Düstere Szenen und klare Linie – Plakate, Fotos und Grafiken im Museum Folkwang

Karl Jacob Hirschs Plakat "Was will Spartakus?" (1919). Foto: Museum Folkwang

Kaum etwas scheint langweiliger zu betrachten, nichtssagender in der Wirkung als Wahlplakate. Eine bunte, zumeist familienkompatible Szenerie oder ein plumpes Symbol, garniert mit so flotten wie hohlen Sprüchen – fertig. Doch vielleicht ist dies nur Ausweis eines routinierten, ja ritualisierten Politikbetriebes, trotz aller Krisen und Probleme.

Dieser Eindruck von gesitteter Normalität verfestigt sich, blickt man nur ein wenig zurück. Vor 90 Jahren, also in den „wilden“ 20ern, war Wahlkampf nicht weniger als Glaubenskrieg, schufen die Plakatmaler drastische und krasse Szenarien, in denen die werbende Partei als Engel, der Gegner indes als Killer der Menschheit dargestellt werden. Diese grob expressionistische Bildsprache ist nun in Essens Folkwang-Museum (kopfschüttelnd) zu bestaunen, im Rahmen einer Ausstellung, die sich mit Plakaten, Fotos und Grafiken zumeist der 20er Jahre auseinandersetzt. „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“ ist der fast neutral wirkende Titel der großen Schau.

Die Formen waren, mit Blick auf die illustrierte politische Propaganda, ziemlich wuchtig. Der bildmächtige Expressionismus hielt sich nicht mit Filigranem auf. Hinzu kommt eine klare Farbsymbolik bei zumeist düsterer Grundierung. Ein Plakat mit dem Titel „Der rote Hammer der Vereinigten Sozialdemokratie zerschlägt den faschistischen Drachen“, Max Schwimmer schuf es 1927, bedarf im Grunde keiner näheren Beschreibung. Die Gegner, also die Rechten, waren in der Wahl ihrer Mittel nicht weniger zimperlich: Bei ihnen stellt sich der Bolschewismus als Zwergenfratze dar, mit wirrem Haar und gezücktem Dolch. Nur gut, dass ein engelsgleiches Wesen das Volk vor diesem Schurken beschützt.

All dies war gewissermaßen Symbol eines brodelnden Vulkans namens Nachkriegsdeutschland oder Weimarer Republik, wo die politische Debatte regelmäßig in Straßenkämpfen endete. Doch ungeachtet dessen wurde getanzt, gelebt, gelacht – zumindest von denen, die es sich leisten konnten. Und so zeigt die Essener Schau eben auch das dekorative Plakat jener Zeit. Präsentiert mit Walter Schnackenbergs „Deutsches Theater – Vornehmstes Variété Münchens“ symbolträchtig den Hang zum Vergnügen. Ein Paar bestaunt aus der Loge heraus eine Tänzerin – geschwungene Linien, freundlicher Blick, das Leben scheint schön.

Andere Exponate verweisen auf den Aufstieg des Kinos. B. Namirs Plakat zu „Quick“, mit Lilian Harvey und Hans Albers, wirkt fast fotorealistisch. Später entwirft Jan Tschichold, im Sinne von Bauhaus und Neuer Sachlichkeit hellgrundierte Blätter mit grafischen Elementen und viel leerer Fläche. Hier offenbart sich die neue Form, die der Ausstellungstitel vorgibt.

Anneliese Kretschmer: Der Arbeiterdichter Karl Höller (1931).

Von expressiver Kraft zur klaren Linie: Die Essener Ausstellung zeigt auch in der Sparte Fotografie wirkmächtige Beispiele. Auffällig ist, dass die Porträtaufnahmen, als messerscharfe Studien einfacher Leute, überwiegen. Helmar Lerskis „Köpfe des Alltags“ (1928-1931) sind markantes Beispiel. Leere, abgewandte oder trotzig aufbegehrende Blicke, die Gesichter motivfüllend, einzelne Partien durch wunderbares Licht-Schatten-Spiel hervorgehoben: Lerski illustriert das Leiden (an) der Zeit. Oder nehmen wir nur das Bild der Dortmunder Fotografin Annelise Kretschmer, die 1931 den Arbeiterdichter Karl Höller ablichtete. Gesicht und Kleidung verschmutzt, alles wirkt düster wie mancher Holzschnitt von Kirchner. Daneben aber hatte Kretschmer auch den Blick fürs Glamouröse, wie das Bild „Modisches Porträt“ (etwa 1931 entstanden) zeigt. Die fotografierte Dame, vornehm gekleidet mit Kappe, Handschuhen, Gürtel und Rüschenbluse senkt fast schüchtern den Blick – eine Aufnahme der stillen Art.

