Kehrseiten des Expressionismus – eine nachdrückliche Befragung in Dortmund

Kunstgenuss ist in Dortmund keineswegs ausgeschlossen: Ernst Ludwig Kirchners Gemälde „Sertigweg“, 1924/26, Öl auf Leinwand (Sammlung Horn, Stiftung Rolf Horn / Landesmuseen Schleswig-Holstein, Schloss Gottorf, Schleswig)

Der Expressionismus ist museal vielfach durchbuchstabiert worden. Gibt es da noch Neues zu entdecken? In Dortmund wird es versucht.

Der Reihe nach: Die Sammlung Horn bereichert seit 1988 das schleswig-holsteinische Landesmuseum Schloss Gottorf in Schleswig. Nun wird dort umgebaut, deshalb können die Bestände auf Reisen gehen. Die Tournee hat im Kirchner-Museum zu Davos begonnen, wo man sich – wie meist üblich – auf Künstler-Persönlichkeiten konzentriert hat: Heckel, Kirchner, Schmidt-Rottluff, Pechstein, Rohlfs, Nolde, Jawlensky, Kollwitz.

In Dortmund, wo die Sammlung Horn unter dem Titel „Expressionismus – hier und jetzt!“ gastiert, soll diese Kunst hingegen nicht allein für sich sprechen. Bildergenuss geht hier nur mit Hintergrund. Die Werke werden mit einem Netz aus Theorie überzogen, ja hie und da überfrachtet.

Im Kontext der „Schwarzen deutschen Geschichte“ 

Das rein weibliche Kuratorinnen-Team des Museums Ostwall im „Dortmunder U“ fügt die rund 120 expressionistischen Werke in den Horizont ihrer Entstehungszeit ein, und das heißt – heutigem Zeitgeist gemäß – nicht zuletzt in ein kolonialistisches Umfeld. Besonders der Ko-Kuratorin Natasha A. Kelly ist daran gelegen, den Kontext „Schwarzer deutscher Geschichte“ aufzurufen. Die Expressionisten haben demnach vielfach Modelle mit dunkler Hautfarbe gemalt, allem damaligen Fortschrittsdrang zum Trotz letztlich doch mit „weißem“ Blick und stereotypen Sichtweisen, die freilich erst viel späteren Generationen aufgefallen sind. Bis auf Namen wie Milli und Nelly war bisher kaum Näheres über diese Frauen bekannt. Eine Video-Installation von Anguezomo Mba Bikoros stellt nun einen Bezug zu jener Ära her, als sich schwarze Frauen in der Unterhaltungsindustrie zum Amüsement des europäischen Bürgertums verdingten.

Aneignung „exotischer“ Formensprachen

Bestrebungen der Expressionisten zur Lebensreform mit Natursehnsucht und Freikörperkultur (als Einspruch gegen Industrialisierung) galten als Avantgarde, während die „Naturvölker“, denen sie die vermeintlich paradiesische Körperlichkeit abschauten, als rückständig wahrgenommen wurden. Zugleich eigneten sich Expressionisten die künstlerische Formensprache an, wie sie in Völkerkundemuseen zu finden war oder auf Reisen in exotische Weltregionen erlebt wurde. Grundsätzlich wäre – auch vor dem Hintergrund heutiger Debatten – zu fragen, ob derlei „kulturelle Aneignung“ nur verwerflich ist oder auch dem produktiven Austausch der Kulturen dienen kann.

Beispiel für die theoretische Befragung der Kunst in Dortmund: Moses März‘ Raum mit einer „Kartographie des Expressionismus im Zeitalter des Tout-Monde“. (© Moses März – Foto: Museum Ostwall im Dortmunder U / Roland Baege)

Suche nach gegenläufigen Erzählungen

Die Dortmunder Ausstellung versucht an einigen Stellen, etwa mit Arbeiten der melanesischen Künstlerin Lisa Hill, wirksame „Gegenerzählungen“ zu entwerfen, die dem wohlfeilen Exotismus entgegenstehen. So sollen etwa die Bewohner von Südsee-Regionen ihre Natur und Geschichte aus eigener Perspektive schildern. Außerdem ist Moses März‘ weit ausladende Kartierung komplizierter Zusammenhänge zwischen Expressionismus, Kolonialhistorie und kapitalistischem Kunstmarkt zu sehen. Ein Saal, wie mit lauter Wandzeitungen gespickt, im Prinzip gelehrt und belehrend, doch wildwüchsig verflochten und recht chaotisch wirkend.

