„Kunst und Verbrechen“: Von Räubern, Fälschern, Schmugglern, Händlern und zwielichtigen Experten

Vom Kunstmarkt vernimmt man hier nichts Gutes: Die Sitten auf diesem Gelände seien ziemlich verroht. Es gehe im Handel oft sehr intransparent zu, es fehlten wirksame Kontrollen. Häufig erfahre die Öffentlichkeit nichts über Kunst-„Entführungen“ („artnapping“), Erpressungen und Lösegeldzahlungen durch Versicherungen, bei deren Aushandlung Anwälte kräftig mitverdienen. Und das alles in den Gefilden der ach so hehren Kunst! Auf dem globalen, höchst lukrativen und vielfach irrational aus den Fugen geratenen Markt zählen kulturelle Werte freilich eh nur als begehrtes Statussignal.

Stefan Koldehoff und Tobias Timm erzählen in ihrem Buch „Kunst und Verbrechen“ zahlreiche spektakuläre Fälle nach – angefangen mit der 1911 aus dem Louvre gestohlenen „Mona Lisa“. Sogar Pablo Picasso ist damals vorübergehend in Verdacht geraten. Wie sich zwei Jahre später herausstellte, war es jedoch ein Insider-Diebstahl, begangen von einem Glaser mit Hilfe zweier Spießgesellen. Das Gerichtsurteil fiel dann übrigens recht milde aus – gerade einmal 7 Monate Gefängnis. Koldehoff und Timm finden überhaupt, dass Verbrechen mit und an der Kunst meist nicht angemessen bestraft werden. Wenn aber jemand eingesperrt wurde, konstatieren sie es zuweilen mit einer gewissen Genugtuung.

Heute geht es oft brutaler zu

Die Sache mit der Mona Lisa begab sich, folgt man diesem Buch, sozusagen noch in der guten alten Zeit des Kunstdiebstahls. Heute gehe es zumeist entschieden brutaler zu. Vielfach seien in den letzten Jahren ehemalige Soldaten aus osteuropäischen Ländern tätig geworden, die auf offener Museumsszene mit Schusswaffengebrauch drohten. Vorstellungen wie die vom Kunstliebhaber als Auftraggeber, der seine Herzenswerke im geheimen Keller nur für sich betrachten wolle, hätten hingegen nichts mit der rauen Wirklichkeit zu tun.

Fortan geht’s etwa um den Goya-Diebstahl aus der National Gallery in London von anno 1961 durch einen ehemaligen Lkw-Fahrer, der im allerersten James-Bond-Film („Dr. No“) seinen Niederschlag fand; darum, wie Werke von William Turner und C. D. Friedrich aus der Frankfurter Schirn „verschwinden“ konnten; um den Coup, bei dem jene unschätzbar wertvolle Goldmünze unlängst aus dem Berliner Bodemuseum gestohlen wurde.

Fall für Fall, Skandal für Skandal

Kurzum: Die Autoren handeln Fall für Fall und Skandal für Skandal ab, in streckenweise genüsslichen, manchmal gar zu detailreichen Ausführungen. Da dürfen wir auch schon mal erfahren, dass ein Angeklagter sein Gesicht hinter der Schrift „Wissen und Staunen“ verbarg oder bei welchen Worten des Richters einer sich selbst unwillkürlich den Nacken massiert hat. Ein beherzter Lektor hätte hie und da getrost zu Kürzungen raten dürfen. Die eine oder andere Korrektur (z. B. steht auf Seite 213 „Kaspar“ statt Kasper König) oder stilistische Glättung hätte auch nicht geschadet.

Im weiteren Fortgang des Buches werden auch etliche Fälle von Kunstfälschung aufgegriffen, geradezu notorisch bei Werken der russischen Moderne, zu denen sich besonders gut Provenienzen (Angaben zur Herkunft des Bildes) erdichten ließen. Auch waren einigermaßen talentierte Fälscher in der Lage, recht gut mit den Bildelementen dieser Kunstrichtung zu hantieren. Ein paar typische Grundformen nachgeahmt, vorsichtig variiert – und fertig war die täuschend ähnliche Schöpfung… Auch der Stil von Modigliani hat geradezu massenhaft Fälschungen nach sich gezogen.

