Die Jahre, in denen man fieberte: Der „Rockpalast“-Erfinder Peter Rüchel ist gestorben

Peter Rüchel, Mit-Erfinder der legendären WDR-Musiksendung Rockpalast. (Bild: WDR/Max Kohr)

Peter Rüchel, Mit-Erfinder der legendären WDR-Musiksendung „Rockpalast“, ist mit 81 Jahren gestorben. (Bild: WDR/Max Kohr)

Gevatter Tod hält in diesem Februar wieder schrecklich reiche Ernte. Zuerst starb der wunderbare Schauspieler Bruno Ganz, dann der Modeschöpfer Karl Lagerfeld – und nun auch noch Peter Rüchel

Peter wer? Ach, ihr ahnungslosen Nachgeborenen, die ihr nicht die „Rockpalast“-Nächte der späten 70er und frühen 80er Jahre erlebt habt! Rüchel darf als hauptsächlicher „Erfinder“ dieser immer noch nachwirkenden Ereignisse gelten.

Jeder, der damals rockmusikalisch gefiebert hat, erinnert sich wohl an seine persönliche Lieblings-Ausgabe. Wenn ich’s nur gestehen darf: Für mich waren es vor allem die Auftritte von Patti Smith (1979, Grugahalle Essen), Van Morrison (1982, gleichfalls Grugahalle Essen) und den Kinks (abermals ’82, Gruga). Ihr merkt es schon: Die Musik spielte also buchstäblich mitten im Revier. Dem Westdeutschen Rundfunk sei dafür dauerhaft Dank! Wenn man sich in Köln doch nur heute noch auf solche Zeiten besinnen wollte!

Die Zeit der Cassetten

Es war die Zeit, als man sein Cassettenrecorder-Mikro noch notdürftig aufs Radio oder aufs TV-Gerät ausgerichtet hat, um nur ja nichts zu verpassen. Schwieriges Unterfangen. Die CD kam gerade erst auf, von jederzeit greifbarem Streaming mit -zig Millionen Titeln durfte man noch nicht einmal träumen. Dass man der jeweiligen Liebsten sich seelisch (harr, harr!) zu nähern suchte, indem man spezielle Cassetten für sie aufnahm, verstand sich damals von selbst. Um mit Rühmkorf zu reden: Die Jahre, die ihr kennt…

Ohne Peter Rüchel hätte es das damals so nicht gegeben. Nicht die legendäre Ansage „German Television proudly presents“ von Albrecht Metzger; nicht die einfühlsamen und doch punktuell zwangsläufig verunglückten Interviews des großartigen Alan Bangs, dessen Radio-Sendungen („Night Flight“ etc.) man über Jahre hinweg ergriffen lauschte. Man zehrt bis heute von seinen Entdeckungen. Echt jetzt.

In der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1977 hatten die „Rockpalast“-Nächte ihre Premiere, zum Auftakt war u. a. Rory Gallagher dabei. Auch er unvergesslich. Und überhaupt. Ach. Ach!




Meilensteine der Popmusik (23): The Kinks

„Was ist unser Leben eigentlich noch wert? Eine Zweiraumwohnung im zweiten Stock, kein Einkommen, und draußen versucht der Vermieter reinzukommen, um die fällige Miete einzutreiben. Wir sind eindeutig zweitklassig – Menschen, die in der Sackkasse leben, und dort auch sterben werden…“ (Auszug aus „Dead End Street“).

Ray Davies beobachtete seine Umgebung genau. Während die Songs der aufkommenden Protestwelle den Generationenkonflikt thematisierten, politische Auseinandersetzungen und Kriege anprangerten, ja bisweilen sogar den Weltuntergang beschworen, trieb sich Ray Davies in der Nachbarschaft herum. „Otto Normalverbraucher“ lieferte Davies die Themen für seine zumeist bissigen, sozialkritischen Songs.

