Generalintendantin ist sie dann dort. Ihre Nachfolge ist noch nicht geregelt, während der Nachfolger Herzogs feststeht. Heribert Germeshausen, bislang noch Heidelberger Operndirektor, soll ihm – wie berichtet – nachfolgen.

Pesch dankte Herzog, Herzog dankte Pesch, wie sich das gehört.

Megastore ist bald Vergangenheit

Schauspielchef Kay Voges ist zwar nach wie vor im Dortmunder Boot, war aber durch die Bauarbeiten im Schauspielhaus für längere Zeit auch mehr oder weniger abwesend. Gänzlich schuldlos, wohlgemerkt, war sein Schauspiel doch gezwungen, in einer unfreundlichen Industriehalle mit dem sinnreichen Namen „Megastore“ zu spielen, wo manches gar nicht und vieles nur mit Abstrichen lief. Am 16. Dezember aber soll es jetzt wirklich wieder im Schauspielhaus losgehen, ein „Doppelabend“ aus Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ und Ray Bradburys „Fahrenheit 451“ macht den Anfang, erstaunlicherweise nicht in der Regie von Voges.

Musentempel in Schwarz-Gelb: Die Ausweichspielstätte „Megastore“ im Hörder Gewerbegebiet (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Kay Voges ist, gleichermaßen erstaunlich, auch nur ein einziges Mal für Regie eingetragen, Thomas Bernhards „Theatermacher“ hat er sich vorgenommen, Premiere am 30. Dezember. Grund für diese Abstinenz, so Voges, seien alte Verträge mit Gastregisseuren, die man abgeschlossen habe – lange bevor man um die sich endlos hinziehenden Bauarbeiten wußte. Jetzt sollen die engagierten Kräfte auch das Vereinbarte liefern, sonst werden Vertragsstrafen fällig, muß ja nicht sein.

Voges hat aber noch so einiges im Sack, deutet er an, will aber noch nicht darüber sprechen. Auf jeden Fall steht zu hoffen, daß das Schauspiel Ende des Jahres wieder unter zumutbaren Bedingungen in ein ruhiges, produktives, kreatives Fahrwasser zurückfindet. Angekündigt werden unter anderem „Übergewicht, unwichtig: Unform – Ein europäisches Abendmahl“ von Werner Schwab im Studio (Premiere 17.12.), ein Tschechowscher „Kirschgarten“ als opulentes Ensemblestück ebenfalls im Studio (29.12.), „Orlando“ nach Virginia Woolf (ab 11.2.2018) und leider auch wieder „Die Kassierer“.

Die Kassierer mit ihrem Frontmann Wolfgang Wendland (vorn) kommen wieder. Ihr neues Stück heißt „Die Drei von der Punkstelle“ (Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

„Die Drei von der Punkstelle“

Die Punk-Rentnerband um Wolfgang „Wölfi“ Wendland droht die „Punk-Operette“ „Die Drei von der Punkstelle“ an (ab 26.5.2018). Und wo wir schon dabei sind: Unter den Extras und noch ohne festes Datum kündigt sich in der „Gesprächsreihe für wahre Freunde der Trashkultur“ Jörg Buttgereits Beitrag „Nackt und zerfleischt“ an. Freut euch drauf!

Auf dem Opernzettel stehen „Arabella“ von Richard Strauss (ab 24.9.), „Eugen Onegin“ von Peter Tschaikowski (ab 2.12.), „Nabucco“ von Verdi (ab 10.3.2018) und schließlich „Die Schneekönigin“ von Felix Lange als „Familienoper“ (ab 8.4.2017). Die Abteilung Leichte Muse wird von Paul Lincke, dem Erfinder des Lincke-Ufers, mit der Revue-Operette „Frau Luna“ beschickt (ab 13.1.2018), und als obligate Musicalproduktion erwartet ein geneigtes Publikum „Hairspray“ von Marc Shaiman (ab 21.10.). Kammersänger Hannes Brock, Dortmunder (Verzeihung) „Opern-Urgestein“, Homeboy, Publikumsliebling und was nicht sonst noch alles wird sich mit dieser Produktion in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden. Eine festliche Gala mit Philharmonikern und Band ist zudem am 17. Februar 2018 für Hannes Brocks Verabschiedung geplant, der Titel ist, wenn ich nicht irre, ein Satz des letzten österreichischen Kaisers Franz-Josef I.: „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut“ sprach er einstmals in einen Edison-Phonographen, die Aufnahme ist erhalten.

