Krimi-Kult am Sonntag: Vor 50 Jahren wurde der erste „Tatort“ gesendet – Jubiläums-Doppelfolge aus Dortmund und München

Heute, 29. November, um 20.15 Uhr (und danach in der Mediathek) zu sehen: erster Teil der Jubiläums-Doppelfolge mit den „Tatort“-Teams aus Dortmund und München – hier eine Szene mit (v. li.) Peter Faber (Jörg Hartmann), Ivo Batic (Miroslav Nemec), Nora Dalay (Aylin Tezel) und Franz Leitmayr (Udo Wachveitl). (Bild: WDR / Frank Dicks)

Der 29. November 1970 sollte in die Fernsehgeschichte eingehen – aber das war damals noch alles andere als klar.

Die Idee des Fernsehredakteurs Gunther Witte, eine gemeinsame Krimi-Reihe der ARD-Fernsehanstalten unter dem Titel „Tatort“ zu produzieren, stieß zunächst auf wenig Interesse. Als das Projekt schließlich doch genehmigt wurde, war die Zeit zu knapp, um die ersten Folgen zu produzieren. Der Auftakt der Serie, „Taxi nach Leipzig“, war daher ein vom NDR bereits fertiggestellter Film.

Der frühere WDR-Fernsehspielchef und Tatort-Erfinder Gunther Witte beim Fototermin anlässlich des Jubiläums „40 Jahre Tatort“ 2010 in Hamburg vor dem Logo der meistgesehenen Krimireihe im deutschen Fernsehen. (Bild: ARD/Thorsten Jander)

Darin ermittelt Hauptkommissar Paul Trimmel aus Hamburg in einem deutsch-deutschen Mordfall. Der Schauspieler Walter Richter verkörpert den cholerischen Einzelkämpfer, bei dem Zigaretten und Cognac stets in Reichweite waren, zwischen 1970 und 1982 in elf „Tatort“-Folgen.

Der erste eigens für die Serie produzierte Film war „Kressin und der tote Mann im Fleet“ mit Sieghardt Rupp als Zollfahnder Kressin, ausgestrahlt am 10. Januar 1971.

Ein Straßenfeger der Siebziger

Schon bald zeigten die Zuschauerquoten, dass Wittes Konzept aufgehen sollte: markante Typen als Ermittler im Mittelpunkt der jeweiligen Folgen, realitätsnahe Fälle, regionale Verankerung im Sendegebiet der beteiligten Anstalten und ausgeprägtes Lokalkolorit. In den siebziger Jahren war der „Tatort“ mit seinem bis heute kaum veränderten Vorspann und seiner Titelmelodie von Klaus Doldinger ein „Straßenfeger“. Bis zu 25 Millionen Zuschauer saßen am Sonntagabend vor der Mattscheibe. Der Stuttgart-Krimi „Rot – rot – tot“ mit Curd Jürgens in einer Hauptrolle belegt den bisher nicht mehr erreichten Spitzenplatz: Am 1. Januar 1978 fieberten 26,57 Millionen Zuschauern mit, ob Kommissar Lutz (Werner Schumacher) die vermeintliche Mordserie an rothaarigen Frauen aufklären könne.

Nach Einführung des Privatfernsehens Mitte der achtziger Jahre sanken die Einschaltquoten. Dennoch gehört der „Tatort“ nach wie vor zu den meistgesehenen Fernsehserien in Deutschland. Zwischen sieben und über dreizehn Millionen Zuschauer werden pro Folge erreicht. „Fangschuss“ mit dem Ermittlerteam aus Münster erzielte 2017 mit 14,56 Millionen das beste Ergebnis seit 1992, als die Hamburger Episode „Stoevers Fall“ 15,86 Millionen Menschen vor die Flimmerkiste lockte.

Dortmund, Duisburg, Essen

Derzeit sind für den „Tatort“ 21 Teams sowie die beiden Einzelgänger Felix Murot in Wiesbaden (Ulrich Tukur) und Ellen Berlinger in Mainz und Freiburg (Heike Makatsch) in den Abgründen der Kriminalität unterwegs: Falke (Wotan Wilke Möhring) und Grosz (Franziska Weisz) haben seit 2016 das norddeutsche Revier rund um Hamburg übernommen; in München traten Ivo Batic (Miroslav Nemec) und Franz Leitmayr (Udo Wachtveitl) das Erbe des Ur-Kommisars Melchior Veigl (Gustl Bayrhammer) an, der 1972 seinen Einstand mit „Münchner Kindl“ gegeben hatte.

In Dortmund bewegen sich Jörg Hartmann als psychisch belasteter Hauptkommissar Peter Faber, Anna Schudt als seine Kollegin Martina Böhnisch, die junge, ehrgeizige Nora Dalay (Aylin Tezel) und der Neuling Jan Pawlak (Rick Okon) in den Spuren der legendären Ruhrgebiets-Kommissare Horst Schimanski (Götz George) in Duisburg und Heinz Haferkamp (Hansjörg Felmy) in Essen – beide gehören zu den beliebtesten Kommissaren der „Tatort“-Serie.

Der WDR lädt anlässlich des 50. „Tatort“-Geburtstags zum Wiedersehen mit Kult-Kommissar Horst Schimanski. Links Thanner und Schimanski (Eberhard Feik und Götz George) im unbearbeiteten Original der Folge „Duisburg-Ruhrort“, rechts die restaurierte und colorierte Nachbearbeitung in HD. (Bild: WDR/Bavaria/ D-Facto Motion)

Felmy wies in einem Interview darauf hin, dass bereits in der Figurenentwicklung versucht worden sei, Haferkamp ein bisschen persönlichen Background zu geben, damit der Kommissar für die Zuschauer nicht allein als Ermittler, sondern als Mensch interessant würde. Seine Vorliebe für Frikadellen habe er sich selbst ausgedacht. Sie mache die Figur „einfach liebenswerter, lebenswerter, menschlicher“. In 20 Fällen führte Haferkamp zwischen 1974 und 1980 ins damals noch typische Ruhrgebiets-Essen.

Die Schimanski-Folgen sind schon zur Zeit ihrer Erstausstrahlung Kult gewesen: Götz Georges unvorschriftsmäßige Eskapaden, seine rüde Sprache und seine Wutausbrüche, seine sensibel-nachdenklichen Momente und sein unwiderstehliches Lächeln, wenn er es mit einer schönen Frau zu tun bekommt, sind genauso legendär geworden wie die Schwerindustrie-Kulisse des Duisburg der frühen achtziger Jahre. Nicht zu vergessen Eberhard Feik als Christian Thanner, der so einige der chaotischen Aktionen von „Schimi“ wieder zurechtrückt.

Frauen als Ermittlerinnen gibt es übrigens erst seit 1978, als Nicole Heesters als Kommissarin Buchmüller in Mainz – für nur drei Fälle – ihre Arbeit aufnahm. Bis heute mit von der Partie ist Ulrike Folkerts als Lena Odenthal, die für ihr Debüt als „Die Neue“ am 29. Oktober 1989 in Ludwigshafen ihren Dienst angetreten hat. Heute gibt es nur noch fünf männliche Teams und – in Wiesbaden – Ulrich Tukur als Einzelkämpfer Felix Murot.

Kommissare als Persönlichkeiten

Das bisher jüngste Team hat im April 2020 einen der Ur-Schauplätze des „Tatort“ übernommen: Adam Schürk (Daniel Sträßer) und Leo Hölzer (Vladimir Burlakov) haben in Saarbrücken in „Das fleißige Lieschen“ lange zurückreichende Verstrickungen entwirrt. Auch sie lassen die Zuschauer an ihrer persönlichen Geschichte und ihren individuellen Prägungen teilhaben – ein Konzept, das wohl für den anhaltenden Erfolg der Serie mitentscheidend ist: Das Interesse reicht über die Psychologie von Täterfiguren und ihre Beziehungsgeflechte hinaus. Die Kommissare rücken als Persönlichkeiten in den Mittelpunkt. Die Zuschauer kommen ihnen nahe, können ihre innere Entwicklung, ihre Probleme und Macken, ihre Stärken und Schwächen miterleben.

Aus der Schimanski-Folge „Schicht im Schacht“ von 2008: Noch am Tatort befragen Hunger (Julian Weigend, l.) und Hänschen (Chiem van Houweninge, m.) Heinz Budarek (Walter Gontermann, r.), ob er etwas gesehen hat. (Bild: WDR/Uwe Stratmann)

Die heftigen Diskussionen über die einzelnen „Tatort“-Folgen auf social-media-Kanälen wie Facebook und Twitter oder Internetseiten wie www.tatort-fans.de oder www.tatort-fundus.de zeugen davon, wie die wöchentlichen Krimis auch nach 1146 Folgen die Gemüter ihrer Fans bewegen. Die ARD hat zu „50 Jahre Tatort“ eigene Internet-Seiten erstellt und im Sommer ein Voting in elf Runden veranstaltet. 1.168.000 Stimmen wurden abgegeben, um den Lieblings-„Tatort“ zu wählen. 50 Fälle standen zur Wahl; unter den Gewinnern waren die Dortmund-Folgen „Tollwut“ (2018) und „Kollaps“ (2015).

Das Dortmunder Team hat auch die Ehre, die Jubiläums-Produktion gemeinsam mit den Münchner Ermittlern zu bestreiten: In dem zweiteiligen „Tatort“ geht es um eine italienische Familien-Pizzeria in Dortmund, einen Mörder aus München, Kokain-Geschäfte und die mafiöse „‘Ndrangheta“. Die erste Folge wird am heutigen Sonntag, 29. November um 20.15 Uhr in der ARD ausgestrahlt, die zweite am 6. Dezember. In der ARD-Mediathek sind die Filme dann noch sechs Monate lang abrufbar.

Der WDR bringt übrigens die 29 „Schimanski“-Folgen 2020 und 2021 zurück ins Fernsehen. Schon jetzt sind in der Mediathek elf Folgen verfügbar, der Klassiker „Duisburg Ruhrort“ allerdings nur noch für fünf Tage.




Ein riesiger Teddy als Lockmittel – „Sommer bei Nacht“, Jan Costin Wagners Krimi um Kindesentführungen

Die Mutter hat ihren fünfjährigen Sohn auf dem Flohmarkt in einer Grundschule nur für ein paar Minuten aus den Augen gelassen, da ist er schon spurlos verschwunden.

Zeugen wollen gesehen haben, dass er einen großen Teddy in den Armen hielt und mit einem Mann weggegangen ist. Aber mehr bringen weder die Mutter, die voller Angst mit der Suche beginnt, als auch die gleich eingeschaltete Polizei zunächst nicht in Erfahrung.

Der Leser ist da den Mitwirkenden schon ein Stück voraus, lernt er den Kindesentführer doch schon gleich am Anfang des Buches kennen. Jan Costin Wagner erzählt die Tat nämlich zunächst aus der Perspektive des Kidnappers. Der Spannung tut das keinen Abbruch. Im Gegenteil. Denn was dieser Mann nun wirklich mit seinem Opfer vorhat und um welchen Typ von Täter es sich hier handelt, das sind Fragen, auf die es erst nach und nach Antworten gibt.

Geschickt schafft es Autor, den Eindruck zu erwecken, dass es nicht lange brauchen werde, um den Täter hinter Schloss und Riegel zu bringen. Denn beispielsweise stößt die Polizei recht bald auf zwei ähnlich gelagerte Fälle. Das eine Mal verschwand ein Flüchtlingsjunge aus Eritrea, das andere Mal blieb es zum Glück nur beim Versuch, ein Kind zum Mitgehen zu überreden. Als Lockmittel diente stets ein riesiger Teddy, sodass die Polizei hofft, über die Verkäufer solcher außergewöhnlichen Stofftiere weiterzukommen.

Spannung durch ständige Perspektivenwechsel

Doch ein schneller Fahndungserfolg bleibt aus. Stattdessen leiden die Familien der Opfer nicht nur unter dem Verlust ihrer Kinder, was schon schlimm genug ist, sie haben auch das Gefühl, versagt zu haben. Darüber kommt es in der Ehe der Eltern von Jannis, des Entführungsopfers auf dem Flohmarkt, fast zum Zerwürfnis.

Das Bild, das der Autor von den beiden ermittelnden Kommissaren Ben Neven und Christian Sandner zeichnet, ist sehr kontrastreich. So sehr sie auch mit großer Akribie recherchieren und um Aufklärung bemüht sind, ebenso stark scheinen sie auch mit privaten Problemen behaftet zu sein, die ihren Blick auf die Ereignisse auch trüben könnten. Mit Szenen aus dem Intimleben von Neven nährt der Verfasser zudem einen Verdacht, der, wenn er sich bewahrheiten sollte, der gesamten Handlung noch eine ganze neue Wendung geben könnte.

Überraschende Momente sind es ohnehin, die den Verlauf des Krimis prägen. Ohne zu viel zu verraten, lässt sich festhalten, dass der Kidnapper, den man als Hauptverantwortlichen ansieht, später noch einmal in einem anderen Licht erscheint. Zudem setzt der Autor sehr wirkungsvoll Spannungselemente ein, um die Leser im Unklaren zu lassen, ob die Eltern ihre Kinder je lebend wiedersehen werden.

Weil Jan Costin Wagner das Geschehen nicht an einem Stück erzählt, sondern immer wieder die Perspektive wechselt und aus Sicht der einzelnen Charaktere schreibt, bleibt die Frage nach dem Ausgang offen – bis zum Schluss.

Jan Costin Wagner: „Sommer bei Nacht“. Galiani Berlin, 320 Seiten, 20 Euro.




„Berlin Babylon“-Autor Volker Kutscher setzt dem einstigen BVB-Spieler August Lenz ein kleines literarisches Denkmal

Die Dortmunder Recherchen verliefen unspektakulär. Volker Kutscher hat das Fußballmuseum besucht und dort einige Gespräche geführt, er hat sich im Dortmunder Institut für Zeitungsforschung umgetan und sich den Borsigplatz angeschaut.

Der Autor Volker Kutscher (Foto: © Privat / Emons-Verlag)

Der Autor Volker Kutscher (Foto: © Privat / Emons-Verlag)

Es gibt in Dortmund attraktivere Ziele, auf jeden Fall drängt es die Dortmunder, ihren Besuchern den Phoenixsee zu zeigen, vielleicht auch die Gewerbeansiedlungsfläche Phoenix-West, den Fernsehturm und das Westfalenstadion. Doch wenn Kutscher kommt, dann interessiert vor allem die Vergangenheit.

Krimis zu Zeiten der Machtergreifung

Mit seinen Berliner Kriminalromanen aus den 20er und 30 Jahren, in deren Mittelpunkt der zwiespältige, wenngleich nicht unsympathische Kriminalkommissar Gideon Rath steht, hat Volker Kutscher es zum derzeit wohl prominentesten Krimiautor deutscher Zunge gebracht. Schon die bislang sieben Romane verschafften ihm erhebliche Popularität, doch der Fernseh-Mehrteiler „Berlin Babylon“, der nach Motiven vor allem von Kutschers erstem Roman „Der kalte Fisch“ entstand, war sein endgültiger Durchbruch. Auch die folgenden Romane, berichtet Kutscher im Pressegespräch, werden verfilmt und sind zunächst auf „Sky“, später dann öffentlich-rechtlich zu sehen.

Nun gut, mit Dortmund hat Gideon Rath nichts zu tun, und das wird auch so bleiben. Aktuell hat Kutscher in der Stadt für eine kurze Geschichte recherchiert, die er für die Anthologie des Krimi-Festivals „Mord am Hellweg“ zu schreiben beabsichtigt. Ihn interessiert das Jahr 1936, in dem in Berlin die Olympischen Spiele stattfanden und in denen es in Sonderheit auch ein olympisches Fußballturnier gab. Deutschland galt als Favorit, ging aber im Viertelfinale gegen Norwegen mit einem 0:2 ganz unerwartet in die Knie. Das war am 7. August, und es soll das einzige Fußballspiel gewesen sein, das Adolf Hitler in seiner Amtszeit jemals besucht hat. Not amused, der braune Reichskanzler.

Einen Draht zu Fußballgeschichten

So, und jetzt kommt der Dortmund-Bezug. In der deutschen Nationalmannschaft spielte auch August Lenz vom BVB. Und der interessiert Volker Kutscher, der wird in seiner Kurzgeschichte eine tragende Rolle spielen. August Lenz, erzählt Volker Kutscher weiter, wurde später Soldat, überlebte den Krieg, war bis 1949 aktiver Fußballer, später Kneipier, starb in den 70er Jahren.

Wie ist der Autor bloß gerade auf ihn gekommen? „Ich hab’ da so’n Draht dazu“, sagt Kutscher, der wiederholt den Revierfußball der Zwischenkriegszeit recherchierte und Geschichten auch schon bei Schalke ansiedelte. Rivalen, sagt er, war die Vereine natürlich auch damals schon, jedenfalls auf dem Rasen. Aber nicht so wie heute. Man besuchte sich freundschaftlich und freute sich mit, wenn der andere eine Meisterschaft gewann.

Über die Olympia-Niederlage berichteten die damals noch drei Dortmunder Zeitungen relativ ausführlich, schuld war wohl in erster Linie ein reichlich „zahnloser Sturm“. A propos: 1936 ging auch ein heftiges Unwetter über der Stadt nieder, was viele Leute mehr noch als der Sport bewegte.

Nicht mehr als 12 Buchseiten, mindestens ein Mord; und Fußballstar August Lenz kann, da überlebend und nicht vorbestraft, weder Opfer noch Täter sein: Bei diesen knallharten Kriterien wird es auf den Manuskriptseiten recht eng, und Volker Kutscher glaubt deshalb auch gar nicht, daß noch Platz für einen Ermittler sein wird. Aber kurze, komprimierte Kriminalgeschichten können auch gut ohne auskommen, findet er.

Kurzes für das Krimi-Festival „Mord am Hellweg“

Zum „Mord am Hellweg“ (Festivalzeitraum: 19. September bis 14. November 2020) soll die (nunmehr dritte) Anthologie mit Kutschers Dortmund-Geschichte vorliegen. Wieder erscheint die (spannende, wie wir aber doch hoffen wollen) Sammlung im Dortmunder grafit-Verlag, dessen einprägsames Logo die Bände ziert. Und natürlich wissen wir, daß es grafit eigentlich gar nicht mehr gibt, sondern daß es an den Kölner Emons-Verlag verkauft wurde. Trotzdem freut man sich über diese unaufdringliche Erinnerung an eine, wenn auch kurze, Dortmunder Tradition der Kriminalliteratur.

A propos Ermittler: Ihm werden wir ebenfalls beim Hellweg-Festival wiederbegegnen. Volker Kutscher wird dort den achten Gideon Rath-Krimi vorstellen, erstmalig dort aus ihm lesen. Wie auch das kleine Dortmund-Stück wird er im Jahr 1936 spielen, und die Olympischen Spiele werden zumindest die Atmosphäre des Buches prägen. Mehr will der Dichter noch nicht sagen, was man versteht.

Das Ende spielt im Jahr 1938

Ursprünglich, weiß der Kollege von einer Essener Zeitung, war die Gideon Rath-Reihe doch einmal auf acht Bände angelegt, oder? Ja, sagt Kutscher, doch jetzt werden es wohl zehn werden. Es wäre nicht sinnvoll, 1936 aufzuhören. Ihm schwebt ein Ende der Reihe jetzt mit den Pogromen 1938 vor, der „Reichskristallnacht“, als auch dem Gutgläubigsten in Deutschland klarwerden mußte, daß der Weg Nazi-Deutschlands einer in die Katastrophe sein würde, in Untergang und vielmillionenfachen Tod.

Das Krimifestival „Mord am Hellweg“, wir verlassen die zutiefst unerfreuliche Vergangenheit, findet nächstes Jahr mit rund 200 Veranstaltungen zum 10. Mal statt. Ein beachtliches Aufgebot an Krimiautoren wird das Verbrechen in die teilnehmenden Orte tragen, um sodann kurze Geschichten für die Anthologie zu verfassen. Die Liste der „mit fiktiven Auftragsmorden Beauftragten“ reicht von Benedikt Gollhardt (Bönen) bis Melanie Raabe (Witten), „Wilsberg“-Erfinder Jürgen Kehrer (Bergkamen) begegnet uns auf der Liste ebenso wie der langjährige grafit-Autor Horst Eckert (Holzwickede). Erstmalig soll es so etwas wie ein Symposium geben, eine Tagung zur Ästhetik des Kriminalromans (2. bis 4.10.2020).

Ist Dortmund zu groß für dieses Festival-Konzept?

Kleine kritische Schlußbemerkung: „Mord am Hellweg“ ist im Jahr 2002 gestartet mit der Prämisse „kleine Veranstaltungen für kleine Spielorte“. Das war für Städte wie Unna, Soest, Fröndenberg auch goldrichtig. Auch bietet die Kriminalliteratur Veranstaltern die reizvolle Möglichkeit, für vergleichsweise kleines Geld bekannte Namen zu bekommen, man denke nur an die zahlreichen Skandinavier, die uns mit ihren sadistischen Serientätern beglücken.

Dortmund aber paßt nicht so recht in dieses Festivalschema. Hier ist, gerade auch im Spätherbst, auf dem kulturellen Feld einiges los. Deshalb steht zu befürchten, daß die hier angesiedelten „Mord am Hellweg“-Veranstaltungen nur beschränkte Aufmerksamkeit finden werden, sehr zur Unzufriedenheit all jener kleinstädtischen Teilnehmer, die „für Dortmund“ auf schillernde Namen verzichten müssen. Dortmund kriegt Kutscher (in der Anthologie) und die kleinen anderen den weitaus weniger bekannten Rest: Das sollte nicht den Trend des Festivals markieren.




Jagd nach dem begehrtesten Auto der Welt – doch Martin Walkers Krimi „Grand Prix“ kommt dabei nur mühsam voran

Im Périgord lebt man heute wie Gott in Frankreich. Herrliche Trüffel, köstliche Weine, leckere Speisen. Außerdem kann man dort ausgedehnte Wanderungen unternehmen oder mit dem Boot auf klaren Flüssen paddeln. Wo einst bittere Armut und verheerende Landflucht herrschte, haben längst gut betuchte Aussteiger die verfallenen Landhäuser renoviert und die Touristen ihr Freizeitparadies gefunden.

Um die Gegend überregional noch attraktiver zu machen und den internationalen Geldadel herbei zu locken, hat Bruno, Polizei-Chef von Saint-Denis, eine Idee. Für Leute mit dem nötigen Kleingeld organisiert er eine Oldtimer-Rallye.

Doch der Lockruf nostalgischen Abenteuers wird nicht nur von kauzigen Kapitalisten erhört, die gern mit offenem Verdeck durch eine sommerliche Landschaft brausen. Auch dubiose Sammler strömen herbei, die auf der Jagd sind nach dem wertvollsten und begehrtesten Auto aller Zeiten: einen in den Wirren des 2. Weltkriegs verschollenen sportlich-schnittigen Bugatti aus einer Serie von nur vier je gebauten Exemplaren. Ausgerechnet im Périgord, so geht die Legende, verliert sich die Spur des Autos im Dunkeln der Geschichte. Spätestens jetzt ist klar: Wo das Jagdfieber ausbricht und Millionengewinne die Hirne vernebeln, sind Neid und Mord nicht weit.

Melange aus Gaumenfreuden und Gewalt

„Grand Prix“ ist bereits „der neunte Fall für Bruno, Chef de police“. Martin Walker, der schottische Journalist, der als Berater politischer Think-Tanks in Washington arbeitet und sich seine Auszeiten im beschaulich-schönen Périgord gönnt, hat als Krimi-Autor eine ebenso simple wie erfolgreiche Formel gefunden: Er mischt Gaumenfreuden mit Gier, Genuss mit Gewalt. Wo das Leben leicht und die Natur herrlich ist, wirken menschliche Sünden und hinterhältige Morde, geheimdienstliche Machenschaften und terroristische Attacken noch ein wenig perverser.

Weil das Böse überall ist und nie zur Ruhe kommt, darf Polizei-Chef Bruno selten das machen, was er am liebsten hat: mit seinem Pferd ausreiten, mit Freunden ausgiebig feiern und sich mit den ihm reihenweise zu Füßen liegenden Frauen zu Schäferstündchen verabreden.

