„Kunst und Verbrechen“: Von Räubern, Fälschern, Schmugglern, Händlern und zwielichtigen Experten

Vom Kunstmarkt vernimmt man hier nichts Gutes: Die Sitten auf diesem Gelände seien ziemlich verroht. Es gehe im Handel oft sehr intransparent zu, es fehlten wirksame Kontrollen. Häufig erfahre die Öffentlichkeit nichts über Kunst-„Entführungen“ („artnapping“), Erpressungen und Lösegeldzahlungen durch Versicherungen, bei deren Aushandlung Anwälte kräftig mitverdienen. Und das alles in den Gefilden der ach so hehren Kunst! Auf dem globalen, höchst lukrativen und vielfach irrational aus den Fugen geratenen Markt zählen kulturelle Werte freilich eh nur als begehrtes Statussignal.

Stefan Koldehoff und Tobias Timm erzählen in ihrem Buch „Kunst und Verbrechen“ zahlreiche spektakuläre Fälle nach – angefangen mit der 1911 aus dem Louvre gestohlenen „Mona Lisa“. Sogar Pablo Picasso ist damals vorübergehend in Verdacht geraten. Wie sich zwei Jahre später herausstellte, war es jedoch ein Insider-Diebstahl, begangen von einem Glaser mit Hilfe zweier Spießgesellen. Das Gerichtsurteil fiel dann übrigens recht milde aus – gerade einmal 7 Monate Gefängnis. Koldehoff und Timm finden überhaupt, dass Verbrechen mit und an der Kunst meist nicht angemessen bestraft werden. Wenn aber jemand eingesperrt wurde, konstatieren sie es zuweilen mit einer gewissen Genugtuung.

Heute geht es oft brutaler zu

Die Sache mit der Mona Lisa begab sich, folgt man diesem Buch, sozusagen noch in der guten alten Zeit des Kunstdiebstahls. Heute gehe es zumeist entschieden brutaler zu. Vielfach seien in den letzten Jahren ehemalige Soldaten aus osteuropäischen Ländern tätig geworden, die auf offener Museumsszene mit Schusswaffengebrauch drohten. Vorstellungen wie die vom Kunstliebhaber als Auftraggeber, der seine Herzenswerke im geheimen Keller nur für sich betrachten wolle, hätten hingegen nichts mit der rauen Wirklichkeit zu tun.

Fortan geht’s etwa um den Goya-Diebstahl aus der National Gallery in London von anno 1961 durch einen ehemaligen Lkw-Fahrer, der im allerersten James-Bond-Film („Dr. No“) seinen Niederschlag fand; darum, wie Werke von William Turner und C. D. Friedrich aus der Frankfurter Schirn „verschwinden“ konnten; um den Coup, bei dem jene unschätzbar wertvolle Goldmünze unlängst aus dem Berliner Bodemuseum gestohlen wurde.

Fall für Fall, Skandal für Skandal

Kurzum: Die Autoren handeln Fall für Fall und Skandal für Skandal ab, in streckenweise genüsslichen, manchmal gar zu detailreichen Ausführungen. Da dürfen wir auch schon mal erfahren, dass ein Angeklagter sein Gesicht hinter der Schrift „Wissen und Staunen“ verbarg oder bei welchen Worten des Richters einer sich selbst unwillkürlich den Nacken massiert hat. Ein beherzter Lektor hätte hie und da getrost zu Kürzungen raten dürfen. Die eine oder andere Korrektur (z. B. steht auf Seite 213 „Kaspar“ statt Kasper König) oder stilistische Glättung hätte auch nicht geschadet.

Im weiteren Fortgang des Buches werden auch etliche Fälle von Kunstfälschung aufgegriffen, geradezu notorisch bei Werken der russischen Moderne, zu denen sich besonders gut Provenienzen (Angaben zur Herkunft des Bildes) erdichten ließen. Auch waren einigermaßen talentierte Fälscher in der Lage, recht gut mit den Bildelementen dieser Kunstrichtung zu hantieren. Ein paar typische Grundformen nachgeahmt, vorsichtig variiert – und fertig war die täuschend ähnliche Schöpfung… Auch der Stil von Modigliani hat geradezu massenhaft Fälschungen nach sich gezogen.