Xin Peng Wangs Ballett „Faust II – Erlösung!“ bleibt im Programm (Bild: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund)

Abstraktes Ballett

Drei Klavierkonzerte von Rachmaninow, 6 Symphonien von Tschaikowski liefern das musikalische Material, mit dem Dortmunds Ballettchef Xin Peng Wang ein neues, abstraktes Ballett gestalten will, das die Namen dieser beiden Komponisten zum Titel hat. Außerdem kommt „Alice“, ein Ballett von Mauro Bigonzetti nach Lewis Carrolls „Alice’s Adventure in Wonderland“, zu dem die italienische Frauenband Assurd die Musik machen wird (ab 10.2.2018). Wiederaufnahmen sind „Der Nußknacker“, ein Ballett von Benjamin Millepied, sowie „Faust II – Erlösung!“ von Xin Peng Wang. Und die traditionsreiche Internationale Ballettgala trägt mittlerweile hohe Ordnungsziffern, XXVI und XXVII (30.9. u. 1.10.2017, 30.6. u. 1.7.2018).

Mahlers Vierte und Achte

Den meisten Platz in den gedruckten Programmankündigungen, so jedenfalls scheint es, beansprucht jedes Jahr Generalmusikdirektor Gabriel Feltz. Das liegt aber einfach daran, daß die Philharmoniker schon lange vor Spielzeitbeginn festlegen, was sie spielen werden, Reihe für Reihe, Konzert für Konzert. Und das schreiben sie dann eben auch schon auf, daher der Umfang.

Zweimal ist in der Konzertreihe nun Mahler im Angebot (die Vierte im Oktober 2017, die Achte im Juli 2018). An Mahler habe er sich in seinen ersten Dortmunder Jahren nicht herangetraut, erklärt Feltz, erst wollte er den Klangkörper besser kennenlernen. Nun aber traut er sich; auch an die Achte, die gern die „Sinfonie der Tausend“ genannt wird. Gut, tausend Mitwirkende wie bei der Uraufführung bringt Dortmund nicht auf die Bühne, aber 330 sind es schon, vor allem wegen der machtvollen Chöre. Neben dem Knabenchor der Chorakademie Dortmund werden der Tschechische Philharmonische Chor Brno und der Slowakische Philharmonische Chor Bratislava zu hören sein.

Blick in das Dortmunder Konzerthaus (Foto: Anneliese Schuerer/Theater Dortmund)

90 Prozent Auslastung im Blick

Um die 80 Prozent Auslastung können die Philharmoniker derzeit vorweisen, das ist nicht schlecht. Wäre es da nicht an der Zeit, den Montagstermin wieder aufleben zu lassen? Feltz’ Vorgänger Jac van Steen hatte den dritten monatlichen philharmonischen Aufführungstermin wegen mangelnder Nachfrage abgeschafft, was die Dortmunder nicht begeisterte. Feltz sagt, er sei in dieser Frage unentschieden, im Orchester werde die Frage kontrovers diskutiert. Unter einer Auslastung von 90 Prozent allerdings sei ein weiterer regelmäßiger philharmonischer Termin schwer vorstellbar. Aber bei Mahlers 8. Sinfonie mit ihrem aberwitzigen Aufwand sollte man vielleicht mal eine Ausnahme vom Zweierzyklus machen – zumal nicht so viele Menschen ins Konzerthaus paßten wie sonst, der großen Chöre wegen.

Die Violinistin Mirijam Contzen (Foto: Mirijam Contzen/Tom Specht)

Übrigens: Die beiden Mai-Konzerte der Dortmunder Sinfoniker waren restlos ausverkauft, zweimal 1260 Plätze. Grund war, wie wir vermuten wollen, der Auftritt der Violinsolistin Mirijam Contzen, die familiäre Wurzeln in Asien, Lünen und Münster hat. Ein „Home-Girl“, wenn der Ausdruck erlaubt ist. Sie spielte Tschaikowskis Violinkonzert d-Dur op. 35.

Meinung aus zweiter Hand

Schließlich das Kinder- und Jugendtheater unter Leitung von Andreas Gruhn, das mit sorgfältiger Alterszuordnung eine erstaunliche Vielzahl von Stücken stemmt. Kafkas „Verwandlung“ bringen sie für Menschen ab 14 heraus (ab 22.9.), den „Gestiefelten Kater“ (ab 10.11.) finden wir – als Weihnachtsmärchen – auf der Liste der Premieren ebenso wie etliche pädagogisch unterfütterte Projekt-Stücke, Stück-Projekte, die sich um Themen wie Leistungsdruck, Selbstoptimierung und Existenzangst drehen, um Schwierigkeiten und Chancen und manchmal auch um dumme Rollenbilder. Von Omas und Opas in meinem Alter, die dort mit den Enkeln hingehen, höre ich immer wieder begeisterte Berichte über die Qualität des Kinder- und Jugendtheaters. Ich gebe das mal so weiter, Meinungen aus zugegeben zweiter Hand, trotzdem recht seriös in meinen Augen.