Doch die bisher von Martin Walker ziemlich launig angerührte Melange aus purer Lebens- und nackter Mord-Lust gerät ihm diesmal allerdings etwas fade und allzu leicht vorhersehbar. Die Jagd nach dem verschollenen Oldtimer wirkt müde und inszeniert, die sich in Saint-Denis ein Stelldichein gebenden Geldwäscher und Erbschleicher durchschaut man auf den ersten Blick.

Die Geschichte kommt nur mühsam voran, die Spannung ist gleich Null. Auch dass Bruno seine alte Flamme Isabelle wieder trifft und sich – ganz nebenbei – um einen aus ärmlichen Verhältnissen kommenden Jungen kümmert, der von seinen Mitschülern gemobbt wird und in die Kriminalität abzudriften droht, hilft der Story nicht recht auf die Beine.

Bruno ist ein sympathischer Kerl, aber ihm fehlen einfach die intellektuelle Tiefe, die ironische Melancholie und künstlerische Ader seines venezianischen Kollegen Commissario Brunetti. Bruno ist nett, aber auch ein bisschen langweilig.

Martin Walker: „Grand Prix“. Der neunte Fall für Bruno, Chef de police. Kriminalroman. Aus dem Englischen von Michael Windgassen. Diogenes, 384 Seiten, 24 Euro.




„Die Abbieger“ – Thomas Schweres hat den Ruhrgebiets-Krimi zur Stauschau geschrieben

„Und nun die Stauschau. Wir melden alles ab 7 Kilometern“. Keine Seltenheit, diese Ansage. Als Autofahrer ist man da schon dankbar, wenn man auf der A 2 im Stau steht. Muss man sich nicht die ganzen (trotz der Beschränkung auf 7 km immer noch epischen) Verkehrsnachrichten anhören. Kein Geheimnis, dass dies schon fast der Normalzustand auf den Straßen des Ruhrgebiets ist. Bringt wohl so ziemlich jeden Autofahrer an den Rand des Nervenzusammenbruchs.

Klaus-Werner Lippermann, der Anti-Held in Thomas Schweres‘ neuem Krimi „Die Abbieger“, kann es nicht mehr ertragen. Alles war so schön in seinem Leben. Mama Elfriede wusch zuverlässig seine weißen Socken und sorgte auch sonst im gemeinsam bewohnten Zechenhaus für Ordnung. Den Feierabend verbrachte er im Schrebergarten mit den preisgekrönten Kaninchen Molly und Whitey und solange man ihn dort in Ruhe ließ, ließ er auch die anderen in Ruhe.

Ein Kaninchenmörder geht um

Ihm doch egal, wieso Familie Yüksel soviel Strom für ihr Gewächshaus braucht, dass sie dort Tag und Nacht in die Pedale der aufgestellten Trimmräder treten. Umweltfreundlich ist diese Stromerzeugung ja und der Rest ging ihn auch nichts an. Nur diese dauernden Staus auf der A 40, die er nach Verlagerung seines Arbeitsplatzes in Kauf nehmen muss – unzumutbar ist das. Wieviel Lebenszeit diese unfähige Behörde Strassen.NRW ihm raubt!

Doch dann ändert sich alles. Ein Kaninchenmörder geht um, auch Molly und Whitey fallen ihm zum Opfer. Klausi sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben und heiraten will er auch nicht, da kann Elfriede noch so verzweifelt kuppeln. Stattdessen schmiedet er Rachepläne, während er zur Untätigkeit verdammt am Steuer seines getreuen VW Jetta sitzt.

Verlorene Lebenszeit auf der A 40

Ganz genau hat er es sich ausgerechnet: 352 Stunden waren es noch zu Lebzeiten von Molly und Whitey selig, die er unfreiwillig auf der im Volksmund Ruhrschleichweg genannten A 40 verbracht hat. 14 Tage und 16 Stunden, die er nicht mit seinen geliebten Karnickeln hat verbringen können. Und Schuld daran war – ganz genau – Straßen.NRW. Diese Fehlplanungen. Baustellen, die eingerichtet, aber nicht bearbeitet werden. Diese unsinnigen Zuflussregelungsampeln, die nur Rückstaus verursachen und dann noch die Radarfallen und Geschwindigkeitsbegrenzungen, die nur der Befüllung der Stadtsäckel dienen. Und da die A 40 jede Menge Städte durchschneidet, gibt es entsprechend viele davon.

Klausi ist es leid, er braucht einen Befreiungsschlag. Genug ist genug. Zunächst einmal weiht er seinen besten, weil einzigen Freund Alfred Kruppel ein, einen bierseligen Schrotti, der genau an der A 40 wohnt. Kruppel ist Feuer und Flamme und beginnt sofort mit der logistischen Planung…

Wo der Manager Möhrchen knabbert

Die beiden entführen Dr. Weissfeld, den Chef von Strassen.NRW. Soll der jetzt mal sehen, wie das so ist mit den Murmeltiertagen im Stau. Sie halten ihn mit einer säurebefüllten grünen Wasserpistole in Schach, so dass dem armen, nur mit rudimentären Fahrkünsten begabten Manager nichts anderes übrig bleibt, als tagsüber Klausi und Kruppel durch die Staus zu chauffieren und nachts im alten Kaninchenstall an Möhren zu knabbern.

Die Forderung der Erpresser geht beim schon alarmierten Kommissar Schüppe ein: läppische 55.000 Öcken will man haben. Das Geld ist für Kruppel, Klausi ist da eher idealistisch unterwegs, auf sein Konto gehen die restlichen Forderungen, die es durchaus in sich haben: Man verlangt die Aufklärung der Kaninchenmorde und die Auflösung der Staus durch diverse von Klausi höchstselbst ausgearbeitete Maßnahmen. Alles muss in der Presse verkündet und als Verdienst des ausgedachten TuS-V (Tierfreunde und Staugegner – vereinigt) deklariert werden. Schnell gewinnt der TUS-V eine beachtliche Fangemeinde, das halbe Ruhrgebiet will in den Verein eintreten.

Schüppe und seinen Mannen ist klar, sie müssen handeln und diesen Fall aufklären, bevor das Ganze vollends außer Kontrolle gerät. Auch der Spürnase Tom Balzack, dem kriminalistisch begabten Reporter ist schnell klar, dass hinter den erstaunlichen Zeitungsmeldungen – die er durchaus erfreut begrüßt – mehr stecken muss. Undenkbar, dass Strassen.NRW plötzlich Einsicht zeigt. Balzack kann sich ja vieles vorstellen, aber das nun wirklich nicht.

Es droht die Autobahnmaut als Standgebühr

Unschwer vorstellen kann man sich hingegen, dass Thomas Schweres mit dem Thema seines schon vierten Krimis um den knorrigen Kommissar Schüppe und den umtriebigen Balzack einen Nerv trifft. Nicht nur Klausi hat wohl das Gefühl, dass die Politik den „Straßenbau als Ersatzdisziplinierungsmöglichkeit“ entdeckt hat und dass die drohende „Autobahnmaut im Ruhrgebiet wohl eher so eine Standgebühr“ sein wird. Man glaubt sofort, dass ein Verein wie der TuS-V schnell begeisterte Anhänger finden würde. Thomas Schweres hat wahrscheinlich in seinem Hauptberuf als oft genug nicht rasen könnender Reporter im Ruhrpott viel Zeit im Dauerstau verbracht.

Schweres benutzt für seine „Stellvertreter-Rache“ das Genre des Krimis, aber „Die Abbieger“ unterscheiden sich erheblich von ihren Vorgängern. Nicht nur, dass man Täter und Motive von Anfang an kennt und eher ihre Verstrickungen sowie die Aufklärungsversuche verfolgt, als mitzurätseln, auch der Stil ist ein anderer. Waren die Vorgänger noch eher Thriller als Krimi, so lesen sich „Die Abbieger“ in weiten Teilen als Satire. Wäre das Buch ein Tatort, dann wäre es mehr Tatort Münster als Tatort Dortmund. Spannung kommt so natürlich selten auf, aber die Lektüre ist kurzweilig und wirklich witzig.

Machte Schweres sonst gerne ein großes Fass auf und brach das kriminelle Weltgeschehen auf das Ruhrgebiet runter, bleibt er diesmal ganz in seinem Revier. Mehr als sonst leben „Die Abbieger“ vom Ruhrgebiet-Kolorit, schon das vorgeschaltete Personenregister ist voller gewollter Klischees. Der heimliche Star des Buches ist Mutter Elfriede, die als echte Ruhrpott-Zechenmutter daherkommt, eine Kreuzung aus Tana Schanzara und Else Stratmann.

Thomas Schweres: „Die Abbieger“. Grafit Verlag, Dortmund. 282 Seiten, 11,00 €.




„Datengrab“: Ruhrgebiets-Krimi rund um IT-Sicherheit

Das Fernsehteam Pegasus ist wieder da und Kameramann Klaus-Ulrich Mager bekleckert sich nicht nur nicht mit Ruhm, sondern er steht sogar auf der Liste der Verdächtigen eines Verbrechens, das man doch einfach nur dokumentarisch hat begleiten wollen.

Im ehemaligen Schrebergarten seiner Eltern wird eine skelettierte Leiche gefunden und Dortmunds eigenwillige Kommissarin Kasten will zunächst nicht ausschließen, dass die ehemaligen Besitzer die Leiche, welche als eine seit Jahren als vermisst gemeldete Studentin identifiziert wird, unter das Gartenhaus verbracht haben.

Eine Leiche im Schrebergarten

Erste Spuren führen an das renommierte Kopula-Institut der Uni Duisburg-Essen, das sich im Bereich der IT-Sicherheit einen Namen gemacht hat. Der Zufall will es, dass dort die Freundin von Magers Sohn Kalle als IT-Expertin ebenfalls an dieser Uni arbeitet und sich unfreiwillig im Nebenjob als Ermittlerin betätigt. Gesucht werden die Doktorandin Lea Bensdorf und der IT-Supporter Tim. Simone hackt sich in die Systeme des Kopula-Instituts und was sie dort in alten „Datengräbern“ zutage fördert, lässt schaudern – und schnell einen Zusammenhang mit der Leiche im Schrebergarten vermuten.

Mit „Datengrab“ bringt sich das Fernsehteam Pegasus bereits zum zehnten Mal in Stellung. Die Krimis stammen aus der Feder von Reinhard Junge, einige entstanden gemeinsam mit Leo P. Ard, einem anderen Urgestein des gepflegten Ruhrgebietskrimis. Für „Datengrab“ holte Junge sich nun aber Christiane Bogenstahl mit an Bord. Die Bochumerin IT-Expertin schrieb bereits Kurzkrimis und sorgt nun sozusagen für das „Reboot“ der Pegasus-Reihe.

Revier zwischen Unis und Zechen

Mit über 400 Seiten liefern die beiden schon einen ordentlichen Schmöker ab und schütten ein wahres Füllhorn an Themen aus. Es geht um Macht und Machtmißbrauch, Gier, Eitelkeit, Mobbing und IT-Sicherheit. Das alles im Umfeld des akademischen Ruhrgebiets, aber auch das Milieu des „alten“ Ruhrgebiets mit seinen Zechensiedlungen und Schrebergärten kommt nicht zu kurz. Und wer nicht aus dem Revier kommt, kennt spätestens nach Lektüre dieses Krimis eine der wichtigsten Alltagsregeln hier: „A 40 nur, wennste Zeit hass“.

Das Verbrechen wie auch Täter und Drahtzieher kennt man beinahe von Anfang an und weiß über ihre Motive Bescheid, nur die Zusammenhänge erschließen sich erst sukzessive. Die dennoch durchweg hoch gehaltene Spannung speist sich hauptsächlich aus den Wegen, die Kriminalpolizei und die auf eigene Faust ermittelnden Fernsehleute beschreiten müssen, um die fast schon mafiös anmutenden Strukturen des Kopula-Instituts zu durchschauen und die Bösewichte schlussendlich zur Strecke zu bringen.

Nur eine Marotte trübt den Genuss

Die bei aller Bedrängnis ihren Humor nicht verlierenden Charaktere sind in kurzen, knackigen Kapiteln gut herausgearbeitet, man fiebert gerne mit, mag vor allem Simone und Kalle und verabscheut den Institutsleiter. Die Autoren beschränken sich auf klare Sätze und fast wäre das Krimivergnügen ungetrübt gewesen, wenn nicht immer wieder Absätze irritieren würden, in denen z.B. für ein und diesselbe Person mehrere verschiedene Bezeichnungen gebraucht werden.

Als Leser(in) fragt man sich unwillkürlich, ob hier gerade der Einsteigerkurs „Kreatives Schreiben, Folge eins: Synonyme leicht gemacht“ läuft. Diese irgendwie albern anmutende Angewohnheit reißt aus dem gemütlichen Lesefluss raus, was umso ärgerlicher ist, da die Spannung eigentlich an keiner Stelle stockt und ein Wachmacher somit gar nicht vonnöten wäre.

Viel Spaß hingegen machen die gelegentlichen Cross-Over-Begegnungen mit den Protagonisten eines anderen Krimi-Kosmos, mit Kommissar Schüppe und den Mannen von Broadfacts-TV. Ob deren geistigen Vater Thomas Schweres uns wohl seinerseits in seinem neuen Krimi „Die Abbieger“ verrät, wie seine Charaktere die brummelige Kommissarin Kasten und das neue Pegasus 3.0. Team finden?

Bogenstahl & Junge: „Datengrab“. Kriminalroman. Grafit Verlag, Dortmund. 445 Seiten, € 12,00.




Buchtipps zum Fest: Peter Rühmkorf, Christa Wolf, Wembley-Tor, Krimi und Architektur

Ist da draußen noch jemand auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken in Buchform? Hier ein paar empfehlende Hinweise in verschiedenen Geschmacksnoten:

Zunächst die so genannte Hochliteratur, wie es sich konservativ-feuilletonistisch gehört:

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Rühmkorfs funkelnde Lyrik

Das ist wahrlich kein Geheimnis mehr: Der 1929 in Dortmund geborene, später freilich aus hanseatischer Überzeugung in Hamburg ansässige Peter Rühmkorf gehört zu den wichtigsten Lyrikern der bundesdeutschen Nachkriegszeit. Insofern ist eine Gesamtausgabe seiner Gedichte ein besonderes, vielfach funkelndes Juwel der Sprachkunst. Rühmkorfs Tod im Jahr 2008 bedeutet einen immensen Verlust für die Literatur, der immer noch schmerzt.

Er war (ähnlich wie der mit ihm befreundete Robert Gernhardt) einer, der die Überlieferung von Reim und Metrik wach und lebendig gehalten hat – und er hat die althergebrachten Formen mit neuen Inhalten reich gefüllt. Im souveränen Spiel mit gebundenen und freien Versen kommt ihm im hiesigen Sprachraum wohl keiner aus seiner Generation gleich.

Die von Bernd Rauschenbach sorgfältig edierte Ausgabe „Sämtliche Gedichte“ enthält alle Lyrikbände von 1956 bis 2008 und (in Auswahl) ganz frühe Schöpfungen, die ab 1947 im Selbstverlag erschienen sind.

Dies ist ein Buch, das einen Ehrenplatz im Regal verdient und das man als Vademecum stets griffbereit halten sollte. Hier wird ein wesentlicher Teil des Lebenswerks ausgebreitet; hier kann man Sprachfeinheiten geradezu genießerisch schlürfen und wird überdies noch mit luziden Erkenntnissen belohnt. Rühmkorf hat ja nicht nur die ewigen Themen Liebe und Tod bedichtet, sondern war auch ein eminent politischer Kopf mit links geschärften Sinnen. Legendär wurde diese lyrische Essenz: „Bleib erschütterbar – und widersteh.“

Für den unverwechselbaren Klang (in Rühmkorfscher Diktion „einmalig / wie wir alle!“), in dem auch Alltagssprache aufgehoben ist, nur mal ein Beispiel, das Rühmkorf selbst als Bagatelle bezeichnet hat:

Abschiede, leicht gemacht

Denen, die vor Gier nach Ewigkeit entbrennen,
geb ich mich geniert
als sterblich zu erkennen.

Lieber als verhaunen Bällen nachzusinnen,
zieh ich vor,
nochmal von vorne zu beginnen.

Allerdings, statt bieder vor mich hinzuwerkeln,
scheint mir lustiger,
freischaffend loszuferkeln.

Dies als Kunstgesetz gesamt gesehen:
Ein Gedicht, das auf sich hält,
das läßt sich gehen.

Und je tiefer ich empfinde, um so seichter
schmiere ich mich aus,
dann fällt der Abschied leichter.

Da haben wir es also mal wieder: das Leichte, das so schwer zu machen ist. In der Nachfolge von Heine, Benn und Ringelnatz (unter anderen) hat Rühmkorf beileibe nicht nur höheren Jux getrieben, sondern auch die Vergänglichkeit besungen wie nur je einer seit barocken Zeiten. Doch auch die Fährnisse zwischen Geilheit und Vögeln wusste er in sprühend wohlgesetzte Worte zu fassen. Der Mann, der sich zuweilen als (erotischer) Filou gefiel, war intellektuell ein Ausbund an Unbestechlichkeit. An seinem lyrischen Zuspruch konnte und kann man sich nicht nur ergötzen, sondern aufrichten.

Noch ein Zitat, ein vermeintlich unscheinbares, das aber zu denken gibt. Aus dem Gedicht „Zum Jahreswechsel“:

Diese Welt kann doch nicht so gemeint sein
Wie sie aussieht, oder?

Peter Rühmkorf: „Sämtliche Gedichte“ (Hrsg.: Bernd Rauschenbach). Rowohlt Verlag. 621 Seiten. 39,95 €

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Briefe von Christa Wolf

Nun zu einer literarischen Protagonistin, ja Repräsentantin aus dem östlichen Teil Deutschlands, die im selben Jahr geboren wurde wie Rühmkorf: Christa Wolf (1929-2011), Autorin von Büchern wie „Kindheitsmuster“, „Der geteilte Himmel“, „Nachdenken über Christa T.“, „Kassandra“, „Kein Ort. Nirgends“ und „Störfall“, hat auch umfangreiche Konvolute von Briefen hinterlassen, um die es hier geht.

Insgesamt enthält die vorliegende Auswahl der „Briefe 1952-2011“ genau 483 Schriftstücke, die sich an rund 300 Adressaten richten. Abgedruckt sind nur die Briefe von Christa Wolf, nicht aber die Schreiben ihrer Briefpartner. So wirkt das Ganze gelegentlich etwas monologisch, man muss sich einiges hinzu denken. Immerhin sind rund 90 Prozent der abgedruckten Briefe bislang noch nicht veröffentlicht worden. Auch das gibt dieser Sammlung, bei aller wohlweislichen Beschränkung im Einzelnen, einiges Gewicht.

Der Obertitel lautet „Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten“ und könnte als Zitat auch etwas sarkastisch gemeint sein. Denn gar so bequem kann es nicht immer gewesen sein für Christa Wolf. Vielfach ereilte sie der Vorwurf, dem SED-Staat doch etwas zu sehr auf den Leim gegangen zu sein.

Über sehr lange Zeit hinweg ist sie zumindest von naiver Gutgläubigkeit gewesen. Spätestens im Gefolge der Biermann-Ausbürgerung aus der DDR (1976) hat auch sie Farbe bekannt. Freilich hielt sie damals immer noch Erich Honecker für eine ansprechbare Instanz: „Sehr geehrter Genosse“ lautete ihre Anrede, und sie bat ihn brieflich darum, inhaftierte Autoren zu begnadigen. Hat sie damit das Menschenmögliche versucht, oder hat sie gar zu sehr laviert? Darüber könnte man noch heute lange streiten. Doch allmählich verblassen die Meinungskämpfe jener Tage.

In der ausgewählten Korrespondenz (insgesamt hat Christa Wolf wohl um die 15.000 Briefe verfasst) tauscht sie sich nicht nur mit Schriftstellern (u. a. Grass, Frisch, Sarah Kirsch, mit der sie sich später heillos überworfen hat) aus, sondern auch mit „ganz normalen“ Lesern. Dafür hat sie viel Geduld aufgebracht. Nur ganz selten wurde sie zornig, so etwa, als sie den Schülerinnen eines Deutsch-Leistungskurses barsch deren absolute Unkenntnis ihres Werkes vorwarf und sich über „absurde“ und „verletzende“ Fragen beschwerte. Wie gesagt, das war eine Ausnahme.

Man muss wissen, dass Christa Wolf wegen der Stasi-Briefzensur häufig nicht offen schreiben konnte, sondern ihre Botschaften und Anliegen allenfalls sprachlich verschlüsselt übermitteln konnte, was der verbalen Kunstfertigkeit mitunter zuträglich war. Besonders ehrlich klingen manche der Briefe, die sie seinerzeit nicht abgeschickt hat, die aber erhalten geblieben sind. Dass Wolfs Werke und Briefe zudem von grundsätzlicher Sprachskepsis durchzogen sind, lässt dieses Zitat aus „Nachdenken über Christa T.“ ahnen: „Wie man es erzählen kann, so ist es nicht gewesen“.

Christa Wolf: „Man steht sehr bequem zwischen allen Fronten – Briefe 1952-2011“. Suhrkamp Verlag. 1040 Seiten, 38 €

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Ein einziges Tor

Dass über eine Mannschaft oder ein Turnier ganze Bücher entstehen, mag angehen. Aber über ein einziges Tor?

Ganz klar, es gibt aus deutscher Sicht nur einen Treffer, der buchfüllend ist: das wohl für alle Ewigkeiten umstrittene 3:2 beim Endspiel der Fußball-WM 1966. Bekanntlich wurde das Tor für England gegeben, obwohl der Latten-Abpraller mutmaßlich vor der Linie aufschlug. So jedenfalls die deutsche Lesart.

Dass man diesen fußballhistorischen Moment in tausend Facetten ausbreiten und anreichern kann, beweist Manuel Neukirchner, Chef des Deutschen Fußballmuseums in Dortmund, mit dem Band „Wembley 1966“, der vor allem von der vielfältigen und großzügigen Bebilderung lebt.

Das 50 Jahre zurück liegende Ereignis spiegelt natürlich auch längst den damaligen Zeitgeist wider, so dass das Match über das rein Fußballerische hinaus interessant ist. Also war es auch dem Deutschen Fußballmuseum eine Sonderausstellung wert. Hier haben wir das Begleitbuch dazu.

Wie simpel die Sache damals im Grunde gewesen ist, formuliert treffsicher der damals beteiligte (und vom 4:2-Endergebnis für England tief enttäuschte) Mittelstürmer Uwe Seeler im Interview für den vorliegenden Band: „Für die Engländer war er drin, für uns Deutsche nicht. So einfach ist das.“

Man darf ergänzen: einfach kompliziert. So, dass man ganze Bücher darüber machen kann… Und somit hätten wir auch ein passendes Geschenk für altgediente Fußballfans.

Manuel Neukirchner: „Wembley 1966. Der Mythos in Momentaufnahmen“. Deutsches Fußballmuseum, Dortmund/Klartext Verlag, Essen. 160 Seiten, großformatiger Bildband (Broschur) mit zahlreichen Abbildungen (Farbe und schwarzweiß). 14,95 Euro.

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Ruhrgebietskrimi

Wer für Ruhrgebietskrimis zu haben ist, freut sich vielleicht über dieses etwas kleinere Geschenk: „Am Boden“ von Lucie Flebbe dreht sich zunächst u.a. um den riskanten Kletter-Trendsport „Roofing“.

Ein Student wird verdächtigt, einem Freund bei einer Klettertour einen Stoß versetzt zu haben – mit tödlichen Folgen. Lucie Flebbes schon mehrfach erprobte Privatdetektivin Lila Ziegler und ihr Partner Ben Danner wollen den Fall aufklären – ein Unterfangen mit ungeahnten Weiterungen. Alsbald geht es auch um häusliche Gewalt (Lila zeigt ihren eigenen Vater an), und schließlich kommt es zu einem spektakulären Showdown im Bochumer Opel-Werk. Merke abermals: Aufgegebene Industrie-Standorte des Reviers (vgl. auch Phoenix West und ähnliche Locations in Dortmunder „Tatort“-Folgen) eignen sich oft bestens als Krimischauplätze.

Lucie Flebbe: „Am Boden“. Kriminalroman. Grafit Verlag, Dortmund. Paperback, 251 Seiten, 11 Euro (als E-Book 9,99 €)

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Architektur der Region

So. Und nun hätten wir noch etwas für die an Kunst und Architektur Interessierten.

