Was im Revier sonst noch so geschieht… – Es war wieder mal einer dieser Donnerstage mit lauter neuen Ausstellungen

Wir erinnern uns: Das seit jeher von Kirchturmpolitik geplagte Ruhrgebiet hatte sich für 2010 zusammengerauft, um einmal gemeinsam als „Kulturhauptstadt Europas“ zu firmieren. Um das Thema einige Nummern kleiner aufzugreifen: Schon oft hätte man sich gewünscht, dass es eine Koordinationsstelle gäbe, die beispielsweise regionale Pressetermine miteinander abgleicht – und sei’s für den Anfang auch nur (ganz bescheiden) auf musealem Gebiet.

In Hamm zu sehen: Siegward Sprotte "Hiddensee", 1944, Aquarell (© Siegward-Sprotte-Stiftung)

In Hamm zu sehen: Siegward Sprotte „Hiddensee“, 1944, Aquarell (© Siegward-Sprotte-Stiftung)

Doch nein! Immer und immer wieder kommt es vor, dass zum allseits beliebtesten Vorbesichtigungs-Tag, dem Donnerstag, vier, fünf, sechs oder noch mehr Termine in mehr oder weniger unmittelbarer Nachbarschaft gleichzeitig anberaumt werden. So beispielsweise auch gestern, am 2. Februar.

Man sollte ab 11 bzw. 11.30 Uhr beileibe nicht nur die neue Ausstellung über Emil Schumacher in Hagen („Orte der Geborgenheit“) geneigt zur Kenntnis nehmen, sondern etwa auch eine Auswahl von Reisebildern des Landschaftsmalers Siegward Sprotte im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm, die gleichfalls mit „Orten“ im Titel daherkommt („Reise doch – bleibe doch!“ – Orte der Inspiration). Hier hätte man sich also schon bei der Formulierung absprechen können. Zu spät…

Zwei weitere Termine liefen überdies praktisch parallel in derselben Stadt, nämlich in Dortmund: Das Künstlerhaus im Sunderweg präsentierte der Presse seine neue Schau „Ohne Netz und doppelten Boden – Über die Uneindeutigkeit von Bildern“, die DASA Arbeitswelt Ausstellung lud unterdessen zur „Alarmstufe Rot“ über Katastrophen und deren Bewältigung. Keine Kunst, aber ebenfalls ein museales Angebot.

Damit längst nicht genug: Zur gleichen Zeit bat „nebenan“, in der Landeshauptstadt Düsseldorf, die Kunstsammlung NRW/K 21 zur umfangreichen Retrospektive über den belgischen Künstler Marcel Broodthaers. Gewiss, Düsseldorf zählt nicht zum Ruhrgebiet, doch sollte man vor allem im Raum Duisburg und Essen ein Auge darauf haben, wann dort was geschieht. Sonst fahren die meisten Kulturschreiber dorthin und nicht in die Ruhr-„Provinz“.

Im Künstlerhaus Dortmund ausgestellt: Katharina Maderthaner "Zick Zack" (2016), Acry auf Holz.

Im Künstlerhaus Dortmund ausgestellt: Katharina Maderthaner „Zick Zack“ (2016), Acryl auf Holz.

Und damit habe ich noch nicht einmal alle Gelegenheiten aufgezählt, die sich gestern ergeben haben.

Klar, wenn ich jetzt für Ruhrgebietswerbung zuständig wäre, würde ich entgegnen, dass wir hier eben sooooo viele Kulturstätten haben, dass gelegentlich ein zeitliches Zusammentreffen kaum zu vermeiden ist. Das Argument lassen wir jetzt mal auf uns wirken.

Immerhin gibt es ja inzwischen den beachtlichen Kooperations-Verbund der Ruhrkunstmuseen, mit dem 20 Häuser in 15 Städten ihre Kräfte bündeln wollen. Hier erfolgen Absprachen mittlerweile auf kürzeren Dienstwegen als ehedem. Es möge weiterhin nützen. Und die Idee möge niemals auf bloße Einsparmöglichkeiten reduziert werden.

