Eine Bühne für fiebrige Phantasien – Märchenbilder von Philipp Fröhlich in Wuppertal

Philipp Fröhlich: „Der Rattenfänger von Hameln – die Kinder I“, 2018. Öl auf Leinwand, 275×195 cm (© Philipp Fröhlich)

Schauen wir doch mal, was Philipp Fröhlich nach eigenem Bekunden nicht ist. Er ist kein Fotograf, obwohl er für seine Kunst das Mittel der Fotografie einsetzt, aber nur als vorbereitendes Hilfsmittel zu Dokumentations-Zwecken. Fröhlich ist auch kein Theatermaler, der bildhafte Kulissen für Inszenierungen herstellt. Allerdings ist er studierter Bühnenbildner mit höheren Weihen der Kunstakademie Düsseldorf (Meisterschüler von Karl Kneidl). Zudem bekennt er, fürs Kino gar keinen rechten Sinn zu haben. Dabei wirken seine Gemälde zuweilen, als seien sie in nostalgischem Technicolor ausgeführt. Das alles sind keine Widersprüche, sondern lediglich Klarstellungen, Differenzierungen.

Der 1975 in Schweinfurt geborene Philipp Fröhlich hat 1995 sein Abitur in Wuppertal gemacht, wo er nun in der Kunsthalle Barmen ausstellt. Ein „Heimspiel“ also? Nur sehr bedingt: Von 2002 bis 2016 hat er in Madrid gelebt, dann zog es ihn nach Brüssel.

Märchenthema ausgeschritten: Künstler Philipp Fröhlich. (Foto: Esther Fernández Garcia / © Philipp Fröhlich)

Fröhlich zeigt seine Variationen auf ein populäres, immer noch weithin im kollektiven (Unter)-Bewusstsein verwurzeltes Thema: Märchen.

Besonderheit seiner Vorgehensweise, erklärlich durch seine Bühnenbildner-Spezialisierung: Bevor er die Märchen-Momente malt, baut er das jeweilige Figureninventar und die Szenerien als spielerisch leicht veränderliche 3D-Modelle, die er vielfach fotografiert. Die Dreidimensionalität überträgt sich ersichtlich auf die Leinwände. Fröhlich hat die Situationen gleichsam schon vor dem ersten Pinselstrich geklärt und imaginär aufgebaut. Dennoch arbeitet er – Schicht für Schicht auftragend – an einem Bild mindestens vier bis sechs Wochen.

Am Beginn des (virtuellen) Rundgangs, den der Künstler selbst erläutert, sind Großformate zum „Rattenfänger von Hameln“ zu sehen (genaugenommen kein Märchen, sondern eine Legende). Sie üben einen kaum widerstehlichen Sog in die Bildtiefe aus.  Strategien wie etwa der Einsatz von Rückenfiguren, die ins Bild hineinlaufen und so die Betrachtenden „mitnehmen“, erinnern von fern her etwa an Caspar David Friedrich. In diesem Falle ist es, als eilte man als Betrachter den Kindern stracks hinterdrein ins Verderben. Tatsächlich wirken diese Bilder durchaus „bühnenhaft“, man könnte beinahe von selbst ahnen, dass das Theater Fröhlichs Metier ist. Diese Qualität teilt sich sogar online mit. Wie eindringlich müssen die Ölbilder erst wirken, wenn man leibhaftig davor steht? Wahrscheinlich aus der Nähe fast so, als wäre man vom Geschehen umfangen.

Philipp Fröhlich: „Da gab ihr Gretel einen Stoß, dass sie weit hineinfuhr, machte die eiserne Tür zu und schob den Riegel vor“, 2018. Öl auf Leinwand, 195×275 cm (©Philipp Fröhlich)

Eine zweite Serie vergegenwärtigt Szenen aus „Hänsel und Gretel“ – vom fatalen Entschluss der Eltern, die Kinder einfach im Wald zurückzulassen, über das verlockende Hexenhaus bis hin zu Hänsels Käfig-Gefangenschaft und schließlich dem Moment, in dem Gretel die Hexe ins grell lodernde Feuer stößt. Bemerkenswert, wie Fröhlich diese altbekannten, ungemein oft illustrierten Ereignisse in eine zeitgemäße Bildsprache überführt, die zwar im Prinzip gegenständlich bleibt, jedoch mit speziellen Perspektiven, Verwischungen und Andeutungen arbeitet, zuweilen bestürzend nah am Sujet. Es tut sich ein Spannungsfeld zwischen Realismus (z. B. Armutsverhältnisse, Waldnatur) und fiebrig gesteigerter Phantasie auf. Dabei wird die tiefenpsychologische Dimension dieser Vorgänge freigelegt. Man erschrickt, wenn man sich in diesen Bildern umsieht.

