Der Drang zum Mittelpunkt der Welt – Kölner Museum Ludwig lässt den Mythos Dalí wieder aufleben

Von Bernd Berke

Köln. Nicht nur als Künstler, sondern auch mit Behauptungen war Salvador Dalí ziemlich verwegen. So hat er den Bahnhof im südfranzösischen Provinzort Perpignan zum „Mittelpunkt der Welt“ erklärt. Wie kam er zu der tollkühnen These?

Nun, vor allem, weil einst (in den späten 1940er Jahren) seine eigenen Gemälde hier verladen werden mussten, um etwa nach Paris und in die USA zu gelangen. Überdies recherchierte der dem produktiven Wahn zugeneigte Spanier. dass in der Antike Hannibal hier gewesen sein musste (nicht am Bahnhof, wohlgemerkt, aber in der Nähe des späteren Perpignan). Und die afrikanische Erdplatte stoße just in dieser Weltkante auf die europäische. Wenn das keine Gründe sind!

„Der Bahnhof von Perpignan“ als Kristallisationspunkt

Jetzt kreist eine ganze Ausstellung im Kölner Museum Ludwig um Dalís monumentales Werk „La Gare de Perpignan“ („Der Bahnhof von Perpignan“, 1965). Während seine Frau Gala die Bilder dort zum Zug brachte, saß er im Empfangsgebäude und halluzinierte. Anfang der 60er Jahre, als er ein einschlägiges Manuskript unverhofft wiedergefunden hatte, überflutete die Erinnerung den Künstler und trieb ihn zur Leinwand. Es entstand das kreuzförmig strahlende, quasi-religiösen Anspruch erhebende Gemälde.

Die Motive sind ein Gemisch seines Lebens. Der Bahnhof selbst ist gar nicht zu sehen, wohl aber einige Phantasien, die Dali dort ausbrütete: Gala als geheimnisvolle Rückenfigur, er selbst als Gekreuzigter, ein rasender Güterwaggon mit Heimatbahnhof Perpignan. Hinzu kommen die Gestalten aus Jean-François Millets Gemälde „Angelus / Das Abendläuten“ (1858). Dieses Bildnis eines frommen Bauernpaares, das nach getaner Arbeit am Ackersrande betet, galt als christliche „Ikone“ des 19. Jahrhunderts und war in Reproduktionen millionenfach verbreitet. Mit seinem Bahnhofs-Bild legte es Dalí darauf an, die Wirkung Millets erotisch aufzuladen und noch zu übertrumpfen. Man muss solche imperatorischen Gesten nicht mögen. Aber sie sorgen für Dynamik in der Kunst.

Bombastische Selbstinszenierungen

All diese Aspekte fächert die Kölner Schau auf, sie geht Einflusslinien und biographischen Hintergründen nach. Deshalb umfasst sie neben 34 Ölgemälden und rund 30 Zeichnungen auch zahlreiche Dokumente und Fotografien. Sie bezeugen, wie bombastisch sich Dalí selbst inszeniert hat. So zelebrierte er 1965 eine triumphale Reise just nach Perpignan, begleitet von einem geradezu königlichen Hofstaat aus Bewunderern und versehen mit Insignien (operettenhafter) Macht. Man erfährt nichts grundlegend Neues über Dali, aber man spürt seinen Mythos noch einmal in konzentrierter Form.

Im Schaffensrausch zwischen seinem Geburtsort Figueres und Cadaqués erscheint er auch als „Heimatmaler“, wie der Kunstkritiker Laszlo Glozer einprägsam bemerkt hat. Auf allen Bildern, und seien sie noch so surreal, leuchtet das Licht dieser spanischen Gegend. Auch schroffe Felsen und endlos weite Ebenen hat Dali der wirklichen Landschaft abgeschaut. Dass sich dort übernatürliche Phänomene ausbreiten, ist in der offenkundig flirrenden Hitze gar nicht mal so verwunderlich. Das Obszöne und der Tod sind gleichfalls stets in Reichweite.

Auch der religiöse Drang, der Dalí nach dem Zweiten antrieb und sich aus katholischem Mystizismus speiste, wird sichtbar. Da erscheint die geliebte Gala 1950 als schwebende Madonnenfigur. Besonders inniger Glaube oder Blasphemie? Mit der Zeit geriet jedenfalls der ursprünglich so vitale Wahnwitz (Dalí nannte es seine „paranoisch-kritische Methode“) zum beruhigten »Klassizismus“ mit glatten, polierten Oberflächen und Koketterien an der Kitschgrenze. Daran konnte die Pop-Art anknüpfen.

Museum Ludwig. Köln (am Hauptbahnhof). Bis25. Juni. Di-So 10-18. jeden 1. Freitag im Monat 10-22 Uhr. Eintritt 7,50, Katalog 37 Euro.

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ZUR PERSON

Professoren beleidigt

  • 1904 Dalí wird am 11. Mai in Figueres (Katalonien) geboren.
  • 1923/24 Haftstrafe als „Rädelsführer“ eines Studenten-Protestes.
  • 1926 Wegen Beleidigung der Professoren muss Dalí die Kunstakademie verlassen.
  • 1929 Erste Begegnung mit seiner späteren „Muse“ und Ehefrau Gala, die damals noch mit dem Dichter Paul Eluard verheiratet ist.
  • 1934 Polit-Konflikt mit dem kommunistisch orientierten Surrealisten André Breton.
  • 1938 Treffen mit Sigmund Freud in London.
  • 1940-48 Exil in USA.
  • 1956 Privataudienz beim Diktator Franco.
  • 1989 Am 23. Januar stirbt Dalí in Figueres.



Auf den Spuren gestohlener Kunstschätze – Besuch bei der Kölner Spezial-Ermittlerin Ulli Seegers

Von Bernd Berke

Köln. „Nein. nein, ich schleiehe nicht mit hochgeschlagenern Mantelkragen und Sonnenbrille durch finstere Ecken“, stellt die junge Frau klar. Doch abseits solcher Klischees gilt Ulli Seegers (35) als Deutschlands erfolgreichste Kunst-Detektivin. Sie hat schon manches wertvolle Stück wieder aufgespürt, darunter ein millionenschweres Cézanne-Bild.

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Schreibtischarbeit: Kunst-Ermittlerin Ulli Seegers. Auf ihrem PC-Bildschirm: ein gestohlenes Picasso-Gemälde. (Foto: Berke)

Einen Großteil ihrer Arbeit erledigt sie freilich am Schreibtisch: In Köln betreuen die promovierte Kunsthistorikerin und drei Mitarbeiter eine (streng vom Internet abgeschottete) Datenbank, in der über 160 000 weltweit gestohlene Werke verzeichnet sind, darunter allein weit über 600 Picasso-Bilder. Jeden Monat kommen rund 1000 neue Datensätze hinzu – mit steigender Tendenz.

Ulli Seegers, anfangs eher durch Zufall an diesen Job geraten, arbeitet für das „Art Loss Register“ (ALR / Kunstverlust-Register). Es wurde 1991 m London auf Betreiben der berühmten Auktionshäuser Sotheby’s und Christie’s gegründet. Die wollen natürlich nur „saubere“ Ware offerieren. 1999 kam die Filiale in Köln hinzu, zudem gibt es Niederlassungen in New York, Moskau und New Delhi. Auch Raubkunst aus der NS-Zeit wird in allen Büros erfasst, und es entsteht eine Datenbank über Fälschungen.

Studien sprechen von mindestens 5 Milliarden Dollar jährlichen Schäden durch Kunstkriminalität, von ideellen Werten zu schweigen. Zudem haben sich offenkundig Kunstraub, Drogen- und Waffenhandel vermischt. Kunst ist zur Ersatzwährung in mafiösen Kreisen geworden.

Diebe haben oft leichtes Spiel

Vor allem die großen Versicherungen und Versteigerer, aber auch bestohlene Privatleute nehmen gegen Gebühren und Erfolgsprämien (bis zu 15 Prozent des Schätzwertes für Wiederbeschaffung) das ALR in Anspruch. Die Aufklärungsquote bei Gemälden beträgt etwa 25 Prozent. Wenn irgendwo auf dem globalisierten Markt Werke zweifelhafter Herkunft auftauchen, stehen sie häufig im Kölner Register. Weitere Schritte sind dann Sache der Polizei, die gleichfalls eng mit dem ALR zusammenarbeitet.

Oft haben es Kunstdiebe sträflich leicht. „Manche unserer Museen sind Selbstbedienungsläden“, kritisiert Ulli Seegers: „Kostspielige Ausstellungs-Events haben oft Vorrang, an der Sicherheit wird gespart. Die Zustände sind in vielen Städten skandalös.“

Kunstdiebe lassen meist zwei bis drei Jahre verstreichen, bis Gras über ihre Tat gewachsen ist. Sie setzen auf Vergesslichkeit. Dann versuchen Hehler die Beute loszuwerden – und hier setzt Ulli Seegers an. Denn wer Kunst anbietet, muss dies irgendwie (halb)öffentlich kundtun. Seegers überprüft ohnehin regelmäßig Auktionskataloge und Galerie-Bestände auf Kunstmessen – zwecks Datenabgleich mit ihrem Register: „Man muss genau wissen, wie der Kunstmarkt funktioniert, wo die Grauzonen beginnen. Nach einer Weile kennt man einige Pappenheimer.“

Die Grauzonen des Marktes

Auch Kontakte ins Milieu ergeben sich, bei denen sogar der selbstbewussten Ulli Seegers mulmig zumute wird. Einmal diente sie als „Lockvogel“, sie gab sich als kaufinteressierte Sammlerin aus. Objekte der vermeintlichen Begierde waren (gestohlene) Bilder von Sigmar Polke. Mit dem kannte sich Ulli Seegers bestens aus, er war Thema ihrer Doktorarbeit. Beim Münchner Café-Treff mit dem mehr als dubiosen Anbieter saßen ringsum acht Polizisten in Zivil. Die Falle schnappte zu…

Weltbekannte Kunstwerke wie die vor einem Jahr in Oslo brutal geraubten Munch-Gemälde „Der Schrei“ und „Madonna“ kommen nicht auf den Markt. Hier geht es, wie Ulli Seegers vermutet, ums „Art Napping“, also um Lösegeldzahlung bei Rückgabe.

Von Rechts wegen dürfen etwa Versicherungen kein Lösegeld zahlen, es käme der Vertuschung einer Straftat gleich. Bei äußerst diskreten Verhandlungen werde hier jedoch zuweilen getrickst, sagt Seegers; beispielsweise, indem man „Finderlohn“ auslobt. Müssten Versicherer die fällige Diebstahlsprämie zahlen, käme es sie noch teurer zu stehen. Auch eine Grauzone?

Gibt es den steinreichen Kunst-Liebhaber, der Diebe beauftragt und sich heimlich an der illegalen Sammlung ergötzt? Ulli Seegers: „Eine Kino-Legende! Solchen Leuten bin ich noch nie begegnet.“ Noch ein Klischee zunichte!

• „Art Loss Register“, Köln, Obenmarspforten 7-11. Tel.: 0221/257 6996. Internet: www.artloss.com




Kostbare Momente – Die Go-Betweens mit starken Songs im Kölner „Gloria“

Von Bernd Berke

Köln. Zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug – die Ur-Besetzung einer Rockband bleibt doch das Maß der Dinge.

Erst recht, wenn es sich um die Go-Betweens handelt. Im Kölner „Gloria“ spielten die Australier jetzt einen hinreißenden Querschnitt durch ihre drei letzten Alben: „The Friends of Rachel Worth“, „Bright Yellow Bright Orange“ und (frisch auf dem Markt)„Oceans Apart“. Es war eines jener Konzerte, bei denen man jeden Augenblick ausschlürfen möchte.

Die Frontleute Robert Foster und Grant McLennan sind seit den frühen 80ern auf der Szene, anfangs gewaschen mit allen (auch schmutzigen) Wassern von Punk und New Wave.

Foster ist spröde und zuweilen verschroben auf quasi britische Art, McLennan hat ein sonnigeres Gemüt. Daraus und aus den langen Jahren freundschaftlichen Zusammenraufens erwächst ein kreatives Spannungspotenzial wie einst bei Lennon und McCartney. Ein Vergleich, der kaum zu hoch greift. Es gibt derzeit keine besseren Songschreiber als die beiden aus Brisbane.

Auch Neuschöpfungen wie „Darlinghurst Nights“ oder „Boundary Rider“ sind samtig schimmernde, manchmal strahlende Huldigungen an kostbare Momente. Verweile doch, du bist so schön…

Die Songs treiben lebensgierig vorwärts oder driften melancholisch seitwärts, manche sind so wunderbar einleuchtend wie Kinderlieder. Und eine stärkere, nervösere Hymne aufs Stadtleben als „Here Comes a City“ gab’s schon lange nicht mehr.

• Weiterer Termin: 6. Juni, Bielefeld („Forum“).




Drogen, Sex und alte Meister – Werkschau des Comic-Zeichners Robert Crumb in Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. Seine rüden Bildergeschichten wimmeln von bekifften und sonstwie zugedröhnten Freaks, deren Köpfe zuweilen gar explodieren. Beängstigend dickbrüstige und wadenstramme Weiber werden in jeder denkbaren Stellung zu (willigen) Lustobjekten. Mit solchen Underground-Orgien, mit Figuren wie „Fritz the Cat“ und „Mr. Natural“, hat der US-Comiczeichner Robert Crumb seit den 1960er Jahren Berühmtheit erlangt. Jetzt gibt’s eine Werkschau des Berüchtigten im edlen Kölner Ludwig-Museum.

Crumb selbst, mittlerweile 60 Jahre alt, sieht das ganz gelassen: „Irgendwas müssen sie ja an ihre Wände hängen“, sagt er, als sei’s ihm wurscht. Überhaupt scheint er nicht an irdischen Gütern zu hängen – außer an diesen beiden: „Sex und gute Musik – das macht mich glücklich“, bekennt er in Köln. Glaubhaft versichert Crumb, er sei seit seiner katholisch geprägten, absurd verkorksten und verklemmten Jugend überaus sexbesessen. Wenn man seine Bilder sieht, hegt man daran keinerlei Zweifel.

Wucherungen im Welttheater

Die Ausstellung bietet mit ihren rund 200 Exponaten jedoch weitaus mehr als diese etwas platte Erkenntnis. Auch ein vermeintlich wilder Mann wie Crumb (der persönlich recht sanftmütig wirkt) hat künstlerische Wurzeln in der Hochkultur. Er selbst nennt Hieronymus Bosch, Pieter Breughel und Honoré Daumier. Tatsächlich haben die surreal-bizarren  Wucherungen seines amerikanischen Welttheaters einiges mit dieser Ahnengalerie gemein. Doch im direkten Vergleich mit solchen Größen möchte er sich denn doch nicht ausgestellt sehen. Als Antwort auf den Kölner Ausstellungstitel „Yeah, but is it Art?“ (Ja, aber ist es auch Kunst?) zuckt er nur die Achseln und murmelt: „I don’t know.“ Nie habe er beim Zeichnen an Museumswände gedacht, stets nur an gedruckte Heftchen.

Crumb hat aber beileibe nicht nur Comics geschaffen. Zahllose Skizzen, Zeichnungen er oder Entwürfe für Plattencover zeugen von manischer Produktivität – getreu seinem Motten „Wenn ich nicht zeichne, bin ich nichts.“ Erstaunliche Blätter Crumbs sind in Köln zu sehen, so etwa sehr präzise Hand-, Fuß- und Kopfstudien, wie aus den Ateliers der alten Meister. Wenn die Phantasie wirksam detonieren soll, braucht’s eine derart solide Grundlage.

Der Blick auf die Comics verändert sich im Kontext des Museums: Hier achtet man weniger auf die wüsten Inhalte und viel mehr auf Komposition, Strichführung, Licht- und Schattengebung. Bei näherem Hinsehen wird klar: Crumb, der erste Strips schon als Kind zu Papier brachte, beherrscht seine Mittel souverän.

Bürgerschreck oder erschrockener Bürger?

Und der Sex? Und die Drogen? Nun, Crumb zeigt all das drastisch und dynamisch genug. Doch tief in diesen Bildern stecken Angst und sogar Entrüstung. So hat er sich denn auch nie mit der Szene gemein gemacht, sondern sie aus der Halbdistanz beobachtet. Vielleicht trifft der alte Spruch vom Bürgerschreck zu, der eigentlich ein erschrockener Bürger ist. Wenn Crumb das Hippie-Gewoge und dessen Ausläufer darstellt, so immer auch die Nachtseiten: Orientierungsverlust und chaotische Verwahrlosung in schier schrankenloser „Freiheit“.

Erfolg und jeder Anflug von Käuflichkeit sind Robert Crumb verdächtig. So ließ er Fritz den Kater in der somit letzten Story kurzerhand sterben und den geschwätzigen Guru „Mr. Natural“ schließlich in einer Irrenanstalt verschwinden. Solches Loslassen hält wohl jung.

Robert Crumb: „Yeah, but is it Art?“ Köln, Museum Ludwig (am Hauptbahnhof). Bis 12. September. Di-Do und Sa/ So 10-18, Fr 11-18 Uhr. Eintritt 7,50 Euro. Katalog (sehr ratsam): 28 Euro.




Die Musik der Farben – Bildertausch auf Zeit: Köln zeigt Werke der Gruppe „Blauer Reiter“ aus München

Von Bernd Berke

Köln. Der Presseandrang war gestern nicht ganz so groß, als hätten Bayern München und der 1.FC Köln ihre Kicker ausgetauscht. Doch ein hochkarätiger Bilderwechsel zwischen den beiden Metropolen beschäftigt die Szene schon seit Wochen. Geradezu atemlos wurde jeweils vermeidet, welche Kunstschätze wann, wie, wo und warum auf die Reise gingen.

Nun ist es so weit: Fast 1000 Werke von Pablo Picasso hängen (aus Beständen des Kölner Ludwig Museums kommend) im Münchner Lenbachhaus. Und 65 sonst in München verwahrte Gemälde der legendären Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“ sind am Rhein zu sehen. Die Debatte wird nicht so bald verstummen: Offenbart der bloße Tausch schiere Ratlosigkeit, oder ist er kulturpolitisch beispielhaft?

Luftiger präsentiert als am angestammten Ort

Vergleicht man lediglich die Anzahl der Exponate, so muss man argwöhnen: Die Münchner haben die Kölner über den Tisch gezogen, fast wie beim Fingerhakeln. Doch zum Picasso-Konvolut zählen etliche kleinere Papierarbeiten, und außerdem kann man ästhetische Dinge ohnehin nicht aufrechnen.

Was also bietet Köln? Einen ordentlichen Querschnitt durch die Münchner Kollektion. Nicht jeder hiesige Kunstfreund fährt alleweil an die Isar. Was dort an farbigen Wänden hängt, wird in Köln auf keuschem Weiß und mit größeren Zwischenabständen präsentiert. Man kann sich also mehr aufs Einzelwerk konzentrieren als am angestammten Ort.

Such nach dem „Geistigen in der Kunst“

Den größten „Auftritt“ hat Wassily Kandinsky, doch auch Franz Marc, August Macke, Alexej Jawlensky und Gabriele Münter sind prominent vertreten. Münter war es, die 1957 dem Lenbachhaus ihren privaten Kunstbesitz vermachte – bis heute der Löwenanteil der Sammlung.

Die Gruppierung „Blauer Reiter“ war in Bayern verankert. 1908 zogen Kandinsky und seine Gefährtin Gabriele Münter nach Murnau ins Voralpenland. Jawlensky und seine Freundin Marianne von Werefkin gesellten sich hinzu. Kandinsky wurde zur nervös treibenden Kraft bei der Suche nach dem „Geistigen in der Kunst“. Freischwebend wie Musik sollten Farben „erklingen“.

