Alles auf Plakaten: Private Probleme und Polit-Sprüche – Vorläufige Bilanz der Kölner Bemalungs-Aktion

Von Bernd Berke

Köln. „In Köln gibt es 5472 Plakatwände zu viel“. Da schreibt’s mal einer. Und ausgerechnet bei einer Aktion, die sich des Mediums „Plakat“ bedient. Genau 224 Wände hatte – wie berichtet – eine private Initiative in der Domstadt für je 70 DM Miete zwecks freier Meinungsäußerung reserviert. Was ist daraus geworden?

„Mein Mann betrügt seine Frau. Wer bin ich?“, schrieb eine Teilnehmerin in Riesenlettern auf „ihr“ Plakat. Ein offenbar wenig mitfühlender Zeitgenosse setzte als Antwortvorschlag „Mona Lisa“ darunter. Eine der ganz wenigen Beschwerden handelte sich der Autor ein, der den Pauschal-Spruch „Kölner Frauen sind weich, warm und willig“ überdimensional zu Papier brachte.

Die Plakattexter stießen jedoch beileibe nicht nur in zweideutige Bereiche vor. Die Bauwut in der Kölner City bleibt beispielsweise auch nicht unkommentiert: „Macht den Dom nicht jeck“, heißt es da in Anspielung auf die rund um den Gotik-Bau aufgetürmten Betonmassen.

Natürlich hat auch die Friedensbewegung für Inspiration gesorgt. In einem neonbeleuchteten Parkhaus findet sich eine gespenstische Malerei, auf der sich eine schwarze Tür öffnet und den Blick auf eine Explosion freigibt: „Es klopft – herein! – Lächelnd tritt der Ernstfall ein“, lauten die lapidaren Begleitworte.

Als besonders findig erwies sich der Mann, der unter Einsatz aller Mittel ein Dia auf seine Wand projizieren und die Umrisse auf plakatgroßem Fotopapier festhalten wollte. Der Schlauch furs Wasserbad und der Quast zum Auftragen der Fixierlösung lagen schon bereit – da machten voll aufgeblendete Autoscheinwerfer, die auf die Wand strahlten, das Werk zunichte. Verständlicherweise weniger Mühe gab sich eine Teilnehmerin, die kurzfristig erkrankt war. Sie ließ mitteilen: „Lungenentzündung statt Plakatbemalung“.

„Unsere Aktion ist leider etwas zögerlich angelaufen“, bedauert Hanne Zens (37), Mitorganisatorin der Plakatbemalung. Inzwischen seien immerhin 120 Wände gefüllt. Die Seniorenorganisation „Graue Panther“ (Plakattext: „Armut im Alter. Schande für Deutschland“) habe sich ebenso beteiligt wie die Selbsthilfeorganisation „Netzwerk“; auch Rentner, Taxifahrer, Ärzte, Hausfrauen und Redakteure seien eifrig zu Werke gegangen.

Die betrüblichste Erfahrung machte Clemens Böll (Neffe von Heinrich Böll) mit seinem Text „Mein Freund ist Türke“, der rechtsradikale Geister wachrief. Die handschriftlichen Zusätze auf dem Plakat sind nicht zitierwürdig.




Mit dem Bus geht das Museum auf die Reise – Neue Idee beim Landschaftsverband Rheinland

Von Bernd Berke

Köln. Mit einem ehemaligen Röntgenbus macht jetzt der Landschaftsverband Rheinland (LVR) seine Museen mobil. Das urige Gefährt, für 40 000 DM erworben und umgebaut, wird als rollende Ausstellung Betriebe, Schulen, Altenheime oder Campingplätze ansteuern. Erklärtes Ziel des bundesweit einmaligen Kulturdienstes auf Rädern: Besucherschichten, die bisher keinen Fuß über Museumsschwellen setzten, sollen anhand von Kostproben umgestimmt werden.

Im Fahrerhaus des gut zehn Meter langen „Museums“ sitzen jeweils zwei Wissenschafts- oder Kunstpädagogen, die die nötigen Hintergrundinformationen vermitteln. Auf längeren Touren können diese „Kultur-Animateure“ auch im Bus übernachten. Im hinteren Bereich befinden sich Vitrinen und Stellwände – bestückt mit besonders robusten Exponaten, die auch einen beherzten Zugriff überstehen. Zum Innenleben gehören außerdem Filmprojektor, Videoanlage und Diabetrachter.