Weitere Haltepunkte der Schau sind u. a. Bilder zu „Die sieben Raben“ und zu einem schottischen Märchen („The Hobyahs“), das sich via Australien weltweit verbreitet hat. Da wird ein wachsamer Hund so aus Zorn übers Gebell dermaßen verletzt, dass er nicht mehr vor der rätselhaft dunklen Gefahr warnen kann. Im Märchen aber wird das Tier wundersam wieder zusammengesetzt. Solche Geschichten rufen nach Visualisierung. Zugleich stellt sich immer wieder die Frage, inwieweit heute noch „narrative“ Bilder möglich sind. Aber ist denn die Zeit des Erzählens vorüber?

Schließlich sind da noch die vier Arbeiten zum kurzen Märchen aus Georg Büchners „Woyzeck“ – vom bitterlich einsamen Kind, dem alle Illusionen über die Welt genommen werden: Der Mond ist nur ein Stück Holz, die Sonne ist eine verwelkte Sonnenblume, die ganze Erde ein umgestürzter Nachttopf. Mit dieser tieftraurigen Reihe, so sagt Philipp Fröhlich, sei seine Werkphase mit Märchenbildern ausgeschritten und abgeschlossen, er werde sich künftig anderen Themen zuwenden. Wohin seine Wege wohl führen werden? Und ob das Märchenhafte spurlos verschwinden wird?

Philipp Fröhlich: „Märchen“. Kunsthalle Barmen, Wuppertal, Geschwister Scholl Platz 4-6. Vom 3. Juni (Fronleichnam, 11-18 Uhr) bis 1. August, geöffnet Do-Fr 14-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 3 €, ermäßigt 2 €.

Stand 2. Juni: Zum Besuch derzeit k e i n negativer Corona-Test erforderlich. Eintrittskarten mit Zeitfenster zu buchen über www.wuppertal-live.de – Führungen vorerst nur digital.

 




Normal für alle Ewigkeit – Die Holzskulpturen des Stephan Balkenhol in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Wie unhöflich! Gleich die erste Skulptur dreht einem beim Betreten des Museums den Rücken zu. Man muß erst um den „Großen klassischen Mann“ herumgehen, um sein hölzernes Gesicht zu sehen. Doch er blickt keineswegs zurück, sondern schaut in unbestimmte Fernen – und legt dabei den linken Arm so geziert hinter den Kopf, als habe er die Geste bei einer antiken Plastik abgeschaut, sie aber nicht so ganz ernst nehmen können.

Ansonsten sieht die Figur ganz und gar durchschnittlich aus. Braune Hose, weißes Hemd, keine besonderen Kennzeichen. Sozusagen ein „Stino“, also ein Stinknormaler. Nun schweift der Blick zur gleichfalls frappierend gewöhnlichen „Großen Frau mit grüner Hose“, die – entschieden weggerückt vom männlichen Pendant – auf ihrer eigenen Holz-Insel wartet. Auch sie starrt ins Leere und kreuzt die Arme vor der Brust, in altägyptischer Manier. Ein banaler Augenblick, festgehalten wie für die Ewigkeit. Bildnis einer bewegungslosen Zeit und somit vielleicht gar die ideale Kunst zur Ära Helmut Kohl?

Schon endlos lange und für immer scheinen diese Figuren so dazustehen. Sie schauen in doppeltem Sinne „unverwandt“, will heißen: ohne Unterlaß und beziehungslos. Es sind keine Individuen, sondern anonyme, unaufgeregte, ja unangreifbar wirkende Gestalten. Eine Überhöhung alltäglicher Momente? Schmerzlich verfestigte Gesten der Verlegenheit und Entfremdung gar? Von beidem wohl ein wenig. Und gewiß eine vage, aber nachhaltige Irritation. Ohne Pathos, ohne Belehrung.