1911 gab es die erste gemeinsame Ausstellung. Als Kandinsky sich 1914 von Munter trennte, zerfiel die Gruppe schon. Auch künstlerisch hatte man sich verschieden entwickelt.

Die stille Sensation ist Gabriele Münter

Bei Kandinsky kann man den Weg von russischen Folklore-Anklängen bis in die Abstraktion verfolgen. Von Marc sieht man postkartenberühmte, kristalline Tierbilder („Der Tiger“), von Jawlensky grelle, dann meditative Köpfe, von Macke jene anmutigen Szenen im Zoo und vorm Hutgeschäft.

Die stille Sensation aber ist: Gabriele Münter! Ihr Gestus bleibt bei allem Neuerungswillen unaufdringlich. Ihre Bilder sind psychologisch durchtränkt und inniglich dingfromm. Keine brachiale, sondern eine sanftmütig lächelnde Avantgarde.

Museum Ludwig, Köln. 13. März bis 27. Juni. Di bis Do und Sa/So 10-18, Fr 11-18 Uhr. Katalog 31 Euro.

 




Mitten hinein in ein strahlendes Hier und Jetzt – ein aufregendes Konzert der „Go-Betweens“ in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Also gut, lassen wir gleich den Superlativ-Hammer niedersausen: Robert Forster und Grant McLennan sind das beste Songschreiber-Duo seit den seligen Beatles-Zeiten von Lennon und McCartney. Wie bitte? Wer? Nun, die beiden Australier haben 1978 die Formation „The Go-Betweens“ gegründet, welche sich in wechselnden Besetzungen schon damals heimlichen Kultstatus sicherte.

Die zwei sind in den 90er Jahren getrennte Wege gegangen und haben anno 2000 wieder zusammengefunden. Seither steht man mit seinem Lob und Preis längst nicht mehr allein da. Die beiden Frontleute (jeweils Gitarre und Vocals) sind enorm gereift, doch nirgendwo erstarrt. Und eigentlich müssten ihre Ohrwurm-Songs wie „Surfing Magazines“, „Caroline and I“, „Magic“ oder „Make Her Day“ die Charts anführen.

Hochintelligent und auch textlich ausgefeilt

Schon jeder für sich hat exzellente Ideen, doch gemeinsam sind sie so ziemlich unschlagbar. Vor einer treuen Gemeinde aus ganz NRW gaben sie jetzt im Kölner Kulturzentrum „Kantine“ ein wahrhaft hinreißendes Konzert, vornehmlich mit einem Mix aus ihren frischesten CDs „The Friends of Rachel Worth“ und „Bright Yellow Bright Orange“, aber auch mit aufpolierten Klassikern wie „Bachelor Kisses“. Resultat: reichlich zwei Stunden mit etlichen Glücksmomenten. Selbst nach vier Zugaben hätte man am liebsten noch mehr Nachschlag bekommen.

Bei dieser hochintelligenten, auch textlich ausgefeilten Pop-Musik mit ihren durchaus eingängigen Rhythmen und doch subtilen Harmonien stehen gar manche Pate, die uns lieb und wert sind: Bob Dylan muss genannt werden, aber auch Beach Boys und Byrds und nicht zuletzt Lou Reed. Zwei Gitarren, Bass und Schlagzeug. Mehr braucht man im Grunde seit jeher nicht. In dieser klassisch-aufrichtigen Besetzung treten sie an. Der schlaksige Forster ist ein skeptisch-intellektueller Typus mit leicht verschrobener John-Cleese-Aura. („Monty Python“-Fans wissen Bescheid). Er sorgt wohl in erster Linie fürs Verhangene in Moll, für sanfte Bruchlinien und exquisite tonale Zwischenlagen.

Als Songschreiber kaum zu übertreffen

Das allein wäre prächtig genug. Doch nun geschieht das Wunderbare: Sobald Forster zu Bedenklichkeit tendiert und zu zögern droht, drängt ihn McLennan voran und immer voran – mitten hinein in ein strahlendes Hier und Jetzt. Dann erklingen glasklare Refrains mit fast kindlich anmutendem Optimismus; Hymnen, die einem nicht wieder aus dem Kopf gehen. Es ist keine blinde Zuversicht, die sich herrlich freie Luft verschafft, sie ist der Traurigkeit, dem Zweifel und der Düsternis abgewonnen. Mal betrübt, mal jubilierend – das volle Leben.

Weiterer Termin: 15. Mai, Bielefeld („Forum“)




Kraftlinien der Melancholie – Kunsthalle Bielefeld: Edvard Munch im Brennpunkt des Jahres 1912

Von Bernd Berke

Bielefeld. Magisch irrlichtert es in seinen nächtlichen Wäldem, Farben und Formen seiner Küstenlinien zeichnen schmerzvoll ganze Seelenlandschaften nach, und seine Menschenporträts verströmen eine ungeheure Aura. Edvard Munch (1863-1944) hat in seiner großen Zeit himmelweit über die sichtbare Welt hinaus gemalt.

Das Gros seiner Bilder ist heute im Munch-Museet zu Oslo versammelt. Dort trennt man sich nur äußerst ungern von den Schätzen, etliche Werke dürfen gar nicht mehr reisen. Es bedurfte der ganzen Übenedungsgabe des Bielefelder Kunsthallen-Leiters Thomas Kellein, um den beharrlichen Norwegern schließlich doch noch einige Hauptwerke zu entlocken. Somit konnte Kellein weitgehend sein Konzept umsetzen, Munchs wesentlichen Anteil an jener ruhmreichen Kölner ,Sonderbund“-Schau des Jahres 1912 zu rekonstruieren und sinnvoll zu ergänzen.

Vielfach angefeindete „Sonderbund“-Schau

Neben Vincent van Gogh, dem anno 1912 fünf Säle gewidmet waren, und Pablo Picasso, galt Munch seinerzeit als d i e Lichtgestalt der zeitgenössischen Kunst: Saal Nummer 20 in der eigens errichteten 5000-Quadratmeter-Halle erschien wie eine Apotheose, wie ein Zielbereich des gesamten Lehrpfades. Der Kulturkampf erzkonservativer Kreise gegen jeden „Modernismus“ spielte damals in die vielfach angefeindete Schau hinein, die zugleich Schneisen für den Durchbruch der deutschen Expressionisten schlug. Die leugneten es zwar zuweilen hartnäckig, doch wurden sie wohl allesamt von Munchs  Sogkraft erfasst.

Heute sind derlei „Schlachten“ längst geschlagen, und auch die Präsentation hat sich grundlegend gewandelt: Was damals dicht an dicht in Stellung gebracht wurde, hängt heute in so luftigen Distanzen, dass jedes Bild wie ein Individuum feierlich hervortritt. Der Adam-und-Eva Variation „Fruchtbarkeit“ (um 1894) bleibt sogar ein eigener Raum vorbehalten, der beinahe sakral wirkt.

Alkoholismus und seelische Wirrnis

Man sieht zudem die zutiefst melancholischen Darstellungen aus Munchs Frühzeit – etwa das bewegende Bildnis seiner finster verschatteten Schwester Laura, die viele Jahre in einer Psychiatrie zubrachte. Oder: Das formal verwandte „Selbstbildnis mit Weinflasche“ (1906), auf dem Munch in hilfloser Resignation verharrt.

1908 unterzog er sich einer Alkohol-Entziehungskur, an deren Ende er den gottgleich auftretenden Nervenarzt Daniel Jacobson malte. Eine Reihe monumentaler Männer-Porträts (im geistigen Gefolge von Nietzsches „Übermenschen“-Phantasien) zeugt von strotzendem Kraftkult. Frauen kamen in diesem Universum kaum noch vor. Vielleicht fand Munch sie allzu stark: Er fürchtete ihre erotische Verführungs- und Vernichtungskraft.

Nach der psychiatrischen Behandlung scheint zumindest die faszinierend düstere Seite der Schöpferkraft allmählich zu schwinden. Munchs Palette hellt sich auf, Dinge und Menschen scheinen nun weniger „beseelt“. Es breiten sich nordisches Licht und Ruhe aus. Darüber wird seit jeher gestritten: Mindert innerer Frieden die kreativen Kräfte?

24. Nov. 2002 bis 16. Feb. 2003. Tägl. außer Mo 11-18, Mi 11-21.Sa 10-18 Uhr. Katalog 18 Euro.




Marianne Faithfull: An den Bruchlinien des Lebens

Von Bernd Berke

Köln. Ganz in Schwarz gekleidet, betritt sie die Bühne. Seht her, eine Dame! Man könnte sie sich gut in einer distinguierten Hotel-Lobby vorstellen, wartend. Doch schon die Art, wie sie Mikrofon und Zigarette hält, lässt ahnen, dass sie nicht „damenhaft“, sondern glühend, verlangend und oft tragisch gelebt hat: Wir reden von Marianne Faithfull.

Die britische Sängerin, die jetzt im Kölner „E-Werk“ zumeist Songs ihrer neuen CD „Vagabond Ways“ vorstellte, ist eine Frau mit bitteren Erfahrungen. 1964, damals gerade 17 Jahre alt, war sie die Freundin von Mick Jagger und wurde unter den rüden „Rolling Stones“ als sexuelle Trophäe herumgereicht. Immer wieder verfiel sie seither der Drogensucht, doch sie kämpfte sich auch daraus hervor. Sie gehört wohl zu jenen, die eher vor Leidenschaft „verbrennen“ als sich zu bewahren.

All das klingt in ihrer rauchigen, brüchigen, oft aufgewühlten Stimme mit. Wenn sie von den „Wilder Shores of Love“ (Wildere Gestade der Liebe) erzählt, so ist bedrohliche Brandung zu spüren; wenn sie „I Feel Guilt“ (Ich fühle Schuld) haucht, so scheint sie tatsächlich tief verstrickt zu sein.

Die Begleitband arbeitet grundsolide und stellt sich ganz in den Dienste der Sängerin. Wie einfach die Harmonien der Titel auch gelegentlich klingen mögen, Marianne Faithfull macht stets das Besondere, von Erfahrung beglaubigte und Ungeglättete daraus.

Sie singt sozusagen an den Bruchlinien des Lebens entlang – von zerbrochener Liebe, geknickten Flügeln der Hoffnung, brüchiger Welt und letztlich auch von Fragmenten jener Freiheits-Wunschträume der 68er-Generation.

„Broken English“ heißt – gewiss nicht nur zufällig – einer ihrer besten Songs. Und es gibt diese starken Momente zwischen überfallartiger Traurigkeit, Aufbegehren, Trotz, Tapferkeit und plötzlichem Triumph. Beispielsweise, wenn sie die Fäuste ballt zu „Working Class Hero“.

Mit dem Publikum stellt sie sogleich eine vertraute, ja fast schon intime Beziehung her. „We love you, dear!“ ruft einer ihr spontan zu und spricht damit manchen aus der Seele. Ein Konzert kann wie eine Affäre sein. Doch diese hier ist denn doch ein wenig flüchtig, nicht unvergesslich. Dazu sind die ganz und gar innigen Momente etwas zu rar. Etliche Feinheiten ertrinken im Grundrauschen des Rock.

Gegen Schluss stimmt Marianne Faithfull den StonesKlassiker „As Tears Go By“ an. Es werden nicht die letzten Tränen gewesen sein.




Lustvoll kneten und naschen – New Yorks freche junge Kunstszene zu Gast im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. 17 000 Bilder in sechs Jahren hat der Amerikaner Stephen Keene gemalt. Der Fließband-Künstler ist reif fürs Buch der Rekorde. Wenn wir mal nur von Ziffern sprechen, so war – damit verglichen – der hochproduktive Picasso ein bedächtiger Mann. Keene bietet jedenfalls nur eine von vielen schrägen Attraktionen der Kunstschau „l Love New York“ im Museum Ludwig.

Dem 41jährigen Rasanz-Künstler aus der zumeist haßgeliebten US-Metropole kann man in Köln live bei der Arbeit zuschauen. Fertige Sperrholz-Bilder werden, kaum daß sie trocken sind, gleich ans Publikum verkauft: zu Spottpreisen von 3 bis 5 DM, je nach Größe; solange der Vorrat reicht.

Die witzige Attacke auf Wertmaßstäbe des Kunstmarktes deutet schon auf einen Kern der Ausstellung hin: Maßstäbe werden in der jungen New Yorker Szene (hier: 28 Künstler) kaum noch angepeilt. Bar jeder Ideologie und meist ganz entspannt im Hier und Jetzt, sprengt man Medien- und Gattungsgrenzen, wirbelt man Stile und Niveaus, Ernst und Entertainment kunterbunt durcheinander.

Museumsdirektor Jochen Potter nennt diese Kreuzungen – ganz flott – „Crossover“. Tatsache ist: Etliche Exponate haben Jahrmarkts- oder sogar Rummelplatz-Charakter. Man fühlt sich animiert, nimmt aber vielfach nur flüchtige Eindrücke mit. Eine Kunstschau für die Videoclip-Generation.

Hinein geht’s über eine flackernde Disco-Treppe

Die so gar nicht weihevollen Hallen betritt man über eine Disco-Treppe mit Flackerlichtern in den Stufen. Durch diese Arbeit von Piotr Uklanski auf „Hully-Gully“ eingestimmt, darf man ums nächste Eck auf Stühlen Platz nehmen, sich Kopfhörer überstülpen und lustbetont in rosaroter Modelliermasse kneten. „Body Study Center“ (Zentrum für Körperstudien) nennt Charles Long seine Installation.

Dermaßen auf leibhaftigen Zugang zur Kunst konditioniert, wundert man sich kaum noch, wenn man sich in Jack Piersons nachgebautem Striptease-Lokal unversehens auf der Bühne wiederfindet. Bekleidet, versteht sich wohl. Man staunt auch nur noch begrenzt, wenn man in Mark Dions marktschreierisch angekündigtem Schaustellerzelt („Zoologisches Wunder!“) ein absurd konstruiertes Tiergerippe aus Kuhrumpf und Bärenkopf besichtigte. Wer neugierig hineingeht, hat sich selbst als Voyeur entlarvt, der sich am Bizarren ergötzen will.

Also schämt man sich ein wenig. Doch schon steht man – wie zum Trost – vor einem Hügel golden eingewickelter Bonbons („Placebo II“ von Felix Gonzalez-Torres). Man soll davon naschen, auf daß das Kunstwerk allmählich schrumpfe und Schwund-Melancholie freisetze. Wenige Meter weiter erlebt man das Gegenteil von Schwund: Ein machtvoller Dinosaurier (Thom Merricks Schöpfung) versperrt, fast bis zum Platzen mit Luft vollgepumpt, einen Durchgang. Putzig.

Irgendwann ist man aber doch dankbar, daß die Ausstellung auch stille Momente be- schert. Die gebürtige Japanerin Mariko Mori entwirft die wandfüllende Vision eines Zauberwaldes mit Feen und asiatischen Schriftzeichen. Jessica Stockholder erzeugt sanfte Energiefelder zwischen textilen Dingen des Alltags. Der aus Jamaika stammende Nari Ward verstreut Dutzende geschnürter Bündel, die Brandspuren tragen und karge Habseligkeiten enthalten. Stillleben in Zeiten der Apokalypse.

Auch die Popmusik-Stars David Bowie und Laurie Anderson zählen hier zu den „Stillen im Lande“. Ihre Zeichnungen sind bei gemeinsamen Telefonaten entstanden. Beide sagen, es sei „Telepathie“ im Spiele gewesen. Nun ja. Jedenfalls haben sie schön reduzierte Rebus-Rätselbilder gekritzelt.

Museum Ludwig, Köln. Bis 31. Januar 1999. Di 10-20, Mi bis Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 38 DM.




Als das „Milljöh“ noch frisch und lebendig war – Zeichnungen von Heinrich Zille im Kölner Kollwitz-Museum

Von Bernd Berke

Köln. Über Heinrich Zille rümpfen viele Kunstkenner die feinen Nasen.Gar zu lieblich erscheinen aus heutiger viele seiner „Milljöh“-Studien.

So kommt es.‘ daß weite Teile seines populären Werkes nicht in Museen vorgezeigt werden, sondern in Privatsammlungen vor sich hin schlummern. Das Kölner Kollwitz-Museum macht nun eine Ausnahme und holt rund 180 Zille-Zeichnungen aus solchem Schattendasein.

Zilles Gesamtwerk war für Jahrzehnte schmerzlich halbiert, die Bestände fast zu gleichen Teilen auf den Osten und Westen Deutschlands verstreut. Seit der Vereinigung ist der umfassende Zugang problemlos möglich. Davon profitiert auch die im Hannoveraner Wilhelm-Busch-Museum getroffene Auswahl, die Köln in konzentrierter Form erreicht und die einmal wieder den Zeichner würdigt. Zuletzt waren weitaus häufiger Zilles Fotografien gezeigt worden.

Besonderes Augenmerk gilt hier nicht den detailliert ausgeführten Arbeiten, sondern den meist vor Ort entstandenen, flüchtigen Skizzen, also der noch ganz lebensfrischen Phase im Werkprozeß.

Zudem sind vorwiegend Arbeiten der Jahrhundertwende zu sehen. Später, nach dem Ersten Weltkrieg, produzierte Zille praktisch nur noch en masse für Illustrierte – in eingefahrenen Bahnen, mit ausformulierten bildnerischen Floskeln und einem recht starren Typen-Arsenal.

Deftiges Treiben in Kneipen und Schaubuden

Den Skizzen aber sieht man noch an, dass der künstlerische Autodidakt Zille einen wachen Sinn für bildkräftige Situationen und knorrige Charaktere hatte. Es macht den Reiz dieser Ideenfindungen aus, daß sie eben noch nicht so pittoresk und pausbäckig wirken wie so viele „fertige“ Bilder.

Zille interessierte sich vor allem fürs deftige Treiben in proletarischen Kneipen („Budiken“), billigen Varietés und lärmerfüllten Schaubuden. In den Vierteln der armen Leute erschrak er über unvorstellbar beengte und schmutzige Lebensverhältnisse. Mit seiner Lithographie-Serie „Des Lebens satt“ (um 1899) wies er auf eine erschütternde Folge der desolaten Zustände hin: Manche Menschen sehen keinen Sinn mehr und wollen nur noch „ins Wasser gehen“. Ein kleines Mädchen versucht verzweifelt, die Mutter vom Sprung von der Spree-Brücke abzuhalten. Ein Aufschrei. Solchen Bildern merkt man das ratlose Mitleiden an.

„Fleischkrieg in der Markthalle“ (um 1908) zeigt den Ansturm der Mittellosen auf die Metzgerstände. Ein spektakuläres, nahezu filmreifes Bild. Gelegentlich verwendet Zille auch Extremformate bis hin zu einer Vorwegnahme der Breitwand. Das Elend in „Cinemascope“…

Angesichts der Kölner Bilder ahnt man es schon hie und da, im späteren Werk wird es überhand nehmen: Zilles Bilder sind gelegentlich so überschaubar „erzählerisch“ angelegt, daß man sie der wackeren Gebrauchskunst zurechnen muß. Da bleibt kaum ein Rätsel mehr übrig und somit auch kein Zauber, sondern manchmal nur noch folkloristische Ver-kitschung.

Die so bitter notwendige, nüchterne Feststellung der Tatsachen scheint schließlich eine Art selbstzufriedener Resignation sich zu ziehen: Seht her, so sieht sie aus, unsere niedliche Not! Veränderbar erscheinen die geschilderten Verhältnisse jedenfalls nicht mehr.

