Zwischen Repertoire und Experiment – Theater Dortmund stellt Spielplan 2014/2015 vor

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Die Theater-Reihe „Das goldene Zeitalter“ – hier ein Bild aus der letzten Produktion – wird fortgesetzt: „100 neue Wege dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen“ kommt im Januar 2015 heraus. Foto: Edi Szekely/Theater Dortmund

Spielzeit 2014/2015 – das Theater Dortmund mit den Abteilungen Oper, Ballett, Philharmoniker, Schauspiel und Kinder- und Jugendtheater hat seine Pläne vorgestellt. Ein einheitliches Bild ist nicht auszumachen, zu unterschiedlich sind die Fachabteilungen und die Menschen, die sie prägen. Hier eine erste kleine Übersicht, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit.

Den französischen Friseur Arthur hat es auf eine Insel fern ab von aller Zivilisation verschlagen. Hier, die Welt ist ja voller verrückter Zufälle, lernt er die hübsche Häuptlingstochter Atala kennen, und alles könnte richtig schön werden. Leider aber kündigt Häuptling Biberhahn, Herrscher über die Nachbarinsel Papatutu, kurz darauf seinen Staatsbesuch bei Atalas Vater Abendwind an, und das verlangt nach einem Festmahl. Die Tragik nun liegt darin, daß man in dieser Gegend der Welt dem Kannibalismus zugetan ist, und daß der französische Friseur nach einhelliger Meinung ein wunderbares Schmorgericht abgeben dürfte. Was ihm naturgemäß gar nicht schmeckt, um im Bild zu bleiben. Und wie er aus der Nummer wieder herauskommt, erfährt man ab dem 24. Januar im Dortmunder Schauspielhaus. Dann hat dort nämlich das Stück „Häuptling Abendwind und Die Kassierer: Eine Punk-Operette“ Premiere.

Der Stücktitel verlangt nach Erklärungen. Zunächst „Die Kassierer“: Sie gelten, sagt Schauspielchef Kay Voges, seit 30 Jahren als die kultigste Punk-Band aus dem Ruhrgebiet. In Sonderheit sei die Revier-Lebensweisheit „Das schlimmste ist, wenn das Bier alles ist“ ihr Leib- und Lebensmotto. Den Spruch kann man ja etwas umrubeln auf „Das schlimmste ist, wenn das Fleisch alle ist“, womit man dann sozusagen schon beim Grundmotiv des hier zur Aufführung gelangenden Kannibalen-Stoffes wäre, welcher ursprünglich ein Opernlibretto war, geschrieben von Philippe Gille und Léon Battu zur Musik Jacques Offenbachs. „Vent du soir ou l’horrible festin“ hieß das Werk auf französisch, und Johann Nestroy machte daraus eine Burleske mit dem (annähernd exakt übersetzten) Titel „Häuptling Abendwind oder Das gräuliche Festmahl“. Diese Burleske nun, der Anlauf hat etwas gedauert, wird von Den Kassierern mit Offenbachs Klängen zur Punk-Operette verwurstet. Es wird absehbar schräg und laut und lustig, zumal Die Kassierer auch auf Musikfeldern wie Country oder Jazz zu Hause sind.

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Die Oper „Carmen“ wird auch in der neuen Spielzeit gegeben. Foto: Birgit Hupfeld/Theater Dortmund

Das Projekt habe sich auch deshalb geradezu angeboten, weil Punk und Operette sich doch recht ähnlich seien, merkt Kay Voges treuherzig an. Doch, doch! Der hohe Mitsingfaktor sei durchaus vergleichbar. Jedenfalls ist diese Punk-Operette des Schauspielhauses in der Spielzeit 2014/2015 und in der Abteilung Originalität unangefochtener Spitzenreiter. Regie führt übrigens Andreas Beck, den man aus dem Ensemble und bislang vor allem „vor der Kamera“ kennt. Daneben, wir bleiben beim Schauspiel, wird ein bunte, anspruchsvolle Themenmischung geboten.

