Bochums OB: Aussichten für Peymanns Bleiben gestiegen – „Krisensitzung“ mit Kultusminister Schwier

Von Bernd Berke

Bochum/Düsseldorf. Ist er mit dem Wiener Burgtheater handelseinig geworden, oder bleibt Claus Peymann doch am Bochumer Schauspielhaus? Es darf weiter gerätselt werden – auch nach der dreistündigen „Krisensitzung“, zu der Bochums Oberbürgermeister Heinz Eikelbeck Peymann und (als Vermittler) NRW-Kultusminister Hans Schwier am späten Montagabend nach Wattenscheid gebeten hatte.

Manfred Gutzmer, Pressesprecher der Stadt Bochum: „Der Oberbürgermeister ist optimistisch und beziffert die Chancen dafür, daß Peymann bleibt, jetzt wieder auf über 50 Prozent.“ Das Gespräch mit dem OB und dem Kultusminister habe „Eindruck auf Peymann gemacht“.

Nach Auskunft von Michael Rüdell, Pressesprecher des Kultusministeriums, sind Peymann von keiner Seite aus bindende Zusagen gemacht worden. Insbesondere Peymanns kostspielige Forderung nach einer zweiten Schicht seiner Technik (nötig für häufige Auswärts-GastspieIe) könne vom Land ebensowenig erfüllt werden wie sein Wunsch, die Bühne zu einem höher bezuschußten „Staatstheater“ zu machen. Rüdell: „Zur Bereitstellung von ein paar Hunderttausend Mark würden sich Mittel und Wege finden.“ Man könne, um die notwendigen Mittel freizumachen, notfalls den gesamten Haushalt des Kultur-Ressorts auf Einsparmöglichkeiten durchforsten oder auch beim Finanzministerium sogenannte „überplanmäßige Mittel“ beantragen. Die Hauptlast der finanziellen Zugeständnisse müsse gegebenenfalls aber die Stadt Bochum tragen. Dort war zu erfahren, daß man sich „über gewisse Steigerungsraten“ beim 17,5-Mio.-Zuschuß fürs BO-Theater durchaus verständigen könne.

Bochums OB Eikelbeck ging gestern auf Reisen – dem Vernehmen nach nicht in Richtung Wien, sondern rein privat nach Paris. In Wien jedenfalls gehen alle beteiligten Stellen davon aus, daß Peymann an die „Burg“ kommt; es ist gar von einer „Zusage“ die Rede, wobei in der Schwebe gelassen wird, ob bereits Unterschriften geleistet wurden.

Schwiers Sprecher Rüdell faßt die in Wattenscheid gewonnenen Eindrücke bündig zusammen: „Ein Pokerspiel, und zwar auf fallen Seiten.“ Minister Schwier, der in Begleitung eines Finanzexperten erschienen war, habe Peymann nahegelegt, sich genau zu überlegen, „was er da eigentlich gegen seine Tätigkeit in Bochum eintauschen würde.“ Der Kultusminister wolle Peymann zwar in NRW halten, werde dem Intendanten aber „nicht nachlaufen“. Schwier habe mit seiner Vermittlerrolle Oberbürgermeister Eikelbeck „eine Gefälligkeit erweisen wollen“. Nun erwarte man in Kürze eine von Peymann angekündigte Erklärung. Da Peymann Eikelbeck versprochen hat, zuerst ihn persönlich von seiner Entscheidung in Kenntnis zu setzen, wird die Erklärung vermutlich frühestens nach der Rückkehr Eikelbecks am 5. April erfolgen. Bis dahin soll Rolf Paulin, Verwaltungsdirektor des BO-Theaters, mit Schwiers Finanzexperten Vorverhandlungen aufnehmen.




„Freie Schule“: Kinder ergreifen erstaunlich schnell die Initiative – Unterricht hat trotz Ablehnung des Kultusministeriums begonnen

Von Bernd Berke

Bochum. Die ersten Unterrichtsstunden in der „Freien Schule“ Bochum-Dahlhausen sind vorüber. Wie berichtet, begann dort am Montag – einer Ablehnung des Düsseldorfer Kultusministeriums zum Trotz – der „Schulbetrieb“. Was tat sich ini den ersten Tagen?