Machenschaften von Kujau und Achenbach

Der nicht nur moralisch fragwürdige, schwunghafte Handel mit (häufig plump gefälschten) Nazi-Reliquien wird hernach ebenso aufgegriffen wie die Machenschaften des Meisterfälschers Konrad Kujau (angebliche „Hitler-Tagebücher“) oder die abenteuerlichen Geschichten um den windigen „Kunstvermittler“ Helge Achenbach, der das Vertrauen vieler steinreicher Leute hatte, aber schließlich vom Aldi-Clan (Berthold Albrecht) verklagt wurde, weil er offenbar Kaufpreise heftig zu seinen Gunsten manipuliert hatte und somit weit überhöhte Provisionen kassiert haben soll. Ferner geht es um zwielichtige Massen-Auktionen, gefälschte Bücher, Antiken-Schmuggel, Raubgräber und Geldwäsche mittels Kunstkauf. Und so weiter, beinahe ad infinitum.

Da kommt dermaßen viel kriminelle Energie zusammen, dass sich Koldehoff und Timm mehrfach bemüßigt sehen zu erwähnen, dass die weit überwiegende Mehrheit des Kunsthandels seriös zu Werke gehe. Sie reden also von den berühmt-berüchtigten „Schwarzen Schafen“. Nun ja. Nach Lektüre dieses Bandes sieht man gleichsam an jeder Ecke solche seltenen Tiere.

Kernfragen erst ganz am Schluss

Welche Verhältnisse und Strukturen den Kunstmarkt bestimmen, kommt neben all den windungsreichen Geschichten eher zwischendurch und nebenher zur Sprache. Gar zu süffig lassen sich manche Einzelheiten der Fälle nacherzählen. Da muss die eigentliche Analyse eben beiseite stehen und warten. Einige entscheidende Fragen werden tatsächlich erst ganz am Schluss gestellt, die gut und gern schon vorher explizit hätten einfließen und erwogen werden können. Aber man kann ja auch verstehen, das die vielen Recherchen nicht einfach verpuffen sollen. Also werden sie auserzählt. Auf der Zielgeraden (Seite 298) entfährt den Autoren dieser Stoßseufzer: „Es gäbe noch unendlich viele weitere solcher Geschichten zu erzählen…“ Gnade!

Jedenfalls wird im Laufe der Lektüre zunehmend klar, dass auf dem Kunstmarkt etliche Grauzonen existieren, in denen kriminelle Kumpanei und Korruption gedeihen. Gelegentlich erliegen in diesem Umfeld auch renommierte Experten der Versuchung, für allerlei Vergünstigungen zweifelhafte Echtheits-Expertisen auszustellen. Gefälligkeits-Gutachten scheinen demnach gar nicht so selten zu sein.

Noch ein bescheidener Wunsch, vielleicht für eine zweite Auflage, sofern es dazu kommen sollte: Wenn schon derart viele Fälle geschildert und so viele Personen genannt werden, warum dann eigentlich kein ausführliches Sach- und Personenregister, das den Band im Sinne eines Nachschlagewerks ungleich besser erschließen würde? Und warum nicht etwas mehr Bebilderung? War es eine reine Kostenfrage?

Stefan Koldehoff / Tobias Timm: „Kunst und Verbrechen“. Galiani Berlin. 320 Seiten. 25 Euro.




„reboot : jetzt erst recht“ – nach neun Jahren wieder zurück auf den Kunstmarkt

Als Künstler mit Ende 40 nach einer fast 9jährigen Auszeit mit Burnout-Qualität doch wieder zurück auf den »Markt«.

Kulitattoo "Jetzt erst recht"

Jetzt erst recht – Entwurf für eine Tätowierung / s/w-Foto / 18x24cm / mit schwarzem Rahmen: 28x38cm / 2017 / Preis auf Anfrage

Die alten Freundschaften zerbrochen wie die Netzwerke von damals.
Ne Ausstellung organisieren? Wie geht das nochmal? WTF Pressearbeit? Texte schreiben? Flyer machen? Plakate? Hä?
Der Autopilot funktioniert noch, stottert aber ’n bißchen.

Und überall tummeln sich eh schon die Jungen, Glücklichen, Erfolg­reichen, die Generation, die von den Eltern überall hingefahren wurde oder die Alten, die alles richtig gemacht haben und von Ausstellung zu Ausstellung zu Sammler zu Katalog zu Buch zu Besprechung in der FAZ zu Ankäufen rumgereicht werden. (Ok, die andern gibt’s auch noch.)

Selber schleppt man dieses Stigma rum, daß man zu lang weg vom Fenster war, weil man bei dem ganzen Kunstmarktscheiß nur noch kotzen mußte. Bin ich Künstler oder Verkäufer?