Er war eindeutig der Kopf der Kinks (engl. kinky „schrullig“, „ausgeflippt“), neben den Beatles, den Rolling Stones und The Who eine der erfolgreichsten Vertreter der „British Invasion“, wie die US-Amerikaner damals die Beatwelle aus Großbritannien nannten. Als die Kinks 1963 im Norden von London zusammenkamen war auch schon Dave, der jüngere Bruder von Ray Davies, mit von der Partie. Beide kann man auch unter „schwierige Charaktere“ einordnen, ihr kompliziertes Verhältnis sollte die ganze Bandgeschichte mit beeinflussen. Doch erst einmal ließen sie es krachen. Ihre dritte Single brachte den Durchbruch und wird von den Rockwissenschaftlern als die Sternstunde des Hard Rock gefeiert: Bei „You really got me“ mit dem markanten Gitarrenriff, hält sich bis heute hartnäckig das Gerücht, dass der Studiomusiker Jimmy Page damals den Strom aus der Gitarre ließ… Jahre später erhob Page mit seiner Band Led Zeppelin den Hard Rock zur weltweiten Glaubensgemeinschaft. Doch das ist eine andere Geschichte.

Ray Davies indes wurde langsam zum Kultautor, zu einem der besten Songwriter seiner Zeit. Aber er war auch ein „Schwieriger“, wie sein Bruder. Ein Streit auf offener Bühne führte zur Eskalation während einer US-Tour. Da auch die dortige Bühnengewerkschaft involviert war, gab es erst einmal ein vierjähriges Auftrittverbot in den USA. Damit war die Karriere in den Staaten erst einmal erledigt. Aber auch im aufkommenden Wettbewerb um die erfolgreichsten Konzeptalben konnten die Kinks seltsamerweise nicht besonders punkten.

Mitentscheidend für den, im Vergleich zu anderen „Supergruppen“, begrenzten wirtschaftlichen Erfolg, waren wohl die eher unscheinbare Gesamtperformance der Gruppe, und die ständigen, internen Dissonanzen. Relativ häufig wechselte die Besatzung, nur die Brüder blieben. Als sich 1970 mit „Lola“ der größte kommerzielle Erfolg einstellte, wendete sich manch´ langjähriger Fan ab – nur kurzfristig, denn über die Jahrzehnte hielt sich der exzellente Ruf dieser Band.

Ob nun Punker oder Britpoper, sie alle respektierten the Kinks als stilprägend. Von den Brüdern Gallagher (Oasis) bis Wolfgang Niedecken (BAP) – auch bei prominenten Musikern gibt es bis heute genug Verehrer des genialen Songschreibers Ray Davies; so wie es Davies selbst in einem seiner Songs ausdrückte: „a well respected man“.

Ray Davies‘ Beobachtungen in der Nachbarschaft machten auch vor der Verwandtschaft nicht halt. Für viele der wohl schönste Song der Kinks ist die lyrische Rockballade „Waterloo Sunset“ aus dem Jahr 1967. Als Hauptpersonen agierten seine Schwester Julie und  sein Neffe Terry, die sich jeden Abend am Bahnhof Waterloo Station trafen. Sie spielten damals nur im Kopf des Dichters ein Paar, das im Sonnenuntergang, in den Menschenströmen der Rushhour, gemeinsam vom Auswandern in die neue Welt träumte. Eine Analogie, die Ray Davies für sich selbst auch immer in Anspruch nahm: den Traum vom Aufbruch in eine vermeintlich bessere Welt.