So viel erstmal in groben Zügen. Natürlich wird in allen Sparten noch viel mehr gemacht, als in diesem Aufsatz erwähnt werden konnte. Das dicke Programmbuch, das man mit seiner Orange-Dominanz und seinen 60er-Jahre-Schriften gestalterisch nicht unbedingt gelungen nennen muß, liefert eine Menge Informationen zur kommenden Spielzeit, die Lektüre ist ausdrücklich anempfohlen. Dem Schauspiel schließlich sei gewünscht, daß dessen karge Megastore-Zeit nun recht bald enden möge und sich der Vorhang wieder im angestammten Theater hebt.

 




Schön und kess: Die Junge Oper Dortmund zeigt Jens Joneleits Musikmärchen „Sneewitte“

Snewitte (Hasti Molavian) wird vom König (Kai Bettermann) und Berater (Steffen Happel) auf Händen getragen. Foto: Hupfeld

Die kesse Sneewitte (Hasti Molavian) wird vom König (Kai Bettermann, r.) und seinem Berater (Steffen Happel) auf Händen getragen. Foto: Hupfeld

Die Theatermenschen sind als erste da. Ganz in Schwarz gekleidet sitzen, stehen oder laufen sie auf der kleinen Bühne der Jungen Oper in Dortmund herum, das Stück hat noch gar nicht begonnen. Dann aber geht alles ganz schnell. Kai Bettermann greift sich eine Art weißen Hermelinmantel und setzt die königliche Krone auf. Seine Mitstreiter werfen sich ebenfalls in ansehnliche Gewänder. Und flugs finden wir uns im Märchenland wieder, wo das Schicksal des königlichen Kindes namens Sneewitte verhandelt wird.

„Sneewitte“ ist ein Musiktheaterstück für Kinder (ab 7 Jahren), geschrieben von Jens Joneleit. Der Text stammt von der holländischen Librettistin Sophie Kassies, die sich an das Grimm’sche „Schneewittchen“ hält (sieben Zwerge inklusive), die Hauptfiguren indes ein wenig umdeutet. Sneewitte wächst zur kessen Göre heran, die weiß, was sie will. Der König ist in Erziehungsfragen überfordert, die Stiefmutter wird böse, weil sie mit dem Alter hadert. Denn alsbald ist ja Sneewitte die Schönste im Land.

Wer ist die Schönste im Land: Sneewitte oder die Stiefmama (Engjellushe Duka)? Foto: Hupfeld

Wer ist die Schönste im Land: Sneewitte oder die Stiefmama (Engjellushe Duka)? Foto: Hupfeld

Das fast 90 Minuten lange Werk schnurrt, als Kooperation von Junger Oper und Kinder- und Jugendtheater, temporeich über die Bühne. Längen gibt es bei den gesprochenen Dialogen, doch üppige Rollen- und Kostümwechsel sowie gehörige Situationskomik (Regie: Antje Siebers) helfen darüber hinweg. Manches wirkt wie Improvisationstheater, wie das alte Stegreifspiel, zu dem Lisa Buchholz’ karge Ausstattung passt  – vor allem rollende Podeste, ein Laufsteg.

Das flotte Agieren lenkt indes auch von der disparaten Anlage des Stücks ab, das musikalisch aus lauter Nummern besteht. Joneleit, selbst Schlagzeuger und vom Free Jazz kommend, hat nichts durchkomponiert für das vierköpfige Kammerensemble. Manche Arien haben Musicalcharakter, die „Spieglein, Spieglein“-Szene bekommt einen sphärischen Leitklang, anderes erinnert an Kurt-Weill-Songs, bisweilen gibt’s ein bisschen Schmusejazz.

Bestechender, spannender wirkt die Musik indes, wenn sie sich erregtem Pulsieren hingibt, verbunden mit einem sanften Geräuschszenario, oder wenn sie, in der Waldszene, umschlägt ins Düstere, Todesnahe, mit tiefen Posaunenklängen. Dann klopft die tönende Moderne an. Rhythmisch sind die Dinge oft vertrackt, aber das hellwache Ensemble (Petra Riesenweber, Keyboard, Stephan Schott, Schlagzeug, Stephan Schulze, Posaune und Bernd Zinsius, E-Bass) unter Michael Hönes’ umsichtiger Leitung musiziert in bester Form.

Wendig im Spiel zeigen sich zudem Steffen Happel (als Jäger) und Kai Bettermann. Der Sopranistin Engjellushe Duka wiederum gelingt ein vielschichtiges Portrait der liebenden, zweifelnden, hassenden Stiefmutter. Und Hasti Molavians Mezzo leuchtet farbenprächtig die Gefühlsmischung einer jungen Frau aus. Nur schade, dass am Ende kein Prinz kommt.