Schauspiel

Kay Voges selbst inszeniert für den Spielzeitauftakt am 12. September einen „Hamlet“, bei dem ihn Video-Artist Daniel Hengst („Tannhäuser“) und Musikchef Paul Wallfisch unterstützen werden. Jetzt, so Voges, fühle er sich alt genug für diesen Shakespeare-Stoff. Und man wüßte jetzt schon gerne, wie er wohl den Hamlet-Monolog anlegen wird. Oder ob er ihn einfach weglässt?

Der notorische Wenzel Storch, der durch seinen Film „Die Reise ins Glück“ einer größeren Zahl von Menschen bekannt wurde, führt Regie bei einer „Pilgerreise in die wunderbare Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur“. „Komm in meinen Wigwam“ heißt die Produktion mit Premiere am 17. Oktober. Jörg Buttgereit ist wieder da und verkündet mit breitem gesellschaftlichen Bezug, daß „Nosferatu lebt!“. „Ein Mystery-Crime-Science-Fiction-Hospital-Theater-Web-Adventure in sieben Teilen“ steht auf dem Programm, das sich Alexander Kerlin, Anne-Kathrin Schulz und Kay Voges ausgedacht haben und das so eine Art Krankenhausserie ist. „The Madhouse of Ypsilantis“ heißt es. Fans des „Goldenen Zeitalters“, von denen es etliche gibt, dürfen sich auf eine weitere Folge freuen. Der neue Theaterabend mit unvorhersagbarem Verlauf hat im Februar 2015 das Motto „100 neue Wege dem Schicksal das Sorgerecht zu entziehen“. Das kann einen schon nachdenklich machen.

In der nicht-experimentellen Abteilung, auch das soll nicht unerwähnt bleiben, ist ebenfalls Leben: Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ (Premiere 18. Oktober) gelangt zur Aufführung, ebenso eine Adaption von Ingmar Bermans „Szenen einer Ehe“ (Premiere 28. November). Für die „Elektra“ am 7. Februar 2015 werden Sophokles, Euripides und Hugo von Hoffmannsthal als Autoren genannt, doch zuvörderst plant Regisseur Paolo Magelli eine Beschäftigung mit Deutschland und Dortmund in den Zeiten nach den Weltkriegen. Paul Wallfisch steuert seine musikalischen Interpretationen von Richard Strauß’ „Elektra“ bei.

Schließlich ein Hinweis auf „Identity“. Mit diesem „Jugendclub-Projekt der Theaterpartisanen 16+“ will das (Erwachsenen-) Schauspiel auch Schulklassen besuchen und wildert damit scheinbar im Revier von Voges’ Kollegen Andreas Gruhn, dessen Kinder- und Jugendtheater (KJT) ja eigentlich zuständig für diese Altersklasse ist. Überhaupt fällt auf, daß das Schauspielhaus – beispielsweise auch mit dem „UNRUHR Festival“ im Juni 2015 – jugendliches Publikum umwirbt. Doch das ist vermutlich mit dem KJT abgesprochen.

Kinder- und Jugendtheater

Für die Theaterleute von der Sckellstraße bleibt genug zu tun, und auch sie überschreiten Grenzen. So wendet sich Lutz Hübners Klassiker „Frau Müller muß weg“ (Premiere 13.2.2015) eher an Eltern und Erzieher als an Kinder. „Sneewitte“ von Sophie Kassies und Jens Joneleit (Premiere 19. März 2015, Regie Antje Siebers) entsteht in Zusammenarbeit mit der Jungen Oper Dortmund und will Kinder ab sieben Jahren in musikalisches Neuland führen. „Industriegebietskinder“ – ein Arbeitstitel angeblich, den sie ruhig so lassen sollten – vergleicht als Projekt dreier Theater die Lebenssituationen an drei mehr oder weniger entindustrialisierten Orten. In Dortmund hat sich das KJT in den (neuerdings noblen) Stadtteil Hörde aufgemacht, das Berliner Theater Strahl blickt auf den ehemaligen DDR-Unterhaltungselektronik-Standort Oberschönweide, das Neue Theater Halle auf die streckenweise verwaiste Neustadt. Am Anfang des Projekts steht ein Camp in Berlin, geplant sind weiterhin Recherche-, Entwicklungs- und Produktionsphasen, und am 8. Mai 2015 soll das Ding zum ersten Mal über die Bühne gehen.