Christoph Rauhut und Niels Lehmann stemmen ein wahrhaft ambitioniertes Projekt. Seit einigen Jahren widmen sie sich eingehend der Architektur des Expressionismus, ein Band über herausragende Beispiele in Berlin und Brandenburg hatte den Anfang einer groß angelegten Reihe gemacht. Jetzt liegt ein weiterer Band vor, der sich den einschlägigen Baubeständen an Rhein und Ruhr zuwendet.

Zur ersten Orientierung schaue man am besten gleich ganz hinten nach, nämlich im reichhaltigen Gebäuderegister, das nicht nur Geschäfts-, Büro und Industriebauten auflistet, sondern auch öffentliche Gebäude, Sakralbauten und Wohnhäuser.

Auch wenn so vieles im Krieg zerstört worden ist, so gibt es doch auch in NRW noch eine imponierende Fülle von oftmals monumentaler expressionistischer Architektur (manches freilich nur noch in fragmentarischer Form), wobei gerade im Ruhrgebiet jede Stadt ihr eigenes Profil ausgebildet hat.

Die Textbeiträge in diesem Band (jeweils auf Deutsch und Englisch) sind sehr überschaubar, es handelt sich zwar um ein Ergebnis, nicht aber um die Wiedergabe einer fundierten wissenschaftlichen Aufarbeitung. Den weit überwiegenden Teil des Buches machen Fotografien und Lagepläne aus. Das darf sicherlich auch als Ermunterung verstanden werden, sich das eine oder andere der insgesamt 155 Gebäude einmal selbst anzusehen.

Um nicht ins Uferlose zu geraten, hier nur ganz wenige Beispiele aus dem Ruhrgebiet: Bogestra-Verwaltung (Bochum), Hans-Sachs-Haus (Gelsenkirchen), Union-Brauerei/Dortmunder „U“, Hauptpost (Essen), Polizeipräsidium (Oberhausen), Volkshochschule (Gladbeck), Gebäudeensemble Hauptfriedhof (Dortmund).

Im Vorwort heißt es, die vorgestellten Bauten (vorwiegend aus den 1920er Jahren) ließen samt und sonders künstlerischen Gestaltungswillen erkennen und stünden einer auch damals schon drohenden Banalisierung des Metiers entgegen. Und wie sieht’s damit heute aus? Eine Frage, bei der man unwillkürlich seufzt.

Christoph Rauhut/Niels Lehmann: „Fragments of Metropolis – Rhein & Ruhr. Das expressionistische Erbe“. Hirmer Verlag. 256 Seiten (Format 15,5 x 24,5 cm). 156 Farbabbildungen, 30 Pläne und Karten. 29,90 Euro.




Geheimnis des Dampfers: „Passagier 23“ im Westfälischen Landestheater

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Unter Druck: Kriminalist Martin Schwartz  (Guido Thurk) (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Martin Schwartz ist ein tragischer Held. Frau und Kind hat er auf einer Kreuzfahrt verloren und voll der Seelenpein beschlossen, nie wieder ein Kreuzfahrtschiff zu betreten. Vor allem nicht die „Sultan of the Seas“, denn auf ihr spielte sich das schreckliche Geschehen ab, dessen genauer Hergang indes im Dunklen liegt. Doch dann erreicht den verbitterten Polizeipsychologen ein Hilferuf, dem er sich nicht verweigern kann. Und bald schon spürt er auf tiefen Decks und in dunklen Winkeln dem bösen Geheimnis des Dampfers nach. Denn weitere Kinder und Mütter sind verschwunden. Mehr oder weniger jedenfalls.

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Detektiv Martin Schwartz mit Teddybär und neugierige Rentnerin mit Rollator (Vesna Buljevic) bringen die Handlung voran. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

„Passagier 23“ heißt das Krimistück, das das Westfälische Landestheater nun in sparsam-stimmiger Kulisse (Anna Kirschstein) und in der Regie von Lothar Maninger zur Aufführung bringt. Vorlage ist der Kriminalroman „Passagier 23“ von Sebastian Fitzek, aus dem Christian Scholze die Bühnenfassung machte.

Ihren Titel verdanken Buch und Stück dem denkwürdigen Umstand, dass in der weltweiten Kreuzschifffahrt jährlich 23 Menschen mehr oder minder spurlos verschwinden. „Passagier 23“, verrät uns das Stück, ist deshalb ein stehender Begriff für die Schiffsbesatzungen geworden, der stets auch Stress und Ärger bedeutet. Außerdem kostet es viel Geld, einen Dampfer für Stunden anzuhalten und den Passagier zu suchen, der möglicherweise über Bord gegangen ist.

Skrupellose Reedereien

Noch größer aber wird der Ärger, wenn so ein verlorengegangener Passagier plötzlich wieder auftaucht. Da weiß man nicht, wie lange die Polizei das Schiff im nächsten Hafen festhalten wird, und der Papierkram ist lästig. Am besten lässt man so einen Widergänger wieder verschwinden. Die Story von „Passagier 23“, die natürlich, wie sich das für einen Krimi gehört, vieles lange im Dunklen oder Halbdunklen belässt, lenkt des Publikums Vermutungen zunächst in diese Richtung: Lassen skrupellose Kreuzfahrtreedereien und ihre Kapitäne Passagiere verschwinden, um sich Ärger vom Hals zu halten?

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Szene mit Kapitän Bonhoeffer, den Bülent Özdil gibt (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Schlüsselbegriffe wie Schiff, Schiffbrüchige, Meer und so weiter hatten in der Ankündigung des Westfälischen Landestheaters natürlich sofort auch an Bootsflüchtlinge, Migration „Massengrab Mittelmeer“ und so weiter denken lassen. Doch erstaunlicherweise kommt das alles hier nicht vor. „Passagier 23“ ist tatsächlich ein von vorn bis hinten durcherzählter Kriminalstoff, mit Tätern, Opfern, Geretteten und Überlebenden. Man kann sich ganz entspannt zurücklehnen und auf gute Unterhaltung hoffen.

Racheengel

Ein bisschen Problemstoff wurde allerdings schon verwoben, und die Lösung der Geschichte ist schließlich auf dem großen Themenfeld „sexueller Missbrauch“ zu finden. Doch sind hier ausnahmsweise nicht vergewaltigende Männer die Bösen, sondern…

Die Geschichte, die man uns hier erzählt, hat jedenfalls reiches Trash-Potential und bittet geradezu um ein wenig parodistische Überhöhung.

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Verdammt, ein Elektroschocker! Detektiv Schwartz muß in seinem Beruf schwer leiden. (Foto: Volker Beushausen/WLT)

Doch nichts davon in Castrop-Rauxel, in einer knapp zweistündigen Produktion samt Pause. Das dramatische Konzept, wenn man es so nennen will, ist einem Kinofilm nachempfunden. Besondere inszenatorische Möglichkeiten des Theaters, das ja immerhin eine Live-Veranstaltung ist, werden praktisch nicht genutzt.

Trotz intensiven Gebrauchs von Notebooks und Mobiltelefonen wirkt das ganze wie ein Relikt aus Opas Krimi-Boulevard, einem „Whodunnit“ Agatha Christies nicht gänzlich unähnlich und ganz kräftig aus der Zeit gefallen.

Von vorne bis hinten spannend

Wer andererseits konzentriertes, kammerspielhaftes Theater mag, das vor allem von den Dialogen lebt, kommt hier durchaus auf seine Kosten. Der Gang der Handlung gliedert sich schlüssig in viele kleine Szenen, die durch kurze Dunkelphasen voneinander getrennt werden, was der filmischen Erzählweise mit wechselnden Spielorten recht nahe kommt.

Wohltuend ist zudem der Verzicht auf Videoeinsatz sowie eine sparsame, effektive Lichtersetzung. Durchaus bemerkenswert schließlich die wenigen, aber treffsicheren Kunstgriffe, mit denen durch wechselnde Hintergrundprojektionen und sparsame Requisiten unterschiedliche Handlungsorte (Schiffsinneres, Kapitänskajüte, Reling usw.) entstehen. Und im wesentlichsten Punkt funktioniert Sebastian Fitzeks „Passagier 23“ ganz tadellos: Die Geschichte ist von vorne bis hinten spannend, man langweilt sich keine Minute.

Als unerschrockene Amateurdetektivin mit rotem Rollator hinterlässt Vesna Buljevic einen starken Eindruck. Mayke Dähn und Pia Seiferth als Mutter und Tochter Lamar sind Fleisch gewordenes Zerwürfnis. Neben den Gästen Mike Kühne und Franziska Ferrari sorgen Bülent Özdil, Samira Hempel und Maximilian von Ulardt aus dem WLT-Ensemble für einen alles in allem doch sehr erfrischenden Theaterabend. Das Publikum in der Stadthalle applaudierte frenetisch.

  • Termine 2016:
  • 24.10. Bottrop, Josef-Albers-Gymnasium
  •  3.11. Bocholt, Städtisches Bühnenhaus
  •  4.11. Witten, Saalbau
  •  8.11. Heinsberg, Stadthalle
  • 12.11. Hamm, Kurhaus
  • 16.11. Solingen, Theater
  • 24.11. Lünen, Heinz-Hilpert-Theater
  • 20.12. Castrop-Rauxel, Studio
  • www.westfaelisches-landestheater.de



Insider sorgt für Krimi-Spannung: „Das Recht des Geldes“ von Olaf R. Dahlmann

Recht des Geldese Die angehende Juristin Katharina Tenzer beginnt ihr Referendariat in der renommierten Hamburger Kanzlei Hausner, spezialisiert auf Steuerrecht. Katharina stellt sich auf trockenes Aktenfressen ein, doch was sie bekommt, ist ein riskantes Spiel um Leben und Tod. Verschwundene CD’s mit brisanten Steuerdaten, ein ermordeter Anwalt in Liechtenstein und die Spuren weisen zu Friedemann Hausner und seinen Klienten, von denen der Erste ziemlich bald einen Ausweg nur in einer Kugel im Kopf sieht.

Da wird ihr Chef – zufällig? – in einen Autounfall verwickelt und liegt kampfunfähig im Krankenhaus. Aber seine Instinkte funktionieren und so muss er Katharina viel stärker einbinden als geplant. Eigentlich wäre es ihm am liebsten, wenn er die Fäden ziehen und Katharina wie eine Marionette lenken könnte. Doch da hat er die Rechnung ohne die zielstrebige Referendarin gemacht, die ihr eigenes Spiel beginnt. Als ihr klar wird, in welche Gefahr sie sich damit begibt, ist es längst zu spät. Ein Killer ist auf sie angesetzt. Kommt er von der Mafia oder vom Finanzamt? Die Auflösung wird verblüffen.

Mit „Das Recht des Geldes“ hat Olaf R. Dahlmann einen erstaunlichen Debütroman hingelegt. Dahlmann ist in Hamburg ansässig als Seniorpartner einer Rechtsanwaltskanzlei, welche – wer hätte das gedacht – auf Steuerrecht spezialisiert ist. Wie Dahlmann im Nachwort des Romans zu Protokoll gibt, sind zwar die Figuren und die Handlung des Romans frei erfunden, aber sein jahrzehntelanger „Umgang mit Richtern, Staatsanwälten, Steuerfahndern“ haben seine Fantasie nicht unbeeindruckt gelassen.

Hintergründe sind genau recherchiert und zeugen von einer akribisch erworbenen Detailkenntnis. So spannend Dahlmanns erdichteter Plot daherkommt – es ist vor allem diese Realitätsnähe, das Wissen, dass man hier ein Werk eines Insiders liest, welches den eigentlichen Gänsehauteffekt des Buches ausmacht.

Glücklicherweise ging die Liebe zur Realität sprachlich nicht soweit wie der sonstige Blick hinter die Kulissen. Die Loslösung vom trockenen „Juristensprech“ ist Dahlmann ausgesprochen gut gelungen. Er formuliert klar und griffig und sorgt so für einen steten Lesefluss.

Dafür ist er in seinem Erstlingswerk in Punkto Charakterzeichnung auf Nummer Sicher gegangen, da ist noch ziemlich viel Luft nach oben. Schon mit dem schmerbäuchigen Steueranwalt, der davon überzeugt ist, dass Macht alleine ausreicht, um sexy zu sein, hat der Autor tief in die Klischeekiste gegriffen. Gar nicht zu reden vom hölzernen Finanzbeamten, der sich nur mühsam vom Einfluss der verstorbenen Frau Mama befreit und dabei übers Ziel hinausschießt.

Auch die Figur Katharina bleibt in Teilen unbegreiflich. Was genau sie dazu treibt, ihre Zukunft aufs Spiel zu setzen, bleibt unerfindlich. Wird sie zu Anfang noch als kluge Studentin mit ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn und Idealismus eingeführt, spielt sie sehr schnell Vabanque und erkennt in all ihrer Klugheit nicht einmal, welcher Gefahr sie die aussetzt, denen sie vertraut.

Man darf gespannt auf weitere Werke sein, vielleicht steht mit Dahlmann ja der deutsche Grisham in den Startlöchern.

Olaf R. Dahlmann: „Das Recht des Geldes“. Grafit-Verlag, Dortmund. 374 Seiten, € 12,00.




,,Brennender Midi“ – neuer Provence-Krimi

Seine Fans haben schon darauf gewartet, und endlich, seit Mitte Mai, liegt Cay Rademachers neuer Provence-Krimi vor. Ganz pünktlich, wie vom Verlag Dumont angekündigt, hat der ehemalige GEO-Redakteur und Frankreich-Kenner sein Manuskript fertiggestellt und lässt unter dem Titel „Brennender Midi“ seinen Kommissar, den Capitaine Roger Blanc, unter der südlichen Sonne den dritten Fall ermitteln.

Brennender Midi

Blanc war strafversetzt worden von Paris in den Süden. Dort fand er natürlich keine Ruhe, sonst wären diese Krimis nicht so spannend. Im ersten Fall ging es um Korruption und ihre Folgen („Mörderischer Mistral“), im zweiten greift Radmacher in die jüngere Geschichte Frankreichs („Tödliche Camargue“), und nun muss Roger Blanc herausfinden, warum ein Propellerflugzeug über einem Olivenhain abstürzte. Der tote Pilot gehörte der franzosischen Luftwaffe an und war sehr erfahren.

Der Capitaine und seine Kollegen ermitteln zahlreiche Ungereimtheiten, während es privat ebenfalls sehr turbulent umgeht, denn Blancs Affäre mit der Untersuchungsrichterin geht weiter. Immerhin ist diese Aveline die Ehefrau jenes Staatssekretärs, der damals für seine Versetzung in die Provinz gesorgt hatte.

Cay Rademacher lebt mit seiner Familie seit Jahren in der Nähe der kleinen Stadt Salon-de-Provence, und nicht zufällig arbeitet auch seine französische Frau als Untersuchungsrichterin, vergleichbar etwa mit einer Staatsanwältin in Deutschland.  Der 1965 geborene Autor hat sich seine recht große Anhängerschaft sicher nicht nur durch die spannenden Plots erworben, sondern auch durch die gelungene Beschreibung der südlichen Lebensweise, die in seinen Lesern die Sehnsucht nach dem Midi aufleben lässt.

Cay Rademacher: „Brennender Midi. Ein Provence-Krimi mit Roger Blanc“. DuMont Buchverlag Köln. 304 Seiten, 14,99 € (als E-Book 11,99 €).

 




Bochumer Schauspielhaus als Krimi-Schauplatz

Kriminalromane, die in einer identifizierbaren Stadt oder Region spielen, gibt es inzwischen in großer Menge, und auch das Ruhrgebiet als Schauplatz böser Taten kommt nicht zu kurz. In diese Gruppe reiht sich auch der Germanist und pensionierte Lehrer Rainer Küster mit einem Bochum-Krimi ein. Diese „Schuldenspiele“ ereignen sich überwiegend im Schauspielhaus, das wir doch sonst nur als trauten Ort der schönen Künste kennen.

Schuldenspiele

Als Gast-Star hat in einer „Wilhelm-Tell“-Inszenierung ein berühmter Schweizer Schauspieler die Hauptrolle übernommen, und dieser Star ist in der Nacht nach einem seiner umjubelten Auftritte plötzlich verschwunden. Angekündigte Vorstellungen müssen abgesagt werden, Unruhe unter Kolleginnen und Kollegen und größte Besorgnis bei der Intendantin sind selbstverständlich.

Der Hauptkommissar Erich Rogalla, ein etwas mürrischer Mann aus Wattenscheid, wird mit der Untersuchung beauftragt. Er findet zunächst nur Blut auf der Treppe des Gästehauses, aber keinen Schauspieler. Erst später kommen die Leiche und Erklärungen hinzu, und entsprechend wird der zweite Teil des Buches nach und nach spannender – natürlich gibt es hier nicht die Auflösung, aber am Titel kann man schon sehen, in welche Richtung es geht.

Auch bei Rainer Küster liegt ein Reiz der Lektüre am Schauplatz. Nicht nur das Schauspielhaus, auch die genannten Straßen und Plätze Bochums und die markanten Gebäude lassen den Ortskundigen in sein eigenes Bild dieser Stadt eintauchen.

Eher störend wirkt, dass Küster mit seinem Hauptkommissar immer wieder Klischees über das Ruhrgebiet und über die Westfalen sowie Vorurteile über Theaterkultur transportiert, die der Krimi-Atmosphäre eher schaden. Man wird den Verdacht nicht los, dass hier ein Autor seine eigenen Vorstellungen projiziert. Trotzdem: Für Freunde eines recht spannenden Lokalkrimis lohnt sich dieses Taschenbuch.

Rainer Küster: „Schuldenspiele“. Universitätsverlag Dr. Brockmeyer Bochum, 272 Seten, 12,90 €. (ISBN 978-3-8196-1015-8)




Alles steht kopf – Thomas Schweres macht mit dem Krimi „Die Abdreher“ das große Fass auf

Die Abdreher Vier frisch abgetrennte Männerköpfe auf dem Fensterbrett einer Wohnung in der Dortmunder Nordstadt. Und gesehen hat natürlich keiner was. Wirklich keiner? Der Jagdinstinkt des Polizeireporters Tom Balzack ist geweckt. Da müssen sich doch Augenzeugen auftreiben lassen, besser noch ein Video. Und am allerbesten, wenn es zu diesem Video noch ein bisschen journalistischen Beifang gibt, mit dem man Mafiabosse an die Angel kriegt.

Blöd allerdings, wenn die Mafia noch der angenehmste Gegner ist und man vor lauter Recherche gar nicht gewahr wird, wer die eigentlichen Hintermänner sind und mit wem man sich da noch alles anlegt. Mit dem IS zum Beispiel. Oder mit der Dortmunder Polizei in Gestalt des mürrischen, aber fähigen Kommissar Schüppe und seinem in der rechten Szene agierenden Undercover-Agenten.

Noch blöder, wenn man auf allen Abschusslisten steht und dadurch ganz prima als Köder für Schüppe und Co. fungieren kann, selbst aber der Letzte ist, der das mitkriegt.

Mit „Die Abdreher“ schickt Thomas Schweres zum dritten Mal den kauzigen Schüppe und den umtriebigen Balzack auf Verbrecherjagd – und nicht nur das Cover steht auf dem Kopf. Die ganze Welt scheint aus den Fugen geraten.

Nichts ist, wie es scheint und alles hängt mit allem zusammen. Passt gut auf den Schauplatz Ruhrgebiet, hier mischt sich ja von jeher alles mit allem und das gilt natürlich auch für das Verbrechen. Und wo der Autor schon einmal dabei ist, das ganz große Fass aufzumachen, findet sich auch noch Platz für die Genderdebatten: Als Tribut an den Feminismus gibt es eine eiskalte Auftragskillerin und mit dem Märchen von den angeblich nicht existenten gesetzesfreien Zonen räumt Schweres direkt mit auf. Zur Auflockerung gibt es ein paar boulevardeske Gestalten, deren real existierende Vorbilder unschwer zu erkennen sind.

Schweres gibt sich mit diesem überbordenden Füllhorn an Themen, die er da über den Leser ausschüttet, selbst genug Gelegenheit, sich zu verzetteln – aber er kriegt immer die Kurve. Hat man erst einmal alle handelnden Personen verinnerlicht, liest es sich trotz der überbordenden Ereignisse leicht. Der langjährigen Berufserfahrung der Reporters Schweres sei Dank. Verkürzen, zusammenfassen und schnell wieder zurück auf den Punkt kommen, das kann er.

„Die Abdreher“ sind noch etwas düsterer als ihre Vorgänger. Zu aktuellen Geschehnissen wie der „Flüchtlingskrise“ und der Bedrohung durch den IS eröffnet Schweres neue Blickwinkel. Glaubwürdig zeigt er, dass auch Allianzen funktionieren, die auf den ersten Blick absurd anmuten, möglicherweise motiviationsbedingt aber logisch sind. Denn ein Krieg, eine Krise entsteht nur vordergründig aus Ideologien und Glaubensfragen, letztendlich geht es immer nur um Macht und Geld. Wie nahe Schweres mit seiner Romanhandlung der tatsächlich vorhandenen Bedrohung kommt, zeigte sich just diese Woche mit mit dem erschreckenden Anschlag auf den Tempel der Sikh in Essen.

Wie schon in den vorangegangen Bänden spricht Schweres unerschrocken das aus, was viele wissen, alle ahnen, was aber nur allzu gerne unter den Tisch gekehrt wird. Er legt seine Finger in die Wunden des Reviers und spricht Klartext. Seine geschickt in die Romane eingebauten Erkenntnisse aus seinem real existierenden Reporterleben wiegen umso schwerer, als Schweres selbst aus dem Ruhrgebiet ist und es erkennbar liebt. Trotz allem. Wegen allem.

Dennoch sind Schweres‘ Krimis nicht nur etwas für die Freunde der spannenden Ruhrpott-Literatur. Die Handlung spielt hier, kann auch nur hier spielen, aber Lesefreude dürfte auch weit über das Revier hinaus aufkommen. Und das bisschen Ruhrpottsprech in den Dialogen schaffen auch Auswärtige.

Bei aller Düsternis bleibt aber auch dieses Mal der Humor nicht auf der Strecke. Dafür kennt der Medienprofi Schweres sein Publikum zu gut. Etwas Auflockerung muss sein. Und wenn sie in der Gestalt des Labradoodles Renault daherkommt. (Renault, weil er auch nicht anspringt. Haha. Aber geschenkt. Verbuchen wir es unter der alten Ruhrpottweisheit: Mit ’nem guten Plattwitz kriegste allet aufgelockert). Auch aktuelle Steilvorlagen wie die verunsichernden Teile einer Antwort lässt der Medienprofi nicht ungenutzt.

Eine reizvolle, willkommene Abwechslung bei Lektüre sind wieder die kleinen Blicke durchs Schlüsselloch des Boulevards. Wobei Schweres da immer respektvoll bleibt und Grenzen nicht verletzt. Man darf mit einiger Sicherheit annehmen, dass beispielsweise das reale Vorbild für Gloria Wolkenstein ihr im Buch auftauchendes Alter Ego durchaus goutiert. Zumal ausgerechnet sie entscheidend zur Aufklärung beitragen wird. Gut für die Kommissare, gut für sie. Kann sie so doch unbelastet in ein Dschungelabenteuer starten. Ausgang zum Zeitpunkt der Krimi-Entstehung noch ungewiss.

Thomas Schweres: „Die Abdreher“. Grafit Verlag, Dortmund. 280 Seiten, 11 Euro.




Bedrohlicher Rosenkavalier – Donna Leons Opernkrimi „Endlich mein“

Die Rückkehr von Gesangs-Diva Flavia Petrelli nach Venedig gleicht einem Triumph. Das Opernhaus La Fenice ist jeden Abend ausverkauft. Tatsächlich scheint Flavia die Titelrolle der „Tosca“ auf den Leib geschneidert, und wenn sie beim dramatischen Finale sich über ihre Widersacher erhebt und selbstbewusst in den Tod flieht, sind ihr stehende Ovationen gewiss.

Doch in die Freude über die Liebe der Opernfans mischen sich neuerdings Nervosität und Angst. Eigentlich hat sie gelernt, mit Ruhm und Rummel umzugehen, auch noch zu lächeln und Autogramme schreiben, wenn sie todmüde ist und nur noch ins Bett möchte. Aber seit es jeden Abend beim Schlussapplaus gelbe Rosen regnet und ein unbekannter Verehrer ihre Garderobe in ein Blumenmeer verwandelt, ist ihr doch etwas mulmig zumute.