Zahlreiche weitere Vorstellungen gibt es im April und Mai. Nähere Infos: www.theaterdo.de

(Der Artikel ist in ähnlicher Form zunächst in der WAZ erschienen.)




Weihnachtsmärchen in Dortmund: Mit Sumsemann zu Darth Vader

Peter und Anna träumen vom Mond... Foto: Birgit Hupfeld

Peter und Anna träumen vom Mond… Foto: Birgit Hupfeld

In Märchen geht es bekanntlich oft ganz schön zur Sache. Gut trifft auf Böse – und bis es zum Happy End kommt, wird vergiftet, aufgefressen, verzaubert und verstoßen. Auch die vor gut 100 Jahren veröffentlichte Kindergeschichte von „Peterchens Mondfahrt“ ist nichts für Angsthasen.

Bis Peter und seine Schwester dem fiesen Mondmann endlich das sechste Bein des Maikäfers Sumsemann abgejagt haben, gibt es einen fürchterlichen Kampf. So ist das auch in „Peters Reise zum Mond“, dem Weihnachtsmärchen des Dortmunder Kinder- und Jugendtheaters (für Kinder ab 6 Jahren), das im großen Schauspielhaus seine Uraufführung erlebte.

Anders als in der Vorlage von Gerdt von Bassewitz wird der Mondmann jedoch nicht mit Waffen besiegt – sondern mit weiblichen Worten. Am Ende erklärt er seine Bösartigkeit mit einer schlimmen Kindheit – und entschuldigt sich bei allen. Eine überraschende Wendung in einer rundum zauberhaften Inszenierung.

Andreas Gruhn, Leiter des Kinder- und Jugendtheaters (KJT), schrieb und inszenierte „Peters Reihe zum Mond“ als frisches Weltraummärchen: Er kreuzte das Originalmärchen mit Motiven aus Star Wars und Star Trek. Es gibt Kämpfe mit farbig leuchtenden Laserschwertern und rumpelige Weltraumflüge mit dem Raumschiff Alpha 51-80, aber auch märchenhafte Kulissenbilder, die Groß und Klein „Ahs“ und „Ohs“ entlocken. Etwa, wenn Peter, seine Schwester Anna und der Sumsemann, von Seilen gehalten, durch den dunklen Bühnenraum schweben, ein funkelnder Sternenhimmel im Hintergrund.

Showdown: Der Mondmann als Darth Vader. Foto: Birgit Hupfeld

Showdown: Der Mondmann als Darth Vader. Foto: Birgit Hupfeld

Die Heldengeschichte um die beiden mutigen Kinder und den bangbüxigen Maikäfer (Andreas Ksienzyk) hat Andreas Gruhn verkürzt: Auf ihrem Weg zum Mond machen Peter (Steffen Happel) und Anna (Désirée von Delft) Halt bei Commander Allister (Rainer Kleinespel). Der hält seine Raumstation mit Kontaktspray in Schuss und kämpft gegen sich ablösende Sonnenkollektoren, als die drei Besucher ihn um interstellare Unterstützung bitten. Zu viert fliegen sie zur Nachtfee auf den Planeten Nocturnus (Bianka Lammert im Prinzessin Leia-Look). Sie ist die Schwester des Mondmanns und soll helfen. „Wir müssen einen Weg zu seinem Herzen finden“, gibt sie die Devise vor, obwohl ihre Berater im Hintergrund auf Krieg drängen.

Fliegen ist gar nicht schwer. Foto: Birgit Hupfeld

Fliegen ist gar nicht schwer. Foto: Birgit Hupfeld

Es kommt zum Showdown auf dem Mond: Der Mondmann (Götz Vogel von Vogelstein im Darth-Vader-Kostüm) steht schon kurz vor dem Sieg, als die mutige Anna ihm unangenehme Wahrheiten ins Gesicht schleudert: Du vergreifst dich ja immer nur an Schwächeren. Du wirst niemals einen Freund haben. Da weint der Mondmann, nimmt seine Maske ab – und gewinnt eben dadurch neue Freunde. Eine Wendung, die aus pädagogischer Sicht besser in die heutige Zeit passt als ein Sieg über den Mondmann – und die dann doch ein wenig unfreiwillig komisch ist.

Spektakulär sind Bühne und Kostüme von Oliver Kostecka: Die Kostüme wegen ihrer futuristischen Opulenz, die Bühne wegen des phantasievollen und geschickten Einsatzes von Videos (Peter Kirschke), Licht und Schatten. Statt auf aufwändige Aufbauten setzt das Bühnenbild auf Schattenspiel, Filme und Projektionen, um die Zuschauer in die unendlichen Weiten des Weltraums zu versetzen.

