Gemischte Gefühle beim Abschied von sämtlichen Dingen: „Später Spagat“ – die letzten Gedichte von Robert Gernhardt

Von Bernd Berke

Robert Gernhardt ist kein purer Spaßvogel gewesen. Der kürzlich an Krebs verstorbene Dichter hat zuletzt immer öfter auch tieftraurige Töne anstimmen müssen. Wenn einer reihenweise Chemotherapien erduldet, steht jeglicher Humor auf existenzieller Probe.

Mit den erschütternden „K-Gedichten“ hatte Gernhardt bereits 2003 einige Bezirke der drei großen „K“-Fragen durchschritten: Krankheit, Krieg und Komik. Jetzt liegt seine letzte Lyrik unter dem Titel „Später Spagat“ vor. Manche Zeile scheint schon von verzweifelter Entkräftung zu zeugen, doch viele Verse sind zum Heulen gut.

Gewiss: Der Hang zur Komik und die Freude an Wein und Weib regen sich noch, doch es wächst und wächst die unmittelbare Angst vor dem Sterben. Aus diesem Spagat zwischen „Standbein‘ und „Spielbein“ (so heißen die beiden Hauptteile des neuen Bandes) ergeben sich immer wieder andere Mischverhältnisse. Mal überwiegt dunkle Furcht, dann wieder grimmig lachlustiger Trotz oder unbändige Unsinnslaune. Häufig durchdringen die Gemütszustände einander, bis hin zum Aufglühen der Gegensätze. In einigen Passagen scheint es so, als könne eine überaus gelungene sprachliche Form sogar den Schrecken des Todes mildern.

Freilich erinnert irgendwann alles ans nahende Ende, nach und nach wird’s ein Abschied von sämtlichen Dingen: Sowohl das Vergehen als auch das Aufblühen der Natur in seiner geliebten Toscana gerinnen hier zu Mahnzeichen der Vergänglichkeit. Der kundige Traditionalist Gernhardt greift derlei Gedankengut auch schon mal in passend barocken Fügungen nach Art eines Paul Gerhardt auf – wie er denn überhaupt den Formenvorrat zwischen Choral und Sonett bedient (zuweilen auch lustvoll zerfasern lässt), dass es gelegentlich noch mal richtig rauscht.

„Durch die Landschaft meiner Niederlagen…“

Mit Gott, an den er wohl nicht hat glauben können, hat der sterbenskranke Gernhardt gehadert. Zornesruf zum (leeren?) Firmament hinauf: „Der sich das erdachte, war furchtbar / Sein Denken ging einzig darauf, daß die Menschheit voll Furcht war…“

Womöglich aufkeimendes Selbstmitleid bekämpft Gernhardt mit bitteren Scherzen:

„Nach dem Befund: / `s liegt Darmkrebs vor‘ / leckt keiner sich die Finger. / Auch Lebermetastasen sind / nicht grad der Riesenbringer…“

Angesichts des Todes befällt selbst den schöpferischen Gernhardt das Gefühl, im Leben fast nichts vollbracht zu haben: „Durch die Landschaft meiner Nîederlagen / gehe ich in meinen alten Tagen.“ Und dann rechtet er streng mit sich selbst: Als Maler und Zeichner habe er nie die volle Wirklichkeit des Lichts und der Farben bannen können. Herrje, was sollen wir alle da einst sagen?

Im „Spielbein“-Teil erprobt Gernhardt noch einmal mit geradezu kindlicher Freude Formen wie den Schüttelreim, der bis in absurde Wortschöpfungen getrieben wird: „Was seh ich, Weib? Ein Tränlein quillt? / Das trocknet, eh das Quänlein trillt.“

Dann aber wieder der Schatten des Todes – und dieses genial einfache Gedacht für künftige Lesebücher:

„Ich bin viel krank. / Ich lieg viel wach. / Ich hab viel Furcht. / Ich denk viel nach. /

Tu nur viel klug! / Bringt nicht viel ein. / Warst einst viel groß. / Bist jetzt viel klein.

War einst viel Glück. / Ist jetzt viel Not. / Bist jetzt viel schwach. / Wirst bald viel tot.“

Robert Gernhardt: „Später Spagat“. Gedichte. S. Fischer Verlag. 121 Seiten, 14,90 €.