Irgendwann guckt man dann zum tausendsten Mal seine Sachen an und weiß, jetzt geht’s nicht mehr anders und man kann ja eh nur das und was anderes will man sowieso nicht.

Also anfangen, unbeholfen, Müll wegräumen, ständig fällt was runter, kippt um, nix klappt ohne Knirsch, man stellt sich an wie ein Depp. Trotzdem. Zurück ans Fenster. Was nutzt die beste Kunst, wennse keiner sieht?

Dann steht und hängt alles, ’n paar Leute sind auch da, ich hab mich wie ein Viertklässler durch die Begrüßungsrede und’s Künstlergespäch gewurschtelt.

Ich atme tief, guck mir das Kulitattoo auf meinem Arm an (Preis auf Anfrage) und mach mir ’n Bier auf:

reboot : jetzt erst recht
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(Text und Bild sind meine Bewerbung für den den open call »Haut zu Markte tragen« der Künstlergruppe Group Global 3000 [https://groupglobal3000.de/haut-zu-markte]
Das Foto ist/war Teil meiner Ausstellung »Thomas Scherl aka ©scherl @ Galerie Erika«, 13. – 27.7.2017, Quickborn, »Jetzt erst recht« der Arbeitstitel.
Dokumentation: https://www.facebook.com/events/102826140305647
Galerie Erika: http://www.galerie-erika.de)




„Im großen Stil“: Abgründiger Kunstmarkt-Krimi in Wien und Berlin

Der Schlaf der Vernunft, das wusste schon Goya, gebiert Ungeheuer. Zum Beispiel einen Kunstmarkt, der seltsame Blüten treibt. Da tummeln sich dubiose Händler, notorische Fälscher und gewissenlose Gefälligkeitsgutachter, dreiste Diebe, großspurige Mäzene und milliardenschwere Sammler.

Wo Kunst zur Geldmaschine wird, sind auch Gier und Neid nicht weit. Das müssen auch die Wiener Inspektorin Anna Habel und der Berliner Kommissar Thomas Bernhardt erfahren. Nachdem fast zeitgleich ein Kunstgutachter in Wien und ein Kunsthändler in Berlin ermordet werden, versinken die beiden Polizisten in einem Sumpf aus Hass und Intrige, Geldgier und Rachsucht. Denn wo „Im großen Stil“ Kunst verkauft wird, wird nicht nur gefälscht und geklaut, gelogen und betrogen, sondern auch blutig gemordet.

Biele

„Im großen Stil“ ist der vierte Fall für das vom Krimi-Duo Bielefeld & Hartlieb erfundene Polizei-Gespann Habel & Bernhardt, das auf wundersame Weise immer wieder zusammen arbeiten und kompliziert verschlungene Mordfälle in kulturellen Gefilden aufklären muss. Mal geht es um den Literaturzirkus („Auf der Strecke“), mal ums Theatermilieu („Nach dem Applaus“), mal um noblen Wein („Bis zur Neige“). Jetzt ist der kriminelle Kunstmarkt an der Reihe.

Wohin die hyperaktive Habel in Wien und der mufflige Bernhardt in Berlin auch kommen, überall begegnen ihnen neue Rätsel: Sind die Bilder, die sich in der Villa des toten Kunsthändlers finden, echt oder falsch? Und welche von den Gutachten, die der ermordete Kunstexperte verfasst hat, sind nichts als Lug und Trug?

Draußen ist der schönste Frühling, und sowohl der melancholische Zyniker Thomas Bernhardt als auch die zum sympathischen Chaos neigende Anna Habel würden gern ihren Gefühlen freien Lauf lassen, sich frisch verlieben, das Leben genießen. Doch diese Momente des kleinen privaten Glücks bleiben rar. Zu vertrackt und zu verschachtelt sind all die Fährten, Fäden und Finten, die entwirrt und entschlüsselt werden müssen. Was haben der ehemalige Stasi-Mann und die eitle Schauspiel-Diva, der süffisant lächelnde Mäzen, die von muskulösen Personenschützern umringte Kunsthändlerin und der charmante Bilder-Sammler mit den Morden zu tun?

Wer befürchtet haben könnte, die literarisch-kriminalistische Berlin-Wien-Verbindung nutze sich allmählich ab, wird angenehm überrascht. Mit ironischem Lokalkolorit, psychologischem Feingefühl und tiefem Einblick in Abgründe des Kunstbetriebs werden die (ehemaligen Literaturkritiker) Claus-Ulrich Bielefeld und Petra Hartlieb immer besser. Ihnen auf der abgründig-mörderischen Schnitzeljagd zu folgen, ist einfach ein großer, anspielungsreicher, spannender Spaß.