Zum außerirdischen Gesamterlebnis gehören auch das „Mondfliegerlied“ und andere Songs von Michael Kessler. Nur das gemeinsame Abschlusslied, bei dem die Schauspieler mit Taschenlampen auf der dunklen Bühne tanzen, dürfte ruhig eine Spur fetziger sein.

Bis 24. Februar im Schauspielhaus Dortmund , Termine hier, Karten: 0231/55-27222

(Der Text erschien im Westfälischen Anzeiger, Hamm)




Zwischen Popularität und Wagnis – der neue Spielplan des Dortmunder Theaters

Theater Dortmund - Gebäude -

Die Oper, die Dortmund verdient. Foto: Theater

Eine Dame und fünf Herren. Das Leitungssextett des Dortmunder Theaters gibt sich die Ehre zur Verkündung des neuen Spielplans. Ein 75 Minuten langer, sechsfach unterteilter Vortrag über Eckdaten, Produktionen, Programmprinzipien, über die Bedeutung des Hauses für die Stadt. Inklusive einiger dürrer Zahlen. Eine Pressekonferenz könnte spannender sein. Doch hinter allen Fakten verbergen sich interessante Details.

Bettina Pesch, geschäftsführende Direktorin des Theaters, ist die Herrin der Bilanzen. „Es geht wieder mal aufwärts“, verrät sie. 350.000 Euro Mehreinnahmen in allen Sparten, ein Auslastungsplus von 1,5 Prozent für die Oper oder plus 7 Prozent fürs Schauspiel seien Belege für solcherart Optimismus. Bezugsgrößen für diese Zahlen nennt sie nicht. Und Pesch muss konstatieren, dass die Stadt zwar die Tariferhöhungen 2013 fürs Personal ausgleicht, zudem aber einen Konsolidierungsbeitrag von 510.000 Euro einfordert. Dies gelte indes nur für die Saison 2013/14. „Weitere Einsparungen sind nicht machbar, sie gingen an die Substanz des Hauses“, sagt Pesch.

Wie die einmalige Konsolidierung aussehen soll, wo also ein Abzwacken noch möglich ist, bleibt offen. „Wir sparen nicht an der Kunst“ ist das Credo und dann verrät Pesch, sie habe auch ihre Tricks. Nun, abseits dieser sonderbaren Aussage bleibt festzuhalten, dass es im Musiktheater zwei Produktionen weniger geben wird: keine konzertante Oper, kein Werk der (klassischen) Moderne. Zwei Linien, die Intendant Jens-Daniel Herzog zu Amtsbeginn vorgegeben hat, sind erst einmal gekappt.

Immerhin: Im Doppeljubiläumsjahr zu Ehren von Richard Wagner und Giuseppe Verdi stehen zwei gewichtige Premieren an. Herzog selbst inszeniert „Don Carlo“ (Übernahme von Mannheim) und Schauspielchef Kay Voges wagt sich an den „Tannhäuser“. Eilig versichert er, es werde keine Nazis auf der Bühne geben. Andererseits wird betont, die Konstellation dokumentiere die gute Zusammenarbeit zwischen den Sparten des Dortmunder Hauses.

Szene aus dem Mannheimer "Don Carlo". Foto: Theater

Szene aus dem Mannheimer „Don Carlo“. Foto: Theater

Insgesamt sei angemerkt, dass der Opernspielplan,  um es dezent auszudrücken, populär ist. „Carmen“ und „La Cenerentola“, „Der Graf von Luxemburg“ und „Anatevka“ – Repertoire-Raritäten suchen wir vergebens. Dass Herzog Haydns Oratorium „Die Jahreszeiten“ dramatisiert, sei aber als Besonderheit durchaus erwähnt. Und dass sich die Junge Oper in Kooperation mit dem Kinder- und Jugendtheater des „Carmen“-Stoffes annimmt, darf ebenfalls als Zeichen guter Nachbarschaft gewertet werden.

Neu im Boot der Nachbarn ist Gabriel Feltz als Chef der Dortmunder Philharmoniker. Er gibt sich sachlich, beschwört keine visionären Ideen, ja bremst sogar die Erwartungen. „Es gab Anfragen, ob die Philharmonischen Konzerte nicht wieder an drei Abenden stattfinden könnten“, sagt Feltz. Doch er wolle erst einmal in Dortmund ankommen. Dort wird er drei Opernpremieren dirigieren, fünf der zehn „Philharmonischen“ sowie diverse Sonder-, Jugend- oder Familienkonzerte. Das klingt nach gehöriger Präsenz, aber sein Vorgänger Jac van Steen war im Grunde nicht weniger fleißig. Gleichwohl hat die Stadt ihn unsanft aus dem Amt gedrängt. Pech gehabt.