Trotz aller kritischen Befragung bietet die Ausstellung auch einen gewissen Überblick zur expressionistischen Kunst – vom harschen Holzschnitt bis zur satten Farbenpracht. Schätze der Sammlung Horn begegnen ausgewählten Stücken des Dortmunder Eigenbesitzes und Leihgaben aus Davos. Doch so „unschuldig“, wie einem diese Kunst bislang erschienen sein mag, soll sie künftig wohl nicht mehr betrachtet werden können. Ob das Publikum diesen sperrigen Zugang goutiert?

„Expressionismus – hier und jetzt!“ Museum Ostwall im Dortmunder U. Noch bis zum 18. Februar 2024. Di, Mi, Sa, So 11-18 Uhr, Do und Fr 11-20 Uhr, 31.12.23 und 1.1.24 geschlossen. www.dortmunder-u.de/museum-ostwall

Eine längere Version des Beitrags ist zuerst im Kulturmagazin „Westfalenspiegel“ erschienen.

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Nachtrag: Die erwähnte Dortmunder Ko-Kuratorin Natasha A. Kelly hat neuerdings an der Universität der Künste in Berlin eine Gastprofessur fürs Studium generale inne. Dort ist sie jüngst auch im Zusammenhang mit entschieden pro-palästinensischen und tendenziell antisemitischen Aktionen in Erscheinung getreten, die sie laut einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung („Die Politik der Verdammnis“, Autor Claudius Seidl, 27. November 2023) ausdrücklich gutgeheißen hat. Nach einer verqueren Lesart gelten auch Israelis und somit Juden als „weiße Kolonisatoren“, so dass es durchaus ideologische Querverbindungen zu Ansätzen der Dortmunder Ausstellungen geben könnte.




Genozid in den afrikanischen Kolonien: Schauspiel Köln gibt Herero und Nama eine Stimme

Foto: David Baltzer/ Schauspiel Köln

Foto: David Baltzer/ Schauspiel Köln

Es war Völkermord: Der Theatermacher Nuran David Calis, der sich in Köln mit der Keupstraßen-Trilogie, in der er die NSU-Morde thematisierte, einen Namen gemacht hat, widmet sich nun in seiner neusten Uraufführung am Schauspiel Köln einem weiteren dunklen Kapitel der deutschen Geschichte: dem Genozid an den Herero und Nama, den die Kolonialmacht des Deutschen Kaiserreiches zwischen 1904-1908 im heutige Namibia in Südwestafrika verübte.

Formal geht er dabei bewusst über die Mittel des Dokumentartheaters hinaus, derer er sich zwar für die Veranschaulichung der Thematik bedient, die er aber hin zum Diskurstheater überschreitet.

Denn in Köln sitzen die Vertreter und Nachfahren der Herero und Nama mit auf der Bühne und formulieren explizit ihr Anliegen an die deutsche Gesellschaft, in diesem Falle das Publikum: Sie fordern eine Entschuldigung für das Leid, das ihren Großeltern und Urgroßeltern angetan wurde, sie fordern die Rückgabe von Artefakten und, so makaber es klingt, von sterblichen Überresten ihrer Vorfahren, die immer noch in deutschen Museen lagern. Und sie fordern Reparationszahlungen an die Herero und Nama.

Aktuelle Politik ragt in die Aufführung hinein

In New York haben sie Deutschland jüngst deswegen verklagt, der erste Versuch war nicht erfolgreich, die Klage wurde letzte Woche abgewiesen, aber die Nachfahren wollen in Berufung gehen, wie sie sogar auf der Bühne bekräftigen – so ragt die aktuelle Politik in die Aufführung hinein.

Ein wenig aus der Zeit gefallen wirkt es allerdings schon, wie Talita Uinuses, Israel Kaunatjike und Julian Warner an einem altmodischen Kaffeetisch sitzen und ihre Geschichte erzählen. Dabei ist die Schilderung der Grausamkeiten teilweise schwer auszuhalten: Wie Menschen versklavt, gefoltert, getötet wurden, wird aus vielen historischen Dokumenten sowie Fotos und Filmen deutlich.

Beschämende Befunde

Im Hintergrund symbolisieren drei Schauspieler in die Kutten der ersten Missionare in Südwestafrika verkleidet und mit schauerlichen Masken angetan, den Umschlag von christlicher Nächstenliebe in Unterdrückung und Rassismus, je mehr die deutsche Kolonialmacht mit ihren gnadenlosen Militärs damals die Oberhand gewann.