Machenschaften von Kujau und Achenbach

Der nicht nur moralisch fragwürdige, schwunghafte Handel mit (häufig plump gefälschten) Nazi-Reliquien wird hernach ebenso aufgegriffen wie die Machenschaften des Meisterfälschers Konrad Kujau (angebliche „Hitler-Tagebücher“) oder die abenteuerlichen Geschichten um den windigen „Kunstvermittler“ Helge Achenbach, der das Vertrauen vieler steinreicher Leute hatte, aber schließlich vom Aldi-Clan (Berthold Albrecht) verklagt wurde, weil er offenbar Kaufpreise heftig zu seinen Gunsten manipuliert hatte und somit weit überhöhte Provisionen kassiert haben soll. Ferner geht es um zwielichtige Massen-Auktionen, gefälschte Bücher, Antiken-Schmuggel, Raubgräber und Geldwäsche mittels Kunstkauf. Und so weiter, beinahe ad infinitum.

Da kommt dermaßen viel kriminelle Energie zusammen, dass sich Koldehoff und Timm mehrfach bemüßigt sehen zu erwähnen, dass die weit überwiegende Mehrheit des Kunsthandels seriös zu Werke gehe. Sie reden also von den berühmt-berüchtigten „Schwarzen Schafen“. Nun ja. Nach Lektüre dieses Bandes sieht man gleichsam an jeder Ecke solche seltenen Tiere.

Kernfragen erst ganz am Schluss

Welche Verhältnisse und Strukturen den Kunstmarkt bestimmen, kommt neben all den windungsreichen Geschichten eher zwischendurch und nebenher zur Sprache. Gar zu süffig lassen sich manche Einzelheiten der Fälle nacherzählen. Da muss die eigentliche Analyse eben beiseite stehen und warten. Einige entscheidende Fragen werden tatsächlich erst ganz am Schluss gestellt, die gut und gern schon vorher explizit hätten einfließen und erwogen werden können. Aber man kann ja auch verstehen, das die vielen Recherchen nicht einfach verpuffen sollen. Also werden sie auserzählt. Auf der Zielgeraden (Seite 298) entfährt den Autoren dieser Stoßseufzer: „Es gäbe noch unendlich viele weitere solcher Geschichten zu erzählen…“ Gnade!

Jedenfalls wird im Laufe der Lektüre zunehmend klar, dass auf dem Kunstmarkt etliche Grauzonen existieren, in denen kriminelle Kumpanei und Korruption gedeihen. Gelegentlich erliegen in diesem Umfeld auch renommierte Experten der Versuchung, für allerlei Vergünstigungen zweifelhafte Echtheits-Expertisen auszustellen. Gefälligkeits-Gutachten scheinen demnach gar nicht so selten zu sein.

Noch ein bescheidener Wunsch, vielleicht für eine zweite Auflage, sofern es dazu kommen sollte: Wenn schon derart viele Fälle geschildert und so viele Personen genannt werden, warum dann eigentlich kein ausführliches Sach- und Personenregister, das den Band im Sinne eines Nachschlagewerks ungleich besser erschließen würde? Und warum nicht etwas mehr Bebilderung? War es eine reine Kostenfrage?

Stefan Koldehoff / Tobias Timm: „Kunst und Verbrechen“. Galiani Berlin. 320 Seiten. 25 Euro.




„Schwarze Kohle, rotes Licht“ – Schwere Jungs erinnern sich an ihr früheres Revier

Kriminelle Vergangenheit im Ruhrgebiet: der Typ, den alle nur "Coca" nennen. (Screenshot aus der besprochenen WDR-Sendung)

Kriminelle Vergangenheit im Ruhrgebiet: der Typ, den alle nur „Coca“ nennen. (Screenshot aus der besprochenen WDR-Sendung)

Wer sich diesen Titel ausgedacht hat, müsste eigentlich kräftig in die Klischeekasse einzahlen: Der TV-Film „Schwarze Kohle, rotes Licht“ (WDR) handelt von kriminellen Umtrieben im Ruhrgebiet, unter besonderer Berücksichtigung des Rotlicht-Milieus. Kein läppisches Thema.

Der fürs Dreiviertelstunden-Raster (quasi eine Schulstunde) gezimmerte, bereits ausgestrahlte Beitrag von Peter F. Müller setzte mit Archivaufnahmen in der „Wirtschaftswunder“-Zeit der späten 1950er und frühen 60er Jahre an und hangelte sich bis in die 80er. Stellenweise im raunenden Tonfall, suchte man das Böse in der „Parallelwelt“ des Reviers zu beschwören. Ähnliche Filme könnte man, mit anders gelagerter Folklore, wohl über alle deutschen Metropolen anfertigen. Aber hier hatte der Zungenschlag eindeutig „Pott“-Färbung. Und der Film behauptet stark, in Sachen Kriminalität sei das Ruhrgebiet damals bundesweit „ganz vorn“ gewesen.