Das Neue, Sachliche in der Fotografie ist hier vor allem Produkt der zunehmenden Industrialisierung. Die Meister der Kamera entdeckten Strukturen wie etwa Germaine Krull die Verstrebungen des Eiffelturms oder Lotte Goldstern-Fuchs die Kölner Eisenbahnbrücke. Anton Bruehl wiederum bannte eine Anordnung von Garnrollen aufs Fotopapier, gesehen aus der Froschperspektive und aus nächster Nähe. Dieser Blick und das elegante Spiel mit Schatten gibt den Gebrauchsgegenständen eine bedrohliche Größe, als handele es sich um Fabrikschornsteine. Hier also überlagert sich grafische Anordnung mit expressivem Gehalt.

Schließlich Zeichnungen und Druckgrafik: Die Schau blickt etwa auf die Landschaften Alexander Kanolds, die mit ihren geometrisch angehäuften Gebäuden eher bedrohlich denn einladend wirken. Düster-expressionistisches (Kirchner) steht in schärfstem Kontrast zum Konstruktivismus eines László Moholy-Nagy oder El Lissitzky. Es ist eine imposante Schau im Folkwang-Museum, die die Kunst einer aufregenden Zeit ins Blickfeld rückt.

Die Ausstellung „Unsere Zeit hat ein neues Formgefühl“ ist im Essener Museum Folkwang bis zum 5. August zu sehen.




Zukunftsgewißheit mit rechtwinkligen Mustern – Kunstsammlung NRW zeigt Konstruktivisten

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Welch‘ eine Nüchternheit, grandios und erschreckend zugleich: An Erich Buchholz‘ Entwurf eines völlig rechtwinklig durchmusterten Zimmers „stören“ eigentlich nur noch die Rundungen des Konzertflügels.

Und wenn man in der Kunstsammlung NRW die mathematisch inspirierten Stadtplaner-Ideen mancher Konstruktivisten betrachtet, kann man sich nur die Augen reiben: Welche maschinellen Wesen sollten dort eigentlich wohnen? Doch dann gibt auch wieder die kühle Schönheit der Geometrie, etwa in den „Proun“-Bildern von El Lissitzky, in Arbeiten von Kurt Schwitters, Walter Dexel oder Theo van Doesburg.

Die Konstruktivisten betrieben „Grundlagenforschung“ in der Kunst. Wie die Chemiker die Welt auf Elemente zurückführten, so die Konstruktivisten die Bildwelt auf elementare Formen. Wie in der Naturwissenschaft, so lagen auch im Konstruktivismus Fluch und Segen dicht beisammen. Vor allem die Anwendung im Wohnungsbau hat mitunter prekäre Züge. Besagte Grundformen jedenfalls sollten universell einsetzbar sein und den Alltag durchdringen. Es war die Kunst eines technischen, eines Ingenieur-Zeitalters. Man folgte, heute nicht mehr ohne weiteres nachvollziehbar, einer Utopie der „Machbarkeit“, Auswüchse inbegriffen.

Himmelwärts strebende „Lenin-Treppe“

In Rußland vermählte sich die Zukunftsgewißheit anfangs noch mit Revolutions-Optimismus. Man sehe in Düsseldorf nur El Lissitzkys Modell einer himmelwärts strebenden „Lenin-Treppe“ von 1924 – und staune, wie rasch und gründlich sich derlei Huldigungen verflüchtigt haben. So viel zur vermeintlichen „Rationalität“ dieser Kunstrichtung. Auch sie ist relativ. Aller Mathematik zum Trotz, kommt selbst in der scheinbar objektiven Verteilung von Linien. Kreisen und Rechtecken immer mal wieder persönliches Temperament zum Vorschein. Der Konstruktivismus ist nicht seelenlos. Außerdem ist er unterwegs zur vehementen Verschmelzung der Künste: Schönes Beispiel in Düsseldorf ist ein Breitwand-Bild von Hans Richter, das sich auf frappierende Art der musikalischen Partitur und einer filmischen Sehweise nähert.

Ein Keim entsprang in Düsseldorf

Die Kunstsammlung NRW hat rund 130 Exponate aufgetrieben, die – auch bei weitherziger Betrachtung – keinesfalls alle dem Konstruktivismus zuzurechnen sind. Zudem sind 130 Belegstücke für eine thematisch so ausgreifende Ausstellung eine recht schmale Basis. Der damit nur angeregte Besucher kann sich am Katalog schadlos halten, der einen wirklich großzügigen Überblick gibt.

Ein Keim des Konstruktivismus sproß übrigens vor genau 70 Jabren in Düsseldorf: Die Kunstlergruppe „Junges Rheinland“ (eher dem Expressionismus zuzurechnen) hatte die internationale Avantgarde an den Rhein gebeten, darunter auch El Lissitzky und Theo van Doesburg. Die Konstruktivisten formierten sich, zunächst lose, im heftigen Widerspruch zum „Jungen Rheinland“, dessen Vereinsmeierei ihnen einfach zu fad war.

„Konstruktivistische Internationale – 1922-1927″. Düsseldorf, Kunstsammlung NRW, Grabbeplatz 5. Bis 23. August. Eintritt 8 DM, Katalog 59 DM.