Der neue Chefdirigent Gabriel Feltz. Foto: Stadt Dortmund

Der neue Chefdirigent Gabriel Feltz. Foto: Stadt Dortmund

Ein Glücksjunge hingegen ist Ballettdirektor Xin Peng Wang. Die Sparte ist beliebt, die Compagnie wird international beachtet, das Programm zeugt stets von üppiger Fantasie. Dementsprechend launig verkündet er die Premieren der neuen Saison als opulentes, schmackhaftes Mehrgangmenü. Und vor allem die Hauptspeise hat es in sich: Wang selbst setzt Ödön von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ in Szene. Die Choreographie wolle Menschenschicksale zeigen in der so schönen wie geisterhaften Stadt Wien. Mit Musik von Johann Strauss und Alban Berg, also mit übersprudelnden, prachtvollen wie brüchigen, morbiden Klängen.

Hier der Blick nach draußen, sonst aber stets der Hinweis, dass das Theater als Ganzes sich in der Stadt verorten müsse. Was niemand so konsequent angeht wie  Schauspielchef Kay Voges. Mit „Stadt der Angst“ will die Bühne das Ende der Leistungsgesellschaft einläuten – mit Hilfe einer Lichttherapie. Das klingt so kryptisch wie spannend. Ein Wagnis mit Intensität, denn an drei Tagen werden sechs Premieren, Vorträge und Diskussionen offeriert.

Andere Abgründe kommerzieller Art will wiederum Kristof Magnussons Komödie „Männerhort“ ausloten. Ein Blick auf weiblichen Shoppingwahn und die kleinen Fluchten des Mannes. Ein Spiel, das sich nur wenige Meter von Dortmunds Thier-Galerie ereignen wird, wie Voges eigens betont. Neben dem Premierenreigen – von „Peer Gynt“ bis „Der Elefantenmensch“ – setzt er auf Neues. Auf Stücke in türkischer Sprache (Kooperation mit Mülheim), auf Lesungen aus der Bloggerszene, auf eine Herbstakademie für Jugendliche.

Opernintendant Jens-Daniel Herzog. Foto: Theater

Opernintendant Jens-Daniel Herzog. Foto: Theater

Erste Adresse für diese Zielgruppe ist das Kinder- und Jugendtheater (KJT), das Andreas Gruhn nun in die 15. Spielzeit führt. In all den Jahren konnte er einen Publikumszuwachs von fast 26.000 auf 35.000 Besucher verbuchen.  Eine Erfolgsgeschichte, die sich auch nach 2015 fortsetzen soll, wenn die Spielstätte an der Sckellstraße aufgegeben werden muss, wenn möglicherweise ein neues Domizil neben dem Schauspielhaus entsteht. Zunächst aber bietet die neue Saison acht Premieren – Stücke, in denen etwa die Themen Liebe und Sexualität, Mobbing oder virtuelle Kriegsspiele verhandelt werden. Märchenhaftes wird das Programm ergänzen, ein Werk soll in Kooperation mit dem Jugendclub produziert werden.

Ja, die Dortmunder Bühnen haben in der Spielzeit 2013/14 einiges zu bieten. Doch vor allem die musiktheatralische Abteilung ächzt unter den Altlasten schlechter Intendanzen, ringt um jeden Zuschauer. Die Auslastung in der Saison 2011/12 liegt hier bei gut 53 Prozent. Dass Intendant Jens-Daniel Herzog den Satz in die Runde wirft, „Die Stadt hat die Oper, die sie verdient“, ist Ausdruck trotzig-optimistischen Nachvornblickens. Andererseits: Eine Kommune, die Millionen in einen „Kulturleuchtturm“ namens U pumpt, dem Theater aber kalt lächelnd das Geld aus der klammen Kasse zieht, bekommt eben die Oper, die sie verdient.

Alles zum Programm der Spielzeit 2013/14 unter www.theaterdo.de




Dortmunder Weihnachtsmärchen: Schrille Hexe, schönes Mädchen

Eine schrille Hexe auf knatterndem Moped, ein schönes Mädchen mit magischer Stimme und ein Held, der vom faulen Nichtsnutz zum glänzenden Retter wird – das sind die Zutaten, aus denen Regisseur und Autor Andreas Gruhn das Weihnachtsmärchen „Die schöne Wassilissa“ gebraut hat, mit dem das Dortmunder Kinder- und Jugendtheater seine jungen Zuschauer in diesem Winter im Schauspiel bezaubern will.

Am Anfang ist der Tod. Zu schwermütigem Gesang verabschiedet sich die kranke Mutter von ihrer geliebten Tochter Wassilissa (Désirée von Delft) und gibt ihr ein Püppchen, das sie fortan beschützen soll. Ein Geschenk, das das Mädchen bitter nötig hat: Denn die böse Stiefmutter (Johanna Weißert) und ihre verzogene Tochter (Jessica Maria Garbe) machen Wassilissa die Heimat zur Hölle.