THE KINKS on dailymotion

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Die vorherigen “Meilensteine”:

Peter Gabriel (1), Creedence Clearwater Revival (2), Elton John (3), The Mamas and the Papas (4), Jim Croce (5), Foreigner (6), Santana (7), Dire Straits (8), Rod Stewart (9), Pink Floyd (10), Earth, Wind & Fire (11), Joe Cocker (12), U 2 (13), Aretha Franklin (14), Rolling Stones (15), Queen (16), Diana Ross (17), Neil Diamond (18), Fleetwood Mac (19), Simon & Garfunkel (20), Bruce Springsteen (21), ABBA (22)




Singselig und sturzvital – die „Kinks“ in Dortmund

Von Bernd Berke

Dortmund. Da kommt er, solo mit Gitarre: Ray Davies (49). Er stimmt gleich den Song „A Well Respected Man“ an. Ist ja auch wahr: Seit 30 Jahren ist er mit seinen „Kinks“ auf der Szene. Das ist mehr als respektabel.

Davies beginnt in der nicht ganz ausverkauften Westfalenhalle II mit einem Medley bejahrter Erfolgstitel, das Sommerstück „Sunny Afternoon“ natürlich inklusive. Ray Davies reißt diese Hits nur kurz an. Vielleicht hat er sie sich leid gespielt. Aber sie gehören halt nicht nur dazu, sondern sind auch nachher Kern des Programms – und der Mann freut sich ersichtlich, sein Publikum mit solchen Erinnerungen in den Griff zu bekommen.

Seit 30 Jahren im Rock-Geschäft

Um 30 Jahre unverdrossen in Sachen Rock unterwegs zu sein, braucht man zweierlei: Besessenheit, aber auch so etwas wie Disziplin, um nicht irgendwann abzusacken. Ray Davies genießt es jedenfalls immer noch, wenn die alten Refrains mitgesungen werden. Oft hält er sein Mikrofon in die vorderen Reihen, so als sollten alle beteiligt sein.

Nach dem nostalgischen Einstieg kommt die Band hinzu, natürlich nicht mehr die Ur-Formation. Aber Rays Bruder Dave Davies („Death of a Clown“) ist immer noch dabei. Die zwei sind seit Jahrzehnten aufeinander eingespielt, so daß der Rest der Gruppe – Jim Rodford, lan Gibbons und Bob Henrit – völlig zurücktritt und dienende Funktionen übernimmt. Sie rollen sozusagen den Sound-Teppich für Ray Davies aus.

Manche Metaller ins Abseits gespielt

„Give the people what they want“ scheint man sich – einem Plattentitel folgend – gedacht zu haben: Man präsentiert sich eineinhalb Stunden lang vornehmlich als Hardrock-Band, die jene singselige „Rockpalast-Stimmung“ bedient. Energisch spielt man tatsächlich noch so manche Jüngelchen aus Heavy-Formationen ins Abseits. Dies den Scherzkeksen ins Stammbuch, die behaupten, zu den „Kinks“ könnten nur noch Leute mit Rheumadecken hingehen. Zugegeben, im Publikum sind angegraute Jahrgänge in der Mehrheit. Aber was heißt das schon.

Melodische Feinheiten und die zum Teil kritischen Texte gehen ziemlich unter. Die Leute hören, zumal in einer Samstagnacht, eben lieber solche „Kracher“ wie „You Really Got Me“, „All Day and All of the Night“, „Low Budget“ oder „Phobia“. Die sind aus dem Urstoff des Rock, hämmernd, treibend, fordernd, im Grunde immer optimistisch. Ein sturzvitaler Song wie „Till the End of the Day“ kann einen aufmöbeln für einen ganzen Tag.

Doch das Beste des Abends war sicherlich die furiose Hymne der Widerspenstigen: „I’m not Like Ev’rybody Else“ („Ich bin nicht wie jeder andere“). Man sang’s im Hallenchore mit. Naja, ein Widerspruch ist’s schon, massenhaft ganz anders sein zu wollen. Aber Schwamm drüber. Schön war es doch.

Ärgerlich nur die langweilige Vorgruppe „Katrina and the Waves“. Ein Lied klingt wie das andere, und alle wie eins. Die werden bis in alle Ewigkeit Vorgruppe bleiben.