Heinrich Zille. Bis 5. April im Kollwitz-Museum, Köln, Neumarkt 18-24 (Neumarkt-Passage). Tel. 0221/227-2363. Öffnungszeiten: Di-So 10-17 Uhr, Do 10-20 Uhr, Mo geschlossen. Katalog 48 DM.

 




Aus kleinen Punkten entsteht die Welt – Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt Werke der Pointillisten

Von Bernd Berke

Köln. Augenflimmern garantiert: Um unendlich viele kleine Punkte dreht sich jetzt alles im Wallraf-Richartz-Museum. Denn die Künstler des Pointillismus (von französisch „Le Point“ – der Punkt) haben ihre Bilderwelten just aus lauter Farb-Fleckchen erzeugt. Anreger dieses Stils war Georges Seurat. Er hatte sich im langweiligen Militärdienst Anfang der 1880er Jahre mit Physik-Büchern eingedeckt und aus der Lektüre weitreichende Schlüsse für die Malerei gezogen.

Die Farben, so befand Seurat, dürften nicht flächig und vermischt aufs Bild gelangen, sondern müßten – ewigen optischen Gesetzen folgend – in ihre Bestandteile zerlegt werden, in Punkte aus „reinen“ Farbwerten. Der sinnliche Gesamteindruck werde sich dann in der Wahrnehmung des Betrachters ergeben.

„Auf den Spuren von Georges Seurat“ heißt die Kölner Schau. Mal ehrlich: Von Seurat selbst findet man hier weit weniger als von seinen Spuren. Am eigentlichen Seurat-Eckchen ist man vorüber, ehe man sich’s versieht. Zehn Kleinstformate, flirrende Landschaften vor allem – das war’s auch schon. Vier weitere Bilder werden nach Abschluß der Londoner Seurat-Retrospektive hinzukommen. doch auch das ist nicht die Welt. Seine Gemälde, so heißt es in Köln, seien schwerer zu leihen als die von Rembrandt oder Van Gogh, manche Museen hätten die Meisterwerke regelrecht an ihren Wänden „festgenagelt“.

Günstige Orte und Wetterlagen

Gleichwohl hat die Präsentation respektablen Umfang. 174 Bilder sind zu sehen, vorwiegend aus den Jahren 1887 bis 1895. Manche Werke lassen sich nur entfernt mit dem Pointillismus in Verbindung bringen, sie wirken wie willkommene oder auch überflüssige Zugaben – je nachdem. 47 Künstler sind vertreten, einige dürften nicht einmal Experten ein Begriff sein. Entdeckungen sind also möglich. Eines der schönsten Bilder – zärtliche Rückenansicht einer jungen blonden Frau – stammt gar von einem gänzlich „unbekannten Künstler“.

Doch auch Berühmtheiten haben sich zumindest zeitweise mit dem Pointillismus befaßt: Maurice Denis zeigte seine friedsame Familie in feinstens gepunkteter Kleidung, Vincent van Gogh fing einen Augenblick nervösen Aufflammens der Natur ein („Aprikosenbäume in Blüte“), Henri Matisse wendete die Punkte-Technik aufs Genre des Stillebens an, und sogar Paul Gauguin, dem dieser kleinteilige Stil eigentlich wesensfremd war, bediente sich seiner in einer kurzen Phase.

Es gibt ersichtlich besonders günstige Orte, Jahreszeiten und Wetterlagen für den Pointillismus, der sich aus der Freilichtmalerei der Impressionisten entwickelt hat: Das Frühlingsblühen gehört allemal dazu, aber auch Nebelschwaden über Meeren und Flüssen, Lichtspiegelungen auf Wogen und Wellen – Momente also, in denen sich die Farben sowieso aufzulösen scheinen. Baumblätter und Wasser werden zuweilen von ein und demselben Flimmern erfaßt – ein Schritt zum Abschied vom konkreten Gegenstand. Hier hat dieser Stil neue Horizonte des Sehens erschlossen. Für Stadt- und Arbeitswelten war er hingegen einfach nicht „zuständig“.

In Deutschland blieb der Stil Nebensache

Von Paul Signac, der nach Seurats Tod den Pointillisten als Großmeister galt, sind etliche Spitzenstücke zu sehen. In der Münsteraner Werkschau war Signac allerdings unlängst noch umfassender vorgestellt worden. Raumbeherrschend in Köln sein Idyll „In der Zeit der Harmonie“ (1894/95), ein Vorläufer des Jugendstils: Girlanden spielender und tanzender Menschen winden sich durch eine utopisch-ideale Landschaft, Mensch und Natur sind aufs Schönste vereint.

In Deutschland blieb der Pointillismus Episode. Der Hagener Mäzen Karl-Ernst Ostbaus war einer der wenigen, die die Bedeutung erkannten. Seine Empfehlung regte Christian Rohlfs an, die Lichtstreuung rund um die „Türme von Soest“ im Ansatz pointillistisch darzustellen; aber nicht nach der reinen Lehre, sondern mit strichförmig gerichteten Farbpartikeln, die schon auf den Expressionismus vorausweisen.

„Pointillismus -Auf den Spuren von Georges Seurat“. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (am Hauptbahnhof). Bis 30. November. Di 10.20 Uhr; Mi-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 13 DM, Katalog 56 DM.




Wo man fürs Theater den roten Teppich ausrollt – „Helios“-Truppe zieht von Köln nach Hamm

Von Bernd Berke

Hamm. Ein kultureller Vorgang von Seltenheitswert: Da siedelt eine Bühne aus der Metropole Köln an den östlichen Rand des Reviers um und wird im bisher theaterlosen Hamm bald über eine eigene Spielstätte verfügen.

Die Rede ist vom „Helios“-Theater, benannt nach dem altgriechischen Sonnengott. In Köln hielt es die 14köpfige Truppe nicht mehr, weil sie inmitten der kulturellen Fülle am Rhein nicht mehr sonderlich auffiel und weil, so findet „Helios“-Chefin Barbara Kölling, die dortige Kommunalpolitik den freien Theatern kein gutes Pflaster bereite.

Ganz anders in der Provinz. In Hamm, wo bislang nur Tourneebühnen Station machten, rollt man den „Helios‘-Leuten, allesamt ausgebildete Profis, den roten Teppich aus und behandelt sie fast wie ein Stadttheater. Durch Umschichtungen im Etat gelang das Kunststück: 100.000 DM pro Jahr, etwa ein Viertel des Gesamtbedarfs, erhält die Gruppe von der Kommune, die zudem den VHS-Bürgersaal theatertauglich umbaut. Hinzu kommen Landeszuschüsse und Sponsorengeld.

„Helios“ soll in Hamm pro Jahr zwei bis drei Premieren herausbringen und künftig von hier aus Gastspiel-Tourneen starten. Enge Kooperation ist mit den Städten Unna, Kamen und Lünen vorgesehen, aber auch Arnsberg zählt zur Dauerkundschaft. Mit derlei Regionalbezug sieht man sich selbst gar als „Modellfall (Kölling), was auch die Geldgeber beim Land zur Großzügigkeit bewogen habe. Dazu beigetragen hat wohl auch der Ruf der Gruppe, die bei etlichen Festivals (wie etwa dem Dortmunder „Theaterzwang“) aufgetreten ist.

Weil die „Helios“-Produktionen landes- und bundesweit offeriert werden, konkurriert die Gruppe direkt mit dem Westfälischen Landestheater (WLT), das seine Fäden von Castrop-Rauxel aus zieht. Und was wird bei „Helios“ gespielt? Vorzugsweise eine eigenwillige Mischung aus (zumeist selbstverfaßten) Texten, Tanz und Musik. Für Kinder hat man stets etwas im Angebot. Doch die neueste Eigenschöpfung handelt von einer „starken Frau“ der Historie, der Nobelpreisträgerin Marie Curie. Die Hammer Premiere am 1. März ist bereits ausverkauft. Ein gutes Omen.

Infos/Karten: Kulturamt Hamm 02381 / 17 55 55.

 




Suche nach der höheren Wahrheit – Werkschau über Kasimir Malewitsch im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. Ganz eigene Wege geht die Kunst, mit Polit-Floskeln ist sie nicht zu begreifen. Kann man ein Gemälde schlankweg „konservativ“ oder „fortschrittlich“ nennen? Nein. Auch die Werke von Kasimir Malewitsch (1878-1933) lassen ahnen, wie sehr solche Worte ins mehrdeutige Flimmern geraten müssen.

Malewitsch gilt als Heros der Moderne. Mit seinem aus geometrischen Elementen gefügten, sogenannten Suprematismus wollte er von einer „höheren“ Wahrheit hinter der sichtbaren Wirklichkeit künden. Doch eine famose Werkschau im Kölner Ludwig-Museum untermauert jetzt die These, daß Malewitsch dabei aus uralten Quellen schöpfte: Er orientierte sich am Bildaufbau und am Farbschema frommer russischer Ikonen.

Szenen aus dem einfachen Leben

In seiner Frühzeit hatte der in Kiew geborene Künstler nahezu alle gängigen Stile erprobt. Um 1903 gefiel er als Impressionist und malte belebte Prachtboulevards. Zwischendurch gab er sich als ätherischer Symbolist oder wob Jugendstil-Ornamente. Dann wieder gestaltete er Szenen des einfachen Lebens und der frohen Tätigkeit („Dielenbohnerer“, 1911).

Der Umschwung vollzieht sich, als Malewitsch Bühnenbild und Kostüme für die Oper „Sieg über die Sonne“ (1913) entwirft. Seine futuristischen Szenen-Phantasien entspringen dem Geist der Geschwindigkeit und der Geometrie, sie sind entschieden stilisiert und typisiert, ebenso wie die Figurinen, also die Gestalt-Umrisse der Darsteller. Es tritt auf: der wie im Windkanal funktionsgerecht umgeformte Mensch des technischen Zeitalters. Im Gefolge der Sowjet-Revolution stand solcher Umbau des Körpers dann vollends für utopische Heilserwartung.

Als Formexperimente verpönt waren

Auch Malewitsch, ansonsten ein höchst eigensinniger Mensch, läßt sich von der revolutionären Stimmung mitreißen. Er glaubt – wie so viele andere – den Zeitgeist mitlenken zu können. Welch eine fatale Illusion! Offiziell erwünscht waren zunehmend der „Sozialistische Realismus“ und die Glorifizierung heldenhafter Proletarier, verpönt die Form-Experimente.

Doch in den frühen 20er Jahren hat Malewitsch noch Gelegenheit, sein Formenvokabular aus Kreuzen, einfarbigen Quadraten, Ellipsen und Rechtecken durchzubuchstabieren. Wieder und wieder dreht und wendete er solche Elemente, gruppiert sie immer neu. Kunst aus dem Baukasten.

Zurück zu den Anfängen

Wirklich aufregend wird die Schau mit dem Spätwerk Malewitschs. 1927 hatte er die einzige Auslandsreise seines Lebens, die ihn nach Berlin führte, aus bis heute ungeklärten Umständen abgebrochen und war nach Moskau zurückgekehrt. Große Teile seines Werkes ließ er an der Spree zurück. Wollte Malewitsch diesen Verlust vielleicht wettmachen, indem er malerisch zu seiner Frühzeit zurückkehrte und Bilder bäuerlichen Lebens malte? Und: War die Wiederkehr der Gegenständlichkeit am Ende konservativ oder progressiv?

Was den Kunsthistorikern zu schaffen macht: Malewitsch datierte diese Arbeiten listig auf den Beginn des Jahrhunderts zurück. So tragen sie denn auch in Köln teilweise ratlose Aufschriften wie „Schnitterinnen – 1909/10 o d e r nach 1927.

Verblüffend die Kombinatorik, mit der Malewitsch nun die Richtungen zusammenzwingt: So vereint er Porträts im Renaissance-Stil mit grell modernistisch leuchtenden Grundfarben. Bemerkenswert auch jene gesichtslosen Wesen, die wie Schneiderpuppen aussehen. Man könnte sie heute gar als Kritik am anonym gewordenen sozialistischen Menschen verstehen. Doch falls der Künstler es so gemeint hat, hat er seine Absicht gut maskiert…

Bis 28. Januar im Museum Ludwig, Köln (am Dom). Di.-Fr. 10-18Uhr, Sa./So. 11-18. Mo. geschlossen. Katalog: 48 DM.




Verwehtes Menschenbild – Köln: Umfassender Querschnitt durch die Sammlungen des Peter Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. Es läßt sich kaum ein Ausstellungs-Titel denken, der mehr ins Allgemeine spielt: „Unser Jahrhundert: Menschenbilder – Bilderwelten“. Unmöglich ist’s eben, die freischwebende Moderne mit allseits treffenden Schlagworten zu fassen. Auch um diese irritierende Vielfalt geht es jetzt in Köln, wo ein Querschnitt durch die famosen Sammlungen des Mäzens Peter Ludwig zu sehen ist.

Der gerade 70 Jahre alt gewordene Aachener Schoko-Magnat und promovierte Kunsthistoriker hat bekanntlich Bilder derart angehäuft, daß er sie auf ein ganze Kette von Museen verteilen konnte. Eine Essenz der Sektionen Gegenwart und jüngere Vergangenheit ist nun also vorübergehend an einem Ort beisammen. Die Leihgaben kommen aus den Ludwig-Museen in Oberhausen, Aachen, Koblenz, Wien, Budapest und St. Petersburg. Kölns Museum Ludwig steuert den Kernbestand bei und gibt die wohl unwiederbringliche Gelegenheit zur bündigen Gesamtschau.

„Ikonen“ der neuesten Zeit

Was Umfang und Anspruch betrifft, ist die Ausstellung mit Kölner Mammut-Unternehmungen der 80er Jahre („Westkunst“, „Bilderstreit“) vergleichbar. Auf den Kataloglisten finden sich 124 Künstlernamen aus 20 Ländern. 230 Arbeiten nahezu aller Größen des Jahrhunderts – von Picasso und Duchamp bis Warhol und Beuys – füllen die Räume. Besonders aus der Zeit nach 1945 enthält die Kollektion etliche „Ikonen“ wie die Suppendosen und Marilyn-Bildnisse des Andy Warhol oder die Monumental-Comics des Roy Lichtenstein. Die Auswahl wirkt, zumal auf dem Felde der Pop-Art, beinahe lexikalisch, hat aber auch aus dem Kreis derer zu Baselitz, Immendorff und Kiefer Spitzenstücke zu bieten.

Man mag den Kölner Museumsleuten vorhalten, sie hätten manches gar zu eng plaziert, so daß die Aura einzelner Werke leidet. Andererseits ergeben sich im dichten „Gewühl“ aufschlußreiche Gleich- und Gegen-Klänge. Da geraten etwa die gemalten bzw. gebauten Maschinenwelten eines Jean Tinguely und eines Konrad Klapheck ins optische Zwiegespräch, und der selbstironische Machismo eines Francis Picabia („Die spanische Nacht“, 1922) findet seine bonbonbunte Fortführung in Jeff Koons‘ Skulptur „Jeff and Ilona“ (1990), die den Künstler mit seiner Ex-Ehefrau, der früheren Porno-Darstellerin Ilona Staller, in flagranti auf dem Liebeslager zeigt.

Es lassen sich auch Leitlinien ziehen. Beispielsweise das Verwehen des herkömmlichen individualistischen Menschenbildes, etwa in seriellen Reihungen oder unter mikroskopisch-eindringlichen Künstlerblicken. Der Einzelne taucht im großen Ganzen unter oder löst sich (seit dem Kubismus) bildlich zur Collage anatomischer Teile auf.

Die Lockungen der Oberfläche

Die Lockungen glänzender Oberflächen und etwaige Untiefen dahinter sind ein weiteres Leitthema. Sie zeigen sich etwa in den hyperrealistischen Verspiegelungen der Wirklichkeit oder in der Pop-Art, die die zwiespältigen Genüsse der Konsumwelt feiert. Wenn freilich Christo, der’s damals noch ein paar Nummern kleiner gemacht hat, anno 1963 eine Rechenmaschine in Plastikfolie einwickelte, so war das eben noch keine Verhüllung, sondern wohl zorniges Packen – eine Geste gegen den Plunder der Zivilisation.

Entdeckung der Schau sind die jüngsten Erwerbungen des Peter Ludwig, der sich neuerdings vehement der chinesischen Kunst zuwendet. Zu nennen wären Fang Lijuns schmerzlich fratzenhafte „Gruppe 2″ und Huang Yongpings „Kiosk“ mit einem Papierbrei aus alten Zeitungen als Sinnbild der Vergänglichkeit. Es sind dies Bilder wie lang unterdrückte Aufschreie. China, so scheint es hier, schließt rasant zur Weltkunst auf.

„Menschenbilder – Bilderwelten“. Museum Ludwig, Köln (direkt am Dom). Bis 8. Oktober. Di-Fr 10-18. Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 13 DM. Katalog 49 DM.




Ein Maler sucht die himmlischen Sphären – Werkschau über Maurice Denis in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Hochmodern sein und zugleich lammfromm – ob sich das wohl vereinbaren läßt? Der französische Künstler Maurice Denis (1870-1943) hat es zumindest nach Kräften versucht. Mit avantgardistischen Mitteln hat er religiöse Visionen auf Leinwand und Zeichenpapier gebracht – fast wie ein mittelalterlicher Meister. Das Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt nun die größte deutsche Retrospektive seit Jahrzehnten.

„Mädchen, die Engeln gleichen“ heißt ein Bild von 1892. Es ist ein programmatischer Titel. Denn Denis bezieht Motive aus seiner unmittelbaren Umgebung, lädt sie aber mit christlicher Inbrunst dermaßen auf, daß sie sich (auch farblich) ins Ätherische und Durchsichtige verflüchtigen. So werden aus Mädchen gläserne, hauchzarte Wesen mit Hang zum Höheren, nicht mehr so recht von dieser Welt.

Sind’s zur Heiligkeit aufgestiegene Menschen oder zur Erde herabgestiegene Himmelsbewohnerinnen? Mal dies. mal jenes. Am spannendsten sind jedenfalls die Bilder, mit denen Denis die Mitte zwischen beiden Sphären findet. Dann gehen Sehertum und künstlerischer Zukunftsdrang tatsächlich eine enge Verbindung ein.

Eine Labsal für Konservative

Die Bibel ist allgegenwärtig: Malt Denis einen Weinberg, so ist es allemal der Weinberg des Herrn; zeigt er eine Frau mit einem Fisch in der Hand, so ist wohl unterschwellig die wundersame Speisung der Fünftausend mitgemeint.

Konservativen Gemütern dürfte diese Ausstellung eine Labsal sein. Denn hier werden die rechtgläubigen Mysterien ausgiebig gefeiert – mit allen Heiligen, Seligen, Priestern und braven Chorknaben. Auch die gute alte Kleinfamilie wird als Keimzelle des guten Lebens nahezu vergöttert.