Es war zu hören, dass gestern auch bei personell halbwegs potenten Medien ob der Termin-Überschneidungen gestöhnt wurde. Nun aber wollen wir, die wir als Kulturblog erst recht kein halbes Dutzend kunstsinniger Journalistinnen und Journalisten gleichzeitig aufbieten können, wenigstens noch zu den Internet-Auftritten der oben genannten Häuser verlinken. Here we go:

Emil Schumacher Museum, Hagen: www.esmh.de
Gustav-Lübcke-Museum, Hamm: www.museum-hamm.de
Künstlerhaus Sunderweg, Dortmund: www.kh-do.de
DASA, Dortmund: www.dasa-dortmund.de
K21 in Düsseldorf: www.kunstsammlung.de




„Eine riesige Chance für die Region“ – Reaktionen auf Brüsseler Kulturhauptstadt-Entscheidung fürs Revier / WR fragte in der Kulturszene nach

Von Rolf Pfeiffer und Bernd Berke

Dortmund. Die Entscheidung für die Europäische Kulturhauptstadt Essen/Ruhrgebiet hat in der Region große Freude ausgelöst. Doch es gibt auch ein paar skeptische Stimmen. Die WR befragte Kulturschaffende und Kulturverantwortliche.

Seite der Westfälischen Rundschau zur Kulturhauptstadt-Entscheidung fürs Ruhrgebiet. (Repro: BB)

Seite der Westfälischen Rundschau vom 12.4.2006 zur Kulturhauptstadt-Entscheidung fürs Ruhrgebiet. (Repro: BB)

„Freude, nichts als Freude!“ So beschrieb Dortmunds Kulturdezernent Jörg Stüdemann seine Gefühle nach der guten Nachricht aus Brüssel. Endlich werde das Ruhrgebiet anders wahrgenommen. Stüdemann zur WR: „Jetzt werden kulturelle Vorhaben enorm befördert, es wird eine große Dynamik entstehen.“ Dortmund werde sich nach Kräften beteiligen. Einige Projekte seien längst vorbereitet.

Glücklich und erleichtert ist auch Thomas Hengstenberg, Kultur-Fachbereichsleiter beim Kreis Unna. Die Entscheidung furs Ruhrgebiet sei vor allem klimatisch wichtig. Hengstenberg hofft: Jetzt wird es viel schwerer sein, bei der regionalen Kultur den Rotstift anzusetzen.“ Die Gefahr sei jetzt, dass Essen alle großen Projekte an sich ziehe.

Lünens Kulturbüro-Leiter Werner Althoff: „Dieses Votum ist so wichtig für unsere Region.“ Eine „riesige Chance“ fürs gesamte Ruhrgebiet sieht man auch beim Schwerter Kulturbüro. Dessen stellvertretende Leiterin Heike Pohl glaubt aber, dass das große Geld auch in die großen Städte fließen werde.

Hagens 1. Bürgermeister Hans-Dieter Fischer, zugleich Vorsitzender des Kulturausschusses beim Regionalverband Ruhr: „Ich bin begeistert. Olympia haben wir verloren, Wissenschaftsstadt haben wir verloren, bei der Kultur haben wir gewonnen.“

Der Dortmunder Verleger Bodo Harenberg: „Endlich hat mal ‚was geklappt! Jetzt hat die Kultur das geschafft, was die Politik nicht zustande bringt.“ Nun müsse schleunigst das gesamte Ruhrgebiet einbezogen werden: „Die Kulturhauptstadt darf keine Essener Lokal-Feier werden.“ Dortmund habe sich bislang viel zu wenig eingebracht, es werde höchste Zeit: „Morgen muss die Arbeit beginnen!“