Der Krebs und der Krieg – Robert Gernhardts erschütternde „K-Gedichte“

Von Bernd Berke

Robert Gernhardts „K-Gedichte“ sind ein erschütterndes Buch. Vor allem dann, wenn man weiß, wie der Autor bisher geschrieben hat. Denn Gernhardt hatte bislang eigentlich noch jedem Thema tröstende Komik abgewonnen oder notfalls abgerungen. Nun aber geht es an die Reserven des Lebens.

Gewiss: Schon 1996 hatte Gernhardt, Kopf der „Neuen Frankfurter Schule“ des parodistischen Humors, Moll-Töne anstimmen müssen. Seinerzeit war er ernstlich herzkrank und musste sich einem Eingriff unterziehen. Schon die daraus geronnenen „Herzgedichte“ führten Klage gegen körperliche Unbill.

Jetzt kommt es noch schmerzlicher. Gernhardt ist an Krebs erkrankt und durch die Vorhölle langwieriger Chemotherapien gegangen. Töricht wäre es zu sagen, man konnte sein Leiden in ganzer Tragweite mitempfinden. Wer solches nicht am eigenen Leibe erlitten hat, bleibt weit außen vor.

Doch Gernhardts „K-Gedichte“ nehmen einen ziemlich mit. Das „K“ steht in diesem Band für Krebs und Krieg, nur sehr bedingt für eine Komik der Hinfälligkeit. In Teil eins geht es um die Krankheit, in Teil zwei um den Krieg im Irak.

Kampf um den Körper, wuchernde Schlachten

Dabei verschränken sich mitunter die Bereiche: Der Kampf gegen den drohenden körperlichen Verfall gleicht einem furchtbaren Krieg, die Schlachten im Nahen Osten wiederum wuchern wie ein Geschwür, doch eben nicht naturwüchsig, sondern willentlich von Menschen herbeigeführt. Das Gedicht „5. Mal. Beginn der Chemo“ blendet beides ineinander:

„Krebskrieger fängt sein Tagwerk an: / Auf denn, Chemie! Heut heißt es: Ran!

Krebskriegerweiß, daß unterliegt, /wer Krebs nur kriegt und nicht bekriegt.

Krebskrieger muß aufs Ganze gehn. / Er stellt die Frage: Wer packt wen?

Packt Mann den Krebs? Packt Krebs den Mann? / Krebskrieger fängt sein Kriegswerk an.“

Da lauert schon Resignation, sie überwiegt aber noch nicht. An anderer Stelle heißt es allerdings:

„Dürrer werden, matter werden / Abschied nehmen von der Erden, / nach und nach – zuerst vom Kiez. / dann vom Heim, dann vom Hospiz, / dann, zum Sterben durchgewunken…“

Man könnte einwenden, der Reim mindere die Wirkung. Doch bei Gernhardt ist just das Gegenteil der Fall. Derlei Abgründe, nahezu heiter vorgetragen etwa im Tonfall eines Wilhelm Busch (letztlich aber immer in Gernhardts ureigener Melodie), klaffen umso tiefer. Zuweilen erinnern die Verse an barocke Vergänglichkeits-Lyrik.

Das Tröstliche herbeizitiert

Zur Abwehr des Schrecklichen beschwört Gernhardt einiges herauf – die Schönheit Italiens, die Freuden des Lebens; auch Hund und Katze, die keine leutseligen Genesungswünsche absondern, sondern trostreich da sind. Doch all das schmeckt schal, so lange der Krebs nicht „besiegt“ ist. So mündet der Zyklus in einen dringlichen Appell, zur Krebsvorsorge-Untersuchung zu gehen – Zeilen, die in jeder Arztpraxis hängen könnten.

Die Kriegs-Gedichte, gehalten in der altehrwürdigen Form des Sonetts, sind wohl eine nur allzu verständliche Anstrengung, sich nicht allein aufs persönliche Leiden zurückwerfen zu lassen. Mit Furor wird das Amerika von George W. Bush als kriegstreiberisch gebrandmarkt, worüber sich reden lässt. Problematisch wird es, wenn Gernhardt das Geschehen in die NS-Nachbarschaft rückt („Sternbanner hoch! Kampfhelme gut verschlossen! / USA marschiern mit heißem Jünglingstritt…). Das ist denn doch eine ziemlich verwegene Zuspitzung.

Robert Gernhardt: „Die K-Gedichte“. S. Fischer Verlag. 102 Seiten. 14 Euro.