Splitter und Späne sind noch sichtbar

Stephan Balkenhol, dessen neuere Arbeiten jetzt in Wuppertal zu sehen sind, kann sich mit derlei Skulpturen vor Anfragen kaum retten. Oft produziert er die Nacht durch, gleichsam „just in time“, also zeitlich punktgenau nach Bestellung. Sieht man die Wuppertaler Auswahl, kann man die Interessenten gut verstehen.

Im zweiten Raum vollzieht sich ein stilles Ereignis. Wiederum jeweils aus einem ganzen Holzklotz hervorgetrieben, sind hier „Zehn tanzende Paare“ (1996) kaum bestimmbaren Alters in ihren gemessenen Bewegungen eingefroren. Die Herren allesamt in schwarzen Hosen und weißen Hemden, die Damen in züchtigen Kleidchen eines Standard-Zuschnitts. Von daher erzkonventionell und auch keinem bestimmten Jahrzehnt zuzuordnen. Doch überhaupt nicht geschönt. Denn die bemalten Holzfiguren sind an der Oberfläche roh und rissig, hie und da krümmen sich noch Splitter und Späne.

Es ist auch Kunst zum Schmunzeln

Balkenhols Serie „Architekturskizzen“ nimmt auf groteske Weise architektonisch Maß an der menschlichen Gestalt. Die Vorzeichnungen wirken karikierend, die an den Wänden aufgereihten dreidimensionalen Ausführungen auf kleinen Holzpodesten vor allem in der Summe bizarr: ein immer wiederkehrendes kleines Mannsbild, paßgenau eingefügt in ein gebautes Viereck; oder von einer Säulenordnung eingezwängt wie in einen Schraubstock.

Ein anderer Herr wird von einer Hausform mit Satteldach flunderflach und rücklings auf den Fußboden gedrückt – nur Kopf, Hände und Füße schauen noch her aus, als zappelten sie hilflos. Das Haus ist sein fremdartiger Körper, sein Körper ein Haus. „Architekturmodell Mann“ heißt (mit leicht ironischem Unterton) diese Arbeit, die auch unsere Naturferne betreffen mag. Sollte sie dergleichen tiefschürfende Hintergründe haben, so ist s doch zunächst mal eine Schmunzel-Kunst.

Subtil und zugleich witzig geht Balkenhol auch sonst mit Figürlichkeit um: Man belächelt vier hölzerne Männerakte im Mini-Format, die große Wandtafeln mit gezeichneten Frauenakten zu bewundern scheinen. Und man freut sich über schwebende Holzreliefs von Männerkörpern oder drei pickende Hühner auf einem schraubenförmigen Sockel. All das sieht aus, als sei es auf etwas lachhafte Art fehl am Platze. Und doch möchte man mehr und mehr davon sehen.

Stephan Balkenhol. Kunsthalle Wuppertal-Barmen, Geschwister-Scholl-Platz. Bis zum 28. Juni. Geöffnet Di-So 10-17 Uhr. Katalog 28 DM.




Auf der Klippe zum Tod – Die Irland-Bilderzyklen von K. H. Hödicke in der Kunsthalle Wuppertal-Barmen

Von Bernd Berke

Wuppertal. Grenz-Erfahrungen haben den Maler K. H. Hödicke von jeher inspiriert. Als Berlin noch in zwei Hälften zerfallen war, hatte der renommierte Anreger der „Neuen Wilden“ ein Atelier in einer Stadtwüstenei direkt an der Mauer, so daß er in den Ostteil blicken konnte. Seit 1981 verbringt er jeden Sommer im geteilten Irland. Dort sind jene Bilderzyklen entstanden, die jetzt das Wuppertaler Von der Heydt-Museum präsentiert.

Was gibt es in der einsamen zerklüfteten Gegend von Connemara im Nordwesten der Insel zu sehen? Nun, der Motivkanon ist auf eine Weise begrenzt, die das innere Erleben bereichert. Gerade in der faszinierenden Kargheit kann sich der Künstler, nicht abgelenkt durch grelle Vielfalt, um so intensiver mit den Nuancen des Sichtbaren und mit dem eigentlichen Malvorgang befassen.