Der Dortmunder Filmemacher Adolf Winkelmann ist nicht weiter überrascht: „Ich finde die Entscheidung toll – und zugleich absurd.“ Denn: „Das Ruhrgebiet war doch schon immer Kulturhauptstadt, es musste gar nicht eigens dazu ernannt werden.“

Tana Schanzara, „Revier-Duse“, hatte nie Zweifel am Erfolg. „Für mich war ganz klar, dass Essen stellvertretend für das Ruhrgebiet Kulturhauptstadt werden muss: Hier sind die Theater toll und knackevoll. Und das Publikum ist super.“

Tanas Chef, Bochums Theaterintendant Elmar Goerden: „Das Wort von der gewachsenen Kulturlandschaft, oft genug eine Floskel, ist hier im Ruhrgebiet an seinem einzigartigen Platz. Gibt es ein schöneres Durcheinander, Drunter und Drüber, Glück auf und ab? Also denn auf ein großes Fest-Essen!“

„Ich finde die Entscheidung ganz großartig für die Region“, sagt Dortmunds Schauspiel-Intendant Michael Gruner. „Jetzt ist die Chance gegeben, dass die Kultur mehr im Blickpunkt ist.“

„Die Entscheidung der Brüsseler Jury ist eine grandiose Bestätigung für die Region und ihre Menschen, denen es in den letzten Jahrzehnten gelungen ist, den dringend benötigten Strukturwandel voranzubringen“, befand unterdessen Christine Mielitz, Direktorin der Dortmunder Oper, mit internationalen Regie-Gastspielen zwischen Japan und Australien.

Auf Impulse, „von denen auch die Kulturszene und die Menschen in Dortmund profitieren werden“, hofft Dortmunds Konzerthaus-Intendant Benedikt Stampa. „Ich persönlich“, ergänzt er, „setze nun auf viele neue Projekte, die von den kulturellen Einrichtungen aller Ruhrgebietsstädte gemeinschaftlich getragen werden.“

Stellvertretend für die RuhrTriennale jubelt ihr Chef Jürgen Flimm: „Nun schauen wir also alle voller Freude auf das Jahr 2010 und hoffen auf kreative und unbürokratische Festspiele. Glück auf!“

Frank Hoffmann, Leiter der Ruhrfestspiele: „Ich bin regelrecht begeistert, glücklich über die Entscheidung. Ich war sicher, dass es Essen würde! Für die ganze Region ist das eine unheimlich große Chance, nach vorne zu kommen – für eine Region, die noch nicht so an einem Strang zieht, wie es sein sollte.“

Weiteres Highlight ist das Klavierfestival Ruhr. Franz Xaver Ohnesorg, der Intendant: „Das Ruhrgebiet kann sich in kultureller Hinsicht am Weltmaßstab messen. Wir müssen aber noch mehr Energie in die Vermittlungsarbeit stecken“. Dazu gebe es nun große Chancen.

„Gestern waren wir Papst, und heute sind wir Kulturhauptstadt – kein Problem Ruhrgebiet“, findet Christian Stratmann, Prinzipal des Mondpalast-Theaters in Wanne-Eickel. „Voraussetzung ist allerdings, dass wir drei ganz wichtige Dinge beachten: kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren.“

Gefreut hat sich auch der Ruhrgebiets-Komödiant Uwe Lyko alias Herbert Knebel:„Das Revier hat’s verdient.“ Allerdings meint er auch: „Was mir auf den Senkel geht:In letzter Zeit hat sich hier eine seltsame Euphorie breit gemacht, gepaart mit einer gewissen Arroganz. Fast so, als könne einem keiner das Wasser reichen.“ Kultursparten wie die Kleinkunst würden ohnehin nicht profitieren: „Uns hat man nie gefördert.“

