Als russische Malerei noch zur Avantgarde gehörte

Von Bernd Berke

Köln. Vergleiche drängen sich auf. Man glaubt fast jede Phase dessen wiederzuerkennen, was sich zu Beginn unseres Jahrhunderts in der westeuropäischen Kunst bewegt hat. Man steht aber vor Bildern russischer Künstler.

Daß diese – im Gegensatz zu heute – zwischen den 1890er Jahren und dem Vorabend der Russischen Revolution keinen Vergleich mit ihren französischen oder deutschen Zeitgenossen zu scheuen brauchten, zeigt die Ausstellung „Meisterwerke russischer Malerei“, die gestern von Botschafter Waldimir Semjonow in der Kölner Kunsthalle eröffnet wurde.

Während in einschlägigen Handbüchern die russische Kunst eher als Randphänomen abgehandelt wird, entsteht beim Betrachten der in Köln gezeigten 72 Werke von 34 Künstlern (darunter auch Chagall, Kandinsky, Malewitsch) eher der Eindruck eines intensiven, gesamteuropäischen Austauschs: Matisse und der Futurist Marinetti trugen 1911 und 1913 ihre Kunstauffassungen in Rußland vor, die russischen Künstler wiederum reisten häufig nach Westeuropa oder ließen sich (Kandinsky) sogar dort nieder.

Die in Köln gezeigten Bilder, ansonsten im „Staatlichen Russischen Museum“ (Leningrad) und der Tretjakow-Galerie (Moskau) zu sehen, repräsentieren nahezu sämtliche Strömungen der Klassischen Moderne – vom lichtflutenden Impressionismus bis hin zum Futurismus und zum Suprematismus, bei dem die russische Avantgarde sich mit Malewitsch sogar an die „Spitze“ der Moderne setzte.

Wahlverwandtschaften zuhauf: Natalia Gontscharowas „Bauern, Äpfel auflesend“ von 1911 erinnern in der monumentalen Figuration stark an Picasso-Bilder aus derselben Zeit, ihr „Radfahrer“ von 1913 entstand im Geiste des Futurismus. Qualitativ fällt dagegen Michail Wrubel, dem Vernehmen nach heute Lieblingsmaler der Sowjetbürger, ab.

Wie der Generaldirektor der Kölner Museen, Prof. Hugo Borger, mitteilte, findet der Austausch UdSSR – Köln mehrfache Fortsetzung. Zuerst wird ein Großteil der Bestände des Römisch-Germanischen Museums im Moskauer Puschkin-Museum und in der Leningrader „Eremitage“ gezeigt, gegen Ende des Jahres 1984 gehen Teile der Ludwig-Sammlung und 1985 Exponate des Wallraf-Richartz-Museums auf die Reise.

„Meisterwerke russischer Malerei“. Josef-HaubrichKunsthalle Köln, 7. Februar bis 25. März, geöffnet tägl. 10 bis 17 Uhr, di/fr 10 bis 20 Uhr, Katalog 16 DM.




Der Tod im Werk Picassos

Von Bernd Berke

Bielefeld. 40 Intercity-Minuten von Dortmund entfernt, bietet sich ab Sonntag eine allerletzte Gelegenheit, wichtige Werke von Pablo Picasso ohne großen Reiseaufwand zu sehen.

Ab 1985, wenn das Picasso-Museum in Paris fertig ist, werden zahlreiche Arbeiten aus dem Atelier des 1973 gestorbenen Spaniers, die der französische Fiskus statt einer Erbschaftssteuer „kassierte“, für immer an der Seine bleiben. Diese Aussicht erzeugt eine Art „Torschlußpanik“ und beschert der bis 29. Januar dauernden Düsseldorfer Ausstellung der Picasso-Skulpturen Besucherrekorde; nun zieht Bielefeld mit „Picasso Todesthemen“ nach.