Und, ja, es ist beschämend, wenn man so im Publikum sitzt und hört, wie Kolonialbeamte in Berlin 1906 in ihren Akten darüber schwadronieren, ob man nun zur Züchtigung der „Hottentotten“ lieber eine Nilpferdpeitsche oder ein Tauende benutzen sollte. Wer jetzt nicht über das üble Gift des Rassismus und wie es bis heute in Gesellschaften wirkt, nachdenkt, dem ist wohl tatsächlich nicht mehr zu helfen.

Wird das Leid letzten Endes ästhetisiert?

Allerdings nimmt die Inszenierung dann nochmal eine interessante Wendung, indem der Aktivist Julian Warner das ganze Unterfangen auf der Bühne in Frage stellt und die Aufführung selbst als Ästhetisierung des Leids für verfehlt erklärt. Der Schauspieler Stefko Hanushevsky widerspricht ihm heftig: Warum sollte man nicht mit theatralen Mitteln ein solches Thema verhandeln und die Zuschauer dafür sensibilisieren können? Dass darüber bis zum Schluss keine Einigkeit zu erzielen ist, ist fast folgerichtig.

Trotzdem hängen politischer Apell sowie dessen Umsetzung in bühnenwirksame Bilder irgendwie ein wenig in der Luft: Vielleicht, weil das Publikum den Diskurs letztlich nur als stumme Masse verfolgt und selbst nicht zum Akteur werden kann? Vielleicht weil die Gesellschaft, die hier angeklagt wird, nur teilweise im Zuschauerraum sitzt? Eines erreicht der Abend aber auf jeden Fall: Er lässt einen nicht kalt…

Karten und Termine: Schauspiel Köln




Mal woanders hingucken: Das Fremde und das Eigene als „museum global“ im Düsseldorfer K20

Der alte Chef interessierte sich nicht für die politische Korrektheit von Kunstgeschichte. Werner Schmalenbach (1920-2010), bis 1990 amtierender Gründungsdirektor der Kunstsammlung NRW, hatte nur einen Antrieb: „Die Lust auf das Bild“. So nannte er ein Buch über sein leidenschaftliches Leben mit der Kunst.

Lasar Segall: „Encontro", um 1924, Öl auf Leinwand (Acervo Museu Segall - IBRAM/MinC - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Plakatmotiv, das die Welten verbindet: Lasar Segall „Encontro“, um 1924, Öl auf Leinwand (Acervo Museu Segall – IBRAM/MinC – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Und so, mit den Augen und dem Herzen eines Liebhabers, trug er eine der schönsten Sammlungen der klassischen Moderne zusammen: Picasso, Matisse, Miró, Max Ernst und die anderen Großen. Alles nur westliche Ansichten, findet Schmalenbachs heutige Nachfolgerin Susanne Gaensheimer. Sie hat das Haus umräumen lassen und präsentiert nun mit einem Team von Kuratorinnen im Düsseldorfer K20 ihr „museum global – Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“.

„Postkolonialer Diskurs“

Ex-zentrisch (mit Bindestrich) ist in diesem Fall wörtlich gemeint – weg vom zentralen Gedanken. Viele internationale Institute würden derzeit, erklärt Gaensheimer, ihre „Haltung hinterfragen“. Sie wollten wissen: „Was gab es noch?“ Praktischerweise hat die Professorin schon am Frankfurter Museum für Moderne Kunst, ehe sie ins K20 wechselte, mit Geld und Segen der Kulturstiftung des Bundes eine erste Station des Programms „Museum Global“ vorbereitet. Nach Berlin („Hello World“) ist nun Düsseldorf an der Reihe und beteiligt sich an dem, was Julia Hagenberg, die Leiterin der Abteilung Bildung, den „postkolonialen Diskurs“ nennt.

1965 bis 1985: Bilder von Paul Klee auf Weltreise

Da geht es nicht um die traditionelle Volkskunst Afrikas, die im 20. Jahrhundert von Meistern der Moderne geschätzt, von westlichen Galeristen vermarktet und von Bildungsbürgern gesammelt wurde. Zu heikel. Es geht vielmehr um neue Kunstformen, nach denen auswärtige Maler strebten – zeitgleich mit der europäischen Avantgarde. Die „Mikrogeschichten“ zeigen beispielhaft zwischen 1910 und 1960 entstandene Werke aus Japan, Russland, Brasilien, Mexiko, Indien, dem Libanon und Nigeria. Das Ergebnis sei, findet Gaensheimer, „absolut umwerfend“. Nun ja.