Ach ja: Das Weihnachtsmärchen heißt in diesem Jahr „Peters Reise zum Mond“. Andreas Gruhn hat Bassewitz’ langjähriges Erfolgsstück „Peterchens Mondfahrt“ gründlich überarbeitet und aktualisiert und zu einem „Weltraummärchen“ für Kinder ab sechs Jahren gemacht. Erster Mondstart von Peter und Anna ist am 13. November.

Oper

Sechs Premieren kündigt Opernchef Jens-Daniel Herzog an, was formal auch zutreffend sein dürfte. Aber Richard Strauss’ „Rosenkavalier“, Mozarts „Don Giovanni“ oder Verdis „Ein Maskenball“ halten sich landauf, landab, so hartnäckig in den Repertoires, daß es geradezu unglaubwürdig wirkt, ihren Wiedereinrichtungen das Etikett „neu“ aufzukleben. Das sagt natürlich nichts über die Qualität der Dortmunder Produktionen aus, um die es so schlecht nicht bestellt sein kann. „Ein Maskenball“ zum Beispiel entsteht in Kooperation mit dem Royal Opera House Covent Garden in London.

„Jesus Christ Superstar“ von Andrew Lloyd Webber steht am 19. Oktober erstmals auf dem Programm des Opernhauses, das szenische Oratorium „Saul“ von Händel ist am 25. April 2015 die letzte Premiere der neuen Spielzeit. So weit, so gut.

Ein strahlendes Highlight hat die Oper aber doch im Programm: Die Vaudeville-Operette „Roxy und ihr Wunderteam“ von Paul Abraham, den die Theater seit einigen Jahren wiederentdecken. Der Plot klingt so herrlich doof, daß er fast in einem Satz erzählt werden kann: Fußball-Nationalmannschaft findet kein Quartier und wird notgedrungen im Mädchenpensionat untergebracht. Zum Finale treffen sich alle im Stadion.

Man darf gespannt sein, wie Regisseur Thomas Enzinger „Roxy und ihr Wunderteam“ umsetzen wird. Auch wenn der Stoff es nahezulegen scheint, muß die Inszenierung nicht zwangsläufig ein burlesker Schenkelklopfer werden. Die Verfilmung aus dem Jahr 1937, entstanden im damals noch nicht von den Nationalsozialisten regierten Österreich, wohin der jüdische Komponist Paul Abraham geflohen war, macht aus dem Stoff einen eleganten Tanzfilm, der an Fred Astaire, Ginger Rogers oder Gene Kelly denken läßt. 15 Termine zwischen dem 29. November 2014 und dem 15. März 2015 hat das Opernhaus schon angesetzt. Im fußballverrückten Dortmund hat man guten Grund, auf ausverkaufte Häuser zu hoffen (wenn nicht zeitgleich ein Pokalspiel läuft).