Picassos Gesamtwerk gilt als Ausdruck eines eher heiter gestimmten Naturells. Dieses Klischee muß spätestens jetzt in einigen Nuancen korrigiert werden. Ist auch der Tod kein zentrales Thema, so prägt er doch immer wieder Schlüsselwerke der verschiedenen Schaffens-Phasen, die jeweils Krisen in der Biographie Picassos zugeordnet werden können. Nicht immer wird das so deutlich wie bei der Darstellung von Menschen- oder Tierschädeln, bei blutigen Stierkampfszenen oder Bildern, die Gewalt („Raub der Sabinerinnen“, 1962) bzw. Mord („Frau mit Dolch. Der Tod Marats“, 1931) ausdrücklich zum Inhalt haben. Vielfach erweisen sich schon „harmlose“ Stilleben mit Kerzen (letztere als symbolische Lebenslichter) als subtile künstlerische Variationen zum Todesthema.

Auch die geschlechtliche Vereinigung gehört in die Randbezirke des Todes, indem beispielsweise der Moment der höchsten Lust als „kleiner Tod“ dargestellt wird oder unheilvolle Verstrickungen zwischen „männlichem und weiblichem Prinzip“ der Bildidee zugrunde liegen – so etwa bei „Katze und Hahn“ von 1953: Die (weibliche) Katze reißt dem toten Hahn Fleischstücke aus der Brust.

Die Ausstellung versammelt Picasso-Gemälde, Zeichnungen und Graphiken von 1899 bis 1962, darunter als wohl wertvollstes Werk die „Kreuzigung“ (1930). Während die Sterbeszenen der frühen Ölskizzen sich noch auf traditionelle Bildlichkeit stützten, entwickelte Picasso später eine immer eigenständigere, in ihrer Prägnanz geniale Zeichensprache.

„Picasso. Todesthemen“. Kunsthalle Bielefeld, bis 1.4. Katalog 42 DM.




Schocks und Lügen – Fotos aus 35 Kriegen

Von Bernd Berke

Siegen/Recklinghausen. K e i n Kunstgenuß erwartet die Besucher der Kunsthalle Recklinghausen und der Städtischen Galerie „Haus Seel“ in Siegen.

Gleichzeitig in beiden Häusern wird man jetzt mit schonungslosen Dokumenten menschlichen Leids konfrontiert: „Bilder vom Krieg“, eine vom Hamburger „Stern“-Magazin zusammengestellte Ausstellung mit 254 Schwarz-Weiß-Fotos, zeigt unfaßbare Szenen der Grausamkeit vom Amerikanisch-Mexikanischen Krieg (1848) bis zur Schlacht um Beirut (1982): US-Bürgerkrieg, Krimkrieg, Kolonialkriege, die beiden Weltkriege, Hiroshima, Korea- und Vietnamkrieg, Sinaikrieg und, und, und…

Der Schock, der sich unfehlbar einstellt, wenn man die Bilder aus über 130 Jahren und 35 verschiedenen Kriegen sieht, ist selbstverständlich beabsichtigt. Man kann die Ausstellung nur mit dem brennenden Wunsch „Nie wieder Krieg!“ verlassen.

Allerdings zeigen nicht all diese Bilder das wahre Gesicht des Krieges. Besonders in der Frühzeit der Fotografie nämlich gaben Schlachtenlenker die Parole „No dead bodies“ („Bloß keine Leichen“) aus, um dem Volk weiter den hehren Einsatz fürs Vaterland und siegreiches Heldentum vorgaukeln zu können.

Waren es zunächst naiv-idyllische Genre-Szenen, die man mit dem Fotoapparat herbeilog, so sollte die Illusionsmaschinerie bald zur Attacke übergehen: Regierende und Militärs erklärten die Arbeit des Kriegsfotografen zum kriegswichtigen „Wehrdienst mit der Kamera“ (man denkt unwillkürlich an den Ausdruck „ein Bild schießen“). Statt zerfetzter Leichen mußten also also z. B. stolzgeschwellte Veteranen des Krimkriegs oder auch eine pittoreske weiße Wolke vor dem Kanonenröhr abgelichtet werden, als diene der Gebrauch der Waffe einzig dem ästhetischen Vergnügen. Kriegslüstern jubelnde Soldaten und Zivilisten (Aufbruch in den 1. Weltkrieg), immer wieder von falscher Romantik triefende Bilder mit Soldatenbräuten oder zynischer Show-Glamour beim Auftritt von Front-Unterhaltern (z.B. Marilyn Monroe im Koreakrieg) gehören in verwandte Kategorien. Man erschrickt über die vielföltigen Möglichkeiten fotografischer Manipulation.

