Kraftvolles Schauspiel – Anna Drexler als wilde wie wohltätige Krähe in „Trauer ist das Ding mit Federn“

Anna Drexler ist die Krähe (Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz/Schauspielhaus Bochum)
Wer Anna Drexler noch auf der Bühne des Schauspielhauses erleben will, sollte sich sputen. Denn in der kommenden Spielzeit wechselt diese großartige Künstlerin ihren Arbeitgeber, geht von Bochum ans Münchner Residenztheater. Im Zusammenspiel mit Maja Beckmann haben wir Anna Drexler (Jahrgang 1990) auf diesen Seiten früher schon bewundert und gepriesen. „Miranda Julys Der erste fiese Typ“ hieß das Stück, das im Mai 2023 Premiere hatte. Da spielt sie eine junge Frau, was nicht verwundern muß. In „Trauer ist das Ding mit Federn“ aber, dem Stück, von dem hier die Rede sein soll, ist sie eine Krähe. Und was für eine!
Tod der Mutter
Nach wenigen Minuten Bühnenpräsenz verschwindet die Frage, ob der Besuch dieses Krähentheaters noch lohnen würde, ganz still und endgültig in der Versenkung. Obwohl, nun ja: Die Geschichte ist eigentlich traurig. Vater und Kinder betrauern nämlich den Tod der Mutter. Alles erinnert an sie, das nachbarschaftliche Umfeld zeigt die übliche Zuwendung, doch ein Zurück zur Normalität will nicht gelingen, zumal dem Vater (Risto Kübar) nicht, der wie gelähmt ist vom Verlust. Mit seinem Verlustmonolog startet das Stück, und man macht sich auf, zurückhaltend ausgedrückt: Längen gefaßt.

Vater und Kinder (von hinten nach vorne): Risto Kübar, Jing Xiang, Alexander Wertmann (Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz/Schauspielhaus Bochum)
Eigentlich unverschämt
Doch dann ist plötzlich die Krähe da und mischt die Familie auf. Stellt respekt- und pietätlose Fragen, fragt die Kinder nach Eigenheiten der Mutter und läßt sie, unerhört eigentlich, von ihnen nachspielen; wendet sich mit Erklärungen dem Publikum zu, veranstaltet eine heitere Fragerunde, kümmert sich um den Vater im Bett, bewahrt ihn späterhin vor der „falschen Frau“ oder der Vorstellung von ihr, ist mal cool, mal aufgekratzt (eine Krähe eben), und bezeichnen läßt sich die Rolle der Krähe eigentlich nur vom Ergebnis her: Nach ihren Auftritten geht es allen besser; nicht gut, aber besser. Und das alles ist sicherlich auch ein bißchen pädagogisch, aber deshalb nicht verkehrt.
Mythologisches Tier
Natürlich kann man fragen, warum nun gerade eine Krähe mit ihrer mythologischen Aufladung und ihren durchaus auch animalischen Impulsen den Störenfried in der familiären Tristesse geben muß. Als Antwort mag der Hinweis dienen, daß die literarische Vorlage für das Stück der gleichnamige Roman des englischen Autors Max Porter war, der seinen Titel wiederum einem Gedicht von Emily Dickinson verdankte. Und der eben eine Krähe für diese Rolle vorsah. Der Vater übrigens, quasi augenzwinkernde inszenatorische Fußnote, ist Literaturwissenschaftler und versucht – erfolglos – das Krähen-Thema zu bearbeiten.

Anna Drexler als entspannte Krähe (Foto: Jörg Brüggemann/Ostkreuz/Schauspielhaus Bochum)
Komödiantin von hohen Gnaden
Die Wirkmächtigkeit dieser Inszenierung aber, um jetzt endlich darauf zurückzukommen, liegt im annähernd dauerpräsenten Bühnenspiel der Künstlerin Anna Drexler. Ja, sie ist – und das soll hier ein Kompliment sein – eine Rampensau und eine Komödiantin von hohen Gnaden; doch gelingt es ihr fast gleichzeitig, das Rätselhafte, die Ambivalenz, die Unsicherheit, auch die Begrenztheit ihrer (Krähen-) Möglichkeiten herauszuspielen. Alles ist besser als unabsehbare Trauerstarre, sagt die Inszenierung, sagt ihre Hauptfigur.
Fabelhafte Tänzer
Neben einer solchen Krähe haben die anderen Darsteller keinen leichten Stand. Also müssen sie tanzen! Jing Xiang und Alexander Wertmann, die Kinder, tun dies mehrfach, entwickeln aus scheinbar alltäglichen Bewegungen unglaubliche Tanzfiguren, spielerisch und hoch artistisch zugleich, homogen eingefügt in den Fluß des Geschehens, beeindruckend.
Außerdem auf der Bühne: Nina Steils als Mutter, in gebührlicher Zurückhaltung spielend, wenn sie nicht gerade das Falsche-Frau-Monster ist und sich mit der Krähe einen ritterlichen Zweikampf bis zum bitteren Ende liefern muß, sowie Jasmin Kruezi als Kameramann, der übrigens auch für das Videodesign genannt wird.
Reichen Applaus gab es, was auch sonst, und das angenehm nachwirkende Gefühl, saftiges, kraftvolles Schauspiel erlebt zu haben. Bitte mehr davon.
- Nächster Termin: 15. April, 19:30 Uhr, Großes Haus.
- www.schauspielhausbochum.de