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HINTERGRUND

Verfahren war ziemlich langwierig

  • Die Ernennung Europäischer Kulturhauptstädte geht zurück auf eine Idee der früheren griechischen Kulturministerin Melina Mercouri.
  • Nach einer bis 2019 festgelegten Länder-Reihenfolge nennen die EU-Staaten ihre Favoritenstädte.
  • Im Falle der deutschen Auswahl für 2010 gab es ein langwieriges Ausscheidungsverfahren. Zuerst ließ Essen den Revier-Mitbewerber Bochum hinter sich. Landesweit erhielt Essen dann den Vorzug vor Münster und Köln.
  • Im März 2005 setzten sich Essen und das Ruhrgebiet sowie das sächsische Görlitz bundesweit durch gegen: Braunschweig, Bremen, Halle, Karlsruhe, Kassel, Lübeck, Potsdam und Regensburg.
  • So geht’s jetzt weiter: Nach dem Jury-Entscheid spricht die Europäische Kommission eine Empfehlung aus. Schließlich verleiht der Europarat den Titel. Bisher sind die Gremien stets der Jury-Entscheidung gefolgt.

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Der Beitrag stand am 12. April 2006 in ähnlicher Form in der Westfälischen Rundschau (WR)




Heute ist der Tag der Wahrheit – Essen oder Görlitz: Entscheidung über Kulturhauptstadt 2010 wird mittags in Brüssel verkündet

Von Bernd Berke

Dortmund. Heute gilt’s! Zur Mittagszeit werden wir wissen. ob Essen und das Ruhrgebiet oder das sächsische Görlitz Europas Kulturhauptstadt 2010 werden. Um 11.30 Uhr will die EU-Jury in Brüssel ihre Entscheidung verkünden. Spannender geht’s nimmer.

Jubel und Enttäuschung werden dann so dicht beieinander liegen wie sonst im Sport. Die fußballerische „T“-Frage (Torwart Lehmann statt Kahn als Nummer eins) ist unter großem Getöse geklärt worden. Jetzt steht also die K-Frage an – „K“ wie Kulturhauptstadt. Und man möchte lieber keine Wetten auf diesen Super-Dienstag abschließen, so offen scheint der Ausgang des Rennens zu sein.

Beide Städte bzw. Regionen haben jahrelang auf die heutige Entscheidung hingearbeitet. Immense Energien und Hoffnungen sind allseits eingeflossen. Beide Bewerbungs-Teams fühlen sich bestens gerüstet und glauben jeweils, die stärkeren Argumente auf ihrer Seite zu haben. Alles andere wäre ja auch erstaunlich.

Tritt mit Görlitz ein kleiner David gegen den Goliath Ruhrgebiet an? Sollte man in der siebenköpfigen Jury mehrheitlich so denken, wäre es vielleicht ein gefühlter Vorteil für die Sachsen, denn oft liegen die Sympathien in derlei Fällen beim „Kleineren“. Ängstliche Spekulationen…

Bei der Präsentation der Programme und Projekte am 15. März in Brüssel hat die Jury den Essenern eine Frage gestellt, die hellhörig macht. Sinngemäß: Wozu braucht ihr denn noch den Titel, ihr habt doch zwischen Dortmund und Duisburg schon so viele kulturelle Highlights? Ein verquerer Gedanke, bei dem man ins Grübeln gerät. Ebenso gut könnte man Görlitz vorhalten, dass es eine so schmucke Altstadt besitzt.

Eigentlich wäre in Sachen Kulturhauptstadt wohl „der Westen“ an der Reihe. Berlin und Weimar haben den Titel getragen. Käme nun Görlitz zum Zuge, so hätte die ganze Geschichte eine ziemlich deutliche Schlagseite. Görlitz de ist ja sogar die östlichste deutsche Stadt überhaupt.

Doch wir wollen hier nicht die fatale Ost-West-Konkurrenz aufbauschen, die längst auch auf finanzpolitischem Felde herrscht. Fest steht: Beide Bewerber könnten den Geld- und Image-Gewinn sehr gut gebrauchen, der mit der Kulturhauptstadt verbunden wäre. Wenn’s nur ums Gönnen ginge, müsste der Titel brüderlich geteilt werden. Doch die Verhältnisse, sie sind nicht so.