Die Vielfalt der Schafe

Salopp gesagt: Wer beispielsweise immer wieder Schafe zeigt, kann Schafe immer wieder anders zeigen. Die Tiere treten tatsächlich auf etwa der Hälfte der rund 80 ausgestellten Bilder in Erscheinung. Es scheint so, als habe Hödicke die Schwankungen seiner seelischen Befindlichkeit in den wolligen Wesen dargestellt. Mal trotten die Schafe ruhig als Gruppe daher, mal stehen sie einzeln da wie Monumente, oder ihre Gestalt blitzt nur auf wie eine Karikatur des Kreatürlichen. Andere werden zu Markte gebracht und verkauft, wieder andere als blutige Opfertiere dargebracht. Auf einigen Arbeiten rücken die hohlen Schädel toter Lämmer ganz in den Vordergrund und fügen sich zu düsteren Ornamenten an der Grenze zur Abstraktion.

Häufig wiederkehrende Motive in dieser raun (und übrigens völlig frauenlosen) Welt sind auch die Vegetation – und Kneipenszenen, freilich nicht aus touristischem Blickwinkel gesehen, sondern stets existentiell verdichtet. Die Bilder aus den Pubs wirken seltsam dumpf und bedrückend. Hödicke zeigt triste Ansichten des Trunks: Von Wind und Wetter, Lebenssorgen und Alkohol gegerbte Gesichter, einsam aufragende Gläser, eine Anzahl von Beinen auf Barhockern, unter denen ein Hund vor sich hin stiert.

Feuerrote Fuchsien

Ein in seiner ganzen Gestik unterschwellig aggressives Musikanten-Bild aus diesem Zyklus greift – lautmalerisch verballhornt – einen irischen Werbeslogan gegen Alkohol auf, der auch zum Ausstellungstitel wurde: „Havapaintamilkaday“, entzerrt und übersetzt etwa: Trinke täglich einen Pint (ca. einen halben Liter) Milch. Vertrackte Anspielung: „Pint“ wird von den Iren etwa wie wie „Paint“ ausgesprochen – und das wiederum heißt malen. Das tägliche Bild – ein Lebens-Mittel des Künstlers.

In der westirischen Pflanzenwelt haben es Hödicke besonders die feuerroten Fuchsien angetan. Mit ihnen und mit roten Lampions feiert er wahre Orgien glühender Farbigkeit. Eingefaßt in bedrohliches Schwarz, werden die Blüten zu Fanalen eines Lebens auf der Klippe zum Tode. Einer leuchtenden Fuchsienhecke gibt er den Untertitel „Wo sind die Heckenschützen?“ Ganz so, als sei die Naturschönheit durch den (nord)irischen Konflikt vergiftet.

Des weiteren sehen wir Grenzzäune und Pfosten, Stacheldraht, einen bildfüllenden tiefbraunen Torf-Abstich oder zwei Männer, die ein Boot tragen. Einfache Dinge, einfaches Tun. Fast wie in archaischen Zeiten.

K. H. Hödicke – „Havapaintamilkaday“ – Irland-Bilder 1981-1996. Kunsthalle Wuppertal- Barmen, Geschwister-Scholl-Platz. 20. April bis 1. Juni. Di-So 10-17 Uhr. Katalog 39 DM.




Flammende Botschaften aus dem Märchenreich – Ausstellung zu Leben und Werk der Else Lasker-Schüler

Von Bernd Berke

Wuppertal. Als Lyrikerin ist Else‘ Lasker-Schüler (1869-1945) weithin bekannt. Aber als Zeichnerin? Man glaubte, höchstens 40-50 Beispiele für diese Zweitbegabung finden zu können, als man vor zwei Jahren mit den Recherchen begann. Doch nun sind es annähernd 150 Kunst-Blätter von Hand der Dichterin, die man in einer großen Wuppertaler Ausstellung sieht.