Bielefeld & Hartlieb: „Im großen Stil.“ Diogenes Verlag, Zürich, 416 Seiten, 14,90 Euro.




Der herrliche Kosmos des Abkupferns

Kunsthalle Karlsruhe: “Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube”

Kaum ein Thema spaltet derzeit die Intelligenzija hierzulande nachhaltiger, als die Frage nach dem Wesen und Unwesen der Kopie und des Kopierens von Kulturerzeugnissen in Zeiten des Internets. Unversöhnlich scheinen sich diejenigen gegenüberzustehen, die einerseits Angst um den Ertrag aus ihrer Musik oder ihren Texte haben, andererseits diejenigen, die für weit reichende Freiheiten des Kopierens stehen. Angefeuert nicht zuletzt durch die Erfolge der Piratenpartei.

Man hört von Filmern, Literaten und Musikern, die sich in groß angelegten Kampagnen gegen Diebstähle an geistigem Gut richten, als ob der Untergang des globalen Dorfs kurz bevor stünde. Bildende Künstler sind in dieser verzerrenden Schein-Schlacht allerdings eher in der Unterzahl. Indes spiegelt sich gerade in der Geschichte von Malerei, Plastik, Grafik etc. geradezu beispielhaft, wie die Kopie unsere visuelle Kultur von Beginn an geprägt und bereichert hat.

Es ist das Verdienst einer hervorragend strukturierten und aufbereiteten Ausstellung in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe, den aktuell etwas einseitigen Blick zu korrigieren. Eingängig und aufregend, historisch fundiert bietet die Schau Gelegenheit, den Horizont mit Blick auf das anregende Erbe künstlerischen Kopierens anhand von 120 Werken aus dem Spätmittelalter bis heute zu erweitern. “Déjà-vu. Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube” grenzt hierbei schöpferische Aneignungsverfahren vom vermeintlichen Verbrechertum der bösen “Raubkopierer” ab.

Johann Geminger: Ritter, Tod und Teufel (nach Dürer, um 1600), (c) Kunsthalle Karlsruhe

Johann Geminger: Ritter, Tod und Teufel (nach Dürer, um 1600), Öl/Holz, (c) Kunsthalle Karlsruhe

Die Ausstellung hebt an mit einer wunderbar sinnigen Fotoarbeit von Claudia Angelmaier. Das zwei Meter breite Tableau “Das große Rasenstück, 2004/2008″ zeigt Albrecht Dürers ikonenhaftes Aquarell auf ganz besondere Weise. Die 1972 geborene Künstlerin hat sich ein Dutzend Kunstbücher, in denen das legendäre Blatt abgedruckt ist, vorgeknöpft und diese zu einer kleinen Schausammlung in zwei Reihen zu sechs Buchdoppelseiten arrangiert und abgelichtet. Die Bücher überlappen einander derart, dass die Abbildungen, recht nahe beieinander liegend, zum Vergleich anregen. Mit dem Ergebnis deutlich sichtbarer Unterschiede nicht nur im Format, sondern vor allem hinsichtlich der Druckfarben. Das mahnt die Unmöglichkeit eines Ersatzes von Originalen mit Reproduktionen an und verweist gleichfalls auf den aktuellen Schwachsinnsstreit, den sich GEMA und YouTube liefern: Die kleinen Flash-Filmchen sind Surrogate fürs Kino beispielsweise – und nicht mehr. Ihre Qualität ist relativ und gibt den Eindruck des Originals kaum hinreichend wieder.

Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel, Kupferstich, 1513, (c) Kunsthalle Karlsruhe

Das Original: Albrecht Dürer: Ritter, Tod und Teufel, Kupferstich, 1513, (c) Kunsthalle Karlsruhe

 

A propos Dürer. Das Werk des fränkischen Superstars der deutschen Renaissance durchzieht beinahe die gesamte Ausstellung. Nicht ohne Grund, denn er markiert die neuzeitliche Auffassung eines Originalitätsbegriffs, der merkantile Faktoren und die Genese des Künstlersubjekts als Schöpfer impliziert und zum Vorschein bringt. Im Mittelalter sah das ganz anders aus. Kopien firmierten zu dieser Zeit als Garanten für stimmige Ikonografien. Außerdem tradierten Musterbücher gelungene Werke und gewährleisteten auf diese Weise ästhetische Orientierung. Die Kopie war demgemäß nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie diente eben nicht der monetären Bereicherung. Sie fungierte als Medium der Überlieferung von Qualität und Ehrerbietung gleichermaßen.