Doch Maurice Denis bediente sich keiner altbackenen Mittel. Inhaltlich orientiert er sich zwar an Vorbildern wie Fra Angelico. Doch im Spannungsfeld zwischen Jugendstil und Symbolismus, im Gefolge von Paul Gauguin und angeregt von japanischer Kunst, verwendet Denis auch extreme Bildformate, riskiert kühne Ausschnitte und setzt vor allem die Farben so frei ein wie Gefühle. Berühmt sein Satz, daß ein Bild, noch bevor es „eine nackte Frau oder irgendeine Anekdote darstellt – vor allen Dingen eine Fläche ist, die mit (…) Farben bedeckt ist.“

Die mystische Ernte einbringen

So kommt es, daß übersinnlich-grünliche Schatten auf die Gesichter der Mädchen geraten. Daß Farben so gründlich ausbleichen, als wollten sie sich ins Nichts auflösen. Menschen und Dinge sind nicht mehr sie selbst, sie werden – auf einem Bild ganz ausdrücklich – geradezu mondsüchtig, fügen sich zu schwerelosen Reigen. So bringt Denis die „Mystische Ernte“ (Werktitel) ein. Phasenweise ist es ein einziges großes Offenbaren, Erwählen und Erwecken. Auch künstlerisch gehörte Denis ja einer Gruppierung an, die sich „Nabis“ (Propheten) nannte und Kult mit sich trieb.

Das Übermaß an Frömmigkeit wirkt beim Rundgang nicht nur erhebend, sondern manchmal auch erdrückend. Da freut man sich richtig, wenn man gewahr wird, daß Denis sich zuweilen auch mal einige verschmitzte Bilder gestattete. Beim Malen seiner Bade- und Strandszenen scheint er sich von den Anstrengungen und Prüfungen des Glaubens erholt zu haben.

Maurice Denis. Werkschau. Köln, Wallraf-Richartz-Museum (am Hauptbahnhof). Bis 2. April. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 10 DM. Katalog 49 DM.




Die Kunst des Kaufens – „Art Cologne“ mit 323 Galerien aus 22 Ländern

Von Bernd Berke

Köln. Bündigen Bescheid gab die Dortmunder Galerie Utermann den Veranstaltern der Kölner Kunstmesse „Art Cologne“. Die hatten wissen wollen. was die Teilnehmer der Messe erwarten. Utermanns Antwort: „Neue Kontakte. Gute Geschäfte.“ Das dürfte im Kern für alle 323 Galerien aus 22 Ländern gelten, die diesmal dabei sind.

Utermann kann tatsächlich auf ein besonders gutes Geschäft hoffen, hat man doch eines der spektakulärsten Angebote parat, nämlich vier Jahresmappen der expressionistischen Künstlergruppe „Brücke“ (Heckel, Kirchner u. a.) aus den Jahren 1909-1912 – eine Rarität sondergleichen. So haben sich, dem Vernehmen nach, auch schon ein US-Museum und ein solventer Privatsammler dafür interessiert. Nach Möglichkeit sollen die Mappen nur komplett veräußert werden. Der Preis soll sich nahe der Ein-Millionen-Grenze bewegen. Die Blätter sollen nicht sofort an den Käufer ausgehändigt, sondern zuvor noch in Dortmund gezeigt werden.

Wahrend Utermann und die Galerie Friedrich die Dortmunder Farben vertreten, ist aus ganz Südwestfalen nur eine einzige Galerie präsent, nämlich Friebe aus Lüdenscheid. Erst 1989 gegründet, hat diese Galerie seit drei Jahren ihren Platz auf der „Art Cologne“ und spürt längst die wohltuende Werbewirkung. Denn seither hat man einen Bekanntheitsgrad erlangt, der auch schon mal Käufer aus München oder Hamburg ins Sauerland pilgern läßt. Auch Friebe lockt mit recht prominenten Künstlernamen, so etwa Reiner Ruthenbeck oder Raimund Girke. Bis zu 30000 DM pro Arbeit kann man hier ausgeben, kleinere Stücke kommen deutlich billiger.

Kritik an den Kriterien ruhiggestellt

Überhaupt lohnt ein Messebesuch auch dann, wenn man nicht mit prallem Portefeuille gesegnet ist. Die preiswertesten Stücke sind für rund 100 bis 200 DM zu haben. Dafür freilich kann man keine berühmten Namen erwarten, sondern muß auf Spürsinn setzen. Das war ja schon früher so. Hätte man etwa vor vielen, vielen Jahren ein kleineres Format des Hagener Künstlers Emil Schumacher günstig erworben, so würde man heute freudig Preise um 200 000 DM registrieren, wie sie jetzt auf der Messe verlangt werden. Immerhin: Eine Farblithographie des auch nicht ganz unbekannten E. W. Nay schlägt bei Vömel (Düsseldorf) mit „nur“ 2500 Mark zu Buche.

Der Bundesverband Deutscher Galerien e. V., Veranstalter der „ArtCologne“, hat diesmal zu einem probaten Mittel gegriffen, Kritik im Keime ruhigzustellen. Hatten sich noch im Vorjahr – unter dem anklagenden Titel „Unfair“ – einige „aus Qualitätsgründen“ abgelehnte Galeristen separat vorgestellt, so dürfen sie diesmal mitmachen.

Fast schon vergessen ist der Streit um die Teilnahme der Galerie Gabrielle Pizzi (Melbourne), die u. a. Kunst australischer Ureinwohner (Aborigenes) offeriert. Ursprünglich hatte der Galerienverband den Australiern eine Absage erteilt, weil die Aborigine-Bilder eher Folklore denn Kunst seien. Daraufhin wurde gar der Vorwurf des Rassismus laut. Nun ist Pizzi dabei, weil – so die geschickte Wendung der Veranstalter – die australische Auswahl erheblich besser sei als 1993. Bloß keinen Streit riskieren. Es könnte die Geschäfte stören.

„Art Cologne“ – 28. Internationaler Kunstmarkt. Köln-Deutz, Messegelände (Hallen 1, 2, 3 und 5. Vom 10. bis 16. November; tägl. 11-20 Uhr. Tageskarte 15 DM, Messekatalog 15 DM.




Segen von oben – „Pink Floyd“ im Müngersdorfer Stadion

Von Bernd Berke

Köln. Sind dies Töne vom Anbeginn der Schöpfung oder aus der Zukunft? Es puckert, wummert, wabert und vibriert – und ist doch pralle Gegenwart in einer lauen Sommernacht am Rhein: „Pink Floyd“ spielt im ausverkauften Müngersdorfer Stadion.

Die leicht ergrauten Herren David Gilmour (Gitarre), Nick Mason (Drums) und Richard Wright (Keyboard), verstärkt um einige exzellente Begleitmusiker und drei gesangsstarke Tanzgirls, sind natürlich nicht einfach eine Rock-Band. „Pink Floyd“ läßt sich mal wieder – von ganzen Heerscharen hinter den Kulissen – überaus machtvoll in Szene setzen. Ihr Auftritt gleicht einer gigantischen Liturgie, dementsprechend ergriffen nehmen die 65.000 Leute ihn entgegen. So gesehen, könnten die vielen Wunderkerzen und Feuerzeuge eigentlich die ganze Zeit über leuchten. Die Musik richtet sich gar nicht unmittelbar ans Publikum, sie schwebt von hoch oben auf die Zuhörer herab, als sei sie eine Segnung.

Die Gruppe und ihre ausufernden Gerätschaften sind in einer riesigen Bühnen-Muschel geborgen, in deren Zentrum eine Scheibe wie das Auge eines höheren Wesens starrt – sie wird zur Projektionsfläche für allerlei wahnwitzige Video-Schnipsel und gleichsam interplanetarisches Flackern, dazu schießen Batterien von Laserkanonen ihre grellbunten Ladungen in den Himmel.

Am Schluß des Konzerts senkt sich der Lichtkreis wie ein Heiligenschein über die Musiker. Sie servieren (immerhin von 21 Uhr bis kurz vor Mitternacht) eine ausgetüftelte Mischung aus alten Songs und aus ihrer neuen Platte „The Division Bell“. Droht der Spannungsbogen einmal wirklich abzuflachen, werfen sie sogleich einen Klassiker in die Bresche.

Kühle Kontrolle über die Technik

Gipfel im zweiten Teil des Konzerts: „Wish You Were Here“, dessen Anfangs-Akkorde wundersam durch die Nacht gleiten und dann volltönend anschwellen. Und dann selbstverständlich jene Hymne aus „The Wall“, mit der unsterblichen Zeile „We don’t need no Education“ (Wir brauchen keine Erziehung) sowie der barschen Aufforderung an die Lehrer, die Kinder endlich in Ruhe zu lassen. Neben uns springen Eltern mit ihren Teenager-Kids auf und singen lauthals den antiautoritären Text mit. Wir kennen keine Generationen mehr, nur noch Rockfans.

Im Grunde spielt „Pink Floyd“ einen einzigen, endlosen Titel, in dem man das gleichmäßige Ein- und Ausatmen der Zeit spürt. Sie sind sich – bis hin zu den neuesten Songs – treu geblieben, sind nur immer mehr gewachsen und angeschwollen. Die Geburt der Musik aus dem Geist der Elektronik haben sie schon in ihren LSD-durchtränkten Anfängen (um 1967) vollzogen. Was seither kam, war eigentlich eher Angleichung an neue technische Möglichkeiten. Das hat sie wohl auch interessant gemacht für die nicht ganz unbekannte Wolfsburger Autofirma, die ihr meistverkauftes Modell nach einer noblen Sportart benennt. Diese Firma sponsert die Tournee und darf sich im Gegenzug werblich am Image von „Pink Floyd“ laben. Erstrebter gemeinsamer Nenner ist wohl die kühle Kontrolle über komplexe Technik und eben jene erwähnte Dauerhaftigkeit des populären Seins.

Weit weniger unter Kontrolle waren die Anfahrtswege zum Stadion. Endlose Staus rund um die Stadt, danach ein Parkplatz-Chaos sondergleichen – die Polizei hatte offensichtlich vor dem Ansturm kapituliert. Tausende von Fans erreichten das Ziel ihrer Wünsche erst nach Konzertbeginn. In Dortmund klappt so etwas in der Regel weitaus besser. Und vermutlich auch in Gelsenkirchen, wo „Pink Floyd“ am 23. August „auf Schalke“ spielen wird.




Impressionisten aus der „zweiten Reihe“ – Kölner Ausstellung präsentiert weniger bekannte Vertreter der Stilrichtung

Von Bernd Berke

Köln. Gleißendes Sonnenlicht überflutet die Landstraße. Man fühlt die Hitze förmlich aus dem Bilde steigen. Im Vordergrund geht ein mürrisch blickender Mann den beschwerlichen Weg hinauf. Das Gemälde von 1884 zeigt den berühmten Impressionisten Claude Monet.

Gustave Caillebotte hat die schweißtreibende Szene gemalt. Das war ein reicher Mann, der sich keine Sorgen um den Verkauf seiner Bilder machen mußte. Er war mit den Größen des Impressionismus befreundet, die ihn aber eher als solventen Käufer ihrer Werke denn als ebenbürtigen Kollegen schätzten. Jedenfalls tat er viel für die Verbreitung dieser luftigen Lichtmalerei.

Um sieben Bilder von Caillebotte gruppiert sich jetzt eine Kölner Ausstellung aus Beständen des Petit Palais in Genf, die weniger in die Tiefe als in die Breite der impressionistischen Kunstrichtung geht. Sie zeigt einige ihrer Verzweigungen und macht das deutsche Publikum mit Impressionisten „aus der zweiten Reihe“ bekannt. Man sieht keinen Manet, Monet, Renoir oder Seurat, statt dessen z. B. einen Dubois-Pillet, Le Sidanier, Loiseau oder Luce.

Lottogewinn ermöglichte künstlerische Muße

„Zweite Reihe“ heißt hier nicht in jedem Falle zweitrangige Qualität, aber mindere Popularität. Weiterer gemeinsamer Nenner: Die meisten dieser Maler verschrieben sich nicht vollends der Kunst, weil sie es nicht nötig hatten. Von Caillebottes Reichtum war die Rede. Arman Guillaumin, von Haus aus Beamter, fand zur künstlerischen Muße, nachdem er in der Lotterie gewonnen hatte. Andere hatten bürgerliche Berufe. Charles Angrand z.B. war Mathematiklehrer und zergliederte denn auch Licht und Farbe geradezu wissenschaftlich in einzelne Punkte – ein Verfahren, das unter dem Schlagwort Pointillismus bekannt ist. Bei Angrand gerät dies allerdings schon zur konfettihaften Verteilung von Punkten.

Überhaupt bietet die Ausstellung nicht durchweg hohe Meisterschaft. Gerade das macht sie interessant. Probleme des Impressionismus treten so deutlicher hervor als in berühmten Stücken.

Die 60 Bilder reichen zeitlich von 1870 bis 1905. In ihren letzten Ausläufern leitet die Auswahl zu anderen Stilen über: Henry Clemens van de Velde umrandet Flächen scharf, füllt sie mit stark kontrastierenden Farben und markiert bereits das Grenzgebiet zu Symbolismus und Jugendstil. Auch Henri Martin ist der Neigung des Pointillismus, die Bildflache ins gar zu Flüchtige aufzulösen, überdrüssig und will wieder faßbare Atmosphäre heraufbeschwören. Mit seinem Großbild „Die Pergola in Marquayrol“ (1895) ist er dabei jedoch geradewegs in leblose Jugendstil-Idyllik geraten.

Die Verteilung von Leere und Fülle

Ganz anders Gustave Caillebotte, die Zentralfigur der Schau. Gut vorstellbar, daß sein „Gelbes Feld“ (1884) den besessensten aller Gelb-Maler, Vincent van Gogh, beeinflußt hat. Caillebottes „Der Hase“ (1882) – Bildnis eines erlegten Tieres – zeugt von Mut zum kühnen Bildformat und in der Gestaltung des Fells von spontaner Sinnlichkeit, die sich auch angemessen mitzuteilen weiß. Über „Die Europa-Brücke“ (1876) gehen Menschen in streunender Großstadt-Einsamkeit. Ein sehr modern anmutendes Bild.

Bemerkenswert auch die Gemälde von Henri Le Sidanier, der mit originellen Ausschnitten und mit einer ganz eigenwilligen Verteilung von Leere und Fülle experimentiert. Da erstreckt sich ein gelb durchfluteter Garten rings um eine große leere Mitte, während die Baum- und Heckengrenzen als eine Art Rahmung fungieren. Gegenstück: Blütenpracht in Überfülle quillt aus seinem Bild „Rosenpavillon in Gerberoy“; nur ein winziges Fenster lugt zwischen den Blumen hervor. Dieses Werk gehörte übrigens eine Zeitlang dem großen französischen Filmkomiker Jacques Tati, es hat den Bildaufbau bestimmter Szenen in „Die Ferien des Monsieur Hulot“ inspiriert – wie denn überhaupt die Impressionisten zu den Anregern der frühen Filmkunst zählten.

„Bildwelten des Impressionismus“. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (am Hauptbahnhof). Bis 4. September, Di.-Fr. 10-18, Sa./So. 11-18 Uhr. Katalog 28 DM.




Die Welt ist luftig und leicht – Lyonel Feiningers „Natur-Notizen“ im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

In zittrigen Linien, gezeichnet wie in fiebrig-froher ErWartung, ragt die New Yorker Skyline empor. Auf einem anderen Bild sieht man von hoch oben einige Autos. Sie wirken wie kleine bunte Tiere. Selbst die Dampflok stampft wie ein harmloses Spielzeug daher. Lyonel Feininger (1871-1956) schöpft Heiterkeit noch aus dem städtischen Chaos.

Das Museum Ludwig zeigt 163 Zeichnungen und Naturskizzen des Amerikaners, der mit 16 Jahren nach Deutschland kam und 1937 wieder in die USA emigrierte. Diese Arbeiten aus den Jahren 1901 bis 1954 wurden bislang kaum ans Licht geholt, sie blieben die ganze Zeit über wohlverwahrt und befinden sich daher in einem hervorragenden Zustand. 5000 derartige Blätter besitzt das Busch-Reisinger-Museum (Cambridge/Massachusetts).

In seinen Skizzen ist Feininger viel spontaner als im malerischen Werk. Ausgetüftelte kristalline Formen oder prismatische Brechungen finden sich hier nur in seltenen, allenfalls zaghaften Ansätzen. Für seine „Natur-Notizen“ begibt er sich (meist mit dem Fahrrad) direkt in die Landschaft und läßt dem zeichnerischen Drang freien Lauf. Ja, manchmal verliert er sich ums Haar in naiv anmutenden Betrachtungen, die er jedoch gleichsam augenzwinkernd zu herrlich luftiger Leichtigkeit auflöst. Man folgt ihm gern in diese heilsame Welt der kleinen Freuden. Gar vieles erinnert an den Comic-Zeichner Feininger (Pionierleistung: „The Kinder Kids“) oder ergeht sich in geradezu chaplinesker Groteske („Pinkelnder Mann von hinten“, 1909).

Skizzen fein säuberlich gelocht und abgeheftet

Feininger erarbeitete sich mit den Skizzen allmählich einen breiteren Motiv-Fundus. Er betrachtete diese Arbeiten vor allem als Übungsblätter, die er nicht öffentlich vorzeigen mochte, sondern fein säuberlich lochte und in etlichen Ordnern abheftete. Da weiß man, was man hat…

Zahlreich sind die Landschaftsstudien aus der dörflichen Umgebung von Weimar und vom Gestade der Ostsee. Die mit stilisierten Menschen bevölkerten Strandszenen haben stets einen leichten Stich ins Komische, die Figuren wirken fast ein bißchen äffisch angesichts erhabener Naturkulissen.

Feiningers Dorfidyllen entfernen sich indessen nur zögernd von der Konvention. Erkennbar ist jedoch – in beiden Genres – Feiningers entschiedene Neigung zur Architektur. Am Meer sind es die Segel, an Land die Kirchtürme, die sich zu charakteristischen Dreiecksformen fügen. Auch Natur wird architektonisch durchdrungen, manch ein Baumgeäst erscheint wie Bauwerk von Menschenhand. Und in den Wolken flimmern auch schon mal Schriftzeichen.

Zwischen Schreck und Verwunderung schwankt der Betrachter vor den „Figurenstudien“ aus dem Jahr 1933. Da glaubt man in ein lustiges Kinderbuch zu blicken: kopfüber und kopfunter bunte Figuren. Doch dazwischen bewegt sich etwas Unförmiges, unscheinbar Graues – und schwenkt eine Hakenkreuz-Fahne. Kein Zorn gegen die NS-Umtriebe ist da zu spüren. Feininger scheint vielmehr eine kleine Verirrung zu belächeln. Da beginnt die Leichtigkeit leichtfertig zu werden.

Lyonel Feininger: „Natur-Notizen“. Museum Ludwig, Köln (direkt am Hauptbahnhof) .Bis 17. April. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11 -18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 10 DM, Katalog 42 DM.

 




Neil Young am Rhein: Rock unter dem Regenbogen

Von Bernd Berke

Köln. Manchmal gibt es in Rockkonzerten überirdische Momente. So auch im Kölner „Tanzbrunnen“ am Ufer des Rheins, als Neil Young den alten Hit „Helpless“ anstimmt. Just bei den ersten Takten zieht ein prachtvoller Regenbogen über der Open-air-Szenerie auf. Da geht ein ergriffenes Raunen durchs Publikum.

Doch Neil Young ist durchaus von dieser Welt. Das drückt er schon mit seiner Kleidung aus. Im karierten Hemd tritt er in Köln auf. Derlei äußere Schlichtheit ist allemal sympathischer als die Eskapaden der Glamour-Boys des Rock. Worauf es ankommt: Musikalisch ist er den allermeisten turmhoch überlegen. Keiner außer Bob Dylan (aber der wirkt heute ausgebrannt) hat ein ähnlich breites Repertoire so guter Songs, keiner bleibt sich auch im ständigen Stilwandel so treu. kaum einer ist mit und ohne Verstärker gleich stark.