Wenn dennoch realistische Bilder gemacht wurden, bekamen die jeweiligen Zeitgenossen sie oft nicht zu Gesicht. Die Aufnahmen verschwanden in Archiven und wurden erst späteren Generationen zugänglich gemacht. In neuerer Zeit, so macht die Ausstellung deutlich, nahm die Ehrlichkeit (oder nur die Abgebrühtheit der Massenmedien und ihrer Konsumenten?) zu: Bei den schlimmsten Ereignisse waren und sind die Zeitgenossen nun „live“ dabei. Der Vietnam-Krieg war übrigens der erste, bei dem die Kamera Anklägerfunktion bekam und bewußt als „Waffe“ gegen den Krieg eingesetzt wurde.

„Bilder vom Krieg“: Kunsthalle Recklinghausen 28. August bis 20. September / Siegen (Städtische Galerie Haus Seel) 27. August bis 18. September, Katalog 29,80 DM




Kaii Higashiyama – Düsseldorf präsentiert Altmeister der japanischen Landschaftsmalerei

Von Bernd Berke

Düsseldorf. In seiner Heimat ist er eine Berühmtheit: Kaii Higashiyama, 1908 in Yokohama geborener Altmeister der japanischen Landschaftsmalerei, ist gar Träger des äußerst selten verliehenen Titels „Lebender Kulturschatz“. Von ihm stammt ein großes Wandgemälde im kaiserlichen Palast.

300 000 Besucher drängten sich auf seiner letzten großen Ausstellung in Tokyo. Zum Vergleich: Henri Matisse zog „nur“ 260 000 Japaner in seinen Bann. Seit dem vergangenen Wochenende ist – als Nachtrag zu den dortigen„Japan-Wochen“ – in der Düsseldorfer Kunsthalle eine Auswahl seiner Werke zu sehen.

Higashiyama arbeitet fast ausschließlich mit hierzulande kaum verwendeten Mineralfarben. Zerriebene Mineralien, durch besondere Verfahren „streichfähig“ gemacht, verleihen den Bildern eine ganz andere Oberflächen-Struktur als Ölfarben. Feinkörnig, zuweilen ganz leicht glitzernd, geben sie den Landschaftsmotiven etwas Magisch-Geheimnisvolles, Meditatives.

„Aussagen“ im herkömmlichen Sinne wird man diesen Naturbetrachtungen kaum abgewinnen können. Sie nähern sich der „reinen Anschauung“. Es sind menschenleere Landschaften, oft in sanftesten Schattierungen einer einzigen Farbe gestuft, Orte des stillen Nachdenkens und nicht Räume, in denen der Mensch sich ausbreitet.

„Weg“, 1950 auf Seide gemalt, zeigt eine ins Unendliche verlaufende Strecke zwischen hingehauchtem Grün. Ein „innerer Weg“, keiner, den man zu Fuß bewältigt. Farben und Lichtverhältnisse sind fahl, niemals kraftvoll oder gar plakativ. Zahlreiche Bilder zeigen Strukturen von Wurzeln oder Verzweigungen kahlen Geästs. Bleiche Monde spiegeln sich in vollständig ruhigen Wassern. Welch ein Kontrast zur Ausstellung „New York Now!“ (WR vom Samstag) in den oberen Stockwerken, mit ihren grellen und in jedem Wortsinn aufregenden Bildern.