Aschenputtel lässt grüßen – und auch andere berühmte Geschichten wie die von Hänsel und Gretel schwingen im Laufe des Abends mit. Schließlich gilt Alexander N. Afanassjew, dessen Märchen Andreas Gruhn als Inspiration dienten, als „russischer Grimm“, auch wenn er erst 40 Jahre nach den berühmten Gebrüdern geboren wurde.

Doch der Regisseur sorgt auch dafür, dass seine jungen Zuschauer in die spezifisch russische Fantasiewelt eintauchen: Neben der armen Wassilissa muss sich nämlich auch Ilja (Gabriel Rodriguez) bewähren, der sein ganzes Leben im Bett verbracht hat und sich für schwach und nutzlos hält – bis ein alter Mann (Sebastian Ennen) ihn aus den Federn wirft, weil er der Auserkorene ist, um die Welt von dem bösen Räuber Nachtigall (Andreas Ksienzyk) zu befreien. Logisch, dass sich Ilja auf seinem Weg Hals über Kopf in die schöne Wassilissa und ihren Gesang verliebt, die aber aus den Klauen der bösen Hexe Baba Jaga befreit werden muss…

Die Inszenierung braucht ein wenig Anlauf, um sich aus der erdigen Schwermütigkeit zu lösen, die zu Beginn dominiert. Dass dem Stück teils anzumerken ist, dass es aus verschiedenen Bausteinen besteht, mindert ein wenig den Fluss der Geschichte. Das aber gleichen andere Faktoren aus: Sowohl Musiker Michael Kessler mit seinen folkloristischen Liedern als auch die von Oliver Kostecka bis ins Detail stimmig ausgestatteten Figuren – mit Rüschenröcken, Flechtfrisuren, Pumphosen – und die herrliche Bühne mit Birkenwald sorgen für eine exotisch-spannende Atmosphäre. Die wird von dem beseelt spielenden Ensemble aufrecht erhalten: „Die Kämpfe waren toll“, sind sich Aaron (5) und Lennard (6) hinterher einig. Und Leonie (5) ist froh, dass die Bösen „alle eingefangen worden sind.“

Umwerfend ist allerdings allen voran Rainer Kleinespel: In seinem Kostüm zwischen Biker, Nina Hagen und Campino wirft er sich schrill quiekend mit solcher Lust in den Irrsinn der Baba Jaga, dass die Figur am Ende nicht nur bei Julia (7) bestens angekommen ist: „Die war so toll“ ist ein Kompliment, das Hexen sicher nicht allzu oft hören.




Ausufernde Collage über Gewalt – „Mama Papa Zombie“ im Jugendtheater

Von Bernd Berke

Dortmund. Eine „Collage“ wollte das Dortmunder Kinder- und Jugendtheater mit „Mama Papa Zombie“ anbieten – 32 Nummern mit rockmusikalischer „power“. Themenkreis: Gewalt von Jugendlichen, unter Jugendlichen, gegen Jugendliche.

Was sich konzentriert anhört, ufert freilich aus. Daß auch eine „Collage“ keine dem Spielglück überantwortbare Zusammenwürflung ist, geriet mitunter in Vergessenheit. Mit gar zu vielen Ausprägungen des Phänomens „Gewalt“ wird man hier theatralisch traktiert.

Da treten auf: Der „Cowboy“, der mit Atom-Keulen jongliert, der Polizist, der die „Notwehrsituation“ fingiert, die Nutte, die in der Heilanstalt ihre erbarmungswürdige Biographie herausschreit, die inhaftierte Ulrike Meinhof usw.

Das Ensemble, so wird’s ehrlicherweise auch im Programmheft angedeutet, war wohl ratlos angesichts der Breite und Fülle ihres Gegenstands. Nun, wer wäre das nicht? Kapituliert hat die Truppe um Klaus D. Leubner, Hannes Sänger und Konrad Schräge aber nicht. Im Gegenteil, sie führt ihren Rundumschlag mit Elan und schauspielerischem Können.

Es beginnt konkret: Mit einer Geburt (gewaltsam schon dieser Vorgang) sowie einem Blick in die Kindheit (Kriegsspielzeug) und hätte als Revue einer Biographie fortgesetzt werden können, in der sich Politisches allemal spiegeln ließe.

Außerdem: So naheliegend die vorgeführten Perspektiven scheinen mögen – an maneher Stelle hätte ich mir gewünscht, daß man nicht ein so flinkes und wohlfeiles Einverständnis mit dem Publikum herstellt. Beispiel: Wenn hier Polizist oder Arbeitsamtsleiter die Bühne entern, weiß man gleich, daß sie dem allgemeinen Gelächter anheimfallen sollen. Müßten die Zuschauer nicht auch einmal mit irritierenden Widersprüchen konfrontiert werden?