Die Vielzahl seiner Lieder hat nur einen winzigen Nachteil: Beim Live-Konzert wird es immer ein paar Dutzend Songs geben, die man auch noch gern gehört hätte. Doch den ganzen Neil Young wird man an einem Abend nie erleben – immer „nur“ den, der spontan beschließt, was er spielt und wie er es interpretiert.

In Köln bringt er kaum aktuelle Stücke, die Reise führt weit zurück in die Vergangenheit Stationen sind Klassiker wie „Needle and the Damage Done“ „Southern Man“ und „Like a Hurricane“. Spätestens bei einer neueren Nummer wie „Love to burn“, die er seinerzeit mit „Crazy Horse“ einspielte, fällt auf, daß „Booker T. & the MG’S“, mit denen er jetzt auf Tour ist, nicht ganz die aggressive Schärfe der Plattenversion erreichen.

Young & Co. liefern zwei pausenlose Stunden lang verdammt ehrliche Arbeit ab. Auf Distanz verliert sich ein Teil der Wirkung. Erst wenn man sich der Bühne nähert und sieht, wie Neil Young sich in jeden Ton und jeden Griff „hineinkniet“, springt der Funke über. Dann kann diese Musik fast so etwas wie Heimat und Bleibe sein. Und zugleich – wunderbares Paradox – eine Musik, die wie kaum eine andere zum Aufbruch, zum Immer-weiter-Gehen anstiftet. Das alles läßt sich nicht auf einen fest umrissenen Fankreis eingrenzen. Auch im „Tanzbrunnen“ sind sie alle vertreten – vom Schickimicki bis zu den Versehrten und Verwahrlosten diverser Szenen, „Normalos“ inbegriffen.

Natürlich werden lautstark Zugaben gefordert und gegeben: Das gute alte „Dock of the Bay“ von Otis Reading und Dylans „All along the Watchtower“. Vielleicht würde man an dieser Stelle noch lieber weitere Young-Kompositionen hören. Doch was soll’s. Jeder Song, den Young sich vornimmt, wird zum Young-Song. Zum Ausklang gibt es noch etwas zum Mitsingen, die Hymne „Keep on Rocking in the Free World“. Und damit verabschiedet sich der Kanadier auch schon aus Deutschland. Nur in Bad Mergentheim und Köln ist er aufgetreten. Ein seltsamer Tourneeplan.




Das große Lazarett der Vasen – Vier Museen zeigen die erstaunlichen Terrakotta-Arbeiten von Antonio Recalcati

Von Bernd Berke

Im Westen. Gleich vier deutsche Museen zeigen Vasen und Teller aus Terrakotta. Hat man sich da etwa auf breiter Front dem „Schöner wohnen“-Genre samt Luxus und Moden verschrieben? Nein, keine Sorge. In Duisburg, Marl, Köln und Hannover wird nach wie vor seriöse Museumsarbeit betrieben.

Mit den Keramik-Stücken hat es nämlich einiges auf sich. Manche dieser Vasen sehen ja von weitem einigermaßen intakt aus. Doch tritt man näher heran, so sieht man das (mal aggressive, mal beinahe verspielte) Zerstörungswerk: Die eine Vase hat Löcher, keine Flüssigkeit bliebe drinnen. Die Öffnung des nächsten Exemplars ist mit lauter tönernen „Knoten“ verschlossen, ein weiteres Exponat lappt nach oben rissig aus. Verrenkte Hälse, verzerrte Bäuche — ein wahres Vasen-Lazarett.

Die ihrer Funktion beraubten Gegenstände werden zu freien Formen, ja vielleicht zu Abbildern von Freiheit überhaupt. Gelegentlich unbehandelt, doch meist mit verschiedenen Glasuren (bis hin zum kostbaren Gold) überzogen, wirken sie wie individuelle Wesen.

Überaus erstaunlich, wie viele Vasen-Varianten dieser Künstler hervorgebracht hat. All diese Arbeiten stammen von Antonio Recalcati (54), der in den 60er Jahren zu den „Neuen Realisten“ zählte, die sich in Paris um Yves Klein, den Magier der blauen Farbe, gruppierten. Ähnlich wie Klein, der durch Körperabdrücke leibhaftig berühmt wurde, experimentierte auch Recalcati damals mit Körper- und Kleider-Spuren auf der Leinwand.

Doch das ist lang her, und der Mailänder ist ein unruhiger Geist, immer auf der Suche nach Veränderung – darin ein Spätling der Avantgarde. Jede Schaffenskrise zieht einen neuen, wieder ganz anders gearteten Werkzyklus nach sich. Derzeit arbeitet er in den Marmorbrüchen von Carrara an abstrakten Groß-Skulpturen. Doch von 1989 bis 1991 hat er sich in einen wahren Terrakotta-Schaffensrausch gesteigert. In dieser Zeit entstand ungefähr täglich eine Arbeit.

Dazu muß man wissen, daß rund ums Mittelmeer beim Anblick von Keramik ganz andere Gedanken aufkommen. Dort stellt man sofort die Verbindung zur antiken Tradition her, die auch von Künstlern wie Lucio Fontana und Giuseppe Spagnulo (kürzlich in Dortmund ausgestellt) mit neuem Leben erfüllt wurde.

Jedes der vier beteiligten Museen setzt bei der Präsentation andere Schwerpunkte. In Marl etwa hat man sich dafür entschieden, die Verfremdung des Alltags zu betonen. Man stellt Recalcatis Vasen neben Arbeiten von Beuys und Uecker. Auch Uecker machte ja, indem er ein TV-Gerät ringsum vernagelte, ein Alltagsding zur Spielform.

Marl: Skulpturenmuseum „Glaskasten“, 11. bis 25. Oktoher und 13. Dezember bis 10. Januar 1993 / Duisburg: Lehmbruck-Museum, 11. Oktober bis 29. November / Köln: Museum Ludwig, 10. November bis 3. Januar 1993 / Hannover: Sprengel Museum, gleiche Daten wie Köln. Gemeinsamer Katalog 49 DM.




Bilder vom Riß, der durch die Welt geht – Sechs Museen zeigen Werke von Wolf Vostell

Von Bernd Berke

Köln/Bonn. Wolf Vostell hat einen Traum: „Eine ganze Messehalle müßte man einmal mieten und dort mein gesamtes Werk zeigen. Das wäre mein Lebens-Film.“

Doch auch so kann der „alte Kämpe“ der Happening-, Objekt- und Fluxus-Kunst zufrieden sein. Nicht weniger als sechs Museen in fünf Städten haben ihre Kräfte vereint, um jetzt ein wahres Vostell-Festival auszurichten. Nicht Retrospektiven sollen es nach dem Willen des Künstlers und der Museumsleute sein, sondern Zwischenbilanzen, „Einblicke in einen laufenden Prozeß“. Derlei Vorläufigkeit entspricht in der Tat dem Wesen eines Mannes, der zwar im Oktober 60 Jahre alt wird, aber immer noch Kraft zur Provokation hat. Zuletzt sorgte 1987 sein Berliner „Beton-Cadillac“ für bundesweites Aufjaulen.

Die Ausstellungen in Köln, Bonn, Leverkusen (Geburtsort des Künstlers), Mülheim/Ruhr und Mannheim bringen – so Vostell – endlich einmal „Ordnung in mein Werk“. Er fühle sich direkt zu neuen Taten angespornt. Besagte Ordnung darf hier nicht mit Schubladen-Sortierung verwechselt werden. Vostell ist eben kein ein unbändiger Chaot, sondern er verfolgt Themen und Motive sehr hartnäckig und konsequent durch Jahrzehnte. Doch er ist natürlich auch kein Kunst-Buchhalter, dessen Werk sich fein säuberlich und genregerecht auf sechs Museen verteilen ließe. Zwar setzen die beteiligten Museen jeweils Schwerpunkte (Köln etwa zeigt die großen Environments, Bonn Arbeiten auf Papier und bisher fast unbekannte Erotik-Zeichnungen, Mülheim TV- und Videoinstallationen), aber es mischen sich oft genug Materialien und Stilmittel, so daß die Grenzen immer fließend bleiben.

Zerstörung als zentraler Aspekt

Desto mehr fallen nun einige durchgängige Themen und Prinzipien auf. Praktisch immer geht es darum, Kunst ins Leben und Leben in die Kunst zu bringen. Vostells gesamtes Werk ist eine Suche nach bildnerischen Strategien, um diese Ziele zu erreichen. Bevorzugt setzt er sich mit den populärsten zeitgenössischen Gegenständen auseinander: Autos und Bildschirme, häufig innig miteinander verquickt, durchziehen das Werk seit Ende der 50er Jahre. Ein zentraler Aspekt ist dabei vor allem die Destruktion: Zerstörung der Wirklichkeit durch elektronische Bilder, Zerstörung der Lebenswelt durch Automobile. Vielfach gilt diesen Objekten wiederum die Aggression des Künstlers: Elektrisch betriebene Hämmer dreschen auf Fahrzeuge ein, TV-Geräte werden einbetoniert oder beerdigt.

Dazu paßt auch das von Vostell so genannte Verfahren der „Dé-Collage“, die eben im Gegensatz zur Collage nicht verschiedenste Dinge zusammenfügt, sondern durch Zerstörung (z. B. Abriß von Plakat-Schichten) diese Verschiedenheit erst schreiend sichtbar macht. Die Dé-Collage ist sozusagen bildlicher Ausdruck der Risse, die durch die Welt gehen. Ganz grell sieht man dies in Vostells politischen Arbeiten aus der Zeit der Studentenbewegung und des Vietnamkrieges, deren Kontraste (Luxus-Lippenstift gegen schreiende Vietnam-Kinder; tierische Kreatur gegen seelenlose Technik) heute vordergründig wirken mögen, damals aber vielleicht einigen die Augen geöffnet haben.

Ein besonderes Problem dieser Ausstellungen liegt darin, daß viele Zeichnungen nur Vorstudien zu Aktionen, viele Objekte nur Relikte derselben sind, also gleichsam versteinerte Taten. Doch eine Spurensuche entlang des Rheins lohnt allemal.

Köln/Stadtmuseum und Haubrich-Kunsthalle (bis 22. März); Bonn/Rheinisches Landesmuseum (bis 29. März); Leverkusen/Schloß Morsbroich (bis 29. März);  Mannheim/Kunsthalle (bis 26. April) ; Mülheim/Städtisches Museum (bis 22. März). Gemeinsamer Katalog 48 DM.




Kunst im Dienst der Revolution – Werkschau über die Russin Ljubow Popowa

Von Bernd Berke

Die jahrelangen Vorbereitungszeiten für Kunstausstellungen haben manchmal seltsame Folgen: So wird ausgerechnet jetzt im Kölner Museum Ludwig einer „Tochter der russischen Revolution“ die Ehre erwiesen. Damit steht man natürlich quer zu allen Entwicklungen.

Die Künstlerin Ljubow Popowa (1889-1924) ist seit den 20er Jahren nicht mehr mit einer Einzelausstellung gewürdigt worden. Also gibt es eine praktisch unbekannte Größe zu entdecken, die im Umkreis von Berühmtheiten wie Malewitsch, Archipenko und Tatlin gewirkt hat.

Ljubow Popowa ist höchst empfänglich für Anregungen und Vorbilder. So orientiert sie sich – nach frühen, hochtalentierten Naturstudien – zunächst am Impressionismus, dann an Cézanne, sodann an Kubismus und Futurismus, schließlich am vollends abstrakten „Suprematismus“ eines Kasimir Malewitsch. Nicht immer findet sie dabei zu gänzlicher Eigenständigkeit, auch wenn sich die Farbigkeit ihrer kubistischen Bilder (fernes Vorbild: russische Ikonen) von Picasso und Braque deutlich abhebt.

Am interessantesten ist sicher Popowas abstrakte Phase, die etwa 1916 beginnt. Erstaunlich die Dynamik, die sie auf der Bildfläche mit ihren „Raum-Kraft-Konst-Konstruktionen“ erzielt. Sie hat solche durchaus beachtlichen Form-Errungenschaften alsbald ganz in den Dienst der Revolution und kommunistischer Propaganda gestellt. Da erweist sich die Tendenz zur Abstraktion vom Menschenbild denn manchmal auch im schlechten Sinne als Über-Formung. Besonders deutlich wird dies anhand ihrer Entwürfe für Schauspielerkostüme, die nicht nur für die Bühne, sondern fürs ganze Leben gedacht waren und sehr stark an Uniformen gemahnen.

Andererseits sind gerad Popowas Bühnenbildentwürfe (vor allem zu Inszenierungen von Wsewolod Meyerhold) bemerkenswerte Belegstücke der Theatergeschichte. Hier wird Abstraktion in Gestalt von Gitter- und Rippenmustern sowie maschinenförmigen Aufbauten ganz real wirksam. Man kann sich gut vorstellen, wie hier die gesamte Theatermaschinerie entfesselt wurde, um den „neuen Menschen“ gleichsam auf der Bühne zu erzeugen. Diese Kunst hat etwas grandios Vorwärtsdrängendes und Zukunftsgewisses, sie entspricht eben dem damaligen Revolutionsoptimismus.

Am Ende ihres sehr kurzen Lebens (Stalins Drangsalierung avantgardistischer Kunst erlitt sie nicht mehr) wandte sich die Popowa völlig von der Tafelbildmalerei ab. Kunst, so damals nicht nur ihr Bekenntnis, mußte mitten im Leben wirken, mußte „Produktionskunst“ werden. Hierfür stehen abstrakte Stoffmuster-Entwürfe für eine „Mode der Zukunft“, die in Fabriken massenhaft angefertigt werden sollte.

Ljubow Popowa. Malerin der russischen Avantgarde. Köln, Museum Ludwig. 1. Oktober bis 1. Dezember, di-do. 10-20 Uhr, fr.-so. 10-18 Uhr. Eintritt 8 DM. Katalog 45 DM.




Drastische Szenen – niederländische Malerrebellen im Rom des Barock

Von Bernd Berke

Köln. Daß Nymphen in Flüssen baden, war um 1620 als Gemäldemotiv zur Genüge bekannt. Daß aber das gemeine Volk an die Stelle mythologischer Figuren trat und gar mitten in einer Ideallandschaft am Ufer „dringende Geschäfte“ verrichtete, das war ziemlich neu und schockierend.

Einige lebensfrohe Niederländer waren es, die solche Malsitten im Rom der Barockzeit einführten und von den dortigen Wächtern des akademischen Stils sogleich beschimpft wurden. Die holländischen Kunst-Ketzereien aus der Zeit von 1620 bis 1680 sind jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu besichtigen.

Hauptfigur der sogenannten „Bamboccianti“ war Pieter van Laer, der in seiner Italien-Zeit einen mehr oder weniger lockeren Kreis von gleichgesinnten Rebellen um sich scharte. Die Sammelbezeichnung „I Bamboccianti“ (etwa: dicke Kinder, Wichte) zeugte von Derbheit, bezog sie sich doch auf den verwachsenen Körper van Laers.

Teilweise drastisch war freilich auch, was van Laer und Kumpanen auf die Leinwand brachten. So malte Michelangelo Cerquozzi, einer von van Laers italienischen Stil- und Geistesverwandten, nicht etwa die Beweinung Christi, sondern (unter Anspielung auf das herkömmliche Bildschema) die Beweinung eines toten Esels durch Bauernvolk. Auch herrscht geradezu diebische Freude an rabiaten und schmerzhaften Vorgängen: Mit Vorliebe werden immer wieder Kurpfuscher beim Zähneziehen auf öffentlichen Plätzen oder auch räuberische Überfälle dargestellt, letztere gelegentlich überdramatisiert und kolportagehaft. Auch körperliche Ausscheidungen scheinen es den „Bamboccianti“ angetan zu haben. Da uriniert schon mal ein Pferd, oder es tauchen – immerhin in diskreten Rückenansichten – Männer auf, die sich an Hinterhofwänden erleichtern.

Interessant und doppelbödig wird die Sache, wenn man bedenkt, daß die Niederländer durchaus im Sinne ihrer heimischen Bildtradition malten, die für einen ganz anderen, weit weniger auf große Gebärden und Repräsentation ausgerichteten Markt stand. Gerade weil sie ihre volkstümlichen Szenen, als sie nach Rom kamen, in italienische Idyllen-Landschaften verpflanzten, und so das „Hohe“ mit .dem „Niederen“, das Bildwürdige mit dem vermeintlich Unwürdigen vermischten, war man ihnen dort gram. Aber auch der Markterfolg, den die Niederländer mit ihren Kleinformaten hatten, dürfte Neid bei den Vertretern der „reinen akademischen Lehre“ ausgelöst haben.

Manche der „Bamboccianti“-Bilder sind zwar mit Könnerschaft und Delikatesse gemalt, doch gar viele leben allein vom (Schock)-Effekt. Vor allem in der „zweiten Generation“ sinkt manches volkstümliche Sujet zur nur noch pittoresken Darstellung von Armut und zum kraftlosen Genre ab.

Außerdem hatte es schon vor den „Bamboccianti“ einen gegeben, der mit harten Licht- und Schatten-Effekten die Schocks im Grunde viel weiter getrieben hatte: Caravaggio (1573-1610). Diesem (unerreichten) Vorbild waren die Niederländer in Rom sichtbar verpflichtet.

„l Bamboccianti“. Niederländische Malerrebellen im Rom des Barock. Wallraf-Richartz-Museum, Köln (direkt am Bahnhof/Dom). 28. August bis 17. November, di-do 10 bis 20 Uhr, fr-so 10-18 Uhr, Katalog 52DM.




Barlach und Kollwitz im direkten Vergleich – Kölner Museum kann auch Exponate aus Güstrow zeigen

Von Bernd Berke

Köln. Ernst Barlach und Käthe Kollwitz nahmen zwar künstlerisch voneinander genau Kenntnis, pflegten persönlich aber nur eine oberflächliche Grußbekanntschaft. Beide werden heute vielfach in einem Atemzuge genannt. Jetzt kann man ihre Arbeiten direkt vergleichen, denn das Kölner Käthe Kollwitz-Museum bietet, ergänzend zum Eigenbesitz, einen Überblick zu Barlachs Werk aus Beständen in Ratzeburg und Güstrow.

Wegen der Winterschließung in Ratzeburg durfte man praktisch alle Exponate „ausräumen“ und nach Köln holen. Und die deutsche Vereinigung hat es natürlich enorm erleichtert, Werke aus Güstrow zu bekommen, wo Barlach lange lebte und wo sein Nachlaß sorgsam aufbewahrt wird.

Barlachs frühe Jugendstil-Zeichnungen „Klio“ und „Herbst“ (1900) sind noch ganz befangen in der Ornamentik dieser Richtung. Eigenständigkeit ist noch nicht erkennbar. Das ändert sich mit Barlachs Rußlandreise im Jahr 1906. Die dort angefertigten Zeichnungen und Skizzen bilden einen ersten Schwerpunkt der Ausstellung. Barlach hat hier bereits seine Fähigkeit entwickelt, seelische Zustände ganz „Figur werden zu lassen“, Form und Inhalt zur Deckung zu bringen.

Bestürzend aktuell sind einige Kriegs-Flugblätter Barlachs aus dem Jahr 1914. Wie leider so viele Künstler und Schriftsteller jener Zeit, war er anfangs geradezu „scharf auf Krieg“: Ganz ernst gemeinte Blätter wie „Heiliger Krieg“ (!) oder „Erst Sieg – dann Frieden!“ zeugen davon. Solch gedankenlose Militanz verflüchtigte sich freilich sehr rasch. Auch Käthe Kollwitz war ja nicht von allem Anfang an jene Pazifistin, als die sie später berühmt geworden ist.