DonnaleonWer ist dieser namenlose „Rosenkavalier“, warum gibt er sich nicht zu erkennen und was bezweckt er mit seinen Nachstellungen, die – wenn sie sich recht entsinnt – bei ihren Auftritten in Sankt Petersburg und London begonnen haben und jetzt in Venedig geradezu ausufern?

Schon zweimal, im „Venezianischen Finale“ und in „Acqua Alta“, hat Commissario Brunetti das Vergnügen gehabt, sich um Flavia Petrelli zu kümmern und Schaden von ihr abzuwenden. Das ist lange her, aber nicht vergessen – vor allem nicht von Opern-Kennerin und Schriftstellerin Donna Leon, die verschiedene Barock-Ensembles finanziell unterstützt, als Händel-Spezialistin einen guten Ruf genießt und sich weltweit auf dem Opern-Parkett bewegt.

Wenn Donna Leon für ihren nunmehr 24. Brunetti-Krimi die lange vermisste Opern-Diva reaktiviert und zu einem Gastspiel nach Venedig einlädt, gibt es mithin nicht nur pure Wiedersehensfreude und opulente Opernfeste, sondern auch einen handfesten Kriminalfall. Denn was so harmlos mit gelben Rosen beginnt, da ist sich Brunetti gleich beim ersten Treffen mit der angespannt wirkenden Flavia ziemlich sicher, könnte böse und blutig enden.

Werden die Liebes-Bekundungen des Stalkers nicht erwidert, können sie schnell in Hass umschlagen und könnte aus dem unbekannten auch ein tödlicher Rosenkavalier werden. Oder ist der Fan, der anonym im Dunkeln agiert und bald beginnt, Flavias Bekannte als unerwünschte Nebenbuhler zu betrachten und zu attackieren, vielleicht gar eine Frau?

Nach dem einen oder anderen eher langweiligen Brunetti-Roman ist die seit vielen Jahren in Venedig lebende US-Autorin Donna Leon diesmal wieder in Hochform. Man spürt auf jeder Buchseite, welche Freude es ihr bereitet, über Schönheit und Abgründe der Opernwelt zu philosophieren. Und wie traurig es sie macht, dass Venedig zur bunten Kulisse für unaufhörliche Touristenströme geworden ist. Wo einst kleine Läden und Bars ihren morbiden Charme hatten, haben sich längst billige Ramschläden breit gemacht. Flavia Petrelli erkennt ihr geliebtes Venedig kaum wieder.

Der sympathische Melancholiker Guido Brunetti und seine – wie immer – äußerst kultivierte und belesene Gattin Paola schütteln nur noch angewidert den Kopf und verschanzen sich, natürlich bei einem guten Glas Wein und einem klugen Gespräch über Musik und Literatur, auf ihrer Dachterrasse. Doch dann muss Brunetti wieder rein ins reale Leben. Denn die Liste der Opfer wird immer länger, es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch Flavia – im wahrsten Sinne des Wortes – zu Tode geliebt wird.

Brunetti, von einigen polizeiinternen Intrigen kurzzeitig abgelenkt, braucht jetzt viel Feingefühl und – wie stets – die Hilfe der Computer-Fachfrau Signorina Elettra und seines Kollegen Vianello. Dass es schließlich zu einem spannenden Showdown in der Oper und im Bühnenbild von „Tosca“ kommt, hätte man sich eigentlich denken können.

Donna Leon: „Endlich mein.“ Commissario Brunettis vierundzwanzigster Fall. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Werner Schmitz. Diogenes Verlag, Zürich. 307 Seiten, 24 Euro.




Privatdetektive auf „Prinzenjagd“ – der neue Krimi von Lucie Flebbe

Flebbe/ Prinzenjagd „Bedenke, einen schönen Mann hast Du nie für Dich alleine“. Diesen auch nur bedingt hilfreichen Ratschlag zur Partnerwahl haben wohl so einige von ihrer Oma mit auf den Weg bekommen.

Aber ist hier vielleicht auch schon das Motiv verborgen für die rätselhaften Morde, die sich innerhalb kurzer Zeit im Bochumer Allee-Hotel ereignen? Denn anscheinend gilt: „Je schöner der Mann, desto brutaler der Mord.

Zuerst erwischt es den Promi-Fernsehkoch Carlo Pfiffhoven, kurz danach den Sänger Marian Mohr, frisch gekürter Castingshow-Gewinner. Nicht nur die Polizei befürchtet den Beginn einer Mordserie, die sich gegen vermeintliche Traumprinzen richtet, auch Hoteldirektor Hans Flegenfeld ist besorgt. vor allem um die bisher untadelige Reputation seines Hauses. Ihm gehen die Ermittlungen nicht schnell genug voran, was auch nicht Wunder nimmt, da vor allem Kommissar Staschek mit jeder Menge anderer Sorgen belastet ist. Der Hoteldirektor engagiert kurzerhand den Privatdetektiv Ben Decker.

Gemeinsam mit der jungen Lila Ziegler, privat und beruflich seine Partnerin, bezieht Decker eine der Nobelsuiten im Hotel. Für Luxusgenuss bleibt leider nur wenig Zeit, denn die Beiden ermitteln sofort mit Hochdruck und fördern auch schnell einige Ungereimtheiten im Betrieb des Hotels zutage.

Nach außen hin gibt das Alleehotel sich gerne einen sozialen Anstrich, indem es auch Behinderten eine Chance auf dem „normalen“ Arbeitsmarkt gibt. Aber ist dieses Engagement wirklich so uneigennützig und klappt das alles wirklich so prima, wie es nach außen hin scheint?

Der Detektiv-Azubine Lila kommt der Auftrag noch aus einem anderen Grunde ganz recht: Ihre Freundin Lena hat sie gebeten, herauszufinden, ob ihr Vater schon wieder fremdgeht und dieser ist niemand anders als der zur Zeit so glücklos agierende Kommissar Staschek. Von diesem „Nebenauftrag“ sollte allerdings Partner Ben besser nichts wissen…. und auch Lila findet so einiges heraus, dass sie lieber hätte eigentlich nicht wissen wollen.

Prinzenjagd“ ist bereits der siebte Fall für Ben und Lila. Für den ersten Band der Reihe wurde die Autorin Lucie Flebbe bereits mit dem Friedrich-Glauser Preis für das beste Krimi-Debut ausgezeichnet. Neben den jeweiligen Fällen ist es in dieser Reihe vor allem auch die Entwicklung der beiden Protagonisten und ihrer Beziehung, welche den Erfolg der Reihe ausmacht. Mit der jungen Nachwuchs-Detektivin Lila Ziegler spricht Lucie Flebbe (nicht nur) aber auch gezielt ein jüngeres Publikum an, die es gerne auch mal ein bißchen actionreicher mögen.

Im siebten Band nun hat Lila komplett mit der vordergründig heilen Welt ihrer Familie gebrochen und lebt mit dem wesentlich älteren Ben über einer Bochumer Traditionskneipe, deren Wirt Molle vor allem für Lila so etwas wie ein Ersatzpapa ist. Die auch seelische Unterstützung der beiden starken Männer an ihrer Seite kann sie gerade in diesem Fall gut gebrauchen.

Darüberhinaus greift „Prinzenjagd“ eine ganze Reihe aktueller Themen auf. Vordergründig nimmt Flebbe erst den Hype um Fernsehköche und Castingshows auf’s Korn, dann geht es schnell auch um Belästigung und Mobbing am Arbeitsplatz, um dann über Umwege zur sozialen Botschaft des Romans zu kommen: der Integration Behinderter in den ersten Arbeitsmarkt,

Bei diesem Füllhorn an Themen kommt Langeweile bei der Lektüre nicht auf, Spannung allerdings auch eher nur so mittel. Der Krimiplot an sich ist mit relativ dünnen Nadeln gestrickt. Der Leser hat sehr schnell einen Verdacht, der sich dann auch als begründet erweist und die Hinführung zur Auflösung ist so manches Mal eher hilflos. Allzu oft fällt den beiden Detektiven allzu Offensichtliches wie zum Beispiel eine Namensgleichheit erst etliche Kapitel später auf als dem Leser. Dafür macht die geschickte Zeichnung der Figuren Spaß. Das augenzwinkernde Ende nach erfolgreicher Lösung des Falls versöhnt auf jeden Fall mit der ein oder anderen Schwäche der „Prinzenjagd“.

Lucie Flebbe: „Prinzenjagd“. Grafit Verlag, Dortmund, 250 Seiten, 10,99 Euro.




Vom Hörspiel zum Buch: „Task Force Hamm“ als Sammelbecken polizeilicher Problemfälle

E_Schmidt_Task Force Hamm_02.indd Tatort Hamm? In der ARD? Noch nie gesehen? Aber gehört vielleicht schon. Die „Task Force Hamm“ gehört zu den Ermittlerteams des ARD Radio-Tatorts und wird im Rahmen dieser Hörspielserie vom WDR ins Rennen geschickt. Jeden Monat gibt es in den Rundfunkanstalten der ARD ein neues Tatort-Hörspiel, in denen ein Ermittlerteam mit starken regionalen Bezügen Verbrechen aufklärt. Zu den beliebtesten Teams dieser Radio-Reihe gehört die Task Force Hamm.

Der Erfinder des Hammer Teams, Dirk Schmidt, verfasste bisher zahlreiche Kriminal-Hörspiele und Drehbücher. Seine „Task-Force Hamm“ fand großen Anklang und hat eine Reihe treuer Fans. Mit „Ertränkt, Erhängt, Erschossen“ liegt nun der erste Fall in gedruckter Form vor. Adaption mal andersrum. Meistens liegt ja erst ein Buch vor, welches dann verfilmt oder vertont wird. Aber das Wagnis hat sich durchaus gelohnt. Von kleinen Einschränkungen abgesehen.

Ausgerechnet Hamm, mag sich nun so mancher denken. Hamm – die unbekannte, unspektakuläre, gerne ignorierte Stadt. Nicht mehr ganz Ruhrgebiet, noch nicht so ganz Münsterland und auch sonst fallen einem dazu allenfalls die Stichworte Kraftwerk und Elefant ein. Aber genau aus diesem Grund ist Hamm für den WDR der Ort des Geschehens.

Hochgestellte Herren der Landespolizeibehörde haben beschlossen, es ist Zeit für eine Konzentration. Es gehe nicht länger an, dass in Ungnade gefallene Polizisten, die man aus den verschiedensten Gründen nicht einfach rausschmeißen kann, dauernd quer durchs Land und somit diverse Abteilungen in Unruhe versetzt werden. Vielleicht macht es das Ganze handelbarer, wenn man sich einfach eine Behörde ausguckt, in die man all diese gescheiterten Existenzen versetzt. Dann hat man zwar noch immer ein Problem, aber man versucht es mal mit der Losung: Besser ein großes Problem als viele kleine.

Und so erwischt es die kreisfreie Polizeibehörde Hamm. Sie wird zum Sammelbecken für die ungelösten Problemfälle der Polizei. In der zur „Strafkolonie“ gewordenen Mordkommission finden sich zusammen: der spielsüchtige Hauptkommissar Scholz, der Haus, Hof und seine Ehe dem Gott des Rouletts geopfert hat. Der gutmütige, aber ziemlich schlicht gestrickte Hobby-DJ Latotzke, der einzige gebürtige und somit ortskundige Hammer – bei der Polizei nur dank „Vitamin B“. Der zu Aggressionen neigende Kollege Ditters, der nicht so recht weiß, ob er Männlein oder Weiblein oder vielleicht einfach nur schwul ist.

Zusammengehalten wird diese Chaoten-Truppe mehr schlecht als recht vom Dienststellenleiter Vorderbäumen. Der Chef wartet auf dem Abstellgleis, während seine Klage gegen vorzeitige Pensionierung läuft und beschäftigt sich derweil vorzugsweise mit einem Nebenerwerb als Möbelhändler.

Kommissar Scholz jedenfalls nimmt trotzig die Herausforderung Hamm an und setzt all seinen verbliebenen Ehrgeiz darein, den ersten Mord, der auf seinem Tisch landet, restlos aufzuklären. Die „Task Force Hamm“ wird zur Leiche des Metzgers Terjung gerufen. Zunächst weiß man nicht einmal, ob der arme Mann erhängt, erschossen oder ertränkt wurde. Klar ist zunächst nur: der Verdächtigen gibt es viele und starke Emotionen sind im Spiel. Vom enttäuschten Vater über die aus dem Katalog georderte mit dem Metzger ganz frisch verheiratete Thailänderin bis hin zum verschwundenen Zockerkumpel, der sich gemeinsam mit Terjung wohl mit Geldgebern angelegt hat, denen man besser nicht im Dunkeln begegnet. Scholz besinnt sich auf seine durchaus respektablen Fähigkeiten als Ermittler und bringt erstmal seine Truppe auf Trab…

Dass es sich hier um ein ausformuliertes Drehbuch handelt, merkt man durchaus. Dies stört aber vornehmlich nur an Stellen, an denen man das Gefühl hat, die Handlung wurde unnötig in die Länge gezogen. Die ARD-Radio-Tatort-Hörspiele dauern lediglich 55 Minuten und um das Ganze auf normale Buchlänge zu bringen, wurden hie und da Erklärungen eingefügt, die man jetzt auch als Leser nicht unbedingt zum Verständnis gebraucht hätte.

Aber davon abgesehen, ist der Krimi gut zu lesen. Subtiler Wortwitz wechselt sich ab mit brachialem Humor, die Grenzen zur Stammtisch-Peinlichkeit werden aber recht geschickt eingehalten. Bierernst ist der Krimi nicht zu nehmen, was der Vielzahl der behandelten Themen und teilweise auch sehr aktuellen Problemen nicht immer gut bekommt. Was es gar nicht gebraucht hätte: Den Ton des Märchenonkels auf den letzten Metern, als es um die Katharsis des zweifelnden Ditters geht. An dieser Balance dürfte zu arbeiten sein, aber grundsätzlich betritt mit der Task Force ein etwas anderes, durchaus liebenswertes Team die Krimi-Bücherszene.

Dirk Schmidt: „Ertränkt, erhängt, erschossen – Task Force Hamm“. Grafit-Verlag Dortmund, 205 Seiten, € 9,99




Da weiß man, was man hat: Gabriella Wollenhaupt legt den 25. „Grappa“-Krimi vor

Bereits zum 25. Mal schickt Gabriella Wollenhaupt ihre Maria Grappa los, damit diese gestandene Polizeireporterin über ein Verbrechen nicht nur berichtet, sondern auch zur Aufklärung wesentlich beiträgt.

 Im Jubiläumsband „Grappa und die stille Glut“ begegnen Maria Grappa dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit, die leider nicht nur in erotischen Tänzen münden, sondern grausame Morde nach sich ziehen. Das Sommerloch beherrscht auch das Bierstädter Tageblatt und Maria Grappa behilft sich gerade mit einer Serie über Stalking-Opfer. Bei ihr meldet sich ein Pfarrer, dessen Story Auflage verheißt. Er wird von einer 72-jährigen Frau verfolgt, die ihm unter anderen mit erotischen Tänzen in seinem Vorgarten auflauert. Doch was zunächst noch halbwegs witzig anmutet, wird schnell bitterer Ernst. Noch bevor Maria Grappa zu recherchieren beginnen kann, wird der Pfarrer grausam ermordet aufgefunden.

Marias Instinkt lässt sie eine 22 Jahre alte Spur verfolgen. Damals betreute der Pfarrer ein Ferienlager, in dessen Verlauf eine junge Aushilfskraft verschwand und erst Jahre später ermordet aufgefunden wurde. Auch die tanzende Stalkerin ist auf den zweiten Blick nicht nur lächerlich, sie hat eine tragische Geschichte. Ihre kleine Tochter kam vor fast 50 Jahren von der Schule nicht nach Hause, bis heute fehlt von ihr jede Spur. Doch warum stalkt sie den Pfarrer, haben all diese Fälle etwas miteinander zu tun?

Maria Grappa ist diesmal noch mehr auf sich alleine gestellt als sonst. Ihr langjähriger Polizei-Kontakt und Gelegenheitspartner Friedemann Kleist fehlt ihr schmerzlich, er ist auf eine spezielle und geheime Mission abkommandiert. Dem Leser fehlt er erstaunlich wenig. Für ihn bekommt der Fotograf Wayne Pöppelbaum mehr Raum, den er ganz vorzüglich und gefällig ausfüllt.

Auch die anderen liebgewordenen Protagonisten aus der Redaktion trifft man wieder, wobei die eine oder andere Figur auch mal eine neue Facette zeigen darf. So wie Kollegin Mäggi, die nach Jahren „freiwilliger“ sexueller Abstinenz ein Krösken der etwas anderen Art erlebt.

Natürlich gibt es da noch die Bäckerin Frau Schmitz, die im Grappa-Universum stellvertretend für die patenten, pragmatischen Ruhrpott-Frauen steht. Wie überhaupt Gabriella Wollenhaupt es immer wieder schafft, mit wenigen Worten ehrliches Ruhrpott-Lokalkolorit zu schaffen. Da wird der Gruß getauscht: „Wie iss? Muss. Und selbss? Muss.“ Und schon weiß man, wie et sich anfühlt inne Bäckerei vonne Frau Schmitz.

Dazu kommt eine neue Praktikantin, die „irgendwas mit Medien“ machen will und dies am liebsten schick geföhnt vor der Kamera. Wie sie eben so sind, die jungen Leute. Den Kopf voller Flausen, aber wenn sie eine fordernde Aufgabe bekommen, dann zeigen sie plötzlich doch, was in ihnen steckt.

Ganz en passant trägt Gabriella Wollenhaupt anhand dieser und anderer Figuren sowie den kurzweiligen Beschreibungen der Redaktionskonferenzen den veränderten Lese- und Publikationsgewohnheiten Rechnung. Auch das Bierstädter Tageblatt hat sich weiterentwickelt, aber die goldenen Zeiten sind vorbei. Oft genug geht es auch im Grappa-Team nur um die schnellen Klicks, die Online-Ausgabe wird immer wichtiger. Wenn man auch zur Sicherheit die E-Mails lieber noch ausdruckt. Man weiß ja nie….

Maria Grappa selbst ist unverändert am Puls der Zeit, ganz gelegentlich zeigt sie Anzeichen von Altersmilde, aber messerscharf beobachten und analysieren sowie das Ganze dabei mit Sarkasmus kommentieren, das kann sie immer noch ganz wunderbar. Gabriella Wollenhaupts Reporterin ist längst ein fester Bestandteil der deutschen Krimilandschaft. Sie ist ein wohltuend „geerdetes“ Gegenstück zu anderen, mittlerweile doch recht betulichen Krimi-Größen. Ihre Fälle werden zwar nicht in jedem Feuilleton besprochen, dafür aber umso eifriger in sozialen Netzwerken und ganz klassisch auch zum Beispiel in meiner ruhrischen Vorort-Nachbarschaft.

Gabriella Wollenhaupt arbeitete langjährig als Fernsehredakteurin, heute konzentriert sie sich hauptsächlich auf ihre schriftstellerische Tätigkeit. Neben den Grappas hat sie auch Lyrik veröffentlicht und gemeinsam mit ihrem Ehemann Friedemann Grenz weitere Ausflüge in die Krimiszene unternommen. Sie erzählt mit Sympathie für ihre Protagonistin, dabei eben auch nicht blind gegenüber den Entwicklungen des Journalismus.

„Grappa und die stille Glut“ ist solides Krimi-Handwerk, aus einem Guß geschrieben, nichts holpert, nichts stolpert, nichts ist unlogisch. Auch mit dem Juliläums-Krimi bekommt der Leser exakt das, was er erwartet.

Gabriella Wollenhaupt: „Grappa und die stille Glut“. Grafit-Verlag, Dortmund. 188 Seiten, € 9,99.




„Im großen Stil“: Abgründiger Kunstmarkt-Krimi in Wien und Berlin

Der Schlaf der Vernunft, das wusste schon Goya, gebiert Ungeheuer. Zum Beispiel einen Kunstmarkt, der seltsame Blüten treibt. Da tummeln sich dubiose Händler, notorische Fälscher und gewissenlose Gefälligkeitsgutachter, dreiste Diebe, großspurige Mäzene und milliardenschwere Sammler.

Wo Kunst zur Geldmaschine wird, sind auch Gier und Neid nicht weit. Das müssen auch die Wiener Inspektorin Anna Habel und der Berliner Kommissar Thomas Bernhardt erfahren. Nachdem fast zeitgleich ein Kunstgutachter in Wien und ein Kunsthändler in Berlin ermordet werden, versinken die beiden Polizisten in einem Sumpf aus Hass und Intrige, Geldgier und Rachsucht. Denn wo „Im großen Stil“ Kunst verkauft wird, wird nicht nur gefälscht und geklaut, gelogen und betrogen, sondern auch blutig gemordet.

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„Im großen Stil“ ist der vierte Fall für das vom Krimi-Duo Bielefeld & Hartlieb erfundene Polizei-Gespann Habel & Bernhardt, das auf wundersame Weise immer wieder zusammen arbeiten und kompliziert verschlungene Mordfälle in kulturellen Gefilden aufklären muss. Mal geht es um den Literaturzirkus („Auf der Strecke“), mal ums Theatermilieu („Nach dem Applaus“), mal um noblen Wein („Bis zur Neige“). Jetzt ist der kriminelle Kunstmarkt an der Reihe.

Wohin die hyperaktive Habel in Wien und der mufflige Bernhardt in Berlin auch kommen, überall begegnen ihnen neue Rätsel: Sind die Bilder, die sich in der Villa des toten Kunsthändlers finden, echt oder falsch? Und welche von den Gutachten, die der ermordete Kunstexperte verfasst hat, sind nichts als Lug und Trug?

Draußen ist der schönste Frühling, und sowohl der melancholische Zyniker Thomas Bernhardt als auch die zum sympathischen Chaos neigende Anna Habel würden gern ihren Gefühlen freien Lauf lassen, sich frisch verlieben, das Leben genießen. Doch diese Momente des kleinen privaten Glücks bleiben rar. Zu vertrackt und zu verschachtelt sind all die Fährten, Fäden und Finten, die entwirrt und entschlüsselt werden müssen. Was haben der ehemalige Stasi-Mann und die eitle Schauspiel-Diva, der süffisant lächelnde Mäzen, die von muskulösen Personenschützern umringte Kunsthändlerin und der charmante Bilder-Sammler mit den Morden zu tun?

Wer befürchtet haben könnte, die literarisch-kriminalistische Berlin-Wien-Verbindung nutze sich allmählich ab, wird angenehm überrascht. Mit ironischem Lokalkolorit, psychologischem Feingefühl und tiefem Einblick in Abgründe des Kunstbetriebs werden die (ehemaligen Literaturkritiker) Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb immer besser. Ihnen auf der abgründig-mörderischen Schnitzeljagd zu folgen, ist einfach ein großer, anspielungsreicher, spannender Spaß.

Bielefeld & Hartlieb: „Im großen Stil.“ Diogenes Verlag, Zürich, 416 Seiten, 14,90 Euro.




„Die Abräumer“: Realistischer Krimi um den Tod einer Bankräuberin in Dortmund

Man muss sich schon ein bisschen bemühen, um bei Thomas Schweres‘ neuem Krimi „Die Abräumer“ den Überblick zu behalten.

Schon gleich zu Beginn tauchen eine Menge Personen auf, von denen man meinen könnte, sie hätten eigentlich nichts miteinander zu tun. Ein recht zwielichtiger wirkender TV-Journalist, ein Taxiunternehmer, mitunter reichlich eigenwillige Mitarbeiter des Geldinstituts „Sparbank“ und Beschäftigte der Dortmunder Stadtverwaltung…

Autor Thomas Schweres (Foto: privat)

Autor Thomas Schweres (Foto: privat)

Nach wenigen Seiten gibt es das erste Opfer. Eine Frau namens Michaela Schmidt, die gerade zuvor besagte Bank überfallen und mehrere Tausend Euro mitgenommen hat, wird auf der Flucht erschossen.