Während Higashiyama trotz seiner Studien im Deutschland der frühen 30er Jahre deutlich in der japanischen Tradition steht, zeigen gleichzeitig ausgestellte Arbeiten von fünf jüngeren japanischen Künstlern die vorsichtige Annäherung an eine universelle „West-Kunst“.

Kaii Higashiyama, Fünf zeitgenössische Künstler aus Japan; Kunsthalle am Grabbeplatz, Düsseldorf: bis 28. August.




„Der Hang zum Gesamtkunstwerk“ – weit mehr als eine Besessenheit

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Ein ehrgeiziges Projekt macht Station in der Landeshauptstadt: „Der Hang zum Gesamtkunstwerk“, bisher lediglich in Zürich und dann nur noch in Wien zu sehen, dokumentiert ab heute in der Düsseldorfer Kunsthalle eine „Besessenheit“ europäischer Künstler in den letzten 150 Jahren: „Aufs Ganze“ zu gehen, alles zugleich ausdrücken zu wollen, universelle Utopien zu entwerfen, sämtliche Kunstformen (Dichtung, Musik, Malerei, Theater, Film, Architektur usw.) zu verschmelzen und damit in alle Bereiche des Gemeinwesens hineinzuwirken.

Der Ausstellungsmacher Harald Szeemann faßt den ohnehin kaum definierbaren Begriff des Gesamtkunstwerks (Urheber: Richard Wagner) weit: Goethes humanistisches Bildungsideal zeugt danach ebenso vom Hang zur Totale wie etwa die Anfänge des „Bauhauses“ (bevor es zur Stil-„Schule“ wurde), JosephBeuys‘ Arbeiten ebenso wie die eines Philipp Otto Runge, der das Einssein des Künstlers mit dem Universum ersehnte (Außerdem u.a.: Duchamp, d’Annunzio, C.D. Friedrich, Lissitzky, Schlemmer).

Merkwürdig genug: Der unübersehbare „Hang“ entstand, als die Künstler aus dem Mäzenatentum der Kirchen und des Hochadels „entlassen“ und ihrer Individualität überantwortet wurden. Seit dem Verlust eines einheitlichen Weltbilds also ist die Vorstellung von Gesamtkunst lebendig, sie wird somit zu einem Rettungsversuch.

„Einladung zur Meditation über die totale Freiheit“

Harry Szeemann, der dem Besucher „eine Einladung zur Meditation über die totale Freiheit“ anbieten möchte, trug eine Fülle von Beispielen für Kunst mit Totalanspruch zusammen: Zu Richard Wagner (der der Verwirklichung eines Gesamtkunstwerks immerhin nahekam), finden sich monumentale Entwürfe für Bühnenbilder und für das Bayreuther Festspielhaus. Wahlverwandt: Filmregisseur Syberberg, z. B. mit Modellen zu seinem „Hitler“-Film.

Von Robert Wilson, Großmeister des sprachlosen Theaters, sieht man Skizzen für eine Multimedia-Oper, die er in Los Angeles (Olympia ’84) ins Werk setzen will. Der Anthroposoph Rudolf Steiner ist u. a. mit Architektur-Entwürfen vertreten, Joseph Beuys mit 21 angebohrten Basaltblöcken (Titel: „Das Ende des 20. Jahrhunderts“). Walter Gropius entwarf für Erwin Piscator ein „Total-Theater“, Wladimir Tatlin für die junge Sowjetmacht einen schneckenförmig gedrehten Turm als „Monument für die III. Internationale“. Beide Projekte verblieben im Stadium der „Kopfgeburt“, wie vieles in dieser Ausstellung. Um die Entwürfe dennoch dreidimensional vor Augen zu führen, hat man eigens Modelle nach den Vorlagen gefertigt. Manches ist bereits in der Verkleinerung so monströs, erhebt einen so gebieterisch-totalitären Anspruch, daß man für die Nicht-Verwirklichung dankbar sein muß.