Zentrales Motiv der Barlach-Zusammenstellung aber ist das Schweben. Immer wieder hat der Künstler schwebende Engel und andere Figuren in diesem losgelösten Zustand gezeichnet und als Skulpturen geformt. Am berühmtesten ist zweifellos das „Güstrower Ehrenmal“ (1927), ein „Engel, der an zwei Ketten im Dom zu Güstrow hing und 1937 von den Machthabern entfernt wurde. Durch die Kriegswirren blieb nur ein einziger Zweitguß vom Werkmodell erhalten, der sich heute just in Köln befindet, und zwar in der Antoniterkirche. Das Kollwitz-Museum zeigt nun einige Gipse und Vorzeichnungen aus Güstrow, die die Entwicklung des Schwebe-Motivs belegen. Außerdem kommen aus Güstrow Beispiele für zwei weitere Motivgruppen: Liebespaare und lesende Figuren. Schließlich fehlen auch so populäre Arbeiten wie etwa „Der Singende“ nicht.

Im besagten Vergleich zu den Kollwitz-Arbeiten fällt auf, daß Barlach weitaus mehr zum Innigen, Kontemplativen, Allegorischen und formal zum Abgerundeten, manchmal auch Gefälligen (z. B.: Russisches Liebespaar mit Balalaika, Porzellan-Bauer) tendiert. Brüche, Risse und Widersprüche sind seine Sache nicht. Hingegen setzt die Kollwitz dramatische, aufrüttelnde Akzente. Wenn jedoch Barlach z. B. Bettler zeichnet, ist nicht nur Mitleid mit den Elenden, sondern auch eine kleinbürgerliche Angst vor ihren Ansprüchen zu spüren.

Ernst Barlach. Skulpturen — Handzeichnungen — Druckgraphik. Kollwitz-Museum, Köln, Neumarkt 18 a. Bis 24 Februar 1991. Begleitheft 15 DM.




Mehr „junge“ Galerien auf dem Markt der Kunst – Heute beginnt in Köln die „Art Cologne“

Von Bernd Berke

Köln. Haben Sie zufällig 165 000 Mark übrig? Dafür könnte man, auf dem heute beginnenden Kölner Kunstmarkt, gerade mal ein kleines Nebenwerkchen (sprich: Gouache-Arbeit) von Max Ernst erstehen. Für weniger pralle Geldbeutel hält die „Art Cologne“ zwar auch Stücke ab etwa 100 DM bereit, doch das sind natürlich keine hehren Originale, sondern Abzüge von Auflagenwerken, noch dazu von unbekannten Künstlern.

Als „solide“ bezeichnete Gerhard F. Reinz, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Galerien e. V. (Veranstalter der Messe) das Preisgefüge. Dem kann man (mit einem kräftigen Schuß Ironie) nur beipflichten.

Ähnlich wie die Frankfurter Buchmesse, wächst auch die „Art Cologne“, der wohl größte Kunstmarkt der Welt, beständig. 267 Galerien aus 19 Ländem nehmen heuer teil, rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Ausstellungsfläche wurde sogar um etwa 30 Prozent vergrößert, Halle 5 des Kölner Messegeländes wird erstmals einbezogen. Effekt: Es sind mehr „junge“ Galerien dabei, nicht nur die alljährlichen Stammgäste. Man hofft, daß diese „Jungen“ die Nase mehr in den Wind neuester Trends halten.

Selbstverständlich spielen die neuen Bundesländer auch auf dem Kunstmarkt eine Rolle. Immerhin schon vier Privatgalerien der ehemaligen DDR sind vertreten; nicht mit den allerletzten Novitäten der Szene, dafür aber mit – wenn der erste Eindruck nicht trügt – ausgereifteren, durchdachteren Programmen als so mancher West-Anbieter. An deren Ständen regiert oft fröhlicher Pluralismus oder, negativ ausgedrückt: bunte Beliebigkeit. Die Präsenz ostdeutscher Galerien ist übrigens höchst ratsam, sonst bemächtigt sich der westliche Handel der nennenswerten Ost-Kunst womöglich noch begieriger, als dies schon der Fall ist.

Auch Sonderschau und Benefiz-Veranstaltung sind diesmal einem ostdeutschen Institut gewidmet, nämlich dem Kupferstichkabinett Dresden. Dessen erster frei gewählter Leiter, Dr. Werner Schmidt, schilderte mit Galgenhumor, wie er zu SED-Zeiten in Dresden insgeheim Blätter von mißliebigen Künstlern gesammelt habe, z. B. schon ab 1965 Bilder des heute berühmten A. R. Penck, als der noch seinen bürgerlichen Namen Ralf Winkler trug.

Wenn wir schon einmal bei Künstlernamen sind, darf die „Hitliste“ jener, die von den meisten Galerien vertreten werden, nicht fehlen: Platz eins belegt unangefochten Joseph Beuys, von dem gleich 19 Galerien Arbeiten im Programm haben. Es folgen Imi Knoebel, Arnulf Rainer, besagter A. R. Penck, Bernard Schultze und Georg Baselitz „auf den Plätzen“.

Bei Gelegenheit der gestrigen Eröffnungs-Pressekonferenz nannte Verbandsvorsitzender Reinz auch einige kulturpolitische Wünsche der Galeristen. So monierte er das erst kürzlich im Bundestag verabschiedete Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz, dessen Bestimmungen teilweise gegen den Datenschutz verstießen. Außerdem mahnte Reinz ein „Verfassungsbekenntnis zur Kultur“ sowie die Einrichtung eines Kulturausschusses im nächsten Bundestag an.

„Art Cologne“. Internationaler Kunstmarkt. Köln.Deutz, Messegelände. 15. bis 21. November, täglich 11 bis 20 Uhr. Tageskarte 12, Dauerkarte 30 DM. Messekatalog 30 DM.




Bayern liegt in Amerika – Malerei aus Indiana mit bajuwarischen Wurzeln

Idyllische Landschaften, Kühe auf der Weide – das könnten Szenen aus Bayern sein. Doch spätestens wenn man die Titel der Gemälde liest, stellt man erstaunt fest, wie gründlich man sich geirrt hat. Die Freiluftmotive stammen aus dem Staate Indiana im Mittelwesten der Vereinigten Staaten.

Nun ist ja die unterschwellige „Verwandtschaft“ Bayerns und gewisser Landstriche der USA auch schon im Kino mehrfach dingfest gemacht worden. Doch in der Kölner Ausstellung „Zwischen Tradition und Moderne“ gibt es viel direktere Bezüge. Das Wallraf-Richartz-Museum stellt nämlich eine Gruppe von Malern aus Indiana vor, die sich ihr handwerkliches Rüstzeug mitsamt motivischen Anregungen allesamt in den 1880er Jahren an der Münchner Kunstakademie geholt haben.

William Forsyth, John Ottis Adams, Theodore Steele und einige andere aus ihrem Umkreis zog es damals aus drei Gründen ins Bajuwarische. Erstens war die Münchner Akademie leidlich renommiert (auch ein Lovis Corinth studierte damals dort), zweitens war Paris weitaus kostspieliger und drittens hatte man als unbekannter Amerikaner eh kaum Chancen, in die Académie der Seine-Metropole aufgenommen zu werden.

Als die Gruppe in den 1890ern in die US-Heimat zurückkehrte, hatten sich die Künstler jedenfalls dermaßen mit europäischer Kunst „vollgesogen“, daß innige Nachahmung gar nicht ausbleiben konnte. Niederländische Genremalerei wurde genau so als Anregung begriffen bzw. gar „geplündert“ wie die Kunstauffassung etwa von Rubens oder von Wilhelm Leibl.

Manches wirkt dabei arg brav oder schrammt gar haarscharf am süßlichen Kitsch vorbei. Am erstaunlichsten aber: Auch nach der Rückkehr in die Staaten überwogen zunächst bayerisch geprägte Landschaften, so etwa bei Theodore Steele, der das Flüßchen Pleasant Run bei Indianapolis noch ganz dunkeltonig im Stile der Münchner Schule malte.

Nur ganz vorsichtig begann man die andere Licht- und Farbqualität der heimatlichen Landschaften zu entdecken. Die Palette hellte sich auf, allerdings auch unter deutlichem Einfluß französischer Impressionisten, deren Bilder 1893 auf der Weltausstellung in Chicago Furore machten.

Interessant ist es nun, den allmählichen Wandel von „Bayern“ zu „Indiana“ sowie das äußerst behutsame Herantasten an Positionen der Moderne zu verfolgen, die freilich damals schon zur Nachhut zählten. Diese Gruppe amerikanischer Maler, weit davon entfernt, auf eine große, eigene Tradition zurückgreifen zu können, wagte sich lediglich bis zur Grenzlinie des Impressionismus der 1870er Jahre vor, dem sie noch um 1905 huldigte. Die wirklich große Zeit der amerikanischen Kunst, das läßt diese Ausstellung ahnen, war eben noch nicht angebrochen.

„Zwischen Tradition und Moderne. Amerikanische Malerei 1880-1905″. Köln, Wallraf-Richartz-Museum (direkt am Dom). Bis 27. Januar 1991.




Letzte Trümmer vom „Schlachtfeld der Kunst“ – Skizzen und Zeichnungen der „Wiener Aktionisten“ in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Seltsame Kontraste im Kölner Doppelmuseum Ludwig/Wallraf-Richartz: Vorbei an prachtvollen „alten Meistern“ wie Tintoretto führt der Weg in ein verschwiegenes Seitenkabinett. Die Namen der dort präsentierten Künstler sind skandalumwittert: Hermann Nitsch, Günter Brus, Otto Mühl, Rudolf Schwarzkogler. Dieses Quartett stand in den 60er Jahren für den berüchtigten „Wiener Aktionismus“.

Jeder tat auf seine spezielle Weise mit, der eine etwa als schweinischer Faun (Mühl), der andere als exzessiver Masochist (Schwarzkogier), doch alle waren sie beseelt vom selben Drang zur Abgründigkeit.

Wir blicken zurück: Die „Aktionisten“ sorgten mit ihren Ritualen und Orgien – u.a. unter „Verwendung“ von Tierblut, zumeist nackten Menschenleibern und deren sämtlichen (!). Ausscheidungen – für fragwürdige Erlebnisse weit jenseits der Ekelschwellen; sie ließen halt „alles ‚raus“. Ihre auch schriftlich und in Skizzen dargelegten Obsessionen reichten bis zu Lustmorden und Ausrottungs-Phantasien.

Mit einer Aktion in der Wiener Uni („Uni-Ferkel“) trugen sie 1968 so ganz nebenbei die ohnehin nur rinnsalhalft vorhandene österreichische APO-Bewegung frühzeitig zu Grabe, indem sie sie gründlich diskreditierten. Ziel solcher Anstrengungen auf dem „Schlachtfeld der Künste“ waren allemal Durchbrüche von der bloßen Darstellung ins „wirkliche Leben“ und Vorstöße in die Tiefe des Unbewußten.

Wenn nun das Ludwig Museum Skizzen und Zeichnungen der „Aktionisten“ zeigt (bis 17. 9.), beruft es sich u. a. auch auf Freud, der allerdings – daran muß erinnert werden – gerade die Sublimierung („Verfeinerung“) roher Triebe als Bedingung für Kulturleistungen ansah. Doch es hilft nichts, die Kölner Museumsleute wollen die Aktionisten nun einmal zu „Klassikern“ erklären. Ausdrücklich wird an die künstlerische Ausbildung des Quartetts erinnert, werden Verbindungen zur Tradition (Klimt, Schiele) beschworen.

Was man zu sehen bekommt, ist einigermaßen dürftig. Die kruden Körperarchitektur-Entwürfe des (zuletzt durch „Titel, Thesen, Temperamente“ und seine Frankfurter Professoren-Anwartschaft in die Schlagzeilen geratenen) Hermann Nitsch etwa oder seine Planzeichnungen für ein „Orgien-Mysterien-Theater“ sind recht eigentlich Produkte privater Besessenheiten, die als bloße Vorarbeiten in die Schublade gehört hätten. Noch enttäuschender ist Otto Mühls kreuzbrave Serie der Prominentenporträts von Mao bis Adenauer. Andy Warhol hat so etwas besser gekonnt.

Graphische Qualitäten entfalten immerhin die Arbeiten von Günter Brus, dessen mit zahllosen Geschlechtsteilen bebilderter Wahnsinns-Roman „Irrwisch“ hier erstmals vollständig gezeigt wird.

Nein, „klassisch“ ist das wahrlich nicht, aber auch nicht mehr provozierend. Voyeure werden allenfalls im Katalog (45 DM) fündig, der auch die Aktionen fotografisch dokumentiert. Mögen diese Aktionen seinerzeit bei manchen noch „Kitzel“ erzeugt haben, so sind die gezeigten Überbleibsel vollends wie tot, nichtssagend. Und so könnte der Ausstellungstitel „Zertrümmerte Spiegel“ böswillig umgedreht werden: „Gespiegelte Trümmer“.




Entdeckungen auf Nebenpfaden des Barock – Bilder aus dem polnischen Nationalmuseum Warschau in Köln

Von Bernd Berke

Köln. Welch ein glückhafter Umstand, daß das polnische Nationalmuseum in Warschau zur Zeit renoviert werden muß. So kann nämlich eines der bedeutendsten Museen östlich der Elbe ein „Schaufenster im Westen“ üppig ausstatten: 65 Barock-Gemälde aus Warschau sind jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zu sehen (bis 8. Oktober).

Versteht sich, daß dies auch ein Ereignis von kulturpolitischer Bedeutung ist. Während bundesdeutsche Repräsentanten sich derzeit schwertun, nach Polen zu reisen, tauschen Museumsleute beider Länder seit Jahren Kunstschätze. Kultur als „Schrittmacher“?

Freilich ließen die Polen für diese Anstellung nicht alle Bilder „ausreisen“, vielfach war das Transportrisiko zu groß. So bekommt man denn in Köln auch einiges aus der „zweiten Garnitur“ des Barock zu sehen, was jedoch vor allem mit den Warschauer Beständen zu tun hat, die im von Teilungen und kriegerischen Überfällen verwundeten Polen nie kontinuierlich aufgebaut werden konnten.

Doch die Auswahl bietet immer noch Anregung genug. Man wird zu Entdeckungen auf Nebenwegen, abseits ausgetretener Pfade, verlockt. Es muß ja nicht immer Rubens sein. Auch andere konnten malen. „Europäische Malerei des Barock“ (Ausstellungtitel) — das heißt hier: Bilder aus Italien, Frankreich, den Niederlanden und Deutschland. Immerhin gibt es auch ein paar relativ bekannte Namen wie Gerard ter Borch, David Teniers, Simon Vouet.

Man findet Belege für die meisten Grundzüge des Barock. Detailtreu und illusionistisch gestaltete, dramatisch-energiegeladene Szenen. Das Bild wird gleichsam zur Bühne saftiger Sinnlichkeit, in der der selbstgewisse Absolutismus jener Zeit sich so gern spiegelte.

Doch längst nicht alles entspricht dieser verengten Vorstellung von „lupenreinem“ Barock. Schon bei den Landschaftsbildern bestehen „ideale“ Inszenierungen etwa mit antiken Ruinen neben naturalistischen Formen. Erst recht bei der Gattung Porträt: Da existieren mythologisch verbrämte Darstellungen (Albrecht Lambertsz; „Porträt eines jungen Mädchens als Diana“), herrische Selbstinszenierungen des Adels, aber auch Spielarten des bürgerlichen Porträts. Besonders in den (zu Zeiten der Gegenreformation protestantisch sich behauptenden) nördlichen Niederlanden wurde weniger für adlige Auftraggeber als für den „freien Markt“ gemalt. Die Bilder gerieten nüchterner.

Gleichwohl verbirgt sich hinter scheinbar schlichten Arbeiten oft eine Fülle von Geschichten und Bedeutungen aus Mythologie, Bibel und Historie. Auch Stilleben sind nicht einfach Kompositionen sichtbarer Dinge. So steht z. B. Nikolaes von Gelders „Stilleben mit Taschenuhr“ (um 1663) für die Vergänglichkeit irdischer Dinge, und Genreszenen (darunter freizügige wie Wouter Pietersz‘ im Bordell zockende „Kartenspieler“) beziehen sich allemal auf eine Bild-Tradition, die den Sinn erst entschlüsseln hilft. Da solche Hintergründe in der Ausstellung nur angedeutet werden, empfiehlt sich der Erwerb des hervorragenden Katalogs (32 DM).

Während der beabsichtigte Überblick zu Gattungen und Themen beim Rundgang von selbst offenkundig wird, bedarf es der vertiefenden Katalog-Lektüre auch für die andere Leitlinie der Ausstellung: Zwei „Schulen“ sollen da ausgemacht werden, die der Rembrandt-Verehrer und die der Caravaggio-Nachfolger. Etwas für Leute vom Fach.




„Bilderstreit“ in Kölner Messehallen: Die babylonische Verwirrung der Kunst

Von Bernd Berke

Köln. Man nehme gegensätzliche Begriffspaare (etwa „abstrakt“ und „gegenständlich“ „wild“ und „still“ oder „streng“ und „verspielt“), suehe in der Kunst der letzten dreißig Jahre jeweils passende Werke und hänge sie so, daß der Kontrast betont wird. AmEnde muß dann eigentlich etwas Ähnliches herauskommen wie die Mammut-Ausstellung „Bilderstreit“, die ab heute bis zum 28. Juni (Eintritt: 10 DM / Katalog 45 DM) die Rheinhallen des Kölner Messegeländes mit einem fast beispiellosen Kunst-Aufkommen füllt.

Rund 1000 Arbeiten von 127 Künstlern auf einer Fläche von 10 000 qm – so nüchtern-statistisch listet es das veranstaltende Museum Ludwig selbst auf. Der Etat betrug 3,1 Mio. Mark. Bei einer solchen Summe sind natürlich Sponsoren mit von der Partie, darunter Deutsche Bank und Lufthansa. Köln ist – nach der „Westkunst“ von 1981  mal wieder Schauplatz eines touristisch wirksamen Größtereignisses der Kunst. Die Hoteliers können die Betten schon aufschütteln.

Was früher vielleicht einmal als „Sünde“ bei der Hängung und Aufstellung gegolten haben mag – hier wird’s vielfaches Ereignis: Barnett Newmans empfindliche Farbfeldmagie wird beinahe aufgehoben durch die gleich daneben postierten Tropf-Bilder von Jackson Pollock; von Visionen eines Klassikers wie Giorgio de Chirico lenkt nachhaltig eine Skulptur von Friedrich Kiesler ab: Eric Fischls Nachklänge eines kritischen Realismus müssen auf engem Raum mit der unterkühlten Ästhetik eines neonbeschrifteten Iglus von Mario Merz konkurrieren; Georg Baselitz‘ Kopfüber-Figuren stehen im schreienden Widerpruch zu Sol LeWitts höchst unaufdringlichem „Wall Painting“. Die Kette solcher Beispiele ließe sich endlos verlängern.

„Einheit, Fragment und Widerspruch“ – wer sich solch dehnbare Kategorien zu Leitlinien einer Ausstellung erwählt, kann praktisch alles zeigen, was der Markt hergibt. Die Ausstellungs-Macher, Siegfried Gohr und Johannes Gachnang, können fraglos viele große Künstlernamen und auch zahlreiche großartige Arbeiten präsentieren. Ihre Auswahl umfaßt (von berühmten Ausnahmen wie Munch, Picasso und Picabia abgesehen) im wesentlichen Kunst seit 1960. These: Damals habe die Nachkriegszeit erst wirklich geendet und eine neue Kunstepoche begonnen, verkürzt gesagt: eben jene Ära des „Bilderstreits“, die mit ihren vielfachen Verzweigungen bis heute reicht.