Kommissar Schüppe, der auch schon in Schweres erstem Krimi „Die Abtaucher“ ermittelt hat, merkt schon bald, dass es sich um einen komplexen Fall handelt. Die Bankräuberin ist nämlich nicht nur Täterin, sondern auch Opfer. Ihre Familie wurde bei einem Immobiliengeschäft ziemlich gelinkt. Aber viel mehr bringt Schüppe (Spitzname „Spaten“) auch nicht in Erfahrung, denn Mann und Kinder sind wie vom Erdboden verschluckt.

Doch der Kommissar verfügt über viele Kontakte und so gelingt es ihm, Mosaikstein für Mosaikstein zusammenzusetzen. Er findet auch heraus, was es mit der Immobilienfirma auf sich hat, die hinter den Betrügereien steckt, oder welche Vergangenheit eigentlich dieser TV-Journalist namens Tom Balzack mitbringt.

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Zudem zeigt sich schon bald, dass in der Stadtverwaltung Korruption zum Alltag gehörte. Damit knüpft der Autor an gewisse Vorfälle aus dem Dortmunder Rathaus an, doch es ist es nicht der einzige Bezug zur realen Welt. Auch die Art und Weise, wie eine Bank mit dem ihr anvertrauten Geld umgeht, erinnert doch sehr stark an wirkliche Ereignisse.

Es kommen immer mehr Machenschaften ans Tageslicht, die noch weitere Opfer fordern. Bei solchen sehr heiklen und schwierigen Nachforschungen müsste Kommissar Schüppe eigentlich auf Vertrauen zu seinen Mitarbeitern setzen können, doch bei einem neuen Kollegen hat er da so seine Zweifel.

Thomas Schweres, der seit langem als Boulevard-Journalist, Polizei- und Gerichtsreporter arbeitet, verwendet gern authentisch klingende Umgangssprache. Sein Krimi spielt hauptsächlich in Dortmund und Bochum, was durch genaue Ortsbeschreibungen beglaubigt wird.

So verzwickt, wie Geschichte beginnt, so findet sie auch ihr Ende. Man ist erstaunt, dass – so viel sei verraten – die Kripoleute mit heiler Haut davonkommen.

Thomas Schweres: „Die Abräumer“. Kriminalroman. Grafit Verlag, Dortmund. 254 Seiten, 9,99 Euro.




Auf Frankfurts „Golanhöhen“ – Marc-Oliver Bischoff beendet seine Krimi-Trilogie

450_Bischoff_Golan_mit_button_rgb Man muss nur tief genug in der Vergangenheit des Kriminalkommissars wühlen, dann findet man schon den Mörder. So scheint seit einiger Zeit ein unumstößliches Krimi-Gesetz zu lauten. Egal, ob man „Tatort“ einschaltet oder einen Kriminalroman aufschlägt – ohne persönliche Verwicklungen der ermittelnden Personen geht es anscheinend nicht mehr. Der unbeteiligt ermittelnde Kommissar wurde wohl in Rente geschickt.

Da macht auch der neue Roman „Golanhöhen“ von Marc-Oliver Bischoff aus der bewährten Dortmunder-Krimi-Schmiede (Grafit Verlag) keine Ausnahme. Aber soviel vorab: Dies ist auch schon der einzige zu bemängelnde Punkt und zugegebenermaßen auch persönlichem Überdruss geschuldet. Davon abgesehen, ist das Buch nämlich ein außerordentlich gut gemachter Krimi, angemessen düster, intelligent aufgebaut und erzählt.

„Golanhöhen“ ist der dritte Teil von Bischoffs Frankfurt-Trilogie. Während in den ersten beiden Teilen noch Kriminalpsychologin Nora Winter ermittelte, steht aufgrund ihres Erziehungsurlaubs diesmal ihr Mann Gideon an der Spitze der Ermittlungen – zumindest so lange, bis er degradiert und suspendiert wird.

Der Plot ist zum größten Teil angesiedelt in den heruntergekommenen Sozialbauten am Frankfurter Ben-Gurion-Ring, welche den unglücklichen „Spitznamen“ Golanhöhen tragen. Dieses Viertel gleicht in Frankfurt „einem schwarzen Loch. Armut zieht Armut an. Probleme bringen weitere Probleme mit sich“. Der noch positivste Lerneffekt, den ein Bewohner dort mitnehmen kann, ist Selbstmitleid. Selbstmorde sind alltäglich.

So geht auch Gideon Richters Team zunächst von einer Selbsttötung aus, als sie zu einem Todesfall in den Sozialbauten gerufen werden. Doch Gideon hat Zweifel. Die Tote ist erst vor kurzem aus der Haft entlassen worden, warum sollte sie sich ausgerechnet jetzt vom Dach stürzen? Und was ist mit dem toten Baby, dass in der Mülldeponie gefunden wurde? Hängen die beiden Fälle zusammen?

Gideon allerdings tut sich ausnehmend schwer, sich auf die Ermittlungen zu konzentrieren. Den frischgebackenen Vater lassen Ermittlungen um ein totes Baby und eine Frau, die als Kindsmörderin inhaftiert war, ganz und gar nicht kalt. Dazu kommt eklatanter Schlafmangel, denn das Baby lässt Nora und ihm nicht viel Ruhe. Deshalb leidet er unter unerklärlichen Blackouts, von denen er befürchtet, dass sie nicht nur aus den schlaflosen Nächten resultieren. Und dann muss er sich auch noch besagten ungeklärten Dingen aus seiner Vergangenheit stellen, die plötzlich den Fall unerwartet tangieren. Gideon verliert Distanz und Objektivität und trifft einmal zu oft eine unhaltbare Entscheidung.

Bischoff beginnt den Roman zwar mit einem rasanten Prolog, läßt sich dann aber Zeit, den eigentlichen Fall ganz ruhig und detailliert, dabei aber an jeder Stelle spannend zu beginnen. Im weiteren Verlauf steigert er sein Tempo, die Brechstange bleibt dabei dankenswerterweise weggeschlossen. An jeder Stelle lässt er sich Zeit, alle Aspekte des Falls und der Ermittlungen in einem wohltuend unaufgeregten Schreibstil auszuleuchten.

Ausführlichen Platz bekommt dabei auch die Betrachtung heutiger Arbeitsbedingungen. Unterbesetzte Teams, Stress, die Schwierigkeiten, Beruf und Familie zu vereinbaren, die stillschweigend vorausgesetzte Bereitschaft, auch über vertragliche Arbeitszeit hinaus bereitwillig parat zu stehen, auch und gerade bei Teilzeitkräften – Themen, die sicher nicht nur, aber eben auch Polizei-Teams beschäftigen. Bischoff zeigt am Beispiel von Gideons Team explizit und kritisch, wie sehr das so oft gehörte ungute „Sei froh, dass Du noch einen Job hast“ bereits gesellschaftlich akzeptiert ist.

Dass dem Leser auch bei solchen Exkursen nicht langweilig wird, liegt nicht nur am Wiedererkennungswert, sondern sicher auch an der Fähigkeit des Autors, nicht nur geschliffen zu formulieren, sondern sich auch ohne Anbiederung in seinen Dialogen den jeweiligen Schichten gut und glaubwürdig anzupassen. Spannend zum Schluss der Mut des Autors, ausgerechnet eine Trilogie mit einem offenen Ende zu beschließen.

Marc-Oliver Bischoff kam über das Bloggen zum Schreiben, sein erster Krimi „Tödliche Fortsetzung“ wurde gleich mit dem Friedrich-Glauser-Preis ausgezeichnet. Er lebt in Ludwigsburg und arbeitet dort als Technologieberater.

Marc-Oliver Bischoff: „Golanhöhen“. Grafit-Verlag, Dortmund. 411 Seiten, € 11,99.




Kurzkrimi-Sammlung mit erotischen Zugaben: Höllischer Sex am westfälischen Hellweg

Sexy.Hölle.HellwegSchön ist es derzeit wirklich nicht. Es regnet, es stürmt, es ist zwar warm, dafür aber nicht hell. Ideale Zeit also, um sich von spannendem Lesestoff inspirieren zu lassen.

Am besten direkt solcher, der den Leser ins Dunkle mitnimmt. Düsterer als der Blick nach draußen kann es ja ohnehin kaum werden. Noch besser, wenn die Inspiration sich in erotische Gefilde ausdehnt. So dachten es sich vielleicht auch die Herausgeber der aktuellen Anthologie zum siebten „Mord-am-Hellweg-Krimi-Festival“. Natürlich – denn was reimt sich auch besser auf daheim als Sex and Crime?

Dass der berühmte alte Handelsweg, der westfälische Hellweg, mit mörderischen Geschichten gepflastert ist, weiß man mittlerweile. Nun zeigt sich, dass er auch verrucht sein kann, manchmal regelrecht verderbt, auf jeden Fall aber alles andere als brav. Mörderische, teils unerwartete Abgründe tun sich auf in den an der Route gelegenen Betten.

Die Kurz-Krimi-Sammlungen sind ein fester Bestandteil der Erfolgsgeschichte des Mord-am-Hellweg-Krimi-Festivals. Die Autoren reisen im Vorfeld an, erkunden die ihnen zugeloste Region und entwickeln ihre meist tödlichen Geschichten vor Ort. Vorgegeben war diesmal, dass in jeder Geschichte nicht nur ein Verbrechen geschieht, sondern auch eine erotische Komponente enthalten sein muss. Ihre Premiere erlebten die so entstandenen Geschichten bei Lesungen während des Krimi-Festivals und wurden erst im Anschluß als Anthologie herausgegeben.

21 bekannte und bewährte Krimi-Autoren gaben sich die Ehre und stellten sich der prickelnden Herausforderung. Tapfer drangen sie in die geheimen Phantasien der Westfalen ein und erschufen so die „Sexy.Hölle.Hellweg“. Crime können sie, das haben sie vielfach unter Beweis gestellt, doch wie gut können sie das mit der Erotik?

Nicht allen Autoren fällt es leicht. Der Lesefluss ist in Teilen schon verkrampfter, als man es von den Vorgänger-Anthologien gewohnt ist. Wahrscheinlich sind Kopfschüsse doch einfacher zu beschreiben, als wenn die Tatwaffe in nicht mehr zu entkrampfenden Geschlechtsorganen steckt. Arno Strobel kriegt es in den „Shades of Kamen“ recht gut hin, über mehr als eine Seite eine heiße Liebesnacht zu schildern, ohne ins Peinliche abzurutschen. Aber in etlichen anderen Kurzkrimis beschränkt sich die Erotik dann doch auf ein verheißungsvolles Lächeln der weiblichen Protagonisten und nur wenig mehr.

Viele dieser Geschichten sind mit äußerst skurrilen Gestalten bevölkert. Manche sind durchgehend amüsant, mit einem leichten Augenzwinkern erzählt, manche aber auch sehr ernst. So spielt die Autorin Jutta Profijt mit der „süßen Sünde Soest“ einen vergnüglichen Dolce-Vita-Plot durch und zeigt ganz nonchalant, was hinter vorgeblich prüder Fassade schlummert. Die für ihre realistischen Darstellungen bekannte Nina George hingegen gestaltet ihr „Dirty Heaven Hamm“ gewagt brutal und kommt damit wohl der harten Wirklichkeit des Erotik-Business am nächsten.

Dafür wartet die „Lüdenscheider Lustparade“ von Gabriela Wollenhaupt nur auf ihren Erweckungskuss, um gewinnbringend und sozialverträglich unter die Leute gebracht zu werden und hat fast so etwas wie ein Happy End; ein Happy End, welches eigentlich auch manch andere Geschäftsidee verdient hätte, beispielsweise die von „Hottes Hotline“ in Peter Godazgars „Dirty Talk in Bergkamen“. Die Krimi-Cops schwingen im Swinger Club („Heiß, heißer im Bönen“), in Oelde eskaliert die Diskussion um Fleisch und/oder Lust, in der traditionsbewussten Schwerter Rohrmeisterei feiert Sandra Lüpkes eine Sexy-Schwerte-Heimat-Show und Rolf Kramp zeigt, dass man nicht einmal bei einer Exkursion der Volkshochschule Unna-Holzwickede-Fröndenberg vor Verbrechen aus Leidenschaft sicher ist.

Eins ist sicher: Nach der Lektüre weiß man in Teilen mehr über die erotischen Abgründe des Hellwegs, als man je erfahren wollte. Offen bleiben nur zwei Fragen: Warum tauchen in so vielen Geschichten Russen auf und woher kommt diese Lust aufs Stabreimen? Gab es da sowas wie ein inoffizielles Festival der Alliterationen?

Alles in allem hält die Anthologie, was sie verspricht. Gefällige, kurzweilige, spannende Lektüre, nach Belieben zu dosieren.

„Sexy.Hölle.Hellweg. 21 Kriminalstorys (Mord am Hellweg VII), herausgegeben von H.P.Karr, Herbert Knorr & Sigrun Krauß. grafit Verlag Dortmund, 314 Seiten, 11 €.




„Mörderischer Mistral“ – lesenswerter Provence-Krimi von Cay Rademacher

Die meisten Menschen sehen lieber Krimis im Fernsehen als sie in Buchform zu lesen. Das hat zum Teil auch mit der grenzwertigen Qualität zu tun. Der Dumont-Verlag hat in Cay Rademacher aber einen Autor gefunden, der Spannung mit sicherem Stil und sprachlicher Eleganz verbindet. Mit Capitaine Blanc setzt er nun einen neuen Kommissar in die Welt, der in Südfrankreich ermittelt.

Blanc wird von einem Tag zum anderen aus Paris in die Provence versetzt, weil er in der Hauptstadt mit seinen Korruptions-Ermittlungen einigen Politikern zu heftig auf den Fuß getreten ist. Zufällig hat er vor Jahren dort unten in der Nähe von Salon de Provence, der Heimatstadt des Nostradamus, eine halb verfallene Ölmühle geerbt, die er nun wieder herrichten will, während er gleichzeitig in einem Mordfall auf einer Müllkippe ermitteln muss. Das mit dem erwähnten Zufall stimmt aber vielleicht gar nicht, denn die Untersuchungsrichterin in seinem Fall ist die hübsche Ehefrau jenes Pariser Staatssekretärs, der ihn in die vermeintlich unattraktive Provinz abgeschoben hat.

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Als Blanc und seine Kolleginnen und Kollegen auf der Suche nach einem Verdächtigen noch im Ungewissen sind, wird ein zweiter Mann umgebracht, ein ehrenwertes Mitglied der Gesellschaft, und schon wieder läuft alles auf einen Fall von Korruption hinaus, denn die beiden Fälle gehören zusammen.

In einem dramatischen Schlusskapitel kann Blanc mit Hilfe einer Frau den Täter festnehmen. Zum Glück gibt es ja noch die Liebe als ein weiteres treibendes Handlungsmoment, aber der Leser oder die Leserin sollte sich überraschen lassen.

Rademacher erzählt sehr spannend und kenntnisreich – schließlich ist die Frau an seiner privaten Seite selbst von Beruf in Südfrankreich Untersuchungsrichterin, was in Deutschland ungefähr der Position eines Staatsanwalts entspricht. Das mag auch der Grund sein, dass die Richterin in seinem Roman recht gut davonkommt.

Cay Rademacher: „Mörderischer Mistral“. Ein Provence-Krimi mit Capitaine Roger Blanc. 272 Seiten, Dumont Verlag, 11,99 €.




TV-Nostalgie (27): „Auf der Flucht“ – Als Dr. Richard Kimble durch die USA gehetzt wurde

Eigentlich erstaunlich, dass diese Serie auch bei uns so legendär werden konnte. Ab 9. Juli 1965 zeigte die ARD lediglich 26 von insgesamt 120 Folgen von „Auf der Flucht“. Dennoch war der flüchtige „Dr. Kimble“ (David Janssen) bald allen Fernsehzuschauern ein Begriff – und blieb es für viele bis heute.

Doch halt! Nicht alle haben das damals sehen dürfen. Wenn ich mich recht entsinne, haben meine Eltern die Serie damals regelmäßig geguckt, doch für mich war „Auf der Flucht“ (nach ihrer Meinung) noch viel zu aufregend. Wahrscheinlich ist es vielen so ergangen, die seinerzeit Kinder waren. Aber man hörte und las ja überall davon.

Unschuldig zum Tode verurteilt

Wir erinnern uns also: In der im Original schier endlosen US-Thrillerserie ging es um jenen Arzt Dr. Richard Kimble, der zum Tod auf dem elektrischen Stuhl verurteilt wurde, weil er angeblich seine Frau ermordet hatte. Doch er war unschuldig. Auf dem Weg zur Hinrichtung gelang ihm die Flucht, die fortan kreuz und quer durch die Vereinigten Staaten führte. Und wie wurde der Mann gehetzt!

Gehetzter Mann: David Janssen als Dr. Richard Kimble (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=PCdPAELyRyI)

Gehetzter Mann: David Janssen als Dr. Richard Kimble (Screenshot aus: http://www.youtube.com/watch?v=PCdPAELyRyI)

Ich habe mir jetzt probehalber noch einmal zwei Folgen angesehen und muss sagen: Die Filme sind heute noch spannend. Die Hauptfigur, wahrlich ein einsamer Wolf, lebt in beständiger Furcht. Dr. Kimble misstraut erst einmal jedem Menschen, dem er begegnet.

Drohbriefe für Polizisten-Darsteller

Immer und immer wieder droht die Entdeckung – vor allem durch den besessenen Polizei-Lieutenant Gerard. Barry Morse, der Darsteller dieses Erz-Widersachers, bekam in den USA (wo die Serie von 1963 bis 1967 lief) sogar echte Drohbriefe, so glaubhaft spielte er den unerbittlichen Verfolger.

Einer allein gegen alle? Nicht ganz. Auf seinen Fluchtwegen fand Dr. Kimble auch immer wieder Menschen, die ihm – aus unterschiedlichsten Motiven – halfen. Da wurden streckenweise sehr anrührende menschliche Geschichten erzählt.

Der geheimnisvolle Einarmige

Manche Folgen zerren nicht nur als Krimis an den Nerven, sie erweisen sich überdies als packende Sozialstudien; beispielsweise die Episode, die in West Virginia spielt – in einem einst lebendigen, jetzt aber hoffnungslosen Ort, dessen Bergwerk schließen musste. Vor diesem Hintergrund wirkt Kimbles Flucht noch eine Spur verzweifelter als sonst schon. Und man kann nicht umhin, unwillkürlich an Teile des Ruhrgebiets zu denken.

Die allzeit ruhelose Flucht hat zwei Spannungsbögen, die die gesamte Serie überwölben. Zum einen zittert man mit Dr. Kimble, dass er nicht gefangen werden möge, zum anderen wünscht man ihm innig, dass er selbst den geheimnisvollen Einarmigen aufspürt, der offenbar der wirkliche Mörder seiner Frau ist.

Sogar heute scheut man sich noch, die (wohl allseits bekannte) Lösung des Dramas auszuplaudern. Wer weiß: Vielleicht hatten die Eltern damals doch recht. Es war tatsächlich viel zu aufregend für uns.

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Vorherige Beiträge zur Reihe:

“Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20), “Columbo” (21), “Ein Herz und eine Seele” (22), Dieter Kürten in “Das aktuelle Sportstudio” (23), “Der große Bellheim” (24), “Am laufenden Band” mit Rudi Carrell (25), „Dalli Dalli“ mit Hans Rosenthal (26)

“Man braucht zum Neuen, das überall an einem zerrt, viele alte Gegengewichte.” (Elias Canetti)




Hinter jedem Buchregal lauert das Verbrechen – Jubiläums-Anthologie des Grafit-Verlags

Lies oder stirbDer Dortmunder Grafit Verlag, bekannt vor allem für Krimis mit Lokalkolorit und Kurz-Krimi-Anthologien, feiert sein 25jähriges Bestehen. Zum Geburtstag gönnt das Verlagshaus sich und seinen Autoren eine ganz besondere Anthologie. „Lies oder stirb“ heisst es in dem Jubiläumsband, in dem sich die (fiktive) kriminelle Energie der Buchbranche offenbart.

17 namhafte Autoren des Grafit-Verlages geben sich die Ehre, vom Eifelkrimi über den Niederrhein-Plot bis hin natürlich zur Ruhrgebietsstory ist von allem und für alle etwas dabei. Mit ersichtlicher Freude nutzen Autoren wie Theo Pointner, Lucie Flebbe, Leo P.Ard oder Gabriele Wollenhaupt die Chance zur Abrechnung mit ihrer Branche.

Dabei wirken Buchschaffende doch immer so redlich und brav, als könnten sie kein Wässerchen trüben. Doch weit gefehlt. Ruchlose Verbrechen lauern schon hinter dem nächsten Bücherregal. Da wehrt sich eine kleine Buchhandlung gegen eine feindliche Übernahme, doch unerwartet anders als derzeit in den Medien diskutiert. Da zeigt sich, welches Risiko der großmäulige Rezensent auf sich nimmt, wie es realen Vorbildern für Krimifiguren ergehen kann und wie gefährlich doch ein allzu realitätsnaher Plot sein kann.

Da rächt sich ein Autor für die Demütigungen durch ungastliche, überhebliche Buchhändler, ein anderer rächt sich gleich an seinem ganzem Publikum, als dieses bei einer Lesung sein Werk nicht so würdigt wie erwünscht. Dann geht es noch um Raub und andere Vorhaben, die aber dank versierter Leser und Buchhändler, die bei ihrer Krimilektüre gut aufgepasst haben, verhindert werden können. Und zum guten Schluss lernt der Leser, wie gelungen sich Verbrecher alleine durch die Macht der Wörter, die Magie des Lesens rehabilitieren lassen.

Den Kurzkrimis sind spannende Randnotizen vorangestellt, die Wissenswertes und Unbekanntes aus der Welt der Bücher präsentieren. Allen Geschichten gemein ist, dass sie mit einem kleinen Augenzwinkern geschrieben nicht gar so todernst daherkommen. Es schien dem ein oder anderen Autor durchaus eine Genugtuung gewesen zu sein und Spaß gemacht zu haben, sich einmal erlittenen Frust von der Seele und eine kleine Revanche zu schreiben.

Fazit: Vergnügliche, kurzweilige Lektüre. Eine gelungene Jubiläumsfeier für den Verlag. (Und natürlich ist diese Buchbesprechung nicht nur deshalb so positiv ausgefallen, damit die Rezensentin sich ihres Lebens weiterhin sicher sein kann……)

„Lies oder stirb“. Krimi-Anthologie. Grafit-Verlag, Dortmund. 190 Seiten, €10,00




TV-Nostalgie (21): Peter Falk als „Columbo“ – der zerknitterte Polizist

„Zerknittert“ ist wohl das erste Wort, das einem einfällt, wenn man an ihn denkt: Peter Falk als Inspektor „Columbo“ taperte meist in einem knittrigen beigen Trenchcoat herum, sein verknautschtes Gesicht passte dazu. Columbo wirkte oft übernächtigt und zerstreut, er ging seltsam gebeugt, hatte wirres Haar und war meist unrasiert. Was für ein Typ!

Die Täter, die man als Zuschauer gleich kannte und denen Columbo ganz allmählich und beharrlich durch logische Schlussfolgerungen auf die Schliche kam, nahmen so einen zunächst nicht für voll. Genau das machte sich Columbo zunutze. Mörder und anderes Gelichter wiegten sich für eine ganze Weile in Sicherheit, wenn der Zigarrenpaffer mit seinem nahezu schrottreif zerbeulten Peugeot-Cabrio aufkreuzte.

Von Tätern sträflich unterschätzt

Doch sie alle haben ihn sträflich unterschätzt. Gern stieß er, schon halb zur Tür hinaus, mit einer „allerletzten“, vermeintlich harmlosen Frage nach, die den Täter denn doch nachhaltig verunsicherte und zu ebenso unbedachten wie verräterischen Handlungen hinriss.

Unnachahmlicher Blick: Peter Falk als Columbo (Screenshot aus: http://vimeo.com/30281164)

Unnachahmlicher Blick: Peter Falk als Columbo (Screenshot aus: http://vimeo.com/30281164)

Als wahrlich mitfühlender Mensch versetzt sich Columbo eben auch zutiefst ins Seelenleben der Täter hinein. Irgendwann wusste er stets, was diese Herrschaften aus den „besseren“ Kreisen von Los Angeles innerlich antrieb. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit, Indizien zu finden und Beweisketten zu knüpfen.