Paul Klee: „Omphalo-centrischer Vortrag", 1939, Kreide und Kleisterfarbe auf Seide und Jute (© Kunstsammlung NRW)

Paul Klee: „Omphalo-centrischer Vortrag“, 1939, Kreide und Kleisterfarbe auf Seide und Jute (© Kunstsammlung NRW)

Der innerste Schatz der Kunstsammlung NRW, ein 1960 von der Landesregierung erworbenes Konvolut von 88 Werken Paul Klees, wird zum „Prolog“ des Unternehmens. Schmalenbach liebte die kleinformatigen Kostbarkeiten wie das „Kamel in rhythmischer Baumlandschaft“ (1920/42) oder den „Schwarzen Fürsten“ (1927). Man kann die poetische Melancholie und Heiterkeit des frühen Bauhausmeisters Klee (1879-1940), der 1933 von den Nazis aus seinem Amt an der Düsseldorfer Kunstakademie vertrieben wurde, durchaus aufspüren. Doch die Werke werden im grau gestrichenen Erdgeschoss recht lieblos präsentiert. Dominant sind Texte, Kataloge, Fotografien, Audiodateien zu Ausstellungen zwischen Jerusalem und Rio de Janeiro, bei denen die Düsseldorfer Klee-Bilder zwischen 1965 und 1985 zu sehen waren: „Eine Sammlung auf Reisen“ mit Weltkarte. Erster Teil der Fleißarbeit.

Expressionismus made in Japan

Im zweiten Stock des Hauses sind zum Glück nicht alle grandiosen Bilder durch Unbekanntes ersetzt worden. Vertraute Prachtstücke werden vielmehr den zum Teil recht beliebigen Leihgaben gegenübergestellt. Kandinskys abstrakte „Komposition IV“ von 1911 zum Beispiel bildet einen sonderbaren Kontrast zu einer naiven Festszene des georgischen Autodidakten Niko Pirosmani (1862-1918).

Yorozu Tetsugoro: „Nude Beauty", 1912, Öl auf Leinwand (Important Cultural Property, The National Museum of Modern Art, Tokyo - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Yorozu Tetsugoro: „Nude Beauty (Nackte Schönheit)“, 1912, Öl auf Leinwand (Important Cultural Property, The National Museum of Modern Art, Tokyo – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Andere Kombinationen zeigen kuriose Verwandtschaften. Die Ähnlichkeit der 1912 gemalten „Nackten Schönheit“ des an Westkunst stark interessierten Japaners Yorozu Tetsugoro mit Bildern deutscher Expressionisten kann kein Zufall sein. Sein in Japan hochgeschätztes Selbstbildnis übt sich im Stil französischer Impressionisten. Da wirkt Ernst Ludwig Kirchners „Mädchen unterm Japanschirm“ (1909) wie ein stummer ironischer Kommentar.

Westliche Impulse zur Befreiung von Folklore

Wer sich von der eigenen Folklore frei machen wollte, ließ sich vom Westen beeinflussen, das zeigt die Ausstellung deutlich – ob sie es will oder nicht. Nicht nur die Libanesin Saloua Raouda Choucair (1916-2017), die nach dem Zweiten Weltkrieg in der Pariser Akademie-Klasse von Fernand Léger studiert hatte, reagierte direkt auf die Vorbilder. Ihre kleinen stilisierten Figuren korrespondieren fast rührend mit Légers dominantem Paar „Adam und Eva“. Später wandte sie sich der Abstraktion zu. Die in Ungarn geborene Inderin Amrita Sher-Gil (1913-1941) malte sich selbst 1934 mit nacktem Busen „als Tahitianerin“ – in Anlehnung an Paul Gauguins exotische Schönheiten.

Anlehnung an Gauguin: Amrita Sher-Gil „Self-Portrait as a Tahitian", 1934, Öl auf Leinwand (Collection of Navina and Vivan Sundaram - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Anlehnung an Gauguin: Amrita Sher-Gil „Self-Portrait as a Tahitian“, 1934, Öl auf Leinwand (Collection of Navina and Vivan Sundaram – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Der Mexikaner Diego Rivera hingegen behielt, wie seine berühmte Gefährtin Frida Kahlo, seinen eigenen, volkstümlichen Stil. Ein Wallpaper mit der Reproduktion eines seiner bäuerlichen Fresken weist darauf hin. Das dunkle, verschmitzte Porträt, das der Italiener Amedeo Modigliani 1914 in Paris von Rivera malte, hat ein anderes, subtileres Niveau.