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Streifen statt Farben: Der aktuelle Ballett-Dreiteiler heißt „Drei Farben: Tanz“ (Bild). In der nächsten Spielzeit ist „Drei Streifen: Tanz“ zu sehen… Foto: Bettina Stöß/Theater Dortmund

Ballett

Xin Peng Wang hat Motive aus Thomas Manns Roman „Zauberberg“ zu einem Ballett verarbeitet, dessen musikalische Leitung bei Motonori Kobayashi liegt (Premiere 8. November 2014). Zweite Premiere der kommenden Spielzeit ist wieder einmal ein Dreiteiler, der diesmal „Drei Streifen: Tanz“ heißt. Das Drittel mit dem Titel „Closer“ choreographiert Benjamin Millepied zur Musik von Philip Glass, jenes mit dem Titel „The Piano“ – eine Uraufführung – Jiri Bubenicek. Und die Uraufführung von Dennis Volpi hat noch gar keinen Titel. „Schwanensee“ wird wieder zu sehen sein, ebenso „Der Traum der roten Kammer“ in der Hongkonger Fassung von 2013. Außerdem gibt es etliche „kleinere“ Ballett-Aktionen: „Internationale Ballettgala XX & XXI“, Sommerakademie, NRW Juniorballett und so fort.

Konzerte

Bleibt, von der Musik zu künden, der konzertanten zumal. Die üppigen Spielpläne liegen detailliert vor, man findet sie im soeben erschienenen Spielzeitprogramm und auf dem Internetauftritt des Theaters Dortmund. Der Eindruck hier: Viel solide Arbeit im klassischen Repertoire, wenig Starkino. Zwei prominente Namen fallen ins Auge, zum einen der der Sopranistin Edita Gruberova, die den mit 25.000 Euro dotierten Preis der Kulturstiftung Dortmund erhält und ihn sich am 5. Dezember im Konzerthaus abholen wird, zum andern der Sebastian Kochs, fernsehbekannter Schauspieler („Speer“), der, finanziert mit etwas Sponsorengeld, beim 5. Philharmonischen Konzert am 13. und 14. Januar in Beethovens Bühnenmusik zu Goethes „Egmont“ den Sprecher gibt.

Bei den Philharmonikern ist man übrigens auf die Idee gekommen, die Wörter, die die Titel der Reihen und Veranstaltungen bezeichnen, silbenweise zu zerhacken und dann mit so genannten Underlines zu verbinden. Deshalb heißt die philharmonische Reihe in diesem Jahr „helden_innen_leben“ und die Veranstaltung mit Herrn Koch im Januar „spiel_zeiten“. (Davor, nur als Fußnote, gibt es „gefühls_welten“, danach „helden_mut“.) Darf man in Blogs ungestraft das Wort Schwachsinn verwenden?

Fünf Konzerte der philharmonischen Reihe werden von Generalmusikdirektor Gabriel Feltz dirigiert, fünf von Gästen, unter denen sich in dieser Spielzeit doch tatsächlich auch eine Frau befindet: Das 9. Konzert (12. und 13. Mai 2015) leitet die Amerikanerin Karen Kamensek, Generalmusikdirektorin in Hannover. Es gibt Kissenkonzerte und Kammerkonzerte und Babykonzerte (immer ganz schnell ausverkauft!) und „Konzerte für junge Leute“, deren Titel neugierig machen: „Groove Symphony“, „Superhelden der Filmmusik“, „Romeo und Julia in New York“. Und ganz am Schluß dieses Aufsatzes das schöne Gefühl, von der darstellenden Kunst geradezu umzingelt zu sein. Zumal seit kurzem auch das Programmbuch des Konzerthauses raus ist (grauenvoller Titel: „Stell dich der Klassik.“, mit dem Punkt). Es wiegt über ein Pfund und damit sogar noch etwas mehr als das von Oper und Theater.

http://www.theaterdo.de/startseite/

www.konzerthaus-dortmund.de




Lass die Sau raus und nie wieder rein!

Frühstück mit Wolf Foto: Birgit Hupfeld

Foto: Birgit Hupfeld

Frühstück mit Wolf – das klingt erst einmal nach einer gefährlichen Mahlzeit. Aber wenn das Dortmunder Kinder- und Jugendtheater, Regisseur Hartmut El Kurdi und Autorin Gertrud Pigor im Boot sind, wird so eine  brisante Angelegenheit schnell zur Köstlichkeit: Da hat der Wolf den Blues, die Schweinchen haben echtes Country-Gefühl im Ringelschwänzchen – und die Besucher einen Heidenspaß.