Wer genügend Muße mitbringt, kann sich in der Barmer Kunsthalle tief ins Leben und Werk der deutsch-jüdischen Autorin versenken. Eine Fülle von Briefen, Tagebüchern, Manuskripten, Fotos und AmtsDokumenten belegt einen unbehausten Weg durch die Zeitläufte – von der Kindheit im Geburtsort Elberfeld (heute Wuppertal) über die wechselhaften Berliner Bohème-Jahre, die Vertreibung aus NS-Deutschland, das Schweizer Exil und schließlich ins einsame Dasein zu Jerusalem, wo sie vor 50 Jahren (22. Januar 1945) völlig verarmt gestorben ist.

Ein fortlaufender Bilder-Fries mit historischen Fotos ruft den geschichtlichen Zusammenhang wach; zudem zieht sich eine Leiste mit knappen lyrischen Lasker-Zitaten durch die Räume – lichterloh flammende Botschaften aus einem Märchenreich, Reaktionen einer äußerst empfindsamen Frau auf die Zumutungen der Welt. Auswahl und Präsentation lassen Emphase spüren. Man will uns gar vieles zeigen. Um so bedauerlicher, daß kein Katalog die Eindrücke bündig bewahrt.

Edler Giselher und Prinz von Theben

In den Zeichnungen und druckgraphischen Arbeiten der Else Lasker-Schüler tut sich eine phantastische kleine Sonderwelt auf. Da firmiert etwa der angehimmelte Gottfried Benn als edler „Giselhe(e)r“, die Dichterin selbst sieht sich in den Rollen „Jussuf“ oder „Prinz von Theben“. Oft ist das erschütternd in seiner Verletzlichkeit: Jussuf, inständig um Weltfrieden bittend. Jussuf, der sich aus Verzweiflung erhängt hat.

Die persönliche Mythologie speist sich aus vielen Quellen: Biblische Themen und Figuren treten hervor, exotische Szenarien und Requisiten indianischen oder orientalischen Ursprungs, auch aus Tibet und Afrika – Motive, die gleichfalls in ihren Gedichten anklingen. Einmal schreibt sie in ihr Tagebuch: „Die kleinen Spatzen sind meine einzige Freude seit sechs Jahren.“ Gedichte und Bilder sind, bei aller kunstvollen Formung, Ausdruck einer bitterlich einsamen Seele, die sich aus realer Bedrängnis ins Sternenweite ergießen will. Wir schauen da in ein Geisterland, bevölkert von traumnahen Wesen, die einander gut sein sollen, jedoch auch von Angst-Gestalten.

Es gab – neben der Ehe mit Herwarth Walden – freundschaftliche Kontakte zu Franz Marc, Karl Schmidt-Rottluff und zum Hagener Christian Rohlfs, von dem ein wundervolles Dichterinnen-Bildnis gezeigt wird. Ihre eigenen Blätter sind denn auch ersichtlich im Umkreis des deutschen Expressionismus entstanden. Manchmal hat sie auch (ähnlich wie der Wiener Gustav Klimt) ihre Bilder mit kleinen Goldauflagen durchwirkt. Sie nahm dazu freilich glitzerndes Bonbon-Papier.

Naive Hoffnung auf Stalin und Mussolini

Kaum minder bewegend sind einige Dokumente: Beispielsweise die um 1919 angefertigten Berichte der schweizerischen Spitzel, die ihr einen Kommunismus-Verdacht anhängen wollten. Sodann ihr (vielleicht nie abgeschicktes) Telegramm an Josef Stalin: „Marschall, ihr seid der gütigste und liebste Mensch der Welt.“ An jeden hat sie halt ihr bißchen Hoffnung geheftet, von dem sie meinte, daß er den deutschen Nazis Einhalt gebieten könnte – sogar an Benito Mussolini.

Traurige Sensation: Erstmals finden sich in dieser Ausstellung Belege für einen bislang bezweifelten Briefwechsel, den sie mit dem italienischen Faschistenführer beginnen wollte. Else Lasker-Schülers naive Hoffnung, nicht von dieser Welt und doch damals von etlichen Juden geteilt: Mussolini sollte Hitler den Antisemitismus ausreden. Statt einer Antwort ließ der „Duce“ über sein Büro der Dichterin am 17.3.1938 „saluti fascisti““ ausrichten – „faschistische Grüße“. Und das zu jenen Zeiten einer Jüdin im Exil…

Else Lasker-Schüler. Ihr Leben, ihr Werk, ihre Zeit. Ab Sonntag (9. April) bis 28. Mai. Kunsthalle Wuppertal-Barmen, Geschwister-Scholl-Platz (Tel. 0202/563 6630). täglich 11-19 Uhr. Eintritt 10 DM. Familienkarte 20 DM, jeweils inklusive Begleitheft. Kein Katalog.