Luden in Luxuskarossen

Das Spektrum reichte vom Doppel- und Serienmord über Betrug und Steuerhinterziehung im ganz großen Stil bis hin zu lukrativen Puffs und illegalen Spielcasinos. Genüsslich wurden „Luden“ (Zuhälter) gezeigt, die mit ihrem Rolls Royce oder ähnlich extravaganten Karossen vorfuhren und Hof hielten. Fernsehmacher gieren halt nach solchen Bildern.

Reichlich kamen ehemalige Spitzbuben (putziges Wort von früher) mit Rocker-Attitüde zu Wort, die etliche Jahre Knast abgesessen haben, nun aber geradezu altersweise zurückblicken. In ihre ruhigeren Jahre gekommen, zeigen diese kernigen Typen geradezu sympathisch abgeklärte Züge. Die schweren Jungs (noch so ein Ausdruck von damals) haben so manches erlebt, denen macht niemand was vor. Und sie haben einen speziellen Humor…

Ganoven mit und ohne Stil

Natürlich verrieten sie den TV-Leuten nicht, wie und wovon sie heute so leben. Nicht, dass da noch die Falschen zuschauen! Das war vielleicht der Deal: Ihr erzählt uns ein paar derbe Schwänke und wir stellen keine zudringlichen Fragen. So konnten sich die Herren auch rühmen, einst – wenn’s drauf ankam – im feinen Zwirn aufgetreten zu sein, während heutige Zuhälter oft in Trainingskluft auftauchten. Merke: Den Jungspunden ermangelt es ganz einfach an Stil und Qualität.

Trotzdem: Die trockenen Statements der einstigen Ruhri-Szenegrößen wie „Coca“ und Klaus „Hüpper“ Wagner (der vorher „auf Zeche“ malocht hatte) waren bereits das Stärkste an diesem ansonsten etwas dürftigen Film. Der Stoff wurde nicht durchdrungen, es gab praktisch keinerlei Erkenntnisse über pure Fakten und Phänomene hinaus. Dass manche Kerle sich als schrankenlos freiheitsliebende „Hippie-Rocker“ verstanden und in ihren Gangs Ersatzfamilien gesucht haben, war einer der wenigen, allerdings recht mageren gesellschaftlichen Vertiefungs-Ansätze, die jedoch nicht weiter verfolgt wurden.

Raffinierte kriminelle Geschäftsmodelle nötigen im Nachhinein selbst der Polizei Respekt ab: „Der hätte auch eine große Firma leiten können“, sagt ein Ex-Beamter über einen Delinquenten.

Erschröckliches Panoptikum

Bei Nennung von Verbrecher-Namen wie Alfred Lecki, Petras Dominas und Erhard Goldbach klang – gleichsam in negativ getönter Nostalgie – etwas aus zeitlicher Ferne nach. Doch gar zu atemlos wurden diese Fälle abgehandelt, als dass sie übers reine Geschehen hinaus hätten ergiebig werden können.

Das erschröckliche Panoptikum des Verbrechens erschöpfte sich weitgehend in bloßer und blasser Chronologie, in braver, auch sprachlich ziemlich unbedarfter Nacherzählung einiger spektakulärer Kriminalfälle. „Analytisch“ erhob sich das kaum über die Tiefebene von Eduard Zimmermanns berüchtigter Sendung „Aktenzeichen XY…ungelöst“, die denn auch in Wort und Bild zitiert wurde; ebenso pflichtschuldigst, wie man auch an den legendären Duisburger „Tatort“-Kommissar Schimanski erinnerte. Man wollte eben nichts auslassen – und versäumte dabei das Wesentliche.

Revierspezifisch waren übrigens die buchstäblich engen Beschränkungen, denen die Polizeiarbeit unterlag. Jenseits der im Ruhrgebiet allgegenwärtigen Stadtgrenzen durften sie in der Regel nicht ermitteln, wie Ex-Polizisten zähneknirschend verrieten. Die Ganoven kriegten das natürlich spitz – und machten daraus ein Katz- und Maus-Spiel.