Aus Sicht des Ruhrgebiets könnte einem etwas bang zumute werden, wenn man sich die Konzepte ansieht. Auf den ersten Blick scheint der deutsch-polnische Brückenschlag, den Görlitz mit der Partnergemeinde Zgorzelec plant, griffiger zu sein als das vielfältige Bestreben des Reviers, das als multikulturell geprägte „Industrieregion im Wandel“ eher eine gesamteuropäische Perspektive einnimmt. Jedoch: Kann denn Vielfalt Sünde sein?

Dass man in Essen heute – unabhängig vom Ausgang – auf jeden Fall groß feiert, hat sogar schon Gerüchten Raum gegeben: Wissen die Essener vielleicht doch schon etwas?Ist etwa ein mehr oder weniger vager Hinweis aus der Jury durchgesickert? Eigentlich kaum vorstellbar. Ganz klar: Auch eine etwaige „Niederlage“ muss zünftig begangen werden. Das (Kultur)-Leben geht jedenfalls weiter.

Gewiss steht die Entscheidung seit Tagen fest, sie wird just heute bekannt gegeben. Die Juroren scheinen ihrer Sache recht sicher zu sein. Sie haben auf Informations-Reisen in die Bewerberstädte verzichtet; ganz so, als hätte es da gar keinen Klärungsbedarf‘ mehr gegeben.

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HINTERGRUND

Gefeiert wird auf jeden Fall

  • Diese Delegation fährt heute früh um 7.30 Uhr in Richtung Brüssel:
  • Oliver Scheytt (Kulturdezernent von Essen und „Moderator“ der Kulturhauptstadt-Bewerbung), Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff (NRW-Kulturstaatssekretär), Heinz- Dieter Klink (Direktor des Regionalverbands Ruhr – RVR), Hans-Georg Küppers (Kulturdezernent von Bochum) und Jürgen Fischer (Leiter des Bewerbungsbüros).
  • Die Entscheidung über die Kulturhauptstadt wird um 11.30 Uhr in Brüssel verkündet. Im Essener Rathaus-Foyer wird das Ereignis live auf Großleinwand übertragen.
  • Gegen 17 Uhr kehrt die Delegation nach Essen zurück. Dann soll es eine Feier auf dem Kardinal-Hengsbach-Platz geben.
  • Ab 19 Uhr steigt eine Party auf der Essener Zeche Zollverein (Halle 5) – je nach Stimmungstage bis tief in die Nacht.‘



Neuer Schub für die Revier-Bewerbung – Gespräch mit Oliver Scheytt über den Stand der Dinge in Sachen Kulturhauptstadt 2010

Von Bernd Berke

Essen. Wie steht’s mit den Aussichten des Ruhrgebiets in der Konkurrenz um die europäische Kulturhauptstadt fürs Jahr 2010? Die WR sprach mit Oliver Scheytt, der als so genannter „Moderator“ bei der Bewerbung federführend ist.

Frage: Es gibt Klagen, dass die Bürger noch nicht so recht begeistert seien von der Kulturhauptstadt-ldee.

Oliver Scheytt: Wir haben Leute befragt. Die meisten sagen bisher: Gut und schön, aber man weiß noch nicht viel darüber. Wir sind eben noch in der Bewerbungs-Phase. Wir können nicht dauernd Wind machen. Man kann nicht ständig über ein Programm reden, das erst 2010 stattfinden soll. In Kürze wird es aber einen neuen Schub geben: Es werden einige große Werbe-Kampagnen beginnen – auch mit viel Ruhrgebiets-Prominenz. Unser dreifaches Motto lautet: Wir wollen die Region mobilisieren, Meinungsführer überzeugen und Europa gewinnen.

Was ist in den letzten Wochen geschehen?