Der illusionslose Blick auf die Gewalt – „Violence Report“ von Leon Golub in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. „Gewalt gibt es immer und überall“, stellt der New Yorker Künstler Leon Golub fest. Was folgt daraus? Sollen wir, um nicht abzustumpfen, die Augen verschließen oder im Gegenteil genauer hinsehen? Golub empfiehlt mit seiner Wuppertaler Ausstellung „Violence Report“ den illusionslosen Blick.

Der Besucher geht wie durch ein Labyrinth, ständig aus dem Tritt gebracht. Denn die 31 großformatigen Bilder hängen nicht etwa an den Wänden, sondern – auf durchsichtige Plastikfolien gebannt – von der Decke herab und mitten in die Räume hinein. Solch direkte Konfrontation erzwingt Umwege. Fast wie bei Skulpturen eröffnen sich beim Umhergehen immer neue Perspektiven auf Vorder- und Rückseiten. Mehr noch: Schon ein leichter Luftzug kann die frei im Raum hängenden Bilder in gespenstische Bewegung versetzen.

Die Transparenz der Fotografien und Gemälde sorgt zudem für Durchsichten und optische Vermischung der einzelnen Motive. Die aus verschiedensten Zusammenhängen isolierten Szenen der Gewalt überlagern einander und addieren, ja multiplizieren sich zum universellen, letztlich zeitlosen Phänomen. Ist das nicht eine gefährliche, zur Resignation führende Sicht der Dinge? Ist Gewalt immer und immer wieder dieselbe, oder gibt es nicht doch Unterschiede?

„Negative Historienbilder“

Tatsächlich versteht documenta-Teilnehmer Golub (71) diese Arbeiten, die er erstmals in Europa präsentiert, als „negative Historienbilder“. Es beginnt zwar nicht mit Kain und Abel, doch eine Gewaltszene aus dem Jahr 630 v. Chr. markiert die geschichtliche Frühzeit. Politische Gewalt, Staatsterror, Folterszenen und straßenkriminelle Brachialakte fächern das Thema auf.

Golub legt Wert darauf, keinen Moment abzubilden, den man ohne weiteres dümmlich-voyeuristisch auskosten könnte. Er sucht in allen Epochen nach jenen häßlichen Schock-Sekunden, die uns womöglich stutzen und innehalten lassen. Der herrisch auf den fremden Körper gestellte Stiefel, die auf den Kopf gesetzte Pistole, das schmerzverzerrte, deformierte Gesicht, die schrecklich verrenkten Gliedmaßen. All das überlebensgroß, monumental.

Wie nehmen wir Gewalt wahr? Golub kann gar nicht anders, als die Verformung der Realität durch die Medien mitzubedenken. Mit Hilfe von Computergraphik hat er Irritationen in seine Bilder eingebaut. Sanfte Verschiebungen und Verrätselungen. Jene Bilder, die er aus Zeitungen entnommen hat, zeigen auf der Folie ihr stark vergrößertes Raster. Durchaus verfremdet kommt uns die Gewalt entgegen. Und durchaus vieldeutig. Derselbe Kopf wirkt aus dem einen Blickwinkel wie der eines rechtmäßig gestellten Verbrechers, aus dem anderen wie der eines schuldlosen Opfers. Unser Blick auf Gewalt kann jederzeit manipuliert werden.

Wer kann sagen, wie eine solche Ausstellung in den Köpfen wirkt? Vielleicht hilft sie ja, Gewalt wirklich einmal hellwach wahrzunehmen, statt sie bedenkenlos zu konsumieren.

Leon Golub: „Violence Report“. Kunsthalle Wuppertal-Barmen. Geschwister-Scholl-Platz. Bis 12. September, Di-So. 10-17 Uhr. Katalogheft 15DM.