Die innigste Wirkung entfalten die Exponate in den sogenannten „Räumen der Erinnerung“. Diese Bereiche sind einzelnen Künstlern wie etwa Andy Warhol oder Marcel Duchamp gewidmet. Hier herrscht denn auch die nötige Konzentration, es gibt Freiraum für die Werke.

Doch das sind nur verhältnismäßig kleine Inseln der Ruhe: Ringsherum tobt tatsächlich „Bilderstreit“, allerdings oft künstlich entfachter. Die Schau ist da unruhvoll, betriebsam, aufgeregt, ja marktschreierisch, so daß man geneigt sein könnte, manches Einzelwerk dagegen in Schutz zu nehmen.

Wer wollte ernsthaft die These der Macher bestreiten, daß es heute keine verbindliche Richtung mehr gebe in der Kunst? Doch diese Präsentation schwelgt geradezu in solcher Haltlosigkeit und Beliebigkeit. So wird der Rundgang gleichsam zum langen Irrweg durch 30 Jahre Kunst, man wird Zeuge einer babylonischen Bild-Verwirrung, in der das beste Einzelwerk nur Episode bleibt.




Köln: Asbest sorgt für Theaterchaos – auch Revierbühnen betroffen?

Von Bernd Berke

Köln. Die Schließung des Kölner Schauspielhauses wegen Asbestgefahr (die WR berichtete) droht sich für die Theaterleute der Domstadt zur Katastrophe auszuweiten. Wie Schauspieldirektor Alexander von Maravic der Rundschau gestern auf Anfrage sagte, ist zu befürchten, daß das Haus für den Rest der Saison, also bis Juni/Juli 1989, nicht mehr bespielbar sein wird.

Derzeit, so Maravic, führe man fieberhaft Verhandlungen um Ersatzspielstätten. In Frage kämen – wenn auch durch deren Eigenprogramme eng begrenzt – z. B. Oper, Philharmonie und Musikhochschule. Wahrscheinlicher aber ist die Notlösung, daß vor dem Schauspielhaus wieder jenes Theaterzelt aufgeschlagen wird, das während der Intendanz von Jürgen Flimm im Jahr 1980 schon einmal als Ausweichquartier diente.

Auf jeden Fall drohen auf Dauer große Einnahmeverluste, denn das Zelt faßt nur rund 300 Besucher, während das Schauspielhaus 918 Plätze bietet. Auch die Spielstätte „Schlosserei“, die weiterhin zur Verfügung steht, ist erheblich kleiner als das angestammte Haus. Maravic zum befürchteten Finanzdebakel: „Das muß die Stadt ausgleichen.“

Fatal sei die Situation auch für die Schauspieler. 1990 wird Günter Kremer den jetzigen Intendant Klaus Pierwoß ablösen. Schauspieler, die dann an andere Bühnen wechseln wollen, haben bis dahin wohl nicht die erwünschte Möglichkeit, neue Arbeitgeber auf sich aufmerksam zu machen. Maravic gibt sich dennoch optimistisch: „Wir spielen weiter. Vielleicht gibt uns der Zwang zur Improvisation sogar neue kreative Kraft.“

Die Asbest-Partikel-Konzentration von 700 mg pro Kubikmeter Luft war vom TÜV im Zuschauerraum des Kölner Stadttheaters gemessen worden. Gelöste Asbest-Partikel schweben stundenlang durch den Raum und setzen sich z. B. im Theatervorhang und in Teppichböden fest.

Maravic glaubt übrigens, daß Asbest in Theaterbauten nicht nur ein Kölner oder Münchner Problem ist (an der Isar waren kürzlich die Staatstheater geschlossen worden): „Auch im Ruhrgebiet könnte da einiges bevorstehen“.




„Bauhaus-Utopien“: Mehr als nur Rechteck und Würfel – Ausstellung in Köln wendet sich gegen Vorurteile

Von Bernd Berke

Köln. Von Zierat und Zitaten, die unter dem Markenzeichen „Postmoderne“ laufen, haben viele allmählich genug. In den letzten Jahren hat Architektur mit oft funktionslosen Türmchen, Erkern und allerlei „Zuckerbäcker“-Schmuckwerk die Städte erobert; sie hat, wie Kölns Kunstvereins-Leiter Wulf Herzogenrath gestern despektierlich sagte, „auch vor der Kreissparkasse Oer-Erkenschwick“ nicht haltgemacht. Da kommt Sehnsucht nach einfacheren, funktionsgerechteren Formen auf.

Hohe Zeit also für eine Rückbesinnung auf das „Bauhaus“ (Weimar/Dessau 1919-1933). Grundsatz der von Walter Gropius gegründeten Kunst-„Schule“ bahnbrechenden Typs (an der u.a. Klee, Schlemmer, Kandinsky und Moholy-Nagy lehrten) war, Funktion und handwerkliche Qualität zu Leitgedanken der Kunst zu machen. Doch pure Funktion kann „kalt“ wirken, und so kam es zu dem Gerücht, vor allem das Bauhaus sei an gesichtlosen Hochhaus-Schachteln der 60er und 70er Jahre schuld.

Wulf Herzogenrath lastet aber diese Sünden den „Enkeln“ an, die vom „Bauhaus“ nur die Phase 1925-28 wahrgenommen hätten. In Wahrheit sei „Bauhaus“ kein festgelegter Stil, sondern eine Idee mit vielfältigen Ausprägungen. Das soll die Ausstellung „Bauhaus-Utopien“ im Kölner Kunstverein belegen (Josef-Haubrich-Hof; morgen bis 4. September, Katalog 54 DM).

Die Zusammenstellung der 252 Exponate berücksichtigt „nur“ Arbeiten auf Papier. Mit gutem Grund: Diese Stücke sind oftmals Skizzen, stehen also der ursprünglich-spontanen Idee näher als detaillierte Ausführungen und sind inniger mit dem Begriff einer produktiv „tagträumenden“ Utopie verknüpft.

Auch schon ökologische Ansätze

Die Bauhaus-Utopien, das zeigt die Auswahl, reichen tatsachlich weit über das Klischee von endlos variierten Rechteck- und Würfelformen hinaus, sie erschöpfen sich auch nicht in den bekannten Stahlrohrsesseln. Was man heute sicher schärfer sieht als noch vor einigen Jahren: Es gibt sogar ökologische Bezüge, Planspiele mit Sonnenenergie etwa oder mit dem, was man heute „Baubiologie“ nennt.

Sehr entschieden bricht vor allem der Bauhaus-Lehrer Paul Klee, ohnehin kaum in ein Klischee zu pressen, aus dem Vorurteils-Raster aus. Sein „Apparat für magnetische Behandlung der Pflanzen“ (1921) zielt beispielsweise eher auf einen kosmischen Zusammenhang als auf dürre Funktion. Gleichzeitig stellte Klee aber auch quasi-mathematische Formanalysen an.

Neben den Bauhaus-Arbeiten Klees, bilden jene von Oskar Schlemmer einen weiteren Schwerpunkt. Da ist es mitunter schon schwer zu entscheiden, ob die „abgezirkelten“, in architektonische Zusammenhänge gestellten Menschenfiguren wirklich den Raum dominieren oder ob sie in ihn eingepaßt sind. Wird hier Maß am Menschen genommen oder Maß für den Mensehen?

Anderes läuft dem, was die Ausstellung eigentlich beweisen will, vollends zuwider. Zu nennen wären da z. B. ein kubisches Stadt-Bild von Laszlo Moholy-Nagy, eine den Mensehen gänzlich „erschlagende“, riesige .„Reklamekugel“ von Herbert Bayer oder der Utopie-Alptraum einer Hochhausstadt von Ludwig Hilberseimer. Hier ahnt man, daß die Vorurteile gegen das Bauhaus nicht samt und sonders falsch sein können. Die Wahrheit scheint einmal mehr in der Differenzierung zu liegen: Man kann das Bauhaus nicht in Bausch und Bogen für spätere Sünden „haftbar machen“, sollte aber auch mit Entlastungs-Argumenten nicht übers Ziel hinausschießen. Freilich: Für einen „Freispruch“ finden sich auch jede Menge Belege. Besonders überzeugend sind die von bloßer Funktionalität losgelösten Theaterbau- und Bühnenbildentwürfe.




Picasso: In den Bildern tobt der Krieg

Von Bernd Berke

Köln. Gleich zwei Ausstellungen in NRW bereichern jetzt das Bild, das wir uns von Pablo Picasso machen, um weitere Facetten. Die Bielefelder Kunsthalle hebt mit „Picassos Klassizismus“ einen eher gefälligen Aspekt des riesigen Werk-Kosmos hervor (bis 31. Juli), das Kölner Museum Ludwig zeigt Arbeiten von „Picasso im Zweiten Weltkrieg“ (heute bis 19. Juni; Katalog 45 DM).

Während der deutschen Besetzung Frankreichs arbeitet Picasso meist in Paris. Die Besatzer behelligen ihn nicht – aus Furcht vor dem internationalen Skandal, den eine Drangsalierung des weltberühmten Künstlers entfachen würde. Picasso empfängt gar, sozusagen mit der „Faust in der Tasche“, den einen oder anderen deutschen Offizier im Atelier.

Direkt nachvollziehbare politische Bezüge wie in dem berühmten „Guernica“ (1937; in Köln natürlich nicht zu sehen) oder dem surrealen Beinahe-Comic-Strip „Traum und Lüge Francos“ (1937; in Köln ausgestellt), kommen während der Weltkriegsjahre nicht vor. Bedeutet dies, daß der spanische Bürgerkrieg den Spanier Picasso mehr aufgewühlt hat als der Weltkrieg oder gar, daß der Künstler inzwischen unpolitisch geworden ist? Nein, er verarbeitet die Schrecken nur anders. Statt den Krieg ausdrücklich zum Thema zu machen, läßt er ihn in die Struktur seiner Bilder einsickern wie ein Gift. Sogar das Genre der – traditionell beschaulichen – Stilleben gerät hier entweder zur kargen Inventur von Rest-Beständen (auch Picasso litt während des Krieges Hunger) oder zu „Schädelstätten“ mit Totenköpfen.

Picassos formale Aufsplitterung der menschlichen (besonders der weiblichen) Gestalt, in kubistischer Frühzeit noch hauptsächlich Form-Experiment, bekommt gleichfalls eine tiefere Dimension; sie wird zur aggressiven Deformation, zur Verwundung – und somit zur bildnerischen Entsprechung des auch in der Realität zerstörten Menschenbilds. Knapp gesagt: Es sind keine Bilder über den Krieg, der Krieg ist in den Bildern.

Das scheinbar so: arglose „Ständchen“ (1942) ist ein Haupt- und Schlüsselwerk für Picassos Kunst der Kriegszeit. Der zerschmetterte Akt wirkt bei genauerem Hinsehen wie ein Opfer von Folterern. Das „Ständchen“ – ein furchtbarer Totentanz.

Auch die elf Zustände der Lithographie „Der Stier* (1945) zeigen, in Reihe gehängt, eine zunehmende Skelettierung der Kreatur, gleichsam das Anwachsen des Todes. Zaghaft scheint hingegen im Bild „Erste Schritte“ (1943) Hoffnung aufzukeimen: Eine Mutter lehrt ihr Kind laufen. Sie bückt sich wie unter einer Last, aber das Kind – Sinnbild der Zukunft – kommt voran.




Kein Geld für „Aufrüstung im Äther“ – Deutsche Welle beklagt Einsparungen

Von Bernd Berke

Köln. Die weltweite „Aufrüstung im Äther“ macht der Deutschen Welle schwer zu schaffen. Der Kölner Sender, der Hörern in aller Welt ein möglichst stimmiges Bild der Bundesrepublik vermitteln soll, sieht sich auf den Kurzwellenbändern einer wachsenden Konkurrenz gegenüber.

Die Frequenzen sind hoffnungslos überbelegt, was Stationen wie die Voice of America (Washington) und die BBC (London) bereits zu riesigen Investitionen veranlaßt – von „Radio Moskau“ ganz zu schweigen. „Darwin’sches Gesetz“ auf dem Funksektor: Wer nicht mit Geld klotzt, geht akustisch unter.

Die Deutsche Welle kann da zur Zeit kaum mithalten. Wie ihr Intendant, Dr. Heinz Fellhauer, gestern in Köln mitteilte, hat Bonn dem Sender per Haushaltsgesetz just 3 Prozent des Etats (rund 300 Mio. DM pro Jahr) gestrichen, die noch im laufenden Haushaltsjahr eingespart werden müssen. Konsequenz laut Fellhauer: Die Welle, die zur Zeit Programme in 34 Sprachen ausstrahlt, wird auf drei Sprachen verzichten müssen, der Bundespost einen der Sender in Wertachtal nicht mehr bezahlen können und ihr Personal um 14 Mitarbeiter (l % der Belegschaft) reduzieren. Fellhauser: „Das grenzt an eine Aushöhlung des Senders“. Den gesetzlichen Auftrag weide man nur noch schwerlich erfüllen können. In den Bereichen Technik und Verwaltung seien keine Einsparungen mehr möglich, jetzt gehe es ans „Eingemachte“ des Programms, das nicht zuletzt auch deutsche Touristen mit Informationen aus der Heimat versorgt.

Fellhauer, der den übergroßen Partei-Einfluß auf seine Anstalt beklagte, mag die Deutsche Welle nicht länger ausschließlich auf die „Kassenhilfe“ des Bundes angewiesen sehen. Er schlug vor, einen Anteil von etwa 3 bis 4 Prozent der Rundfunkgebühren (derzeit 16,60 DM monatlich; Erhöhungen um mindestens 2 DM in Aussicht) als „Sockelbetrag“ für die Deutsche Welle abzuzweigen.

Den Rang der Deutschen Welle stufte Fellhauer „im guten Mittelfeld“ ein. Das aber sei zu wenig für eine Wirtschaftsmacht wie die Bundesrapublik.




Sponsoren hoffen auf Kunst als Werbeträger – Tagung in Köln: „Marketing mit dem Museum“

Von Bernd Berke

Köln. Unsere Museen ächzen unter Finanznot, unsere Unternehmen sind auf der Suche nach einem gepflegten Image. Beiden soll geholfen werden, das Zauberwort heißt „Sponsorschaft“.

Eine Tagung unter dem dynamischen Titel „Marketing mit dem Museum“ brachte gestern in Köln Wirtschafts-Vertreter und Museumsleute zwecks „Abbau der Berührungsängste“ an einen Tisch. Besonders Manager aus der Auto- und Bank-Branche zeigten sich aufgeschlossen. Aber auch andere Zweige waren vertrçten. Als Dortmunder Teilnehmer hatte sich Heinrich Frommknecht, Vorstandschef der „Signal“-Versicherung, angesagt.

Wohin die Reise geht, brachte Prof. Hugo Borger, Generaldirektor der neun Städtischen Museen zu Köln, in aller Deutlichkeit auf den Punkt: „Ich würde sogar meinen Dienstwagen mit dem Namen einer Firma schmücken, wenn es der Sache des Museums dient“, sagte Borger in seiner Eröffnungs-Ansprache. Er hoffe inständig, daß Betriebe, die Ausstellungen mitfinanzieren, anschließend mehr verkaufen: „Dann können sie uns beim nächstenmal noch besser unterstützen.“

Borger diente sich den versammelten Indusüievertretern als Werbepartner an. Der Museumsmann befand, daß Produktwerbung im Museum wirksamer als Sportwerbung sein müsse. Die Museen seien längst keine verstaubten Verwahranstalten mehr, sondern „Erlebnisräume“; sie hätten „mehr Besucher als die Fußballstadien“, darunter zunehmend solche aus der (besonders konsumkräftigen) Altersgruppe zwischen 20 und 40. Fazit: Er, Borger, habe gar keine Bedenken, demnächst z. B. wieder kostbares antikes Glas in Zusammenarbeit mit der Firma Olivetti zu präsentieren. In den USA und Japan seien solche Kooperationen selbstverständlich. Bei uns hingegen müsse vor allem der Mittelstand für „Sponsorship“ gewonnen werden.

Mitveranstalter der Tagung war eine in Frankfurt ansässige „Initiative für Industrie-Kultur e. V. – laut Satzung ein Zusammenschluß von „Privatleuten“, die aber größtenteils der Industrie verbunden sind. Im Namen dieser Initiative hielt Richard Bachinger (Dresdner Bank) ein Kurzreferat, in dem er auch die „Aufgabe der Medien“ nicht vergaß: Wenn ein Unternehmen eine Ausstellung finanziell fördere, so sollten Presse, Funk und Fernsehen den Sponsor gefälligst auch nennen. Denn: Man müsse die Investitionen in Kultur vor den und Aktionären vertreten können. Das aber werde erschwert, wenn der Image-Effekt zu gering sei. Bachinger mahnend: „Sponsoring muß ein Geschaft auf Gegenseitigkeit sein.“

Zur Frage, was sich die Unternehmen von Kulturförderung versprechen, hieß es, die spendablen Firmen verfolgten eine „Corporate Identity-Strategie“. Klartext: Da sie sich immer weniger durch ihre Produkte oder Dienstleistungen voneinander abheben, wollen sie eine klar erkenn- und unterscheidbare Identität erwerben, beispielsweise durch Kultur. Der Ausstellungsbesucher soll sich, möglichst noch nach Jahren, erinnern. Etwa so: „Die Firma X ? Ach, das waren doch die, die damals die wundervollen Rembrandt-Bilder in Y-Stadt gezeigt haben!“




Heinrich Böll: Vom Kinderfoto bis zum Altersgedicht – Erstmals umfassende Ausstellung in Köln

Von Bernd Berke

Köln. „Charakterliches Streben: zufriedenstellend; Geistiges Streben: zufriedenstellend; Religion: genügend; Deutsch: genügend“ – Kein sehr glänzendes Abiturzeugnis. Aus dem Menschen kann nicht viel geworden sein, könnte man meinen. Doch die mäßigen Bewertungen stehen auf dem Reifezeugnis, das am 6. Februar 1937 auf den Namen Heinrich Böll ausgestellt wurde.

Das Origiaaldokument ist eines von rund 450 Exponaten, die zur ersten wirklich umfassenden Böll-Ausstellung gehören. Am 21. Dezember, dem Tag, an dem der wohl bekannteste deutsche Nachkriegs-Schriftsteller 70 Jahre alt geworden wäre, wird die Zusammenstellung in der Kölner Zentralbibliothek (Josef-Haubrich-Hof) mit einer Ansprache von Walter Jens eröffnet.

In dem eingangs zitierten Zeugnis wurden auch die Verhältnisse geschildert, aus denen der Autor stammte: „Geordnetes Familienleben, doch sehr dürftige Verhältnisse. Der Vater, Bildhauer, ist seit langem arbeitslos. 6 Kinder“. Unter dem Punkt „Charakter“ behaupten die Lehrer: „Schwerblütig, verträglich, vielleicht nicht energisch genug“.

Natürlich wird nicht nur Bölls Schulzeit durch Ausstellungstücke dokumentiert. Die vom Böll-Neffen Viktor und von Gabriele Ricke erarbeitete Schau ist chronologisch in sieben Abteilungen gegliedert, sie reicht vom Kinder-und Klassenfoto über die Kriegspostkarte aus Nordfrankreich, über Briefwechsel mit den Kollegen von der „Gruppe 47″ bis hin zu Dokumenten, die das stete politische Wirken Heinrich Bölls belegen. Fotos zeigen ihn z. B. bei einer Rede gegen die Notstandsgesetze (Mai 1968) und bei der großen Bonner Friedensdemonstration (Oktober 1981).