Das ändert sich in Dürers Zeit. Er selbst, dessen vor allem druckgrafisches Werk in der Ausstellung mit wunderbaren Beispielen von Medientransfers Auskunft über je unterschiedliche Formen der ästhetischen Wertschätzung gibt, lobte das Kopieren als Mittel zur Erkenntnis von Güte. Andererseits verwehrte er sich dem Ideenklau. 1511 beschimpfte er Kopisten als Diebe und Betrüger. Der Nürnberger Rat ging 1512 gegen das unerlaubte Verwenden seines Monogramms vor. In der zweiten Abteilung hängen zwei Ölgemälde eines bekannten Motivs: “Ritter, Tod und Teufel”, ein Kupferstich aus dem Jahr 1513. Übertragen hat es einerseits ein anonymer Meister, andererseits ein Johann Geminger. Beide Bilder entstanden um 1600 und sind letztlich Interpretationen. Geminger vergrößerte die Darstellung ins Tafelbildformat. Und es bereitet schlicht Freude, die drei Bilder auch hinsichtlich der verschiedenen Wirkungen von Grafik und Malerei miteinander zu vergleichen.

Dürers Papierarbeiten als Schnitzwerk, Glasmalerei oder schlicht in der druckgrafischen Reproduktion mehrerer Stecher im direkten Vergleich beobachten zu können, mag nach übertriebener Pädagogik klingen. Jedoch ist die Argumentation der Ausstellung und die historische Aufarbeitung des Begriffswandels zwingend und den Werken direkt anzusehen. Endlich einmal eine Schau, die nicht nur plausibel und deutlich ihre Inhalte in den Ausstellungsräumen organisiert und mit knappen wie pointierten Saaltexten das Verstehen der je verschiedenen Konnotationen von Kopie in den Zeitläuften erlaubt, sondern überdies noch eine, die einen umfassenden Beitrag zur bislang nur partiell geschriebenen Kunstgeschichte des Kopierens offeriert.

Diesen entbergenden und Augen öffnenden Kosmos an Werken durchhaucht der Geist der Etymologie, denn das lateinische “copia” meint “Fülle”, “Mittel”, “Wohlstand”, “Vermögen”, “Fähigkeit”, “Möglichkeit”, “Gelegenheit” oder “Vorrat” und nicht etwa “Verbrechen” oder “Diebstahl”. Nachvollziehbar wird jene Auffassung im Werkstattbild. Pieter Breugel d. J. kopierte mehrfach das Gemälde “Anbetung der Könige im Schnee”, das aus der Hand seines Vaters stammte. Drei seiner Repliken sind in Karlsruhe zu sehen. Mal fehlt der Schnee, dann sieht man beispielsweise die unbeholfene Umsetzung des Eislochs im Kanal. Das alles sind Einladungen zum vergleichenden Sehen. Und es wird erkennbar, dass bestimmte Motive einfach Hits zu ihrer jeweiligen Zeit waren und gerade in den sehr spezifizierten bürgerlichen Märkten der Niederlande ganz unbedarfterweise kommerziellen Erfolg garantierten.

Von Rubens, der das Kopieren streng überwachte und auch Reproduktionsstiche nur an ausgewählte Grafiker übertrug, weiß man, dass eine eigenhändige Kopie ein Drittel bis maximal 50 Prozent des Originalbildes erbrachte. Und nicht jeder, der eine wollte, bekam eine. Erst der Adel, dann der Rest. Selbst im Falle einer abgekupferten Komposition.

In der großen Zeit der Akademien, ging es darum, dem Original so nahe zu kommen, dass man als Schüler die Meisterschaft eines kanonisierten Juwels quasi durch die eigenen Hände nachvollziehen lernte. Amüsante Petitessen bietet die Ausstellung ferner auf. Beispielsweise einen Teil des “Prehnschen Kabinetts” von 1780 bis 1824, ein Holzkasten mit 24 Miniaturen. Diese Minimuseen zeigen zumeist keine direkten Kopien von originalen Meisterwerken, sondern entstanden oft nach Druckgrafiken. Außerdem interpretierten die beteiligten Maler stilistische Eindrücke auf dieses puppenstubenhafte Medium hin. Der gesamte Umfang beträgt 32 Kästen mit 800 Miniaturen, die Themen und Motive aus verschiedenen Jahrhunderten und Geografien wiedergeben: Eine einzigartige Kunstliebhaberei bringt sich zum Ausdruck.