Die reihenweise preisgekrönte Krimi-Fernsehlegende (insgesamt 10 Staffeln mit 69 Episoden) lief in den USA ab 1968, bei uns waren die ersten Folgen ab 1969 zu sehen – nicht selten etwas gekürzt und „bearbeitet“. Doch der Mythos kam auch in der deutschen Fassung zum Tragen. Und man muss einfach sagen: So einen knorrigen Charakterdarsteller wie den 2011 verstorbenen Peter Falk vermisst man bis heute.

Ohne Geballer geht es auch

Die Folgen bestehen weit überwiegend aus allzeit soliden Dialogen, wilde Action gibt es nicht – und erst recht keine Gewalt. Selbst die oft raffiniert ausgefuchsten Morde werden filmisch nur angedeutet. Und Columbo trägt nicht einmal eine Waffe bei sich. Ohne Geballer geht es eben auch!

Auch sind es ja keine harten Verhöre oder gar Drohungen, mit denen Columbo zum Ziel kommt. Dieser im Prinzip durchaus friedliche, zur Melancholie neigende Mann passte in die späten 60er und frühen 70er Jahre, als man in den USA zunehmend am Sinn des Vietnamkrieges und überhaupt an Autoritäten zu zweifeln begann. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), “Fury” (10), Loriot (11), “Kir Royal” (12), “Stahlnetz” (13), “Kojak” (14), “Was bin ich?” (15), Dieter Hildebrandt (16), “Wünsch Dir was” (17), Ernst Huberty (18), Werner Höfers “Frühschoppen” (19), Peter Frankenfeld (20)




Bei „strg alt entf“ Mord – die Kurzkrimi-Anthologie „Online ins Jenseits“

online_ins_jenseitsGeschichten über Verbrechen gibt es seit Kain und Abel. Doch jede Zeit bringt ihre eigenen Waffen hervor. Was dem Kain sein Stein war, ist dem Kriminellen im world wide web seine Tastatur. Im Zeitalter des unbegrenzten Surfens ist das perfekte Verbrechen manchmal nur einen Mausklick entfernt.

Grund genug für den Dortmunder Grafit Verlag, eine seiner beliebten Kurzkrimi-Anthologien dem zwar reellen, aber im Virtuellen gestarteten Verbrechen zu widmen. Mit der neuen Sammlung „Online ins Jenseits“ serviert der Verlag 14 Krimihäppchen namhafter Krimi-Autoren – von A wie App bis Z wie .zip. Schnell wird klar, mögen sich auch die Waffen geändert haben, gleichbleibend auch im virtuellen Raum sind die Motive. Gekränkte Eitelkeit und Bloßstellung durch entlarvende Youtube-Videos, Kontrollverlust, bedrohtes Eigentum, enttäuschte Liebe – das war schon im Alten Testament so, das bleibt auch im Internet.

14 Autoren, etliche davon Mitglieder in der renommierten Krimi-Autoren-Vereinigung Syndikat, sind online gegangen und haben die heimtückischsten Fallen im Cyber-Space aufgespürt. Ganz ohne Frage ist es in Zeiten allgegenwärtiger digitaler Beobachtung, in denen sich Blogger berufen fühlen, eine Rede zur Lage zur Nation zu halten, gut und wichtig, auch im Unterhaltungssektor auf die Gefahren des Internet aufmerksam zu machen. Schließlich kann man nicht alles mit der Escape-Taste wieder rückgängig machen,

Leider wirken die meisten Krimihäppchen eigenartig fade und selten wirklich appetitanregend. Die Autoren verstehen ihr Handwerk, wie gewohnt sind einige Plots richtig spannend, andere eher augenzwinkernd amüsant. Aber es bleibt ein seltsam diffuses Gefühl von „Hier wird zusammengebracht, was (noch) nicht richtig zusammengehört“. Es scheint, als ob die Kreativität der schreibenden Zunft exakt diametral zur Kreativität der Computer-Nerds verläuft (und wahrscheinlich auch umgekehrt). So richtig versteht man einander nicht, zu fremd sind letztlich doch wohl die unterschiedlichen Lebenswelten, als dass eine Schnittstelle zu definieren wäre. Die geschilderten virtuellen Verbrechen kratzen nur an der Oberfläche, viele Protagonisten scheinen wie mit einer Schablone gezeichnet.

Dennoch sind die Geschichten professionell aufgebaut und reichen durchaus für ein paar spannende analoge Stunden. Und ganz sicher verhilft der Offline-Genuss dieser Krimihäppchen dazu, später beim Internet-Surfen die ein oder andere Klippe zu umschiffen, von der man sonst vielleicht gestürzt wäre. Dabei sind die den Kurzkrimis vorangestellten meist skurrilen webfacts ein willkommenes Amuse Geule, die den Krimis nachgestellten „heimlichen“ Online-Wünsche der Autoren ein nettes Dessert.

Von den 14 Geschichten gefielen mir zwei besonders: Zum einen Katzenauge 2.0. von Sabine Thomas, der damit die Ehre gebührt, dem im Netz so gleichermaßen beliebten wie nervigen Cat-Content eine ganz neue Bedeutung gegeben zu haben. Zum anderen interessanterweise die Geschichte von Sebastian Stammsen www.krimi-hexen.de, in der ausgerechnet bloggende Rezensentinnen zum Mordopfer wurden. Wahrscheinlich war ich einfach froh, dass es mich nicht getroffen hat und ich weiter unbehelligt meine unmaßgebliche Meinung in die Tasten hacken darf.

„Online ins Jenseits“. 14 Krimihäppchen. Grafit Verlag, Dortmund, 184 Seiten, 10 €




Morden nach Zahlen: Spannende Krimi-Recherche zum „Tod eines Mathematikers“

422_rgbEr verkörpert den Prototyp eines Professors, zumal eines Wissenschaftlers in der Disziplin Mathematik: verschlossen, eigenbrötlerisch und ein wenig vergesslich. Wer sollte schon Interesse haben, einen solchen Mann umzubringen?

Diese Frage stellt sich die Kripo auch, als sie im Fall des Todes von Albert Katzenstein ermittelt – und hat die Antwort schnell parat: Hier handelt es sich nicht um Mord, sondern um einen klaren Fall von Suizid. Der hoch angesehene Experte hat das eigene Ende selbst verbeigeführt. Doch seine Tochter, von Beruf Journalistin, mag daran nicht glauben. Da sie das Recherchieren gelernt hat, beginnt die junge Frau selbst mit der Spurensuche. Ihre Kontakte zur Polizei sind hilfreich, um Beamte von ihrem Zweifel an der Selbstmordversion zu überzeugen.

Kerstin Herrnkind und Walter K. Ludwig haben mit „Tod eines Mathematikers“ einen ungemein spannenden Krimi geschrieben, der vor allem durch überraschende Wechsel und Wendungen überzeugt. Indem das Autorenduo immer wieder neue Nebenschauplätze eröffnet, kommen zusätzliche Motive und Täter in Betracht, die für den Tod des Professors und weitere ungelöste Kriminalfälle aus der Vergangenheit verantwortlich sein könnten. Es gelingt den Verfassern, die einzelnen Handlungslinien geschickt miteinander zu vermischen, ohne dass der Leser den Überblick verliert. Der Roman gewinnt vor allem auch dadurch an Dynamik, dass Romanfiguren in höchste Gefahr geraten, die bis dahin mit einem absolut sicheren Auftreten beeindruckten und nicht für eine Opferrolle geschaffen schienen.

Der Leser erfährt darüber hinaus, das aber eher beiläufig, wie es in Zeitungsredaktionen zugeht. Die Tochter des Mathematikers arbeitet für ein Blatt in Bremen, das, wie viele andere Printerzeugnisse, unter Auflagenschwung leidet und Stellen abbauen muss. Scheinen auch hier und da die Umgangsformen von Journalisten etwas überzeichnet zu sein, ist es amüsant zu lesen, wie es im Redaktionsalltag ab und an zugehen kann. Das gilt ebenso für die Kripo, zu deren Mitarbeitern einige schräge Typen gehören. Ohne sie wäre allerdings die gesamte Geschichte nur halb so unterhaltsam. Zu den Annehmlichkeiten dieser Lektüre gehört ferner eine einfache wie aber auch sehr lebendige Sprache, die durchaus mal ganz derb sein kann.

Wer übrigens meint, man könne gegen Ende das Buch aus der Hand legen, weil alle Unklarheiten beseitigt sind, der sollte sich eines Besseren belehren lassen. Zum Schluss folgt noch ein Clou – vielleicht Stoff für eine Fortsetzung?

Kerstin Herrnkind/Walter K. Ludwig: „Tod eines Mathematikers“. Grafit Verlag, Dortmund. 351 Seiten. 10,99 Euro.




Auf den Spuren der Tiermafia – Heinrich Peuckmanns Krimi „Angonoka“

Den Kamener Schriftsteller Heinrich Peuckmann (65) kannte ich bisher nur vom Telefon. Der immens fleißige Mann rührt stets selbst die Trommel für seine Bücher, denn die kleineren Verlage können sich nicht allzu wirksam in die Bresche werfen.

Also ruft Peuckmann an oder mailt, wenn es etwas Neues aus seiner Werkstatt gibt. Jetzt kam mal wieder Post, denn er hat einen Krimi rund um die Tiermafia geschrieben, die weltweit illegal mit raren, bedrohten Tierarten handelt. Das Thema hatte sich aufgedrängt, als Peuckmanns Leipziger Verleger eine seltene Agame (Schuppenkriechtier) angedient wurde. Das ging doch nicht mit rechten Dingen zu…

Der Autor Heinrich Peuckmann (rechts) und Dortmunds Zoodirektor Dr. Frank Brandstätter mit Schildkröten und Krimi im Amazonashaus. (Foto: Bernd Berke)

Der Autor Heinrich Peuckmann (rechts) und Dortmunds Zoodirektor Dr. Frank Brandstätter mit Schildkröten und Krimi im Amazonashaus. (Foto: Bernd Berke)

Peuckmann stellte sein neues Buch mit dem zunächst rätselhaften Titel „Angonoka“ nun im Dortmunder Zoo vor. Nicht nur, weil der größte Zoo Nordrhein-Westfalens zu den vielen lokalen Schauplätzen der Kriminalstory gehört, sondern vor allem, weil dessen Direktor Dr. Frank Brandstätter als bildreich erzählender Fachberater und sozusagen auch als Korrektor fungierte. Brandstätter wurden schon öfter Tiere aus dubioser Herkunft angeboten. Von den üblen Machenschaften der Tiermafia erfährt er zudem oft genug, wenn der Zoll in Zweifelsfällen seinen Expertenrat einholt.

Termin im Amazonashaus des Zoos: Bei extremer Luftfeuchtigkeit posieren Autor Peuckmann und Zoochef Brandstätter mit exotischen Schildkröten fürs Foto. Natürlich ist das eine Anspielung auf die Krimihandlung. Im neuen Roman wird zu Beginn eine Leiche gefunden, Ort des Geschehens ist zunächst der Dortmunder Vorort Kurl. In der Nähe des Mordopfers kriecht just eine Schildkröte, die die Polizei anfangs nicht in Verbindung mit der Tat bringt. Deshalb soll ihr Ex-Kollege, der pensionierte Kommissar und Tierfreund Bernhard Völkel, dafür sorgen, dass das Tier gut untergebracht wird.

Schnell stellt sich freilich heraus, dass es sich bei der Schildkröte um eine ungemein seltene Angonoka (Schnabelbrustschildkröte) aus Madagaskar handelt. Es gibt nur noch rund 700 Exemplare dieser Art, für ein Tier werden auf dem Schwarzmarkt etwa 50000 Dollar hingeblättert. Wo es um so viel Geld geht, liegen kriminelle Hintergründe nah. Wir verraten vom Fortgang jetzt nur noch dies: Der Fall wird schließlich aufgeklärt.

Einige Facetten des Krimis verdankt Heinrich Peuckmann seinem jüngsten Sohn, der Theologie studiert und sich u. a. auf Tierethik verlegt hat. Da stellen sich auch Fragen wie: Haben Tiere eine Seele, eine „Biographie“ und eine Sprache? Worin besteht letztlich der Unterschied zum Menschen? Man ahnt schon, dass es auch im Roman nicht mit bloßer Kriminalistik getan ist.

Pikantes Handlungsdetail übrigens: Kommissar Völkel vermisst schmerzlich seine altvertraute Dortmunder Zeitung. 120 Journalisten wurden da kurzerhand auf die Straße gesetzt. Nur der Chefredakteur hat seinen Job behalten… Wieso Peuckmann wohl auf so etwas kommt? Bestimmt blühende schriftstellerische Phantasie, oder?

Apropos Krimi, apropos Dortmund: Was hält Peuckmann eigentlich vom Dortmunder „Tatort“ im ARD-Programm? „Nichts!“ Eine solche Negativwerbung mit durchgeknalltem Kommissar, so Peuckmann geradezu erbost, würde man sich in keiner anderen deutschen Großstadt gefallen lassen.

Heinrich Peuckmann: „Angonoka“. Kriminalroman. Lychatz Verlag, Leipzig. 238 Seiten (Taschenbuch). 9,95 Euro.




„Der Ruf des Kuckucks“: Joanne K. Rowlings Krimi unter Pseudonym

Seit die Britin Lula Landry zum schillernden Top-Model avanciert ist und mit ihrer geheimnisvollen Ausstrahlung die internationale Modewelt verzückt, lernt sie auch die Schattenseiten einer Berühmtheit kennen, die, je nach Lust und Laune, von den Medien gefördert oder vernichtet wird.

Jeder ihrer Schritte wird vom Boulevard beäugt, ihr Luxus-Appartement von Paparazzi umzingelt. Selbst ihr Telefon wird abgehört. Um die Medienmeute abzuschütteln, trifft Lula private Verabredungen und Vereinbarungen nur noch vom Handy einer Freundin aus. Doch es gibt immer jemanden, der eine heikle Information aufschnappt und an die Presse verkauft. Oder jemanden, der, voller Neid und Missgunst, sein eigenes erpresserisches Süppchen kocht.

Der Ruf des Kuckucks von Robert Galbraith

Als Lula eines nachts vom Balkon ihrer Wohnung in den Tod stürzt, deuten alle Indizien darauf hin, dass das notorisch misstrauische und seit Jahren in psychiatrischer Behandlung befindliche Model ihrem turbulenten Leben selbst ein Ende gesetzt hat. Nur ihr Bruder, ein reicher Anwalt, mag den Ergebnissen der polizeilichen Ermittlungen nicht glauben. Als die mediale Hysterie abgeflaut und Lulas Fall schon zu den Akten gelegt ist, engagiert er den Privatdetektiv Cormoran Strike. Dass der ehemalige Soldat, der in Afghanistan körperliche und seelische Wunden davon getragen hat, bei seiner Wahrheitssuche in einen Sumpf aus Intrigen gerät und die Welt der Schönen und Reichen als ein von Machtspielen und Medieninteressen vermintes Schlachtfeld der Eitelkeiten erlebt, verwundert kaum. Denn von der Macht der Medien und dem hoffnungslosen Versuch, sich selbst – trotz plötzlicher Berühmtheit – treu bleiben zu können, kann Joanne K. Rowling ein Lied singen.

Seit sie mit ihrer Saga um den Zauberlehrling Harry Potter in die Liga der Super-Reichen aufgestiegen ist, wird das Leben der ehemaligen Sozialhilfe-Empfängerin in der Öffentlichkeit breit getreten, wird jede private Regung, politische Äußerung und literarische Zeile mit einer Mischung aus Bewunderung, Neugier und Häme unter die Lupe genommen. Die Sehnsucht nach Anonymität muss groß gewesen sein. Vor allem, nachdem „Ein plötzlicher Todesfall“, ihr erster Roman der Nach-Potter-Ära, von der Kritik als klischeehaftes Sozial-Drama abgetan wurde.

Um ihren literarischen Wert zu testen, hat sie ihren neuen Roman, „Der Ruf des Kuckucks“, unter dem Pseudonym Robert Galbraith veröffentlicht. Dass das Versteckspiel am unaufhörlichen Geplapper der modernen Kommunikationsmedien scheitern würde, hätte sie sich eigentlich denken können. Nachdem die Nachricht über die wahre Autorschaft sich via Twitter durch die globalen Netze gefressen hatte, schoss der Roman von Robert Galbraith, der vorher zwar von der englischen Kritik gut aufgenommen, von den Käufern aber eher missachtet wurde, binnen Minuten an die Spitze der Verkaufs-Charts bei Amazon. Zu dem Zeitpunkt hatte sich der Verlag Blanvalet, der keine Ahnung hatte, welche Lizenz zum Gelddrucken man da billig erworben hatte und der dann mit einer Auflage von 300 000 an den Start ging, die deutschen Rechte bereits gesichert.

Dabei ist „Der Ruf des Kuckucks“ nicht mehr, aber auch nicht weniger, als ein klug komponierter, spannend geschriebener und stilistisch sauber gearbeiteter Krimi. Die Autorin weiß, wie man die Leser bei der Stange hält und veranstaltet eine kriminalistische Schnitzeljagd. Privatdetektiv Cormoran Strike braucht lange, um zu begreifen, dass das, was unaufmerksame Zeugen, verlogene Freunde und machtgeile Medienprofis über das Leben von Lula Landry zu wissen meinen, und dass das, was sie glauben gehört und gesehen zu haben, nur selten der Wirklichkeit entspricht. Strike, unehelicher Sohn eines ehemaligen Rockstars, muss ein gigantisches Puzzle aus Halbwahrheiten, Lügen und Manipulationen neu und richtig zusammensetzen.

Strikes kriminalistisches Denken und seine Leidensfähigkeit sind geschärft, seit er in Afghanistan bei einer Militär-Einheit war, die Verfehlungen und Verbrechen der britischen Armee aufdeckt. Bei diesem gefährlichen Dienst hat Strike den Unterschenkel eines Beines verloren. Aber das kann er im Alltag genauso gut kaschieren wie die Tatsache, dass er emotional angeschlagen ist, nachdem die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin in die Brüche gegangen ist und er auf einer Campingliege in seinem Büro seine einsamen Nächte verbringt. Zu einem derangierten Detektiv passt, da kennt das Klischee kein Erbarmen, eine umsichtige und loyale Sekretärin: Die sympathische Robin gehört zum Stamm selbstloser Frauen, die ihrem muffligen Chef den Rücken frei halten und für ein kleines Kompliment bereit sind, Überstunden und Gefahren auf sich zu nehmen.

Irgendwann sind alle Mode-Designer und Film-Mogule, alle falschen Freunde und fiesen Feinde der schönen Toten durch die Mangel gedreht, ist das kriminelle Knäuel entwirrt und der psychopathische Mörder dingfest gemacht. Bleibt die Hoffnung, dass Robert Galbraith alias J. K. Rowling den nächsten Fall etwas gradliniger angeht. Denn eine Fortsetzung wird es bestimmt geben: Strike hat schließlich noch eine Rechnung mit seinem Vater offen, und er muss herausbekommen, ob beim Drogentod seiner Mutter nicht vielleicht doch eine Mörderhand im Spiel war.

Robert Galbraith (J.K.Rowling): „Der Ruf des Kuckucks“. Roman. Deutsch von Wulf Bergner, Christoph Köhler, Kristof Kurz. Blanvalet Verlag, München 2013, 638 S., 22,90 Euro.




Der große Überdruss: Mankells nachgereichter Wallander-Krimi „Mord im Herbst“

Schon lange hat Kurt Wallander zwei, nein eigentlich drei Wünsche: ein Haus auf dem Lande, einen Hund und, er wagt es kaum zu formulieren, eine Frau, die ihn, den oft griesgrämigen Polizisten aus Ystad, liebt und ihm behilflich ist, die Tücken des Alters zu ertragen.

Seine erste Ehefrau hat ihn schon lange verlassen. Mit seiner Tochter wechselt er, obwohl sie noch immer bei ihm wohnt, kaum zwei Worte am Tag. Jetzt, wo die Herbststürme über die hügelige Landschaft von Schonen peitschen und Wallander in seinen knackenden Knochen spürt, dass der Winter seines Lebens nicht mehr fern ist, will er dringend noch einmal seinem tristen Dasein einen letzten neuen Dreh geben.

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Aber als der Kommissar hinausfährt und ein zum Verkauf stehendes Haus besichtigt, stolpert er im Garten über eine skelettierte Hand, die aus dem Boden ragt. Die sofort anrückenden Kollegen finden, als sie den Garten umgraben, die Überreste von zwei Leichen, die seit vielen Jahren dort vergraben waren. Statt Ruhe in ländlicher Idylle erwartet Wallander also doch nur wieder harte Arbeit.

Ein neuer Fall also. Hatte nicht Henning Mankell vor einigen Jahren behauptet, „Der Feind im Schatten“ sei definitiv der letzte Roman über den schwedischen Polizisten Kurt Wallander? Und waren dabei nicht, während Wallander sich im Gestrüpp einer politischen Affäre fast verlor, am Horizont die ersten Anzeichen einer Demenz erkennbar und war nicht das Abtauchen in das endgültige Vergessen nur noch eine Frage weniger Monate oder Jahre?

Für Wallander gibt es keine Rettung, daran wird sich wohl nichts ändern. Denn der Roman „Mord im Herbst“ ist chronologisch vor dem letzten Wallander-Krimi angesiedelt, spielt im Jahre 2002 und wurde bereits 2004 veröffentlicht. Allerdings bislang nur in den Niederlanden. Henning Mankell hatte den Plot eigens für eine Aktion geschrieben, bei der jeder holländische Leser, der in einem bestimmten Monat einen Kriminalroman kauft, noch ein weiteres Buch gratis dazu bekommt.

Deutsche Fernsehzuschauer werden trotzdem das Gefühl haben, die Geschichte irgendwie zu kennen: Denn der – im Gegensatz zu allen anderen Wallander-Krimis – eher schmale Roman wurde heftig geplündert und diente später der BBC als Grundlage für ein Drehbuch zu einem Film mit Kenneth Branagh in der Rolle des Kurt Wallander. Aber Vorsicht: Die TV-Version von „Ein Mord im Herbst“ hat sich nur ein paar Ideen herausgeklaubt, bei der Suche nach der Wahrheit, der Identität der Opfer und des Mörders geht der Roman ganz andere Wege. Diese Wege sind verschlungen und reichen weit in die Vergangenheit zurück. In die Zeit, als der Zweite Weltkrieg sich dem Ende zuneigte und auch in Schweden, wo viele Flüchtlinge strandeten, die nirgends registriert wurden und die gelegentlich auch auf Nimmerwiedersehen spurlos verschwanden, das reinste Chaos herrschte.

Der Fall selbst ist nicht besonders spektakulär und im Grunde durch hartnäckige Routinearbeit und staubige Archiv-Recherchen zu lösen. Die Würze und Spannung des Romans besteht diesmal eher in seiner gedanklichen Klarheit und sprachlichen Verknappung. Während Mankell sich sonst gelegentlich selbstverliebt in Details verliert und die Wallander-Romane mit falschen Fährten und zwischenmenschlichen Problemen gehörig aufplustert, konzentriert er sich hier ganz auf die spröde Gedankenwelt des muffeligen Kommissars.

Deutlich spürbar ist, dass Wallander vieler Alltäglichkeiten überdrüssig ist und bald keine Lust mehr haben wird, den Rest seines verkorksten Lebens mit Mordermittlungen zu verbringen. Am Ende des melancholischen Buches ist der Mörder zwar bekannt. Aber der Winter ist vollends nach Schonen gekommen. Ein Haus, einen Hund und eine Frau hat Wallander immer noch nicht.

Henning Mankell: „Mord im Herbst“. Ein Fall für Kurt Wallander. Mit einem Nachwort des Autors. Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt. Paul Zsolnay Verlag, Wien 2013, 143 Seiten, 15,90 Euro.




TV-Nostalgie (6): Erik Ode als „Der Kommissar“ – Mal gütiger, mal strenger Vater

Du meine Güte, wie lang ist das her! Am 3. Januar 1969 ging im ZDF „Der Kommissar“ auf Sendung, die legendäre Krimireihe von Herbert Reinecker und Helmut Ringelmann. Erik Ode bestritt als Kommissar Keller auf seine altväterliche Art 97 Folgen.

Kaum zu fassen, in welch unvordenkliche Zeiten „gemütlicher“ Möblierung und vor allem des bundesdeutschen Patriarchats uns gleich die allererste Episode (Titel: „Toter Herr im Regen“) führt.