Wald, Blumen, schöne Klänge, ein idyllisches Fleckchen Natur. Und genau der richtige Ort für Borste (Bianka Lammert), Fässchen (Johanna Weißert) und Schmalz (Sebastian Ennen), um ihren Traum vom Eigenheim zu realisieren – denn „in jedem Schweinchen steckt ein großer Architekt“. Also wird gesungen und „vermessen wie besessen“, bis bei dem einen der Keller wunschgemäß oben ist und der Balkon beim anderen frei schwebt. Den Wolf Dieter (Rainer Kleinespel) allerdings hat keiner nach seiner Baugenehmigung gefragt, außerdem hat er gerade Appetit auf Schnitzel – also pustet er die Häuser von Fässchen und Schmalz hinfort. Die machen sich flugs bei Borste breit. Borste ist so empört, dass sie prompt bei Wolf Dieter in die Hilfs-Wolf Ausbildung einsteigt. Aber so gemein ist schließlich selbst kein Schwein…

„Frühstück mit Wolf“ ist das reinste Vergnügen: Hartmut El Kurdi hat ein besonderes Gefühl für Wort- und Situationskomik und mit Philine Rinnert eine ebenso humorvolle Ausstatterin mit Blick für Details, wie die schwankende SAT-Schüssel aus einem Pappteller. Die von Kurdi selbst geschriebenen Lieder mit Ohrwurmpotential unterstreichen bestens die Charakterzüge der Figuren – schade nur, dass die Darsteller bei der Premiere ein wenig gegen die zu laute Musik ansingen mussten.

Insgesamt aber merkt man den Schauspielern ihren Spaß an diesem überdrehten Abenteuer an – das vor allem ein Fest für Bianka Lammert und Rainer Kleinespel ist.

Bianka Lammert stürzt sich mit Wonne in die Rolle des Borste, spielt sich als besserwisserische Spießerin auf, zieht Fratzen, liebt den Slapstick. Rainer Kleinespel als herrlicher Gegenpart Wolf Dieter gibt sich einfach gestrickt, knurrig, cool,  und heult dabei wie ein alter, abgehalfterter Blues-Held. Dass aus den beiden beinahe das schrägste Traumpaar der Schweinchenwelt wird, ist nur ein Grund, sich diese spaßigen 60 Minuten anzuschauen – frei nach dem Motto: „Lass die Sau raus und nie wieder rein.“

Foto: Birgit Hupfeld




Traumreise zum müden Monarchen – „Insel des König Schlaf“

Von Bernd Berke

Wuppertal. Manuel lebt in einem kleinen Fischerdorf, irgendwo im Süden Europas. Seine Tante drängt ihn keifend, er solle sich den Realitäten selten, vor allem aber Schularbeiten machen. Alles, was den Jungen beschäftigt, tut sie als „spinnert“ ab.

Er aber braucht nicht einmal Phantasie, um Phantastisches zu erleben. Ein Boot wird ihm geschenkt, das ihm als „Traumschiff“ dient. Und ab geht die Reise zur „Insel des König Schlaf“. Das gleichnamige Stück des Portugiesen Norberto Avila hatte am Samstagmorgen in Wuppertal Premiere. Für die von Gerhard Kelling erstellte deutsche Fassung war es sogar eine Uraufführung.