Die Startphase ist mit derjenigen einer Regelschule kaum vergleichbar: Die neun Jungen und Mädchen im Alter von zehn bis dreizehn Jahren bekommen in ersten Woche Gelegenheit, einander auf ungezwungene, spontane Weise kennenzulernen. Bisher an strenge Schulrituale gewöhnt, nutzten die Kinder diese Chance besonders am ersten Tag weidlich aus. Sie ergriffen sogleich Besitz von der schönen alten Villa. Gitarren und Bongotrommeln wurden ausgiebig traktiert. Wasserspritzflaschen aus dem Chemiezimmer blieben auch nicht unbeachtet.

Chaotisch ging es aber nicht zu. Bereits am zweiten Tag, am Dienstag, hatten sich die Kinder „ausgetobt“. Schon kamen erste Vorschläge von ihrer Seite. Daraus entstand das erste Projekt, eine Fahrradwerkstatt, in der die Kinder schrottreife Drahtesel wieder fahrtüchtig machen. Andere Aktivitäten: Modellieren in Ton, geminsames Kochen und Einkaufen sowie „Büroarbeiten“. Was andernorts das Schulsekretariat macht, erledigten gestern auf eigenen Wunsch zwei der Kinder: Sie legten eine Adressenkartei an.

Auch Führungen durch das in harter Eigenarbeit renovierte Haus übernehmen nicht etwa die Erwachsenen. Beim Rundgang durch die Räume meint die kleine Silke:„Mir gefällt es hier ganz gut. Nur langsam müßten wir auch mal etwas tun, etwas fürs Leben lernen. Mathematik, Englisch und so…“

Anfangs übernahmen die Mädchen das Kochen…

Die drei Mädchen, die sich gegen eine „Übermacht“ von neun Jungen behaupten müssen (worauf die Lehrer großen Wert legen), haben den ersten, erfolgreich bestandenen Konflikt schon hinter sich. Anfangs übernahmen sie, ihrer bisherigen Erziehung entsprechend, freiwillig das Kochen. Den Jungen war offenbar ganz wohl dabei, denn als es an den Abwasch ging, forderten sie, daß der auch von den Mädchen gemacht werden solle. Die aber wehrten sich energisch. Michaela sprach ihnen aus dem Herzen: „Ich tu keinen Handschlag mehr!“ Inzwischen schwingen auch die Jungen den Kochlöffel.

Henning Kese, der den Kindem demnächst Schwimm- und anderen Sportuntemcht geben wird, freut sich darüber, daß die Kinder schon erstaunlich viel Eigeninitiative entwickeln. Ein Junge wolle in Kürze sogar einen Fotokurs in eigener Regie anbieten. Trotz der vom Kultusministerium verweigerten Unterstützung seien die finanziellen Grundlagen der „Freien Schule“ für mindestens ein Jahr gesichert.

Spenden und Darlehen gingen reichlich ein, auch die alternative Berliner Organisation „Netzwerk“ beteilige sich. Dennoch werde man in der nächsten Woche Klage gegen den abschlägigen Bescheid aus Düsseldorf einreichen – beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen.

Henning Kese: „Da das Ministerium die Erlaubnis nicht erteilt hat, müssen die Eltern der verbleibenden zwölf Kinder mit Bußgeldbescheiden rechnen. Bevor die bezahlt werden, schöpfen wir aber alle juristischen Mittel aus.“ Grund für die Bußgelddrohung: Nach ministerieller Leseart genügen die Bochumer Kinder der Schulpflicht nicht. Durch solche Komplikationen waren die Eltern von 15 Schülern so verunsichert. daß sie ihre Sprößlinge vorsichtshalber doch auf eine Regelschule schickten.

Dennoch gibt man in Bochum nicht auf. Pläne für die nächste Zeit sind schon geschmiedet. In der kommenden Woche gibt’s eim gemeinsamen Schulausflug auf einen Bauernhof bei Göttingen. Außerdem hat man Kontakt zu Ausländerorganisationen auf genommen, weil man auch an der Aufnahme türkischer Kinder interessiert ist. Im Arbeitervorort Dahlhausen leben viele türkische Familien.

Außerdem suchen die zwei Ganztagslehrer, die mit etwa zwei Dritteln des üblichen Lehrergehalts auskommen müssen, und die sieben ehrenamtlichen Helfer noch eine Schwester-Schule in Großbritannien, damit der Englischunterricht durch Besuche auf der Insel ergänzt werden kann.