„Du bist dumm, aber lieb!“

Zum Anbeginn der Serie sehen wir Erik Ode beim wohlverdienten Gläschen Rotwein, daheim seine Briefmarkensammlung ordnend. Natürlich kommt dann ein Anruf vom Tatort. Keller muss bei strömendem Regen noch einmal ’raus. Die fürsorgliche Gattin (Rosemarie Fendel) zieht ihm eigenhändig Stiefel und Galoschen an, was er nur widerwillig über sich ergehen lässt: „Du bist dumm, aber lieb!“ Das sagt er ihr geradewegs ins Gesicht.

Kommissar Keller (Erik Ode, Mitte), Inspektor Heines (Reinhard Glemnitz, links), Inspektor Grabert (Günther Schramm (rechts). (© ZDF/3Sat - Screenshot von: http://www.youtube.com/watch?v=_8_JB6R_WeM)

Kommissar Keller (Erik Ode, Mitte), Inspektor Heines (Reinhard Glemnitz, links), Inspektor Grabert (Günther Schramm (rechts). (© ZDF/3Sat – Screenshot von: http://www.youtube.com/watch?v=_8_JB6R_WeM)

Hernach wird Keller seine Sekretärin Rehbein(chen) (Helma Seitz) mit ähnlich halbgaren Sprüchen durchs Büro scheuchen. Ist der Kaffee denn immer noch nicht fertig? Kurz darauf wird über eine Zeugin Auskunft begehrt: „Frau oder Fräulein?“ Damit das Lebenswichtige schon mal geklärt ist.

Besserer Herr bei käuflicher Dame

Einen Fall gibt’s auch noch. Der wohlhabende und zynische Dr. Steiner, der all seine Mitmenschen gequält und verhöhnt hat, ist nahe beim Rummelplatz erschossen worden. Man kann sich beinahe schon denken, dass dieser Herr aus den „besseren Kreisen“ da draußen im „Nachtjackenviertel“ (wie man damals zu sagen pflegte) bei einer käuflichen Dame (wie man damals zu sagen pflegte) namens Annchen Kopeke (!) gewesen ist, deren Mutter auch in München mileugerecht zu berlinern hatte. Ist Prostitution also etwas Preußisches?

Steiners Stiefsohn Wolfgang schwelgt geradezu in seinem Hass auf den Altvorderen. Auch alle anderen Verdächtigen benehmen sich nun überaus verdächtig. Entgleisende Gesichtszüge, wohin man auch blickt. Dämliche Verplapperer, wohin man auch lauscht. Keller muss eigentlich immer nur abwechselnd gütig, streng, ahnungsvoll oder allwissend schauen, um ihnen nach und nach alle Geheimnisse zu entlocken.

Andererseits tauchen in der Serie häufig erstrangige Darsteller auf, auch sorgen Regisseure wie Wolfgang Staudte und ambitionierte Kameraleute für bleibende Momente. Sonst wäre „Der Kommissar“ gewiss nicht zur Fernseh-Legende geworden.

Fels in der Brandung der 70er Jahre

Viele Jahre später haben ziemlich kluge Leute festgestellt, Erik Odes eigentliche Funktion sei es gewesen, die rasanten Veränderungen der späten 60er und frühen 70er Jahre emotional aufzufangen und beruhigend abzufedern, so gut es eben ging. Wie oft musste er dabei die Jugend ermahnen oder trösten, die auf schiefe Bahnen zu geraten drohte! Selbst seine Mitarbeiter (Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper) waren ja eine unreife Rasselbande, die lauter Anfängerfehler beging. Kein Wunder, dass das Personal allzeit hohen Bedarf an Zigaretten und Cognac hatte.

Der erste Mord der Reihe wurde übrigens mit einer Offizierswaffe aus dem Zweiten Weltkrieg begangen. Jenen finsteren Zeiten, so war immer mal wieder zu spüren, war man seinerzeit noch nicht allzu lange entronnen. Keller stellte in der Auftaktfolge fest, er sei nun 30 Jahre im Dienst. Man rechne einmal zurück…




„Nach dem Applaus“ – ein Krimi aus dem Theatermilieu in Berlin und Wien

Es ist bitterkalt. Schnee und Eis haben die Mitte Europas fest im Griff. Eigentlich möchte man sich es sich nur noch mit einem heißen Getränk und einem guten Buch in der gut geheizten Wohnung gemütlich machen. Doch dann müssen der Berliner Kommissar Thomas Bernhardt und seine Wiener Kollegin Anna Habel doch vor die Tür und hinaus ins Frostige.

In den Hauptstädten Deutschlands und Österreichs geschehen Morde, die offensichtlich enger zusammenhängen, als es auf den ersten Blick scheint. In Berlin wird eine junge Schauspielerin grausam zerstückelt, die noch vor gar nicht langer Zeit in Wien große Bühnentriumphe feierte. Und war sie nicht mit jener Frau näher befreundet, deren kopflose Leiche man in Wien auf den Gleisen eines Rangierbahnhofs findet?

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„Nach dem Applaus“ heißt der neue, nunmehr dritte „Fall für Berlin und Wien“, den das Autoren-Duo Bielefeld & Hartlieb mit liebevoll-zynischer Lust geschrieben hat. Nachdem der Berliner Literaturkritiker Claus-Ulrich Bielefeld und die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb ihr unterhaltsames Spiel mit den blutigen Machenschaften unter Schriftstellern und Verlegern („Auf der Strecke“) und mit den politischen Irrungen und Wirkungen unter ehemaligen RAF-Terroristen („Bis zur Neige“) geführt haben, wagen sie diesmal einen Ausflug ins Theatermilieu. Das ist schon deshalb nicht ohne Hintersinn und Humor, weil Berlin und Wien seit jeher um die Theaterkrone im deutschsprachigen Raum kämpfen.

Natürlich war die in Berlin ermordete Schauspielerin eine Lieblings-Diva von Claus Peymann, dem ehemaligen Chef des Wiener Burgtheaters, der seit einigen Jahren das Berliner Ensemble leitet und immer wieder vollmundig verkündet, sein Theater solle Reißzahn im Hinterteil der Herrschenden sein. Peymann wird im Krimi zwar nicht direkt beim Namen genannt, aber auch so ist jedem Leser klar, wer da seine aufbrausenden Bühnenweisheiten und arroganten Kunstsentenzen von sich gibt.

Dass der Theaterdirektor ausgerechnet von einem Kommissar namens Thomas Bernhardt (mit „dt“) verhört wird, raubt dem ehemaligen Weggefährten des (fast) gleichnamigen österreichischen Schriftstellers (mit „d“) beinahe den Verstand. Auch als Kommissar Bernhardt in eine Schauspielprobe platzt, bei der „Peymann“ sich an einer Bühnenversion von Georg Büchners „Lenz“-Erzählung abarbeitet und sich – ausgerechnet! – vom prolligen Volksbühnen-Kollegen Frank Castorf ein paar Ratschläge erbittet, ist der Humorfaktor groß.

Aber bei allen komischen Seitenhieben auf die Theaterszene kommt das bizarre mörderische Treiben nicht zu kurz. Ein zum Eisklotz gefroren toter Schriftsteller im See, ein in luftiger Höhe an die Flügel eines Windrades gebundener Schauspieler, ein Kunst-Mäzen, der gern Gutes tut, aber selbst nicht ohne Makel ist: Es wird Zeit, dass Bernhardt und Habel, die nicht miteinander, aber auch nicht ohne einander können, gemeinsam am komplizierte Fall bosseln.

Ob die beiden bei ihren Recherchen in Szene-Cafés oder Theater-Kantinen Station machen, immer spürt man, dass jedes Detail stimmt und jede Anspielung bis aufs I-Tüpfelchen durchdacht ist. Zwar versichern Bielfeld&Hartlieb, dass alle Personen und Ereignisse frei erfunden sind. Trotzdem ist es ein kriminalistischer Spaß, die Fantasie mit der Realität abzugleichen.

Bielefeld & Hartlieb: „Nach dem Applaus“. Kriminalroman. Diogenes Verlag, Zürich. 390 Seiten, 14,90 Euro.




Ansichten eines Hörbuchjunkies (7): München tut dem Franz Eberhofer gar nicht gut

Tja, nun hat es auch Franz Eberhofer aus Niederkaltenkirchen bei Landshut d‘erwischt. Der bodenverhaftete Kriminale, der mit dem dörflichen Freundeskreis in engstem Kontakt und dem Birkenberger, Rudi in schier Ehepaar ähnlicher Beziehung komplizierte Fälle löst, die sich Autorin Rita Falk ausgedacht hat, er hat einen klaren Durchhänger. „Sauerkrautkoma“ heißt der fünfte Eberhofer-Krimi, und in ein solches verfiel der Plot des Romans zeitweilig. Kurz: Hätte ich keinen seiner Vorgänger gehört, fände ich das Hörbuch recht unterhaltsam. Da ich aber alle vier dieser Niederkaltenkirchen-bei-Landshut-Saga genussvoll zu mir nahm und mich bisweilen tränenlachend bei meiner gesellschaftlichen Umgebung zum Deppen machte, ist mein heuriges Urteil: Ganz nett, aber diesmal wie alle anderen auch.

Franz Eberhofer, der ja mittlerweile als die Allzweckgeheimwaffe Bayerns im Kampf gegen vor lauter Dummheit nachgerade geniale Rechtsbrecher gilt, wird von der übergeordneten Behörde versetzt. Im heimatlichen Niederkaltenkirchen bei Landshut ist er den hohen Damen und Herren zu schade, er soll München mit seinen ermittlungstechnischen Alleingängen (natürlich gemeinsam mit dem Rudi) zur Gauner freien Zone machen. Daheim wird’s derweil von dem Simmerl (weltbester Metzger und Leberkäs-Bäcker) sein Bub‘ gerichtet.

Und kaum an der Isar, da landet unverhofft eine weibliche Leiche im Kofferraum von dem Papa sein Auto, das zuvor beim Familienbesuch in der Landeshauptstadt vom Parkplatz geklaut worden war. Rätsel über Rätsel, die natürlich vom Franz in gewohnter Weise gelöst werden.

In gewohnter Weise? Na, eben nicht. Der Franz passt nicht nach München. Der kann so was nur in Niederkaltenkirchen bei Landshut. Zu wenig Schrulliges vom kiffenden Papa, zu wenig Köstliches aus der Küche der Oma, die immer nur dann was hört, wenn sie beschlossen hat, das auch zu wollen. Zu wenig vom Freundeskreis (Metzger Simmerl, Wirt Wolfi, Klempner Flötzinger), dafür etwas zuviel von der Susi, die zu ehelichen sich der Franz nun doch entschlossen hat. Na, vielleicht nicht von der Susi, aber von den ganzen Hochzeitsvorbereitungen. Es fehlt dem „Koma“ eindeutig an der Authentizität des bayerischen Dorfes und seiner verrückten Gemeinschaft. Es fehlt dem Münchner Eberhofer eindeutig am anarchischen Ermittlungsgeschehen. Und es fehlt dem Krimi-Plot vollkommen die schräge Note und der „Och-Effekt“, den seine Vorgänger  auszeichneten.

Was ist nur aus der fröhlichen Gesellschaft geworden, die einst die Susi aus Italien zurück holte. Wo sind die verbalen Sticheleien zwischen dem Franz und seinem unfehlbaren Bruder Leopold, dem nun auch noch Eheweib Panida nebst Töchterchen abhanden zu kommen drohen. Wo bleiben die unvergleichlichien Szenen, in denen Franz seine Oma durch die Weltgeschichte kutschieren muss, weil die doch dringend die Sonderangebote des wohnortnahen Einzelhandels einsammeln muss.

Rita Falk ist diesmal arg in den Trott der handelsüblichen Krimi-Autoren gestolpert, was dem fünften Fall nicht gut tat. Aber, ich gebe ja die Hoffnung nicht auf. Der sechste wird hoffentlich kommen, dann erfahre ich sicher, was auch dem kurz vor knapp nun doch nicht verheiratetem Paar geworden ist, das der Lamborghini-Fahrer mit der von ihm entführten Susi anstellt, was Oma zum Trost ihrem Enkel zubereiten wird und woran der Birkenberger Rudi sich beim ermitteln diesmal den Magen verdirbt.

Und vielleicht hat’s den Franz dann auch wieder nach Niederkaltenkirchen bei Landshut zurück verschlagen, denn er ist und bleibt kein rechter Großstadtermittler.




Fußballkrimi vor brisantem Hintergrund: „Nach Abpfiff Mord“ von Heinrich Peuckmann

Peuckmann_nach_Abpfiff_MordNicht für jeden ist Fußball nur die zweitschönste Nebensache der Welt. Für manche, leider für immer mehr ist der Fußballplatz auch der Ort, an dem sie ihre Aggressionen ausleben können.

Fußball ist für sie ein Ventil. Rassismus, Beschimpfungen, Polemik bis hin zu Schlägereien, immer mehr Vereine aller Ligen können ein leidvolles Lied davon singen. Diese brisante Thematik bildet den Hintergrund für den Plot des neuesten Krimis von Heinrich Peuckmann: Nach Abpfiff Mord.

In seinem dritten Fall ermittelt Peuckmanns Kommissar Völkel in Leipzig. Dort kämpft ein Verein mit dem Problem andauernder Randale. Eine Zeitlang wurde das Problem totgeschwiegen, stillschweigend geduldet. Denn mehr Zuschauer bedeuten auch mehr Sponsorengelder, so einfach ist die Rechnung, die auch dieser Verein aufmacht. Ben Rossmann, ein junges Nachwuchstalent aus Dortmund, spielt dort – und rein karrieretechnisch sieht es gut für ihn aus. Von der Randele aber hat er schnell genug, energisch spricht er sich dagegen aus. Doch „es sind nur wenige wirklich mutig“ und er steht alleine auf verlorenem Posten mit dieser Haltung. Die meisten Fans zeigen ihm die rote Karte, er wird anonym bedroht und schließlich erschlagen in einem Park neben dem Stadion aufgefunden.

Von Dortmund nach Leipzig

Völkels Sohn Rolf war mit Ben Rossmann befreundet, als beide noch in der Jugend des BVB in Dortmund trainierten. Er bittet seinen Vater, nach Leipzig zu fahren, um dort auf eigene Faust zu ermitteln. Eigentlich hatte Völkel solchen Abenteuern abgeschworen, doch das Verhältnis zu Rolf ist nicht das Beste und er sieht eine Chance, dieses zu verbessern. Völkel macht sich auf nach Leipzig, auf eine abenteuerliche und nicht ungefährliche Suche nach dem Mörder.

Nach Abpfiff Mord ist ein Krimi, der sich bei aller Spannung seinem brisanten Thema behutsam nähert. Weder der Krimi noch das Thema Rassismus und Randale als mittlerweile allgegenwärtige Begleiterscheinungen des Fußballs sind dabei Mittel zum Zweck. Die Gesellschaftskritik ist gut dosiert, sie kommt nicht von oben herab. Bei aller Zeitkritik und der Sorge um Fairness im Sport ist Peuckmanns Liebe zum Fußball, zu seinen Schauplätzen Dortmund und Leipzig sowie nicht zuletzt zu seinen eigenen Protagonisten gut zu spüren.

Peuckmann nimmt kein Blatt vor den Mund, tut dies aber sachkundig und sorgfältig. Die Unterschiede zwischen Ultras, Hooligans und Neonazis arbeitet er sorgsam heraus. Kann ja auch nicht schaden, das wird ja gerne mal alles in einen Pott geworfen. Ein echter Zugewinn an Wissen für diejenigen unter den Lesern, die sich bisher nicht so eingehend mit der Thematik beschäftigt haben.

Der Kommissar als Optimist

Peuckmann schreibt flüssig, aber nicht glatt. Bei aller Brisanz und Bedrückung ist immer noch Platz für eine humorvolle Bemerkung am Rande und eine Rahmenhandlung um den Kommissar. Dieser kommt nach einem bewährten Muster daher: Kommissar im Ruhestand, schwierige Familienverhältnisse zu seinen Kindern, kann sich noch nicht so ganz mit seinem Ruhestand abfinden – aber das ist es auch an Gemeinsamkeiten mit den einsamen Wölfen aus bekannten, beliebten skandinavischen Krimis. Peuckmanns Völkel ist ein Optimist, er rafft sich immer wieder auf, hat Spaß am Genuss und einen offenen Blick für seine Umwelt.

Der Krimi als solcher ist handwerklich sorgfältig gemacht. Dankenswerterweise spart der Autor sich epische Charakterstudien, die handelnden Personen sind dennoch gut vorstellbar und bleiben dem Leser nicht fremd. So ist der Krimi auch für nicht so fußballaffine Leser gut lesbar und spannend. Im Erzählfluss bleibt Peuckmann nahe an seinem Kommissar, so dass sich der Leser immer auf gleichem Stand wie der Kommissar befindet und wohl auch eher geneigt ist, sich auch mit dem brisanten Hintergrundthema auseinanderzusetzen. In Summe ist Nach Abpfiff Mord eine solide, aufrichtige Erzählung, die mit Zeitkritik nicht hinter dem Berg hält, aber gut zeigt, dass die ehrlichen Fans sich die Liebe zum Fußball auch nicht so schnell nehmen lassen.

Heinrich Peuckmann war lange Jahre als Lehrer am städtischen Gymnaisum in Bergkamen tätig. Als Schriftsteller hat er Gedichte, Erzählungen, Romane, Essays, Reportagen, Theaterstücke, Hörspiele, Kinderbücher und Krimis veröffentlicht. Unter anderem ist er auch Mitglied des Pen-Zentrums-Deutschland und in der Krimiautorenvereinigung „Das Syndikat“. Mehr über den Autor erfahren kann man auf seiner Internetseite heinrich-peuckmann.de

Heinrich Peuckmann: „Nach Abpfiff Mord“. Lychatz Verlag, Leipzig. 241 Seiten, €9,95




„Zügig ins Jenseits“: Kurzkrimis rund ums Bahnfahren

Zügig.CoverDer Dortmunder hat es bekanntermaßen gerne spannend – nicht nur beim Fußball. Der Spannung verschrieben hat sich folgerichtig der in der Stadt des Champions-League-Halbfinalisten ansässige Grafit Verlag, der jetzt mal wieder eine neue Sammlung von Krimi-Kurzgeschichten herausgegeben hat.

„Zügig ins Jenseits“ nimmt sich all jener an, die während des Schienenverkehrs auf die schiefe Bahn geraten sind. Ort der Geschehnisse ist im vorliegenden Band die Deutsche Bahn. Klar, denn das Unternehmen Zukunft Deutsche Bahn ist ja mehr als fahren. Und vom Wetter reden sie auch nicht. Manch einem mögen beim Anblick der bekannten Werbeslogans gelegentlich die Gesichtszüge entgleisen und mörderische Gedanken kommen.

Immer gut für einen Erregungstumult

Der Ärger über verspätete Züge, ausgefallene Klimaanlagen oder besonders uncharmante Zugbegleiter wächst sich hierzulande gerne zu bemerkenswerten Erregungstumulten aus. Fünfzehn in dem Thema bewanderte Krimiautoren sind nun auf diesen Zug aufgesprungen und quer durchs deutsche Schienennetz gereist. Mitgebracht haben sie abgefahrene Geschichten aus den Abgründen des Zugverkehrs. In dieser Anthologie bleibt keiner verschont: nicht die grölenden Fußballfans, nicht die lümmelnden Berufsjugendlichen, nicht die picknickenden Ehepaare. Auch geraten die Piccolöchen der Keglern öfter unter die Räder.

Der Autorin Nicola Förg reicht die schnarrende Stimme einer Zugbegleiterin, um die arme Frau schnellstens zur Endstation Jenseits zu expedieren. Edgar Franzmann bereitet der BO-Ru-SSI-AAA und einem Sheriff im Ruhestand einen großen Bahnhof, Ella Theiss entzündet in Hamburg eine bombige Fontäne und Stephan Hähnel liest im Beschwerdemanagement auch das Kleingedruckte.

Tempo zwischen Bummelzug und ICE

Manche Geschichten entfalten sich mit dem gemächlichen Thema eines Bummelzuges, wieder andere rasen mit dem mörderischen Tempo eines ICE auf ihr kriminelles Ende zu. Roger M. Fiedler stellt die Weichen für seinen „Zeigersprung“ auf gelungene Satire und ihm gelingt es, zu erklären, was wir immer schon wissen wollten: Theorien sind die Ursachen aller Pannen.

Auch ganz Aktuelles kommt nicht zu kurz, Welpenhändler aus Duisburg möchte man nach der Lektüre nicht unbedingt sein. Und dass die sich neu etablierende Gruppe der Samstagspendler, welche sich das Recht, am Samstag vier Mitfahrer auf ihr Monatsticket mitnehmen zu dürfen, regelmäßig versilbern lassen, nicht ungefährlich lebt, dürfte nach der Lektüre von Niklaus Schmidts Geschichte auch klar sein. Klar wird dem Leser auch so einiges Wissenswerte aus dem Streckennetz, denn als kleine Kulanz ist jeder Geschichte eine „Wussten sie schon, dass…“-Frage“ mit Antwort vorgeschaltet.

Noch eine Besonderheit: Nicht alle Geschichten sind verbrecherisch, eine erzählt von der Liebe. Für „Drück mich jetzt!“ erhielt Alexandra Trudslev den Förderpreis des Literaturpreises Ruhr, sowie sicherlich die Zustimmung vieler Leser, die sich gleich ihrer Heldin schon an störrischen Fahrkartenautomaten abgearbeitet haben.

Fazit: Ohne Zugzwang gut geeignet, sich die Zeit auf Reisen angenehm zu vertreiben und so dazu beizutragen, ein vielbeschworenes Versprechen der Deutschen Bahn einzulösen: Urlaub von Anfang an.

„Zügig ins Jenseits. Mörderische Geschichten für Bahnfahrer“. Grafit Verlag, Dortmund. 224 Seiten. 9,99 Euro.




Til Schweiger schlägt beim „Tatort“ zu

Über diesen neuen „Tatort“-Kommissar redet man schon seit vielen Monaten. Nicht wenige haben schlimmste Befürchtungen gehegt. Til Schweiger als Ermittler – ja, würde das denn gehen? Und tatsächlich: Der durchtrainierte Nuschler mit dem diskussionswürdigen Verständnis von Männlichkeit hat sein neues Revier in Hamburg sofort brachial aufgemischt.

Nach etwa fünf Minuten hat dieser Kerl schon drei Verbrecher final zur Strecke gebracht. Das dürfte neuer „Rekord“ in der ARD-Krimireihe sein. Man fühlt sich an die alte Scherzregel des Action-Kinos erinnert: Erst ein paar Explosionen – und dann langsam steigern… Doch hier gab es die meisten Leichen schon am Anfang.

Bloß nicht lange fackeln

Vorherige Warnrufe? Schüsse ins Bein? Umständliche Verhöre gar? Offenbar alles rechtsstaatlicher Quatsch, wenn man es mit Mädchenhändlern dieses Kalibers vom Astan-Clan zu tun hat. Nicht lange reden oder fackeln, sondern handeln – im Zweifelsfall gleich tödlich schießen. So lautet wohl die Notwehr-Devise des Nick Tschiller (Buchstabierfrage an ihn: „Wie der Dichter?“ – Antwort: „Welcher Dichter?“), der aus Frankfurt an die Elbe gekommen ist. Sein neuer Chef ist entsetzt. Der (faule) „Kiezfrieden“ hat lange gehalten, doch jetzt wird die Unterwelt sicherlich furchtbare Rache nehmen.

Stets zum Schlagabtausch bereit: Nick Tschiller (Til Schweiger) im "Tatort" aus Hamburg. (Foto: NDR/Marion von der Mehden)

Stets zum Schlagabtausch bereit: Nick Tschiller (Til Schweiger) im „Tatort“ aus Hamburg. (Foto: NDR/Marion von der Mehden)

Tschiller, selbst Vater einer 15jährigen Tochter, ist doppelt und dreifach alarmiert, als er die minderjährigen Opfer des Clans sieht. Ihn beherrscht vor allem ein Impuls: „Ich hol‘ euch da ‚raus!“ Er hofft, dass die blutjunge Prostituierte Tereza (vielleicht auch erst 15 oder 16 Jahre alt) als Zeugin dienen kann und bringt sie in der Wohnung seines Kollegen Gümer (hellwach: Fahri Yardim) unter.