Besagte Insel ist ein Schlaraffenland. Nur einige Probleme, die der pfiffige Gast Manuel (Boris Voland) nach und nach löst, gibt es: Der König (Heinz Voss) hat seit Monaten nicht geschlafen, dem Dr. Scharlatanski (Tjaart Potgieter) will es nicht gelingen, ein Schlafmittel zu kreieren. Dafür wird er von einer roboterhaften „Kitzelmaschine“ bestraft. Dem Flötisten Liebton (Gregor Höppner) ist eine Melodie abbanden gekommen, „Dienstag“ und „Donnerstag“ (groteskes Duo: Alexander Pelz und Hans Richter) streiten über die Zeitspanne, in der die gebratenen Tauben in die Mäuler der Insulaner zu fliegen haben –  dienstags oder donnerstags. Nach Schluß der Vorstellung bilden sich rasch Kindergruppen, die lautstark der einen oder anderen Auffassung Ausdruck verleihen…

Überhaupt geht der Nachwuchs, gut vorbereitet durch das Wuppertaler Bühnen-Projekt „Kinder erzählen ihre Träume“, so richtig mit. Beispielsweise, als der König – er hat endlich eine volle Woche durchschlafen können – der unterdessen liegengebliebenen Arbeit überdrüssig ist und Staats-Depeschen in Form von Papier-Schwalben ins Publikum wirft. Klar, daß jeder eine ergattern will und das Gerangel auf den Rängen groß ist. Und wenn, nach Manuels Rückkehr ins Dorf, die Tante seinen abenteuerlichen Bericht bezweifelt, ergreifen alle empört Partei für ihn.

Regisseurin Sylvia Richter richtete das Stück konsequent als „Traumspiel“ ein, das die von der Tante (Sabine Schwanz) vertretene, platte Realität übel aussehen läßt. Vielleicht hat ihr Carrolls „Alice im Wunderland“ als leuchtendes Beispiel vorgeschwebt. Entsprechende Freude an hintersinnigen Absurditäten vermittelt jedenfalls diese Inszenierung. Bühnenbild und Kostüme (laut Programmzettel von „Rosalie“) zeugen von greller Phantasie, die üppig ins Kraut schießt. Die Schauspieler agieren durchweg überzeugend.




„Darüber spricht man nicht“: Mit erprobtem Stück gegen neue Prüderie

Von Bernd Berke

Dortmund. „Darüber spricht man nicht“ ist ein Stück, bei dem Aktionen und Reaktionen der Zuschauer genauso wichtig sind, wie die Arbeit der Darsteller. Ein ruhiges Publikum würde jede Aufführung mißraten lassen. Weil aber das Kindertheater in Dortmund das spontanste Publikum hat, konnte gar nicht viel „anbrennen“.

Um Platz fürs Mitspielen zu schaffen, war man ins Dietrich-Keuning-Haus umgezogen, dessen Saal mehr Bewegungsfreiheit bietet, als das Theater am Ostwall. Das annähernd zehn Jahre alte Stück der „Roten Grütze“, steht gerade rechtzeitig auf dem Spieplan. Da sich allenthalben eine neue Prüderie breitzumachen droht, hat der Stoff kaum etwas von seiner Bedeutung verloren; es überrascht heute höchstens der fröhliche Optimismus der Vorlage. Die Spielhandlung dreht sich ums „Liebhaben und Streicheln, ums Schmusen und Anfassen, ums Kindermachen und Kinderkriegen“ (Programmheft) und vor allem darum, daß man offen über alles reden sollte.

Die über 100 Kinder, die zur Samstagspremiere (Inszenierung: Klaus D. Leubner) gekommen waren, brachten sicherlich unterschiedliches Vorwissen mit. Trotzdem waren, vor allem bei den Kleineren, im Verlauf des Stücks die Fortschritte unverkennbar. Nach anfänglicher Scheu äußerten sie sich – mit einer Ausnahme kurz vor der Pause – zunehmend unbefangener. Ein Verdienst der Schauspieler, die für die entsprechende Atmosphäre sorgten. Übervorsichtige hatten schon vor der Aufführung Unsauberes gewittert. Zur Beruhigung: Den Kindern wird keine Information aufgedrängt, es wird vielmehr in einem Frage- und Antwortspiel auf ihre Bedürfnisse eingegangen.