Anderes, so der rekonstruierte „Merzbau mit der Kathedrale erotischen Elends“ (das Original wurde 1943 im Bombenhagel zerstört), wirkt eher andächtig als aggressiv. Die Ausstellung verlangt Vorkenntnisse und ist ohne Zusatzinformationen kaum sinnvoll zu bewältigen. Da sie einen wesentlichen Aspekt der europäischen Moderne vergegenwätigt, lohnt sich der Weg an den Rhein aber unbedingt.

„Der Hang zum Gesamtkunstwerk“. Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz: bis 10. Jli, di-so 10-18 Uhr, Katalog 45 DM




Symbol des Christentums entfaltet großen Formenreichtum – Äthiopische Kreuze in Recklinghausen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Der Rhythmus hat sich eingependelt: Alle zehn Jahre wieder gibt es in der Bundesrepublik eine Ausstellung äthiopischer Volkskunst, zu der vornehmlich Holz- und Metallkreuze gehören.

1963 fand (Schirmherrschaft: Heinrich Lübke und Haile Selassie) eine solche Exposition in der Essener Villa Hügel statt, 1973 war Stuttgart an der Reihe und jetzt Recklinghausen. Ab Sonntag sind in der dortigen Kunsthalle etwa 200 kostbare Kreuze aus einer westfälischen Privatsammlung erstmals öffentlich zugänglich.

Erstaunlich, daß bei diesem, auf den ersten Blick etwas abseitigen Thema keine eintönige Ausstellung herauskam. Überraschend die Vielfalt der Kreuzformen seit dem 16. Jahrhundert, wie sie so in keinem anderen Land der Welt zu finden sein dürfte. Da gibt es Vortrage-Kreuze für Prozessionen und solche zum Umhängen, die oft die einzige Habe ihrer ehemaligen Besitzer darstellten. Gegossene Stücke finden sich ebenso in den Vitrinen wie handgeschnitzte, Messingkreuze ebenso wie Kleinode aus Silber.

Formal erinnern viele dieser Kunstwerke nur noch von ungefähr an die gängige Kreuzform. Bei einigen Objekten muß man schon genau hinsehen, um die Balken zu entdecken. Vielfach vertreten sind „geschlossene“ Kreuze in annähernd kreisförmiger Gestalt. Auch Kombinationen von christlichem Kreuz und Davidsstern kommen vor.

Die Kollektion macht deutlich, welch eigenständiges Formenspiel sich in Äthiopien vor allem dadurch entwickeln konnte, daß dieses Land seit dem 7. Jahrhundert durch islamische Gebiete von den christlichen Kernlanden Europas getrennt war. Die neuere Entwicklung wurde auch durch den Tourismus bestimmt. Äthiopier verfertigten Kreuze für ausländische Besucher und paßten sich zum Teil deren Wünschen an. Da Äthiopien seit einigen Jahren sozialistische Republik ist, nimmt man an, daß die Herstellung christlicher Symbolfiguren stark zurückgegangen ist. Immerhin will Äthiopiens Botschafter zur Ausstellungseröffnung kommen.

Der Katalog enthält den ersten wissenschaftlichen Aufsatz (Autor: Heinz Skrobucha), der in deutscher Sprache zum Thema erschienen ist.

Kunsthalle Recklinghausen: Äthiopische Kreuze. 27. Februar bis 10. April 1983. Geöffnet dienstags bis freitags 10 bis 18 Uhr, samstags, sonn- und feiertags 11 bis 17 Uhr, montags und Ostersonntag geschlossen, Ostermontag 11 bis 17 Uhr. Katalogl 5DM.




Jetzt die Hauptmahlzeit! – Umfangreiche Matisse-Ausstellung in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Autofahrer können es kaum übersehen. Als hieße so ein neuer Düsseldorfer Stadtteil, geleiten Schilder mit der Aufschrift „Matisse“ den Ortsunkundigen zur Kunsthalle am Grabbeplatz. Dem logistischen Aufwand entspricht ein nahezu sensationelles Ereignis: Noch nie war in einem deutschen Kunsttempel das Schaffen von Henri Matisse derart umfassend dokumentiert wie jetzt am Rhein.