Zwei weitere Dokumente markieren die Extrempole der öffentlichen Einschätzung Bölls: eine infame Karikatur, die Böll als Helfershelfer der Terroristen darstellt – und jenes Telegramm, mit dem die Schwedische Akademie der Wissenschaften dem Schriftsteller 1972 mitteilte, daß man ihm den Literaturnobelpreis verliehen habe.

Nicht nur jene, die Bölls politische Wirkung höher einschätzen als seine literarische Potenz, kommen auf ihre Kosten. Detailliert wird – am Beispiel des Buchs „Gruppenbild mit Dame“ – Bölls Schaffensprozeß belegt. Der Einblick in die literarische Werkstatt des 1985 verstorbenen Kölner Ehrenbürgers umfaßt erste Ideen, Notizen, Entwürfe, Ma- terialien, die der Autor tieim Schreiben heranzog, Korrekturfahnen und Buchausgaben.

Ein Brief, den er Ende der 40er Jahre an seinen ersten Lektor schrieb, erhellt auch ein weniger bekanntes Kapitel aus Bölls Leben. Er war damals – kaum, daß er begonnen hatte – drauf und dran, die Schriftstellerei ganz aufzugeben, und zwar aus finanziellen Gründen. Spürbaren Erfolg hatte er mit seinen Büchern nämlich erst ab Mitte der 50er Jahre.

Daß die Materialien über Boil in Köln so zahlreich beisammen sind, ist erfreuliche Folge des Vertrags, den der Autor seinerzeit mit der Stadt schloß: Köln zahlte ihm eine Pension, Böll überschrieb der Domstadt dafür seinen Nachlaß.

Die Ausstellung schließt mit einem sehr privaten Dokument, einem Gedicht, das Böll kurz vor seinem Tod, am 8. Mai 1985, für seinen Enkel Samay schrieb:

„Wir kommen weit her / liebes Kind / und müssen weit gehen / keine Angst / alle sind bei Dir / die vor Dir waren / Deine Mutter, Dein Vater / und alle, die vor ihnen waren“.

Die Ausstellung dauert vom 22. Dezember bis 30. Januar 1988 (Öffnungszeiten: Di. u. Do. 11.30 bis 20 Uhr, Mi. u. Fr. 9-18 Uhr, Sa. 10-15 Uhr). Eintritt frei, Begleitbroschüre 2 DM.




Dem Ruf der Dinge folgen – Kölner Ausstellung über Joan Miró als Bildhauer

Von Bernd Berke

Köln. Am Rhein huldigt man dem berühmten Spanier gleich zweifach. Während in Düsseldorf noch bis zum 20. April ein Überblick zum malerischen Oeuvre von Joan Miró zu sehen ist (WR berichtete), zeigt das Kölner Museum Ludwig von heute bis zum 8. Juni die dreidimensionalen Arbeiten des Katalanen.

Den hohen Bekanntheitsgrad seiner Bilder voraussetzend, konnte man in der Landeshauptstadt alte Vorurteile „ankratzen“, denen zufolge Miró ein „ewiges Kind“ geblieben sei. So einfach ist es in der Domstadt nicht: Die Skulpturen und Objekte Mirós, in solcher Fülle erstmals außerhalb Spaniens ausgestellt, müssen überhaupt erst einmal als eigenständiger Teil des Werks zur Kenntnis genommen werden.

Die Schau gibt sich bewußt ahistorisch, die rund 100 Objekte aus den Jahren 1931 bis 1975 und die zahlreichen Vorzeichnungen (Katalog 32 DM) sind nicht chronologisch, sondern eher nach assoziativen Mustern geordnet. So bilden etwa jene Arbeiten, bei denen die Textur, also die sinnlich ertastbare Beschaffenheit der Oberfläche, den Hauptakzent setzt, eine eigene Untergruppe. Hier finden sich Arbeiten, die an urtümliche Gesteinsformationen erinnern, andere gleichen totemistischen Kultgegenständen archaischer Religionen. Auch die farbigen Skulpturen, dem malerischen Werk näher verwandt, wurden einander zugeordnet.

Schwerpunkt sind die „Objets trouvés“, also die vorgefundenen Zivilisations- und Natur-„Abfälle“ (meist mediterranes Strandgut). Vom Knochenfund bis zur ausgedienten Telefonklingel und zum Wasserhahn reichen die Dinge, die Miró um sich versammelte. Der schöpferische „Gärprozeß“, aus denen die Gegenstände künstlerisch geformt hervortraten, dauerte oft viele Monate. Miró wartete gleichsam, bis die Dinge ihn „riefen“, bis sie poetischen Zauber und Magie entfalteten, ja bis sie zu „Personen“ wurden, die Miró dann „nur noch“ ausformen mußte. Der Ursprung der montierten Gegenstände wird dabei nie kaschiert, er bleibt weiterhin „lesbar“ – ein Umstand, der selbst die größten Objekte noch im faßbaren, menschlichen Maß beläßt. Erdrückende Monumentalität findet man nirgendwo.

Nach surrealistischem Prinzip, aber nicht symbolschwer, montiert Miró die vorgefundenen Bruchstücke der Wirklichkeit, mit heiterer Leichtigkeit oder milder Ironie, hinter der Ängste nur sanft und geläutert durchschimmern. Den Assoziationen des Betrachters sind kaum Grenzen gesetzt. So mag sich ein Kleiderhaken im Figurzusammenhang zur Nase verwandeln, diese wiederum zum Zeichen des Geschlechts. Ein Kleiderständer mit hölzern-phallischer Ausprägung, versehen mit einem Regenschirm, stellt einen abstrusen „Kavalier“ nach Surrealisten-Art vor.

Auch in der oft verwendeten Eiform (Frauenskulpturen) mag man ein Symbol sehen, etwa für Mütterlichkeit und Fruchtbarkeit, in der Muschel wiederum die Anspielung aufs primäre weibliche Geschlechtsmerkmal. Doch die Symbolsprache ist nie erstarrt und eindeutig festgelegt, sondern bewegt sich frei wie im Vogelflug. Zudem lassen bewußte Nachlässigkeiten in der Gestaltung nie den Eindruck des Fertigen oder gar Weihevollen aufkommen.




Kölns gewaltiger Museums-Zwilling: „Innenleben“ versöhnt auch die Kritiker – Johannes Rau eröffnet am Samstag den „Wallraf-Richartz/Ludwig“-Neubau

Von Bernd Berke

Köln. Der Rhein, der Dom, der neue Böll-Platz, das Römisch-Germanische Museum – und nun der gigantische, 278 Millionen DM teure Museumszwilling „Wallraf-Richartz/Ludwig“, der am kommenden Samstag von NRW-Ministerpräsident Rau eröffnet wird. Welche andere Stadt kann auf so engem Raum ein so markantes Ensemble vorweisen?

Der Neubau gilt Fürsprechern als „Kunst-Kathedrale“, Kritikern als „Kunst-Container“. Kölns Museumsleute sind jedenfalls stolz, und ein Aachener ist womöglich noch stolzer: Westdeutschlands Kunstammler Nummer 1, der Schokoladenfabrikant Peter Ludwig, dessen Stiftungen das neue Museum zum Großteil füllen, strahlte gestern Genugtuung aus: „Ich bin mehr als zufrieden“.

In der Tat: Während bei einem eher kantigen Charakter wie dem Sammler Lothar-Günther Buchheim eine Schenkung nach der anderen in Katzenjammer endet, läuft es beim jovialen Ludwig wie am Schnürchen. Bereits viermal ist der Mann nun auf Museen namentlich verewigt. Am Rande der Veranstaltung dementierte Ludwig übrigens ein Gerücht der letzten Wochen, daß nämlich der (seinerzeit bei NS-Größen wohlgelittene) Bildhauer Arno Breker dem neuen Museum eine Ludwig-Porträtbüste andienen sollte. Ludwig sprach sich gleichwohl dafür aus, daß die Museen der Bundesrepublik endlich ihre Berührungsangst vor NS-Kunst aufgeben sollten.

Ansonsten hielt sich Ludwig beidergestrigen Pressevorstellung des Baues vornehm zurück und ließ andere die Leistung der Kölner Architekten Peter Busmann und Godfrid Haberer preisen. Prof. Hugo Borger, Generaldirektor der Kölner Museen, betonte, die durch Bürgerstiftungen entstandenen Sammlungen des neuen Doppelmuseums (das auch die neue Philharmonie beherbergt) seien in Fülle und Qualität „nur noch mit staatlichen Sammlungen vergleichbar“.

Vom Mittelalter bis zur Pop Art

Kölns OB Norbert Bürger räumte zwar ein, der mit silbrigem Titanzink (mit der Zeit wird’s mausgrau) verkleidete Bau verstelle aus einigen Blickwinkeln den Dom. Dessen Pracht komme aber nun insgesamt stärker zur Geltung. Was immer man von der architektonischen Lösung halten mag – die „Inhalte“ des „Wallraf-Richartz/Ludwig“-Museums versöhnen. Beide Museen können nun bis zu 50 Prozent mehr Exponate als zuvor zeigen, nämlich jeweils rund ein Drittel der Bestände.

Der Rundgang mutet denn auch fast an, als blättere man in einer Kunstgeschichte. Von berühmten Altarmalereien des Mittelalters über Weltkunstwerke wie Rembrandts Selbstporträt von 1665 und markante Beispiele für sämtliche „Ismen“ des 20. Jahrhunderts bis zu Schlüsselwerken der Pop Art reicht das wahrhaft überwältigende Spektrum.

Beinahe wie in einem Warenhaus, das durch Raumstrategie in alle Abteilungen lockt, sind die Geschosse des „Wallraf“-Bereichs (Kunst von 1300 bis 1900) und der „Ludwig“-Teil (ab 1900) so verschachtelt, daß etwa der Pop-Art-Fan zwangsläufig auch an Flügelaltären aus dem Mittelalter vorbeikommt, die hier – eine Besonderheit – zum Teil frei im Raum stehen und von beiden Seiten zu bewundern sind.

Eröffnung am 6. September (Einlaß fürs Publikum um 13 Uhr, mit großem Ansturm ist zu rechnen). Bis 14.9. freier Eintritt, danach 3 DM. Öffnungszeiten: Di-Do 10-20, Fr-So 10-18 Uhr, mittw. geschlossen.

 

Ausstellungs-Start mit Paukenschlägen

(bke) Der Betrieb in den 1000 qm großen Wechselausstellungs-Räumen des neuen Kölner Museumszwillings beginnt gleich mit mehreren „Paukenschlägen“. Der US-betonten Sammlungsstruktur des Ludwig-Museums entsprechend, zeigt dieses die Schau „Amerika-Europa (Geschichte einer Faszination)“ (7. September bis 30. Novemver, Katalog 35 DM). Anhand erlesener Arbeiten von rund 100 Künstlern aus den letzten vierzig Jahren werden die wechselseitigen Anziehungs-, aber auch Abstoßungskräfte zwischen Kunstauffassungen diesseits und jenseits des Atlantik deutlich. Siegfried Gohr, Chef des „Ludwig-Museums“, verglich den Prozeß mit der Verästelung eines Baumes, in dem aber immer wieder einige Zweige in die gleiche Richtung streben.

Die Amerika-Ausstellung wird übrigens von einem US-Kreditkartenunternehmen gesponsert, das bei der gestrigen Vorbesichtigung denn auch häufig und heftig genug genannt wurde. Eins ist klar: Ohne Sponsoren geht so gut wie nicht mehr in Sachen Sonderausstellungen, stehen doch allen acht (!) städtischen Museen Kölns derzeit insgesamt nur 600 000 DM pro Jahr für Ankaufe zur Verfügung. Wahrlich ein Mißverhältnis zu den Neubaukosten!

Mit „Meisterzeichnungen von Leonardo (da Vinci) bis zu Rodin“ (7. September bis 16. November) steigt das Wallraf-Richartz-Museum in den Ausstellungsalltag ein. Die Absicht: generelle und historische Aspekte der Zeichnung als eines außerordentlich lebendigen Mediums vorzuführen. Dabei gerät die aus Wissenschaftsehrgeiz geborene Akribie der Ranaissance ebenso ins Blickfeld wie Faustskizzen moderner Künstler.

Für die kommenden Jahre (die Vorplanungen reichen bereits bis 1991) sind im Kölner Neubau teilweise sensationelIe Kunstschauen zu erwarten. So soll es unter anderem große Überblicke zum Werk von Rubens, von Miró und von Max Ernst geben. Die Miró-Ausstellung wird schon für 1987 angekündigt. Weitere Präsentationen im nächsten Jahr werden Per Kirkeby und Cy Twombly gewidmet sein.




Prächtiges Ägyptergrab im Schatten des Kölner Doms – Neue Technik ermöglicht millimetergenaue dreidimensionale Nachbildung der historischen Stätte

Von Bernd Berke

Köln. Die schönste Grabkammer des Alten Ägypten befindet sich jetzt gleich neben dem Kölner Dom – scheinbar jedenfalls.

Neueste Technik macht’s möglich, daß nun im Römisch-Germanischen Museum der Domstadt eine millimetergenaue, dreidimensionale und zum Verwechseln ähnliche Nachbildung des Originals vom Nil aufgestellt werden konnte, in die man hineingehen kann wie in das echte „Haus der Ewigkeit“ zu Theben. Daselbst ließ sich Sen-nefer, Bürgermeister der damaligen Metropole, um 1400 v. Chr. von den besten Künstlern seiner Zeit eine rundum phantastisch ausgemalte Grabkammer errichten.

Darstellungen altägyptischer Begräbnisritule münden da schließlich in Szenen der Wiedergeburt im Jenseits, wie sie der Osiris-Mythos geprägt hat. Auch die Decke ist ganz ausgemalt, und wie! Die Künstler haben sich – wohl ganz bewußt, auf jeden Fall meisterhaft – die zahlreichen Unebenheiten des Kalksteins zunutze gemacht und Relief-Effekte erzielt. So viele Weinranken sind da zu finden, daß man das Grab auch schon scherzhaft als „Weinlaube“ bezeichnet hat.

Zwischen all dem sieht man insgesamt 16 Mal den Bürgermeister Sen-nefer (übersetzt etwa: „Guter Bruder“), den Freund des Pharaos Amenophis II. zur Hochblütezeit Ägyptens, jeweils in Zweisamkeit mit seiner Frau Merit, die ihn auf den leuchtend farbenfrohen Abbildungen jedoch eher als eine Art göttliche Gehilfin ins Jenseits geleitet. Auch die Weinreben haben hier überhöht-symbolische Bedeutung; sie beziehen sich auf Tage „göttlicher Trunkenheit“, auf glückhafte Zustände: „Ich sitze in der Halle des Vergnügens, um mir einen guten Tag zu machen,“ lautet denn auch die Übertragung einer genußfrohen, auf Sen-nefer bezogene Hieroglyphen-Inschrift der Grabkammer.

Daß man dies alles jetzt in Köln originalgetreu bewundem kann, liegt an der Erfindung eines Fotokonzerns. Knappe Erklärung: Das Grab-Original wurde millimetergenau vermessen, dann rundum im Detail fotografiert. Durch ein spezielles Lösungsmittel konnte eine hauchdünne elastische „Bild-Haut“ gewonnen und sodann auf die Nachbildüng des Original-Gesteins übertragen werden. Selbst allerkleinste Schadstellen und Unebenheiten blieben so erhalten.

Das Verfahren gewinnt zunehmend an Bedeutung. Tausende von Touristen, die die Altertums-Denkmäler besichtigen, bedeuten – schon durch bloße Körperwärme und Atemfeuchtigkeit – eine Gefahr für die Substanz der historischen Zeugnisse. So wurde z. B. die Vorzeithöhle in Lascaux (Frankreich) fürs Publikum geschlessen und durch eine ..Reproduktion“ nach dem gleichen Verfahren „ersetzt“. So dringlich es sein mag, Kulturzeugnisse auf diese Weise zu retten, so betrüblich ist die Aussicht auf eine künftige Welt voller Duplikate und Simulationen, denen – wenn nicht mehr – so zumindest der Geist des Ursprungsorts abgeht.

Die Ausstellung, die auch einen Bogen zu Ägypten-Fotos aus der Mitte des 19. Jahrhunderts schlägt, dauert bis zum 12. Oktober und ist täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr (mittwochs/donnerstags bis 20 Uhr) geöffnet.




Messe-Rahmenprogramm: „Photokina“ stellt das gedruckte Bild in den Blickpunkt

Von Bernd Berke

Köln. Auf massenwirksame Lichtbilder setzt diesmal die „Photokina“-Messe mit ihrem Beiprogramm in Köln. War man 1980 und 1982 mit anspruchsvollen Bilderschauen in die Kunsthalle ausgewichen, präsentiert man sich nun wieder auf dem Messegelände – unter dem populären Leitthema „Das gedruckte Foto“.

Profis und Amateure können sich Anregungen in jederlei Format holen, denn Bilder auf Briefmarkengröße („Foto-Philatelie“) werden ebenso gezeigt wie gigantische Abzüge aus Foto-Jahrbüchem und Kalendem, aus dem Bereich besonders kreativer Reklame-Fotografie oder aus preisgekrönten Foto-Reportagen. Auch sonst weniger beachtete Sparten sollen zur Geltung kommen, beispielsweise Aufnahmen aus Theater-Programmheften, die ansonsten nur am jeweiligen Ort beachtet werden und nach der Auffiihrung meist in die Schublade wandern.

Eingeleitet wird die Fülle der Exponate mit einer historischen Abteilung. Dort kann man anhand zahlreicher Beispiele nachvollziehen, wann und wie die Erfindungen der Fotografie und des Rotationstiefdrucks vereinigt wurden undadenaSiegeszug des „gedruckten Fotos“ einleiteten. ln Deutschland nahm diese Entwicklung um 1912 ihren Lauf. 1913 erschien bereits die erste Illustrierte, der „Berliner Weltspiegel“. Eine Auswahl von Fotos aus den 50er Jahren erweitertdie Rückbesinnung.

Zurück zur Gegenwart: Auch Anhänger von Sofortbild-Kameras kommen bei den Bilderschauen nicht zu kurz. Gedruckte und signierte Schnellbilder machen einen eigenen Ausstellungsteil aus. Weiterer Zweig des Mediums: fotografisch gestaltete Schallplattenhüllen.

Was Amateure auf fotografischem Gebiet zu leisten vermögen, belegen ebenfalls mehrere Film- und Bilderschauen. Da werden u. a. die Siegerfotos des bundesweiten Wettbewerbs „Blende ’84“ vorgestellt, und Super-8-Fans steuern ihre Ansichten zum Thema „Lokalereignis“ bei. Schließlich sind die Gewinnerfotos eines Jugendwettbewerbs (Aufgabenstellung: „Meine Freizeit“) zu besichtigen.

Sämtliche Bilderschauen sind – nicht nur furs Fachpublikum – während der ..Photokina“ (10. bis 16. Oktober) zu sehen. Dafür muß man allerdings an der Tageskasse 30 DM Eintritt hinblättern. Preiswerter wird’s nach Messeschluß: Dann sieht man das Rahmenprogramm für 5 DM (17. bis 28. Oktober). Alle Bilderschauen befinden sich in den Rheinsälen des Messegeländes und in den neuen Glas-Pavillons (Nähe Messeturm). Öffnungszelten: bis 16. Oktober täglich 9 bis 19 Uhr, ab 17. Oktober täglich 10 bis 18 Uhr.