Aufrüttelnde TV-Doku: Organhandel zwischen Kriminalität und Lebensrettung

Manila, Philippinen. Ein Mann in den Slums ist bereit, sich für 2500 Dollar eine seiner beiden Nieren entfernen zu lassen, um sie für eine Transplantation zu spenden.

Für das Geld müsste er zwei Jahre lang als Hilfsarbeiter schuften. Kann man bei all dem von „Freiwilligkeit“ reden? Haben diese Menschen wirklich eine Wahl? Oder erleiden sie die schamlose Ausbeutung einer Zwangslage, an der skrupellose Händler und Ärzte noch viel mehr verdienen?

Keine einfachen Antworten

Ric Esther Bienstocks kanadische Doku über den „Schwarzmarkt Organhandel“ (arte) gab sich mit einfachen Antworten nicht zufrieden. Auf allen Seiten wurde gewissenhaft recherchiert, so gut es eben ging. Die geduldige Langzeitbeobachtung ließ manch eine Schattierung des Themas erkennen und ließ Fragen offen: Ist es nicht allemal besser, Leben zu retten; koste es, was es wolle? Zumal, wenn man erfährt, unter welchen Bedingungen schwerkranke Dialyse-Patienten auf ein Spenderorgan warten. Die Wartelisten sind deprimierend lang…

Bereit, eine Niere zu verkaufen: Familienvater "Eddieboy" aus Manila. (© arte/Associated Producers Ltd.)

Bereit, eine Niere zu verkaufen: Familienvater „Eddieboy“ aus Manila. (© arte/Associated Producers Ltd.)

Der aufwendige, aber wohltuend unspektakuläre Film begab sich auf globale Spurensuche, u. a. zwischen Toronto, Denver, Tel Aviv, Istanbul, Pristina (Kosovo), Moldawien und den Philippinen. Dort zeigten reihenweise Männer ihre Operationswunden und erzählten freimütig, was sie mit dem Geld für die Nierenspende angefangen haben: Familie ernährt, kleines Haus gebaut, Ausbildung der Kinder bezahlt oder auch Saufschulden beglichen. Eine Frage des Überlebens. Eine Frage der Würde. Kleines Glück, Schande und Angst liegen bestürzend nah beieinander. Und was geschieht, wenn das Geld aufgebraucht ist? Werden dann etwa andere Organe angeboten?

Irrsinnige Tarife

Irrsinnig die Tarife des illegalen Organhandels: In Indien erhält ein Spender umgerechnet gerade mal rund 1000 Dollar für eine Niere, in Ägypten etwa 2000, in der Türkei 10000. Ein US-amerikanischer Empfänger muss derweil eine Hypothek aufnehmen und über 100.000 Dollar für Spende und OP bezahlen.

Wer verdient an dieser immensen Spanne? Schemenhaft ließ die Reportage ein Netz der Zwischenhändler, Organisatoren und Chirurgen ahnen, die ihr lukratives Tun zu verschleiern und zu beschönigen suchen. Dennoch wurden die Letzteren nicht schlichtweg als Abkömmlinge des „Dr. Frankenstein“ verteufelt, wie vorher so oft und wohlfeil in manchen Medien geschehen.

Alles legalisieren?

Der gut situierte Arzt Yusuf Sonmez in Istanbul, nach gut 850 mutmaßlich illegalen Operationen mit internationalem Haftbefehl gesucht, kann es sich offenbar leisten, sich lachend in den bestens gepolsterten Ruhestand zurückzuziehen. Man möchte am liebsten dreinschlagen, wenn man sein selbstgefälliges Grinsen sieht. Und dennoch: Hat er nicht das Leben von Menschen gerettet, die sonst gestorben wären? „Ich bin mit mir im Reinen“, behauptet er. Die Türkei sollte er allerdings nicht mehr verlassen, sonst droht ihm Gefängnis.

Man könnte solchen Leuten das Handwerk legen: Es erhob sich die durchaus ernsthafte Frage, ob sich Organhandel nicht legalisieren, also staatlich regeln und somit beleben ließe. Bis es so weit ist, muss allerdings noch manche medizinische Ethik-Kommission beraten, von politischen Entscheidungen ganz zu schweigen. Die Dringlichkeit führte ein Schriftband am Schluss vor Augen: „Während Sie diesen Film gesehen haben, sind 118 Menschen an Nierenversagen gestorben.“