Klar, daß auf der höchst begrenzten Ausstellungsfläche jeweils nur ein Museum seine Arbeit vorstellen kann, und dies auch nur in bescheidenen Ausschnitten. Den Anfang macht seit gestern das Rheinische Freilichtmuseum Kommern/Eifel, dessen Museumspädagoge, Dr. Michael Faber, auch die zündende Idee für das ganze Projekt hatte. Faber: „Wir wollen den Leuten nicht nur etwas vorführen, sondern sie zum Mitmachen bewegen.“ Ein erster Erfolg konnte bereits gestern verbucht werden: Eifrig nahmen einige Kinder das Modell eines Fachwerkhauses auseinander, das die mobilen Museumsleute vor dem Kölner Dom ausgepackt hatten.

Hans-Rudolf Haltung, Kulturdezernent des LVR, hat unterdessen vor allem höhere Besucherzahlen im Sinn. Zwar gehöre das Museum Kommern (das alte Bauernhäuser, Windmühlen und historische Werkstätten beherbergt), mit 300 000 Besuchern pro Jahr zur Spitzengruppe, doch – bezogen auf die Gesamtzahl der Rheinländer – „waren 8,7 Millionen noch nicht da!“ (Hartung). Der Dezernent hat genau nachgerechnet: Wenn es der Busbesatzung gelingt, an jedem Reisetag 75 Besucher ins eigentliche, „stationäre“ Museum zu locken, rentiert sich der Aufwand. Die Fahrzeugmiete beträgt 150 DM täglich.

Bis Freitag wird der bunte Bus, der übrigens auch auf Bestellung kommt, noch auf dem Kölner Roncalli-Platz stehen und zum Nulltarif Einblicke in die Arbeit des Freilichtmuseums Kommern geben. Danach geht’s auf Tournee durch die Provinz. Dabei führen die Betreuer unter anderem das Modell eines Getreide-Reinigungsgeräts sowie Lehrbeispiele aus einer Stellmacherei vor.

In ungefähr drei Monaten soll das nächste Museum – eventuell der Archäologische Park Xanten – auf die Reise gehen.




Eine Epoche der Plastik wird neu besichtigt – „Skulptur des Expressionismus“ in der Kölner Kunsthalle

Von Bernd Berke

Köln. Ein Ausstellungs-Glücksfall in der Domstadt: Die meisten gezeigten Arbeiten sind so gut wie unbekannt, die Epoche, aus der sie stammen, ist jedoch allgemein anerkannt. „Skulptur des Expressionismus“, ab heute in Gestalt von 125 plastischen Arbeiten von 33 Künstlern in der Kölner Kunsthalle zu sehen (bis 26. August, Katalog 38 DM), schließt eine bislang kaum bewußt gewordene Lücke in der Kunstgeschichte.

Vermutlich kein Zufall, daß dies gerade jetzt geschieht. Allerneueste Bildhauerei knüpft ja – wie jetzt in der bewußt parallel zur Kölner Ausstellung gezeigten Duisburger Schau „Bella Figura“ zu sehen –nicht selten beim Expressionismus an.

Wohl zählt die Malerei jener Stilrichtung längst zum unverzichtbaren Grundstock aller größeren Museen, doch daß z. B. Erich Heckel, Ernst Ludwig Kirchner und Emil Nolde auch plastische Meisterwerke schufen, ist noch nie in dieser Breite demonstriert worden. Köln ist die einzige Station der „bahnbrechenden“ Schau (US-Kommentar) in Europa. Zusammengestellt wurden die aus 70 Museen und PrivatSammlungen stammenden Exponate (Entstehungszeit: 1907 – 1925) vom Los Angeles County Museum of Art. Dabei tauchten sogar verschollen geglaubte Werke wie etwa Kirchners „Tänzerin mit Halskette“ (1910) wieder auf.

Die landläufige Vorstellung, expressionistische Plastik sei im Wesentlichen mit den Namen Barlach und Lehmbruck abgetan, kann angesichts dieser Ausstellung kaum aufrecht erhalten werden. Gewohnte Auffassungen müssen differenziert werden, denn gerade die bis dato nur als Maler berühmten „Brücke“-Mitglieder vollzogen entschiedene Abkehr von den Leitfiguren.