Verbunden werden die Welten durch das Plakatmotiv: ein kleines neu-sachliches Bild des jüdischen Malers Lasar Segall (1891-1957), der in Berlin und Dresden studiert hatte und 1919 einer der Gründer der avantgardistischen Dresdner Sezession war. „Encontro“ heißt es, Treffen, und zeigt ihn selbst mit dunklem Teint neben seiner sehr weißen Frau Margarete. Sie blicken starr aneinander vorbei. Im Jahr der Entstehung, 1924, trennten sie sich, und Segall emigrierte nach Brasilien, wo er zu großen Ehren kam. Sein monumentales, etwas pathetisches Bild „Emigrantenschiff“ erzählt von den Nöten seiner Zeit und erreicht uns mitten in der neuen Flüchtlingskrise.

Didaktik im offenen Raum

In der Abteilung Nigeria geht es hauptsächlich um die innere Loslösung von der britischen Kolonialherrschaft nach der Unabhängigkeit 1960. Ein Künstlerclub wurde gegründet, Schwarzweiß-Filme schildern ausbeuterische Verhältnisse, ein rotes Ölbild von Ueche Okeke mit abstrahierten Figuren trägt den Titel „Land der Toten“. Bilanz: Große künstlerische Entdeckungen sind im Museum Global nicht zu machen. Es ist eher ein historisch-politisches Interesse, das der Besucher braucht, um das mit wissenschaftlichem Eifer erarbeitete, mit viel Information befrachtete, aber nicht gerade betörende Projekt zu goutieren.

Saloua Raouda Choucair „Paris - Beirut", 1948, Gouache (ç Saloua Raouda Choucair Foundation - Foto: © Kunstsammlung NRW)

Von Fernand Léger beeinflusst: Saloua Raouda Choucair „Paris – Beirut“, 1948, Gouache (© Saloua Raouda Choucair Foundation – Foto: © Kunstsammlung NRW)

Das braucht didaktisches Bemühen. Ein zum Grabbe-Platz hin offener „Open Space“ soll auch museumsferne Gäste ins Haus locken. Es gibt da eine aus ökologisch einwandfreien Hölzern erbaute Arena, Tische, Stühle, Monitore, eine kleine Bibliothek mit Büchern und Spielen, freies WLAN und einen Kiosk für den schnellen Cappuccino. Auf diesem von der Kulturstiftung der Commerzbank finanzierten Spielplatz sollen sich Geist und Körper entfalten, bei afrikanischem Tanz und indischer Philosophie. So entsteht, hofft Stiftungsvorstand Astrid Kießling-Taskin, ein „Dialog mit der Stadtgesellschaft“. Hoffen wir mal.

„museum global: Mikrogeschichten einer ex-zentrischen Moderne“: Bis 10. März 2019 im K20, Düsseldorf, Grabbeplatz. Di.-Fr. 10 bis 18 Uhr, Mi. bis 19 Uhr, Sa./So. 11 bis 18 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Zwei deutsch-englische Kataloge sind in Vorbereitung. Ein „Open Space“ mit Café und Rahmenprogramm ist von außen frei zugänglich. www.kunstsammlung.de




Dosierter Reiz der Fremdheit – Cappenberg zeigt deutsche Brasilien-Bilder des 19. Jahrhunderts

Von Bernd Berke

Cappenberg. Der Mann geht als sehniger Jäger durch den Dschungel voran, einige Meter hinterdrein trottet seine Gefährtin mit der Kinderschar. Häufig kehrt dieses Familien-Muster in der neuen Cappenberger Ausstellung wieder. Falls die Bilder nicht trügen, herrschte bei den Indianern im brasilianischen Urwald vor rund 150 Jahren jedenfalls kein Matriarchat.

Die aus Berlin kommende Schau führt mit vielen Beispielen vor, wie einigermaßen begabte deutsche Reise-Künstler im frühen und mittleren 19. Jahrhundert brasilianische Verhältnisse bebildert haben. Eine Leitlinie ist der ebenso forschende wie staunende Blick, mit dem sich der große Alexander von Humboldt den Phänomenen der Welt näherte. Er, der zwar südamerikanischen, aber nie brasilianischen Boden betrat, animierte auch Maler und Zeichner, wissenschaftlich verwertbare Exaktheit mit Inspiration zu verknüpfen – ein ganzheitlicher, künstlerischen Sinn einbeziehender Ansatz. Aber auch die Perspektiven der Humboldt-Ära sind vom Zeithorizont begrenzt. Doch wer weiß, welche Aspekte wir Heutigen, medial Gesättigten schlichtweg ausblenden.