Auch Rambo braucht einen Hacker

Dieser muntere, so gar nicht wortfaule Gümer hackt – obwohl verletzt im Krankenhaus liegend – im Verlauf der Geschichte alle denkbaren Handy- und Computerverbindungen. Ohne ihn wäre Tschiller aufgeschmissen. Auch ein solcher Rambo braucht einen im Hintergrund, der gelegentlich kurz und knackig nachdenkt, ein technisch beschlagenes Superhirn, fast schon an der Grenze zur Karikatur. Dass der Online-Freak seine Wohnung mit Kameras ausgestattet hat, über die man alles, aber auch wirklich alles böse Geschehen verfolgen kann, versteht sich beinahe von selbst.

Über weite Strecken gerät der Film zum Duell mit Tschillers Ex-Kollegen vom LKA Frankfurt, Max Brenner (Mark Waschke), der die Seiten gewechselt hat und nun der zynischste Gangster von allen ist. Ganz klar, dass Tschiller nicht aus dem Hinterhalt kommt, sondern mit offenem Visier kämpft. Geradeaus und aufrecht, so wird uns dieser Typ verkauft.

Wahrlich keine Charakterstudie

Til Schweiger muss hier wahrlich keine Charakterstudie abliefern, sondern kommt mit sehr einfach gestrickten Sätzen und vor allem Taten aus. Phasenweise erinnern Fülle und Härte der wüsten Action-Szenen an US-amerikanische Polizeifilme oder an Nachahmer-Produkte deutscher Privatsender. Die Amis können das in aller Regel besser.

Im Umfeld der insgesamt ziemlich unübersichtlich gewordenen „Tatort“-Reihe wirkt diese Art des atemlosen Erzählens jedenfalls ziemlich fremd. Dreimal darf man raten, warum der „Tatort“ ein deutscher Exportschlager ist; bestimmt nicht in erster Linie wegen der Schießereien. Wir hatten schon etliche behäbige, gediegene, humorige oder melancholische Ermittler-Teams in vielen möglichen Mischformen, doch so einen Haudrauf hat es seit Schimanski nicht mehr gegeben, wobei der von Götz George gespielte Ruhrgebiets-„Bulle“ ein Sonderfall von ganz anderem Zuschnitt war.

Gewiss: In der Auftaktfolge (bezeichnend doppelsinniger Titel „Willkommen in Hamburg“) gab es ein paar Ansätze, um Schweigers Rolle ein wenig zu ironisieren. Doch das bisschen Augenzwinkern ging letztlich im Kugelhagel und Geschützfeuer unter.

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Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen




„Bis zur Neige“: Polit-Krimi zwischen Wirt und Winzer, Wien und Berlin

Was haben ein Edelwinzer aus dem österreichischen Weinviertel und der Betreiber eines angesagten Berliner Szenelokals gemeinsam? Auf dem ersten Blick nicht viel, außer dass der joviale, mit Politik und Kultur gut vernetzte deutsche Wirt seinen Gästen die hochpreisigen Tropfen des Österreichers kredenzt.

Aber irgendeine tiefere Verbindung muss es zwischen Wirt und Winzer geben. Denn innerhalb kurzer Zeit werden beide Männer ermordet. Spielt sich da jemand als Racheengel auf und sühnt auf mörderische Weise eine fast vergessene Schuld?

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Wahrscheinlich wäre es kaum jemanden bei den ermittelten Behörden aufgefallen, dass die grenzüberschreitenden Morde zusammenhängen. Aber zum Glück gibt es da seit kurzem das Autorenduo Bielefeld & Hartlieb, das sich darauf spezialisiert hat, mit Berliner Schnauze und Wiener Schmäh eine Brücke zwischen den beiden Hauptstädten zu schlagen. Beide Autoren haben viele Jahre als Literaturkritiker gearbeitet und jetzt die Seiten gewechselt. Sie gehen ein hohes Risiko ein, denn der Literaturbetrieb kann gnadenlos sein und rächt sich liebend gern für verletzte Eitelkeiten.

Der in Berlin lebende Claus-Ulrich Bielefeld ist für den deutschen Kommissar Thomas Bernhardt zuständig, der, Mitte fünfzig und vom Leben gegerbt, genauso ein Misanthrop sein kann wie sein (am Ende ohne „t“ geschriebener) austriakischer Namensvetter. Die in Wien lebende Petra Hartlieb betreut die ungleich symapthischere und lebensfreudigere Kunstfigur der österreichischen Kommissarin Anna Habel, sie ist Ende dreißig, zäh und temperamentvoll. Wie der literarische Zufall es will, schätzen sich beide Polizisten nicht nur, sie kommen sich auch immer wieder bei ihren Ermittlungen in die Quere, streiten und versöhnen sich, wissen alles über menschliche Abgründe, politischen Machtmissbrauch und kulturelle Intrigen: ein intelligentes Paar, dem man gern zuhört, wenn es lustvoll sämtliche zwischen Deutschen und Österreichern bestehenden Vorurteile durch den Kakao zieht.

Nach der Krimi-Prämiere mit „Auf der Strecke“, einem mörderischen Spiel im gehässigen Literaturzirkus, folgt jetzt die Reifeprüfung: „Bis zur Neige“ verknüpft auf elegante und spannende Weise Politik und Verbrechen. Um die Morde an Edelwinzer Freddy Bachmüller und Lokal-Größe Ronald Otter aufzuklären, muss man in die Vergangenheit hinabsteigen, in die Zeit, als bewaffnete Desperados den revolutionären Kampf in die westeuropäischen Metropolen tragen wollten, als Terroristen sich zu Befreiungskämpfern stilisierten, Banken überfielen, Industrielle entführten und Gesinnungsgenossen aus dem Gefängnis freipressten.

Lange vorbei, aber nicht vergessen. Jedenfalls nicht von den Opfern und Hinterbliebenen. Sie können nicht verstehen, wieso viele Ex-Terroristen auf freiem Fuß sind oder nie angeklagt wurden, weil sie den Geheimdiensten Informationen zuspielten und einen Deal mit den Staat haben. Bei ihren Recherchen müssen Bernhardt und Habel durch einen Sumpf aus Verdrängen, Vergessen und Vertuschen waten und erkennen, dass jemand, der früher die Vertreter des „Schweinesystem“ abknallte, heute durchaus ein hoch angesehenes Mitglied der feinen Gesellschaft sein kann. Manchmal tut es weh und macht einen ratlos, was die beiden unermüdlichen Polizisten ausgraben. Aber gut geschrieben und oft überraschend ist es allemal.

Bielefeld & Hartlieb: „Bis zur Neige. Ein Fall für Berlin und Wien.“ Roman. Diogenes Verlag, Zürich, 472 Seiten, 16,90 Euro.




Ansichten eines Hörbuch-Junkies (4): „Griessnockerl-Affäre“ – ein etwas anderer Eberhofer-Krimi

Es beginnt mit einem Anlass zum tiefen Bedauern: Schreck, die Oma lebt nicht mehr!

Hatte sich die Leser-/Hörerschar doch an sämtliche Mitglieder der Familie Eberhofer in Niederkaltenkirchen bei Landshut so sehr gewöhnt, liebte sie doch sämtliche Schrullen und Alltagsungewohnheiten und war sie doch bei jedem der Eberhofer-Krimis von Rita Falk immer wieder begeistert von den Schmankerln, die Oma gerade ihrem Enkel Franz zubereitete. Und nun keine allseits bejubelten Rezepte mehr, keine einschaltbare Schwerhörigkeit mehr, wenn die kleine Oma sich verweigerte, blödsinnigen Lebensäußerungen ihrer Umgebung ausgesetzt zu sein?

Doch dann – beim üblichen Kondolenz-Défilé – erklingt auf einmal Omas gewohntes Stimmchen aus den Stimmbändern von Christian Tramitz. Sie drückt der Susi vom Franz ihr Beileid für den Verlust von deren Oma aus. Sie selbst ist nach wie vor doch noch quicklebendig und fest entschlossen, Rita Falks „Grießnockerlaffäre“ die geriatrische Würze zu verleihen, die sie schon in den vorangegangenen Romanen zur besten Nebendarstellerin machte.

Apropos Christian Tramitz‘ Stimme: Sie klingt diesmal streckenweise so warm und liebevoll weich, dass nur bei seinen unvermeidlichen Zusammentreffen mit den Freunden Rudi (Expolizist), Wolfi (Kneipier), Flötzinger (Klempner, auch Gas-Wasser-Scheiße-Pfuscher genannt) und Simmerl (Metzger, der die delikatesten „Warmen“ anbietet) der gewohnte Grantler hervorschaut. Oder bei Auseinandersetzungen mit Bruder Leopold oder dem wuseligen Bürgermeister. Viel häufiger versucht der Ur-Bayer einen Tonfall zu üben, der sich dem anpasst, den er anschlägt, wenn er die kleine Sushi (die ihn liebende Tochter von Bruder Leopold) auf den Arm nimmt.

Das liegt an Paul, der die Oma besucht und sie damit an beider jungen Jahre erinnert, der Omas Stimme einen ebenso warmen Tonfall gibt und den gern mal derben Franz in tiefste Rührung stürzt, sobald der beobachtet, wie Paul und Oma frisch wiederverliebt umeinander schwärmen. Paul, das stellt sich später heraus, war der Erzeuger vom Papa, ist somit der Opa vom Franz und musste gleich nach der Zeugung vom Papa vor den Nazis fliehen. Nun ist er, wie sich schon früh andeutet, schwerst krank und hat es noch geschafft, sich einen Lebenstraum, das Wiedersehen mit der Oma, zu erfüllen.

Diesem zärtlich-liebevollen Handlungsstrang widmet sich Rita Falk allerdings so intensiv, dass der eigentliche Krimi in den Hintergrund tritt, der Hörer/Leser und natürlich auch alle –innen beiläufig mitbekommen, dass der Chef der Polizeiinspektion Landshut ins Jenseits befördert wurde und unser Franz als Hauptverdächtiger nicht ermitteln darf, es selbstverständlich aber dennoch tut. Gemeinsam mit Rudi und dem Stopfer Karl wird ermittelt und herausgefunden, dass zwei Frauen sich nach Hitchcocks Vorbild aus „Der Fremde im Zug“ etwas ausgedacht hatten…

Derweil kifft der Papa fast den Kräutergarten leer – angesichts der Tatsache, dass seine Mutter lieber den spät kennengelernten Vater bespaßt als ihm, dem Mann, den sie jahrzehntelang bekocht und umsorgt hatte, die ihm zustehende Fürsorge zu widmen. Derweil schleimt Bruder Leopold ausnahmsweise mal nicht den Papa voll, sondern hetzt seine medizinisch versierte Bekanntschaft auf den Paul, während der deutlich zeigt, dass Enkel Franz ihm eigentlich lieber ist und er zudem wenig Wallung verspürt, an sich sinnlos herumdoktern zu lassen. Was zum Ende führt, Franz Eberhofer seinen Opa Paul friedlich entschlafen auf dem Schoß der Oma findet als er heimkommt und mit dem Papa spürbar traurig wird angesichts dieses Bildes.

Erst als es die offizielle Belobigung durch den obersten Chef gibt, kehrt wieder uneingeschränkte Fröhlichkeit ein, ist der Franz stolz, die Oma auch, schnupft Richter Moratschek Gletscherprise, als gebe es kein Morgen und unternehmen Franz und der Rudi einen Ausflug nach Gelsenkirchen – als wenn es nicht Städte gäbe, die bessere Fußballvereine beherbergen. Das hat sich der Franz im Tausch gegen eine Paris-Reise ausgedacht, die nun nicht mehr die beiden alten Kollegen Polizisten antreten, sondern sie dem Flötzinger und seiner Mary verehren, damit diese wiederum ihre ausgekühlte Liebe erwärmen können, und das dritte Kind, das noch kurz vor des Flötzingers Kastration gezeugt wurde, liebevolle Eltern behält.

Wie gesagt, ein wenig sanfter kommt der neue Eberhofer-Krimi daher. Bisweilen wird er leise und liebevoll. Und der reifende Franz, der nach wie vor der Freundin Susi mal einen Sprung zur Seite gesteht, lässt sich dann und wann Dinge einfallen, auf die er drei Krimis zuvor nie gekommen wäre. Rita Falk hat offenbar ihre Dorfgemeinschaft inzwischen zu liebgewonnen, dass eines ihrer Mitglieder noch grundgrantelig oder gar boshaft dargestellt werden könnte. Nun soll sie sich mal beeilen, damit man bald erfährt, wie alles weitergeht.

Rita Falk (Autorin) / Christian Tramitz (Vorleser): „Griessnockerlaffäre“. Hörbuch-CD bei Der Audio Verlag DAV. Ca. 17 Euro.




„Kalendarium des Todes“ – ein mörderisches Jahr am Hellweg

CoverDownload von Grafit.deFeiertage mögen so manchem ohnehin bedrohlich vorkommen. Nach der Lektüre des Buches „Kalendarium des Todes“ wird es den oder anderen wohl noch mehr grausen. Die sechste Krimi-Anthologie der „Mord am Hellweg“-Reihe führt durch ein mordsmässig bewegtes Jahr.

Im Laufe des kriminalistischen Jahres lernt man so einiges. „Auftragskiller wird man nun mal nicht aus der Lameng“ – damit wäre das auch geklärt. Der freundliche Auftragskiller in Edda Mincks stumpfem Trauma in Bergkamen überlegt, ob er da mal nicht ein Buch drüber schreiben solle. “Könnten sie ja auf diesem Krimi-Festival am Hellweg vorlesen……..“ Gute Idee, die nehmen solche Geschichten immer gerne.

„Mord am Hellweg“ ist zum Markenzeichen geworden, ganz klar – die Reihe und das Festival reüssieren. Die feine Gesellschaft, welche sich für die Kurzgeschichten zusammengefunden hat, beweist dies eindrücklich. Neben versierten Krimi-Autoren sind es diesmal auch einige eher genre-fremde Autoren, die sich freudig in die Mordsarbeit stürzten. So nahm der Hellweg-Veteran Ralf Kramp die Mutter Beimer aus der Lindenstrasse, Marie Luise Marjan unter seine Fittiche, um mit ihr die Abgründe des Muttertags zu erkunden, und Nina George ließ gemeinsam mit Deutschlands bekanntestem Gefängnisarzt Joe Bausch (der Pathologe aus dem Kölner Tatort) den Glöckner von Bönen seinen letzten Tag der Arbeit erleben.

Die Kurz-Krimis sind wie immer einzig, aber ganz und gar nicht artig. Manche Storys sind schon arg schräg, andere machen durchaus nachdenklich, manche sind auch richtig spannend und laden zum Rätseln ein. Was sie eint, ist ein niedriger Blut- und Horror-Faktor sowie ein witziger Unterton, oft versehen mit kleinen Seitenhieben in die Hellweg-Region. Wie ein weiterer roter Faden zieht sich eine Art Stellvertreter-Gerechtigkeit durch die Anthologie. Die Opfer sind durch die Bank weg alle nicht sympathisch, man ertappt sich bei dem Gedanken, dass endlich mal wieder „en fiese Möpp“ seiner wohlverdienten Gerechtigkeit zugeführt wurde und ist oft genug dem Täter nachgerade dankbar, dass er für Recht und Ordnung gesorgt hat. Was das über unser Verhältnis zur Obrigkeit aussagt – es darf spekuliert werden.

Ganz nebenbei gibt es noch einige nette Ausflugstipps für Ruhr und Lippe. Fest eingeplant für den nächsten Sommer ist schon die Besteigung der Gelsenkirchener Himmelshalde. Auch die so idyllisch beschriebene Marina in Rünthe scheint es wert zu sein, mal genauer unter die nicht nur kriminalistische Lupe genommen zu werden. Gelsenkirchen, seine Schlösser, Pommesbuden und Himmelshalden sind der Schauplatz der finalen Silvester-Geschichte, in der die bayerische Krimi-Autorin Rita Falk ihren kultigen Dorfpolizisten Eberhofer die Erfahrung machen lässt, dass der Freistaat und das Ruhrgebiet so weit gar nicht voneinander weg sind. In diesem Sinne Glückauf und ois guade für Mord am Hellweg VII.

„Kalendarium des Todes. Mord am Hellweg VI“, 22 Kurzkrimis, herausgegeben von H.P. Karr, Herbert Knorr & Sigrun Krauß. Grafit Verlag, Dortmund. 341 Seiten, €11,00




Recherchen in der Biosuppen-Firma – Krimi „Neben der Spur“ von Ella Theiss

Download Cover des Grafit Verlags, Dortmund  Die Fabrikantenfamilie Hepp bereitet sich auf die Feier eines ganz besonderen Geburtstages vor. Der Seniorchef wird sagenhafte hundert Jahre alt. Karo Rosenkranz, freiberufliche Journalistin, hat in der Redaktion die Niete gezogen und soll über den Geburtstagsempfang berichten. Widerwillig macht sie sich auf den Weg zur Firma, doch plötzlich wird es spannend.

In der Produktionshalle explodieren ganz unfeierlich zwei Sprengsätze. Zu Schaden kommt niemand, die herumfliegenden Kadaver gehören tiefgekühlten Hähnchen. Karo wittert Morgenluft und eine spannende Story. Umso mehr, als Biosuppenhersteller Hepp eigentlich streng vegetarisch produziert. Was also hatten dann die tiefgekühlten Flattermänner dort zu suchen? Und von welchem Krieg brabbelt der Hundertjährige dauernd? Die Zeit des dritten Reiches hat er doch angeblich gut abgeschirmt in einem Sanatorium verbracht. Und wo befindet sich der designierte Firmenerbe, Valentin? Ist er vielleicht der Drahtzieher des Anschlags und gar nicht – wie kolportiert – mal kurz weg auf dem Jakobsweg? Schließlich hat er sich bisher auch eher einen Namen als eifriger Tierschützer gemacht denn als begabter Firmenlenker. Fragen über Fragen. Karo beschließt, es sei Zeit für investigativen Journalismus und tritt mutig in die Fußstapfen Günter Wallraffs. Kurzerhand tritt sie die Stelle einer PR-Beraterin der Suppenköche an und fördert alsbald ein ziemliches Gebräu an übel schmeckenden Ungereimtheiten zu Tage. Ihre Recherchen führen sie bis weit zurück in die Zeit des Zweiten Weltkrieges – und sie selbst in tödliche Gefahr.

„Neben der Spur“, der erste zeitgenössische Roman der Autorin Ella Theiss ist ein mal pikant, mal deftig gewürzter Krimi. Dabei kommt sie ganz ohne Serienmörder, Psychopathen und blutiges Gemetzel aus und vermittelt dem Leser dabei das Gefühl, jederzeit selbst in eine solche Gemengelage hineinstolpern zu können. Sie kocht aus den verschiedensten Zutaten unterschiedlicher Zeiten und Genres ihr ganz eigenes Süppchen. Auch wenn ihre Karo Rosenkranz und erst recht die sich selten mit Ruhm bekleckernden Polizisten gelegentlich „neben der Spur“ liegen, Ella Theiss bleibt gekonnt auf Kurs und schafft es, auch unerwartete Wendungen einzufädeln. Die Grundlagen ihres Krimis – auf der einen Seite die Welt der nicht immer gut meinenden Bio-Produzenten, auf der anderen Seite die bis in die heutige Zeit hineinreichenden Folgen des Dritten Reiches – sind gut recherchiert, ihre Figuren lebensnah entworfen. Der Hintergrund ihres gut recherchierten Krimis ist durchaus ernst, dennoch wird der Ton nie zu bedeutungsschwer, versteht die Autorin es doch, ihr Werk mit einer ordentlichen Prise skurrilen Humors zu würzen.

Das Rezept für einen unterhaltsamen, spannenden Krimi auf einem ordentlichen Niveau hat Ella Theiss somit wohl auf jeden Fall gefunden.

Ella Theiss: „Neben der Spur“. Grafit Verlag, Dortmund. 253 Seiten, € 8,99




Fiktive Bedrohung – Kettenreaktion im Ruhrgebiet

Einmal angenommen, in Nordrhein-Westfalen stünde ein Kernkraftwerk, welches tatsächlich ans Netz gegangen wäre. Angenommen, dieses Kernkraftwerk würde besetzt und das ganze Ruhrgebiet wäre von der Auslöschung bedroht, weil ein Superschurke und ein von Greenpeace gemobbter ehemaliger Schichtleiter die Finger am Knopf haben? Angenommen, die Krefelder Polizei hätte zeitgleich einen Mordfall, von dem ihnen nur ihr Bauchgefühl sagt, dass es ein Mordfall ist. Denn das Opfer ist zwar tot, es gibt nur dummerweise keine ersichtliche Todesursache.

Dies alles mal angenommen, haben wir die „Kettenreaktion“, den neuen Krimi von Sebastian Stammsen. Stammsen reihte sich im vergangen Jahr mit dem Computerspiel-Krimi „Gegen jede Regel“ in die Riege der erfolgreichen Ruhrpott-Krimi-Autoren ein. Er ist studierter Psychologe und war einige Jahre im baden-württembergischen Exil in der Kernenergieaufsicht tätig. Eine Kombination, die es ihm nahe legte, einen Krimi aus dem Umfeld der so genannten „Atommafia“ zu schreiben. Stammsen begann mit seinem Krimi im letzten Jahr, war Anfang 2011 im Groben „durch“ und ganz besonders stolz auf die eigentlich absurde Idee, auch noch einen Tsunami mit einzubauen. Dann passierte Fukushima und die Wirklichkeit übertraf seinen Roman um einiges. Also setzte er sich hin, strich als erstes den Tsunami, baute die Handlung um – noch realitätsnaher als im ersten Entwurf – und bezog sich in seinen Ausführungen zur Gefährlichkeit und zum latent schwebenden Risiko der Kernenergie auf den japanischen GAU.

Dann gab  es noch die Demonstrationen, es gab die Ausstiegsdebatte und schließlich sogar den Beschluss zum Ausstieg – all dies nunmehr brandaktuell in seinem Roman verarbeitet. Dabei hebt Stammsen nicht den Zeigefinger. Im Gegenteil – er lässt seinen Kommissar Wegener den Fall aus der Ich-Perspektive erzählen und nimmt sich als Autor so alle Freiheiten, die Geschichte in zuweilen erfrischend schnoddrigem Ton zu erzählen. Der eigentliche Plot gerät dadurch manchmal in den Hintergrund, auch regiert bei der Auflösung sehr der Kommissar Zufall. Allerdings wird schon aus dem Klappentext ersichtlich, dass es nicht Stammsens erklärte Absicht war, nur ein Genre einzuhalten.  Die wenigsten Leser wird dies stören. Auch wenn der Blutfaktor gegen Null geht – ob der gezeichneten Bedrohungsszenarien ist dem Leser gruselig und beklommen genug zumute. Umso dankbarer ist man, wenn Stammsen schmerzfrei und ohne falschen Respekt die Gelegenheit zu satirischen Seitenhieben nutzt. Sei es zur Kernenergie, „die seiner Einschätzung nach im Landtag ungefähr so viele Freunde hat wie die Hauptschule – gar keine“ oder sei es zu den Imageproblemen der Kanzlerin. Auf den Punkt gebracht und wirklich gelungen böse. So gekonnt, dass etliche seiner Anmerkungen jede Satire-Sendung aufwerten würden. Seine Charaktere sind alle gut gezeichnet, man hat den Ministerialbeamten ebenso vor Augen wie den prolligen anfänglichen Hauptverdächtigen, der „allerdings kein richtiger Mann war, sondern eher ein gealterter Halbstarker mit zerrissener Hose, Muskelshirt, verbrannten, aber muskulösen Oberarmen, jedoch ohne Deo“.

Markus Wegener ist ein Kommissar, den man gerne begleitet. Einer, in dessen Gegenwart man sich genauso sicher fühlen würde wie er sich unsicher beim Besuch des (fiktiven) Kernkraftwerks Neustadt unweit von Dortmund. Auch seine Partnerin Nina, sein Chef Reinhold, wie das ganze Team allsamt Protagonisten, mit denen der Leser gerne weitere Fälle löst.

Sebastian Stammsen, Kettenreaktion, Grafit-Verlag Dortmund 2011, 345 Seiten, 9,99 Euro.