Schon die Wahl des Materials (Barlach bevorzugte Bronze und Stein) macht einigen Unterschied aus. Heckel und Kirchner bearbeiteten Holz und setzten dessen Eigen Struktur als bildnerisches Mittel ein. Ihre meist blockhaften, ungeglätteten Figuren mit versunkenen oder ungestümen, immer aber „elementaren“ Gesten entstanden nach dem Vorbild afrikanischer Plastik. Naturproportionen werden gestaucht oder ins Längliche verzerrt, die Form dient dem Ausdruck psychischer Grenzsituationen.

Alle Versuche, den Expressionismus überhaupt als einheitliche Stilrichtung zu beschreiben, enthüllen sich hier als bloße Hilfskonstruktioneu. Zwar haben die Ausstellungsmacher auch Randfelder (etwa Archipenko oder Gerhard Marcks, jeweils mit gewisser Berechtigung) einbezogen, doch auch ohne diese Ausdehnung wären die Stilprägungen unterschiedlich genug. Rudolf Bellings Arbeiten etwa atmen mindestens ebensoviel konstruktivischen Geist wie expressionistischen (z.B. „Schreitender“, eine aus technoiden Formelementen gestaltete Figur). Christoph Voll wiederum widmet sich (ähnlich wie Käthe Kollwitz) sozialer Thematik.

Eine Entdeckung dieser Ausstellung ist der Schweizer Hermann Scherer, ein Adept Kirchners. Seine monumentalen Liebespaar-Figuren sind von selten erreichter erotischer Vitalität, seine als Dreiergruppe aufragende »Totenklage“ (1924/25) ist eines der eindruckvollsten Stücke der ganzen Ausstellung.




Sechs NRW-Museen zeigen „Westdeutschen Impuls“ – Kunst und Design im Rhein- und Ruhrgebiet nach 1900

Von Bernd Berke

Im Westen. Vom „Museum der gescheiterten Hoffnungen“ war die Rede, und Johann Heinrich Müller, Direktor des Hagener Osthaus-Museums, sah bestätigt, daß „Kunst seit jeher in politischen Sackgassen endet.“ Eine Pressekonferenz mit Molltönen: Dabei lautet der Titel des gestern in Essen vorgestellten Ausstellungsprojekts von sechs NRW-Museen selbstbewußt: „Der westdeutsche Impuls.“

Die insgesamt 1,1 Mio. DM teure Gemeinschaftsaktion von Museen in Hagen, Wuppertal, Essen, Düsseldorf, Krefeld und Köln soll künstlerische Anregungen und deren Umsetzungen in Architektur, Industrie und Handwerk darstellen, die zwischen 1900 und 1914 im Land an Rhein und Ruhr besonders ausgesprägt waren. Nur wenige Relikte haben „überlebt“, von der Aufbruchstimmung ganz zu schweigen. Darauf bezogen sich die eingangs zitierten Aussagen.

Der Anstoß kam vom Essener Folkwang-Museum, das heute große Teile der Sammlungen von Karl Ernst Osthaus beherbergt. So rankte sich das ursprüngliche Konzept auch um den Hagener Bankierssohn Osthaus, der um 1900 (umgerechnet) 60 Mio. DM erbte und vor allem in die Kunst „steckte“. Leitidee: dem Leben im industriellen Raum durch Verschönerung der Alltagsgegenstände Weihe zu verleihen. Von Osthaus und „seinem Architekten Henri van de Velde gingen „Impulse“ zu einem „Gesamtkunstwerk“ aus, das sich sogar auf eine umfassende Regionalplanung für das Revier erstrecken sollte – eine Keimzelle für den 1920 gegründeten Ruhrsiedlungsverband und für Ideen, die später vom „Bauhaus“ weitergeführt wurden.

Das Essener Konzept erweiterte sich. Das Ergebnis ist kaum überschaubar. „Von der Teekanne bis zur Schwebebahn; von Picasso bis zur Keksdose“ – so könnte man pointieren. Die einzelnen Schwerpunkte:

  • Hagen (Osthaus-Museum und „Hohenhof): Dokumente zur Sammlertätigkeit von Karl Ernst Osthaus, der Hagen nach 1900 zu einem Stützpunkt der Avantgarde machte; Mobiliar, das sich Osthaus im Jugendstil entwerfen ließ.
  • Wuppertal (Von der Heydt-Museum): Dokumente zur Schwebebahn, dem zukunftsweisenden Verkehrsmittel jener Zeit; Ideen zu einer funktionellen „Architektur ohne Ornament“ und Beispiele für die damals in Elberfeld und Barmen geleistete Vermittlung vorausweisender Kunst (z. B. 1911 weltweit der erste Picasso-Ankauf für ein Museum).
  • Essen (Museum Folkwang): Dokumente zur Siedlung Margarethenhöhe, Paradebeispiel für „Gartenstadt“-Konzepte; Industriedesign, das seinerzeit deutschen Waren auf die Weltmärkte verhelfen sollte, wodurch Bestrebungen, dem Alltag etwas „Kunstschönes“ zu verleihen, oft mit imperialistischen Unterströmungen in Berührung kamen.
  • Düsseldorf (Kunstmuseum): Peter Behrens und seine Entwicklung vom Jugendstilkünstler zum Industrie-Designer; „Sonderbund“ -Ausstellungen 1909-1911.
  • Köln (Kunstverein): Dokumentation zum „Werkbund“ (Gründung von Künstlern und Industriellen).
  • Krefeld (Kaiser Wilhelm-Museum): Erstmals eine geschlossene Präsentation der 1923 aus Hagen erworbenen Teile der Osthaus-Sammlung.
  • Sämtliche Ausstellungen beginnen an diesem Wochenende und dauern – je nach Lokalität – bis Mitte oder Ende Mai bzw. Mitte Juni. Der Katalog (6 Bände) kostet komplett 125 DM, einzeln je 25 DM.



Neil Young – Besuch aus der Zukunft

Von Bernd Berke

Köln. Neil Young-Fans in Dortmund und Umgebung dürfen sich auf das Gastspiel des 36-jährigen Kanadiers am kommenden Montag in der Westfalenhalle freuen. Doch die Freude wird nicht ungetrübt bleiben. „Testfall Köln“: Das Publikum in der ausverkauften Deutzer Sporthalle erlebte schmerzhafte musikalische „Wechselbäder“. Young hat eine denkbar unglückliche Auswahl aus einem riesigen Repertoire getroffen.

Das Programm zerfällt in drei Teile: Neil Young solo, mit akustischer Gitarre und Mundharmonika oder allein am Klavier. Melancholische Balladen und Country-Songs: „Old Man“, „The Needle and the Damage Done“, „Comes a Time“, „Sugar Mountain“. Unverwechselbare Lieder, manche beinahe „zum Heulen schön“. Genau das ist die Musik, die keiner besser macht als Young, und deshalb waren die 5000 in die Halle gekommen. Der orkanartige Beifall nach den leiseren Nummern ließ nicht den mindesten Zweifel.

Auch der zweiten Stilrichtung kann man noch manchen Reiz abgewinnen: die Begleitband, aus der Youngs langjähriger Weggenosse Nils Lofgren (Gitarre) und „Crazy Horse“-Drummer Ralph Molina hervorragen, liefert ein solides Klangfundament für Youngs Ausflüge in die Gefilde des Blues und Rock. Traumhaft das Zusammenspiel von Young und Lofgren bei Nummern wie „Like a Hurricane“, „Southern Man“ und „Out of the Blue / Into the Black“.

Zwischendurch aber immer wieder – und das veranlaßte die Fans zu lauten Buh-Rufen –einige der jüngsten Kompositionen Youngs: Dutzendware für Diskotheken, mit elektronischer Stimmverzerrung. Frostige Grüße aus der „Computerwelt“. Natürlich ist es legitim, wenn ein Musiker neue Stilmittel erproben will. Als Disco-Musiker ist Young aber einer unter vielen – und bei weitem nicht derbeste.

Solche unbedarften Schöpfungen ins Programm einzustreuen, grenzt überdies an „Vorspiegelung falscher Tatsachen“. Kaum jemand im Publikum hatte wohl mit solcher Art von Berieselung gerechnet. Sollte das der Neil Young der Zukunft sein, müßte er sich andere Zuhörer suchen. Schließlich die Plazierung! Wenn eine dieser monotonen Nummern unvermittelt hinter das leise „After the Goldrush“ gestellt wird, muß man an Youngs vielgerühmter Sensibilität zweifeln.

Wenn Young es nur über sich brächte, für den Dortmunder Auftritt die Disco-Einlagen zu streichen – die Westfalenhalle wäre am 11. Oktober (Karten gibt’s noch) Schauplatz eines der besten Konzerte der letzten Jahre!