Die damaligen Darstellungen wurden meist von adligen Herren gefertigt, sie konnten sich ausgedehnte Reisen erlauben. Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied etwa drang ab 1815 mit Gefolge in unwegsamstes Gebiet vor und hielt den Alltag der Puri-Indianer fest. Es muss beiderseits ein Kulturschock gewesen sein. Doch auf den Bildern wirkt alle Wildheit gedämpft, domestiziert, eingehegt, für europäische Geschmäcker zugerichtet.

Das Spektrum ist vielfältig: Einige erschöpfen sich in bloßer Wiedergabe (Abzeichnen von Pflanzen) oder ergehen sich in manchmal wohlig-schauriger Exotik, zeigen allerlei Waffen, Gerätschaften oder auch phantastischen Kopf- und Körperschmuck. Bestandsaufnahmen nach Art der „Wunderkammer“.

Vielfach werden die so unterschiedlichen Völkerschaften Brasiliens nur auf grob typisierenden Tafeln dargeboten. Andere Künstler geben sich hingegen Mühe, Individualitäten zu begreifen. Landschaften treten dann in ihrer besonderen tropischen Farbskala hervor, Menschen bekommen ein unverwechselbares Gesicht.

Es ist zumeist noch ein selbstzufriedener, kolonisatorischer Blick weißer Europäer, der sich auf „Eingeborene“ richtet, die oft bei Raufereien oder mystischen Ritualen und Tänzen gezeigt werden.

Das schöne Licht auf dem Sklavenmarkt

Diese als ursprünglich, doch auch als triebhaft wahrgenommene Fremdheit wird als dosierter Reiz eingesetzt, ebenso wie die Nacktheit der indianischen Bevölkerung. Doch das vermeintliche Paradies ist bedroht. Man sieht schon Bilder, auf denen die Abholzung des Urwaldes beginnt…

Rassen- und Klassen-Herrschaft auf Landgütern oder in Diamant-Minen kommt teils deutlich zum Ausdruck, doch dies wird nur registriert, nie mit Empörung dargestellt. Dunkelhäutige schuften vor einer Kirchen-Kulisse, portugiesische Einwanderer halten derweil ein Schwätzchen. Auf dem Bilde wirkt diese Ordnung der Dinge geradezu naturwüchsig.

Nicht einmal die Ansicht eines Sklavenmarktes hält sich bei sozialen Bedenken auf, sondern spielt mit Licht- und Schattenwerten, so dass das arge Geschehen pittoresk wirkt. Ähnlich verhält es sich mit der öffentlichen Auspeitschung eines vermeintlichen Übeltäters. Wahrscheinlich hat der Zeichner nur gedacht: Der Bursche wird’s wohl verdient haben.

Frappant die detailfreudig ausgemalten Urwald-Szenen des aus Augsburg stammenden Johann Moritz Rugendas, sie verströmen beinahe den Geruch tropischer Feuchtigkeit, rühren ans Dunkle auch in der Seele des Betrachters. Weitaus gebändigter kommen andere Landschaften daher. Da glaubt man sich etwa in liebliche Rhein-Gegenden versetzt. Auch in der Fremde sieht mancher nur das, was er von zu Hause her kennt.

Bilder aus Brasilien im 19. Jahrhundert. Schloss Cappenberg. Bis 23. Dezember. Tägl. außer Mo. 10-17 Uhr. Eintritt frei, Katalog 50 DM.




Nach dem Kahlschlag – Im Marler „Glaskasten“ besichtigen Jochen Gerz und Jan Kopp Welt-Zerrbilder des „Weißen Mannes“

Von Bernd Berke

Marl. Völlig entblößt stehen diese Männer und Frauen da, jeweils ganz für sich allein und ziemlich ratlos blickend. Ringsumher liegen die traurigen Überreste gefällter Bäume. Keine paradiesische Nacktheit ist es, die sich hier offenbart. Im Gegenteil. Es sind Menschen nach einem Kahlschlag.

Der in Paris lebende Künstler Jochen Gerz, der zuletzt bundesweites Aufsehen mit seiner von der WR unterstützten Dortmunder Foto-Aktion „Das Geschenk“ erregt hatte (noch heute bekommt er zahlreiche Briefe von abgelichteten Teilnehmern), greift jetzt im Marler Museum „Glaskasten“ eine ökologische Untat auf, die sich 1999 in Kanada zugetragen hat. Ein riesiges Regenwald-Areal fiel dort den Bulldozern und Kettensägen zumOpfer.