Genau 97 Exponate sind zu sehen, Leihgaben aus aller Welt. Die Ausstellung, die 1982 in Zürich Furore machte, dürfte derzeit eine der wichtigsten überhaupt sein. Stolz verglich denn auch Kunsthallen-Direktor Jürgen Harten die Schau mit der „kleinen“ Bielefelder Matisse-Ausstellung 1981, die lediglich ein „hors d’oeuvre“ (Vorspeise) gewesen sei, während man nun in Düsseldorf die „Hauptmahlzeit“ serviere.

Nahezu alle avantgardistischen Stilrichtungen bezogen oder beriefen sich in irgendeiner Form auf Henri Matisse (1869-1954), Picasso ebenso wie die wichtigsten Vertreter der US-amerikanischen Popart. Neuerdings richtet sich wieder ein verstärktes Interesse auf die Werke des Nordfranzosen, der nun auch als früher Vorläufer einiger Tendenzen in der Ausdrucks-Malerei der „Neuen Wilden“ gehandelt wird.

Die Düsseldorfer Ausstellung ist zwar gegenüber jener in Zürich (dort wurden 119 Werke gezeigt) geschrumpft, doch hat der Zürcher Museumsdirektor Felix Baumann, der auch die Hauptarbeit bei der Zusammenstellung für Düsseldorf leistete, zum Ausgleich einige rare Werke aufgetrieben, die in der Schweiz nicht zu sehen waren. Besonders stolz ist man darauf, das „Portrait d’Auguste Pellerin“ erstmals in der Bundesrepublik der Öffentlichkeit zugänglich machen zu können. Bislang kannten allenfalls Spezialisten dieses Bild.

Ein Novum ist auch, daß die Erben von Henri Matisse Bilder für eine Ausstellung in Deutschland zur Verfügung stellten. Es ist nur zu verständlich, daß dies bisher nicht der Fall war, denn Angehörige der Familie Matisse wurden als Mitglieder der Résistance (Widerstandsbewegung) von Deutschen verhaftet. Wie Jürgen Harten, Direktor der Kunsthalle, ausführte, sei es gelungen, in Düsseldorf eine glückliche Mischung aus verschiedenen Präsentationsformen zu finden: „Die Skala reicht von Monumentalität bis zur Intimität.“ Großflächige Matisse-Werke, so etwa „La danse“ („Der Tanz“) gewinnen im weiten, offenen Raum an Wirkung. Andere Bilder wiederum, die sich dafür eignen, wurden in kleinen „Inseln“ aufgehängt.

Die Ausstellung ist ein Erlebnis, und zwar allein schon deshalb, weil man hier ohne aufwendige Auslandsreise erstmals die Entwicklung von Henri Matisse an Originalbeispielen nachvollziehen kann. Gerade sein meisterhafter Umgang mit flächigen Farbwerten nämlich kommt selbst in teuren Reproduktionen nicht annähernd zum Ausdruck.

Außerdem liegt in Düsseldorf ein Schwerpunkt auf dem bisher wenig beachteten Spätwerk aus den 1940er Jahren. Aber auch aus der frühen, impressionistischen Phase sind genügend Werke (darunter „Le jardin du Luxembourg“ von 1901/02 und „Notre-Dame“ von 1905) vertreten, so daß man sich auch hier einen Überblick verschaffen kann. Wenn man genügend Zeit mitbringt, bleibt es nicht beim Überblick. Einige Werke – mir ging es so zum Beispiel mit „Interieur mit Harmonium“ – nehmen einen länger gefangen als nur für einen flüchtigen Augenblick.

Henri Matisse. Städtische Kunsthalle Düsseldorf, Grabbeplatz. 29. Januar bis 4. April 1983. Öffnungszeiten: dienstags bis donnerstags 10 bis 18 Uhr, freitags bis sonntags 10 bis 20 Uhr; montags und am Sonntag, dem 13. Februar, geschlossen, Karfreitag und Ostern (1. bis 4. April) von 10 bis 21 Uhr. Katalog (122 Abbildungen) 40 Mark.