Scheytt: Wir haben uns darauf konzentriert, weiter Ideen und Geld zu sammeln. Es gab eine Sponsoren-Konferenz mit guten Resultaten. Jetzt kann wieder eine Mobilisierungs-Phase beginnen.

Was trägt die Region rund um Dortmund bei?

Scheytt: Im nächsten Jahr sind Regionalkonferenzen geplant, auch im östlichen Ruhrgebiet. Überhaupt ist Dortmund stets mit eingebunden – nicht nur durch den Kulturdezernenten Jörg Stüdemann. Der Kreis Unna bringt gute Kontakte in die Kulturhauptstadt des letzten Jahres mit, ins französische Lille. Wichtig auch das Zentrum für Lichtkunst in Unna. Lichtkunst ist ein zentraler Faktor der Bewerbung. Projekte wie das Hagener Schumacher-Museum, das „Dortmunder U“ (Museumspläne in einer Ex-Brauerei, d. Red.) oder der Umbau des Essener Folkwang-Museums sind ebenfalls starke Argumente. Wir wollen zeigen: Das Ruhrgebiet investiert in Kultur. Immerhin sind hier zwei neue Konzerthäuser in Dortmund und Essen entstanden.

Und wo bleibt die europäische Dimension?

Scheytt: Wir haben Vertreter aus den 196 europäischen Partnerstädten der 53 Kommunen und Kreise im Ruhrgebiet für Februar 2006 nach Dortmund eingeladen. Es liegen schon über 100 Zusagen vor. Ein solches Treffen hat es noch nie gegeben.

Werden dabei auch Themen wie die jüngsten Unruhen in Frankreich diskutiert?

Scheytt: Unbedingt! Schwerpunkte unserer Bewerbung sind ja Themen wie Migration, Strukturwandel und Stadtentwicklung. Hier kann das Ruhrgebiet wertvolle Erfahrungen einbringen.

Was sagen Sie zur Mahnung des NRW-Kulturstaatssekretärs Grosse-Brockhoff, dasRevier solle sich bloß noch nicht als Sieger über den Mitbewerber Görlitz wähnen?

Scheytt: Er hat völlig recht. Es gibt keinen Grund, überheblich zu sein. Unsere Bewerbung ist sehr viel komplexer als die von Görlitz. Daher ist sie vielleicht schwerer zu vermitteln. Andererseits ziehen wir unsere Kraft gerade aus der vielfältigen, dezentralen Struktur des Ruhrgebiets.

Wann könnte die Hauptstadt-Entscheidung fallen?

Scheytt: Wir rechnen mit dem Besuch einer siebenköpfigen EU-Jury im März 2006. Inzwischen stehen auch die Namen von vier Jury-Mitgliedern fest.

Werden Sie etwa versuchen, diese Damen und Herren zu beeinflussen?

Scheytt: Nein, nein! Aber wir informieren uns natürlich genau über ihre kulturellen Vorlieben.

Und was geschieht, wenn Görlitz gewinnen sollte?

Scheytt: Allein unsere Bewerbung ist bereits ein Erfolgsprojekt fürs ganze Ruhrgebiet, sie wirkt wie ein großer Durchlauferhitzer. Die Städte agieren schon jetzt immer mehr gemeinsam. Das wird bleiben und weiter wirken.

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Zur Person

Oliver Scheytt: Ein Mann mit vielen Ämtern

• Oliver Scheytt wurde 1958 in Köln geboren.

• Er hat Musik (Fach Klavier an der Essener Folkwang-Hochschule) sowie Jura studiert und ist promovierter Jurist. Seine Dissertation schrieb er über Musikschulrecht.

• Von 1986 bis 1993 war Scheytt in verschiedenen Funktionen für den Deutschen Städtetag tätig.

• Seit 1993 ist er Kulturdezernent der Stadt Essens und als solcher auch für Bildung zuständig.

• Seit 1997 ist er zudem Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft, seit 1998 sitzt er im Vorstand des Kulturforums der Sozialdemokratie.