Zugleich das Porträt einer Generation

Die Menschen, die Gerz auf neun Diptychen (große zweiteilige Bilder) zeigt, sind Bewohner jener gepeinigten Gegend; unter ihnen ein Greenpeace-Mitgründer, ein ausgewanderter deutscher Maler, ein Atomphysiker. Sie alle waren wegen der grandiosen Natur dorthin gezogen und konnten die wahnwitzige Abholzung auch mit einfallsreichen Protesten nicht verhindern.

Gerz lichtete sie hüllenlos, hätten sie keine Habe mehr, inmitten der zerstörten Landschaft ab. Die Gesichter stehen noch ganz im Banne der Verzweiflung, der Resignation. In die Fotos eingestellte Texte künden gleichfalls von dieser Gefühlslage, immer wieder ist dort von Vergewaltigung der Natur die bittere Rede. Ganz bewusst hat Gerz ältere Leute vor die Kamera gebeten. Makellose Körper würden wohl vom ökologischen Anliegen ablenken. Außerdem nennt der 60-jährige Künstler die erstmals gezeigte Installation „ein Porträt meiner Generation“. Eine Generation, die ihren Kampf verloren hat?

„White Ghost“ (weißes Gespenst) heißt die Arbeit. Einen solchen Namen hatten einst die Chinesen dem „weißen Mann“ gegeben. Der nämlich huschte nach ihrem Empfinden wie ein Geist, ohne innere Bindungen und also achtlos über alles Lebendige auf Erden hinweg.

Mit einer die Wirklichkeit verzerrenden „weißen“ Sicht auf die Welt befasst sich auch Jan Kopp (30). In Marl ist es guter Serien-Brauch, dass ein arrivierter Künstler mit einem jungen Kollegen gemeinsam ausstellt. Und Jochen Gerz bat eben seinen früheren Assistenten Kopp hinzu. Der hat das letzte Jahr in New York verbracht. In seinem Reisegepäck befand sich eine Kopie der Karl May-Verfilmung „Old Shatterhand“ (1963; bekanntlich mit Lex Barker, Pierre Brice & Co.), ein Streifen, der oft im Fernsehen abgenudelt worden ist.

Karl May und der Stich ins Surreale

Kopp ist dem Film mit einem listigen Konzept zu Leibe gerückt. In den USA (wo kaum jemand von Karl May etwas weiß) bat KOPP mutmaßlich amüsierte, jedenfalls von Haus aus englisch sprechende Museumsbesucher, einige Szenen gleichsam neu zu synchronisieren. Und so reden die Filmfiguren nun in gebrochenem Deutsch bunt durcheinander. An drei Projektionsstellen schnurren in Marl 28 kurze Sequenzen ab. 240 Stimmen sind zu hören, Old Shatterhand, Winnetou, Sam Hawkins und all die anderen sprechen – oft mitten im Satz wechselnd – mal männlich, mal weiblich, mal kindlich.

Resultat ist eine vielfache Verfremdung, mit der Kopp (erkennbar ein Kind der Fernseh-Generation) lässig spielt. Die wahre Welt liegt hinter lauter medialen Schleiern verborgen: Schon Karl May phantasierte sich ja seinerzeit in Sachsen einen „Wilden Westen“ zurecht, der von der Realität weit entfernt war.

Die naive Verfilmung mit ihrem Klischee vom „edlen Wilden“ Winnetou verhüllte den wirklichen Sachverhalt (sprich: Vertreibung oder Ausrottung der Indianer) noch drastischer. In der neuen „Synchronisation“ wirkt die Dramaturgie vollends grotesk, sie bekommt geradezu einen Stich ins Surreale.

Durchzogen werden die Gänge zwischen Gerz‘ und Kopps Arbeiten von einem „Biotop“ aus lauter wuchernden Topfpflanzen. Auch hier waltet wohl Ironie: Soll derlei Restgrün etwa alles sein, was von der Natur übrig bleibt?

Jochen Gerz/Jan Kopp. „Glaskasten“, Marl (Creiler Platz, am Rathaus). Ab Samstag, 11. November (Eröffnung 17 Uhr), bis 21. Januar 2001. Di-So 10-18 Uhr. Katalog 32 DM.




Die Winnetou-Klischees muß man ganz rasch vergessen – Ausstellung über indianische Kulturen in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Vorurteile beiseite: Wenn wir ganz allgemein von „den Indianern“ reden, dann ist es ungefähr so. als wenn sich ein Nordamerikaner sämtliche Deutschen in kurzen Lederhosen und mit Maßkrügen vorstellt. Das und noch viel mehr lernt man jetzt in einer Ausstellung des Münsteraner Naturkundemuseums.