Vertrackter Hintersinn: Ionescos „Unterrichtsstunde“ als Jugendstück

Von Bernd Berke

Dortmund. Wo etwas eingeweiht wird, fehlen selten Künste als Dekor. So auch gestern: Zur Eröffnung einer neuen Jugendfreizeitstätte im Dortmunder Ortsteil Rahm steuerte das DO-Kindertheater sogar eine Premiere bei.

Als „Vor-Ort“-Vorstellung ‚gab’s „Die Unterrichtsstunde“ von Eugène lonesco (Inszenierung: Klaus D. Leubner). Dieses Werk eines der Vertreter des „Absurden Theaters“ als Jugendstück anzubieten, ist riskant.

Der Raum, zwischendurch leichter ohne Aufsehen zu verlassen als ein Theater, leerte sich zusehends, obwohl die unter 13-jährigen schon zuvor von Detlev Redinger hinauskomplimentiert worden waren („Vom ,Tapferen Schneiderlein‘ habt ihr mehr!“).

Ein alter Professor (Redinger zwischen Verklemmtheit und Dämonie) erteilt in seiner Wohnung Privatunterricht. Er verwickelt eine junge Schülerin (Gabriele Hintermaier) tief und tiefer in die abgründig-abstrusen Labyrinthe des Wissens. Immer aufgebrachter reagiert er auf ihre Unkenntnis in Sachen Arithmetik und „vergleichender Sprachwissenschaft“ – bis er sie am Ende erdolcht und von der Haushälterin (Erika Halm) erst zurechtgewiesen und dann an den mütterlichen Busen gedrückt wird.

Auf einer Ebene schnurrt das banal ab wie ein Uhrwerk, auf einer anderen wird es so vertrackt hintersinnig, daß z.B. manche Dreizehnjährige überfordert sein dürften. Ob sie sich von den guten schauspielerischen Leistungen fesseln lassen, bleibt daher fraglich.




Suchtverhalten aller Art: „Mensch ich lieb dich doch“ eröffnet NRW-Kinder- und Jugendtheatertreffen

Von Bernd Berke

Dortmund. Dortmunds Kindertheater hat’s mit der „Roten Grütze“.

Nachdem bereits das Aufklärungsstück „Darüber spricht man nicht“ aus dem Repertoire der Berliner übernommen worden war, folgte nun die Premiere von „Mensch ich lieb dich doch“, ebenfalls aus der „Grütze“-Werkstatt und schon (mittlerweile hinlänglich bekannter) „Klassiker“ des Jugendtheaters. Die Aufführung im nicht ausverkauften Theater am Ostwall eröffnete zugleich das NRW-Kinder- und Jugendtheatertreffen.

Es geht um Sucht und Drogen: Wer ist wann, wo und warum high, „bedröhnt“, „knülle“ oder „schicker“? Die Dortmunder haben das ursprünglich vier Stunden lange Stück gekürzt und zu einer Schlag-auf-Schlag-Revue mit vielen, zuweilen kabarettistischen „Nummern“, typisierten Figuren und jeder Menge Rockmusik (auch so eine Droge!) umgebaut. Das garantiert Kurzweil, birgt aber auch die Gefahr, das Publikum mit bloßen Oberflächenreizen bei der Stange zu halten.

Bestens eingespieltes Ensemble

Dem Thema versucht man auf breitester Front beizukommen: Arbeits- und Liebesrausch sowie Vaters Fernsehsucht, die er sich mit Schnaps und Kettenrauchen verschönt, kommen ebenso vor wie Mutters „kleine Helfer“ (Tabletten), Alkohol auf der Baustelle oder Haschisch in Schule und Jugendheim. Effekt: Manchmal sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht. Beabsichtigtes Fazit: Alles kann süchtig machen, wenn’s im Leben nicht stimmt. Etwas zu kurz kommen die „Mechanismen“, die zur Sucht führen; in diesem Punkt wirkt die Aufführung etwas hilflos, weil sie im Großen und Ganzen darauf hinausläuft, simplen „Frust“ oder Gleichgültigkeit als Auslöser zu unterstellen.

Dennoch ist es ein Vergnügen, dem gut eingespielten Ensemble zuzusehen. Den Schauspielern (besonders Ulrike Heucke und Ludwig Paffrath) merkt man an, daß sie nicht irgendeinen beliebigen Stoff herunterspielen, sondern an der Thematik selbst interessiert sind. Auch die Musik, die sie abliefern, ist nicht übel, besonders die Parodien auf die „Neue Deutsche Welle“.

Kleine Anmerkung: Ist der gedankenlose Zuruf Gabriele Hintermaiers („Hallo, Spasti!“) unbedingt vonnöten, wenn Ludwig Paffrath in einer Szene wild herumhampelt?