„Prärie- und Plains-Indianer“ heißt die mit 700 Exponaten ausgesprochen umfangreiche, jedoch sinnfällig gegliederte Schau. Mit den Plains sind die großen Grasebenen gemeint. Der Überblick richtet sich auf einen riesigen Landstreifen zwischen Mississippi (Osten) und Rocky Mountains (Westen), der sich nordwärts von Texas bis ins kanadische Saskatchewan erstreckt. In diesem Gebiet konnte man einmal rund 50 Grundtypen indianischer Kulturen deutlich unterscheiden, mit Verzweigungen waren es rund 1000 Untergruppen. Um nochmals den Vergleich mit Europa heranzuziehen: Manche dieser Stämme, wie zum Beispiel Sioux, Navajo, Arapaho, Shoshoni oder Cree, hatten weit weniger miteinander gemein als etwa Deutsche, Engländer und Franzosen.

Phantasien aus dem Kinderzimmer

Die Ausstellung beginnt mit dem liebevollen Nachbau eines mitteleuropäischen Kinderzimmers, in dem so gut wie alle Indianer-Klischees versammelt sind, die durch unsere Phantasie spuken. Wir sollen uns also Winnetou & Co. aus den Köpfen schlagen. Fast ein bißchen schade, aber wünschenswert. Auch auf Zeitgeist-Varianten des Klischees, die Verehrung der „edlen Wilden“, der spirituellen Lehrmeister im ökologischen oder esoterischen Sinne, sollen wir uns am besten gar nicht erst einlassen. findet Museumsdirektor Dr. Alfred Hendricks.

Nahezu alle Medien werden genutzt, um die Botschaft zu übermitteln: Filme und Dias führen ins Thema ein, Fotoabzüge dokumentieren das Leben in den heutigen Reservaten, Pflanzen und ausgestopfte Tiere repräsentieren die natürliche, inzwischen weitgehend vernichtete Umwelt, neuere indianische Kunst läßt den Spagat zwischen Aneignung hergebrachter Traditionen und Bewußtseinswandel ahnen. Einige Werke sind eigens für diese Ausstellung entstanden, so etwa ein fünf mal fünf Meter großes Sandbild von Joe Ben Junior.

Pferde und Zelte sind nur Nostalgie

Besonders anregend sind die Installationen und Aufbauten, etwa mit authentisch eingerichteten Tipis (Sioux-Sprache für: „benutzt, um darin zu wohnen“), Zelten also, die heute freilich fast nur noch zu besonderen Festivitäten (Powwows) aufgestellt werden. Längst wohnen auch Indianer in Häusern aus Stein oder Holz. Und sie sitzen auch nur noch ganz selten auf Pferden. Die Reittiere wurden damals übrigens erst von den Spaniern nach Amerika gebracht und lösten bei den indianischen Völkern nur ganz allmählich die Hunde als bevorzugte „Transporteure“ ab.

Starke Kontraste sind ein Prinzip der ebenso gelehrsamen wie unterhaltenden Schau. Zum Thema indianische Nahrungsgewohnheiten sieht man einerseits karges Trockenfleisch und Beeren, andererseits eine Vitrine mit Hamburgern und Supermarkt-Waren. Beabsichtigter Aha-Effekt: Mit diesem wertlosen Zeug haben wir die einst so naturnahen Indianer verdorben.

Das Aha-Erlebnis mit der Glühbirne

Überhaupt wird’s stellenweise gar zu schlicht pädagogisch: Um in einen Raum zu gelangen, der von der zerstörerischen Besiedlung durch die Weißen handelt, muß man über die lebensgroße Fotografie zweier indianischer Menschen schreiten. Soll selbstverständlich heißen: Wir haben die Kultur der amerikanischen Ureinwohner mit Füßen getreten. Da sieht man geradezu die Glühbirne vor sich, mit der einem ein Licht der Erkenntnis aufgehen soll.

„Prärie- und Plains-lndianer“. Westfälisches Naturkundemuseum. Münster, Sentruper Straße 285, direkt am gut ausgeschilderten Allwetterzoo (Tel. Museum: 0251/591-05).Bis 14. April 1996, tägl. außer montags 9 bis 18 Uhr. Eintritt 5 DM, Kinder 2 DM. Gruppenführung nach Voranmeldung 30 DM. Begleitbuch zur Ausstellung soll in Kürze erscheinen.