In Bildern nach Frans Hals sieht man die Entwicklung der schmackhaften Pinselführung Lovis Corinths. Hier und auch bei Max Beckmann mutiert die Kopie zum Beschleuniger und Medium der künstlerischen Innovation. Bis dann im späten 20. Jahrhundert die Kopie als künstlerisches Prinzip zu einer oft verwendeten Ausdrucksform wurde. In den Jahren der Appropriation Art, die konzeptuell die Kopie zur Schleifung der Bastion namens Genie einsetzte, entwickelten Künstler die Entgrenzung des Bildes bei Entwertung materieller Faktoren wie Leinwand, Farbe oder Form. Elaine Sturtevant, die beispielhaft für diesen Modus der Aneignung gelten kann, sagte einmal über ihre Arbeit: “Es ist eine Kunst, welche die Verführung der Oberfläche wiederholt und im Prozess der Wiederholung auflöst, um dem wirklich Wichtigen Platz zu machen, dem Denken.” Sturtevants Interpretation von Andy Warhols “Flowers” (1969/70) ist demgemäß in Karlsruhe präsent. Und es ist erstaunlich, dass Mr. All is Pretty die Wiederverwendung seiner Originalsiebe durch die 1930 geborene Künstlerin gestattete. Ob das heute noch denkbar wäre?

Aber auch diese Weise der Erweiterung des künstlerischen Potenzials der Kopie stellt nicht das Ende dar. Erstaunlich ist die Vielfalt, die heutzutage möglich ist. Klaus Mosettigs Bleistiftzeichnungen des Action-Paintings “Lavender Mist” von Jackson Pollock sind mehr als nur akribische Nachahmungen. Sie verlagern den Blick auf Prozessualität und Zeit. Dass auf YouTube oder Flickr künstlerische Laien etwa Cindy Sherman imitieren, rückt nach der Faszination an der Geschichte der Kopie wieder den Alltag von heute in den Blick.

Zum jetzigen Zeitpunkt ist es für viele Bürger schließlich schwer nachzuvollziehen, was erlaubt und was verboten ist. Die Gesellschaft steht vielleicht vor einem Paradigmenwechsel. Bei der Einschätzung dessen, was als Kopie verstanden werden soll, bereichert die Karlsruher Schau den Diskurs erheblich. Sicher ist nicht das massenhafte, illegale Brennen von CDs, Software oder Hollywood-Streifen gemeint, ein Verfahren, auf das bestverdienende Unterhaltungskünstler wie Mario Adorf, Sven Regener oder Charlotte Roche das Spektrum der Kopie verengen wollen. Interessanterweise kaprizieren sich die halbwegs intelligenten Aneignungen von Laien auf recht komplexe Arbeiten. Siehe Cindy Sherman und ihre “Untitled Film Stills”. Das schärft auch den Blick auf tatsächliche intellektuelle Güte und entlarvt so manchen, der sich als “Künstler” gegen das Kopieren verwehrt, lediglich als Schacherer. Diesen Kandidaten kann man nur die Ausstellung ans Herz legen, damit sich vielleicht ein kontrollierterer Sprachgebrauch in Sachen Kopie durchsetzt.

Begleitet wird das Projekt, das in Kooperation mit der Hochschule für Gestaltung entstand, von einem exzellenten Katalog, der neben einer eingängigen Einführung von Ariane Mensger (S. 30-45) auch mit den derzeit rechtlichen Fragestellungen (Thomas Dreier: Original und Kopie im rechtlichen Bildregime, S. 146-155)) auseinander setzt. Außerdem kann sich der Interessent umfangreich in der Ausstellung “Hirschfaktor – Die Kunst des Zitierens” im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM, bis 10.2.2013) über die vielfältigen künstlerischen Verwendungsweisen von Zitat und Kopie informieren. Übrigens gibt es aufgrund der Zusammenarbeit beider Häuser bis zum 5.8. jeweils einen ermäßigten Eintritt bei Erwerb eines Kombitickets.

Kunsthalle Karlsruhe: “Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube”, bis 5. August 2012, Eintritt 8 Euro, 6 Euro erm., 2 Euro Schüler, 16 Euro Familien, Di-Fr 10 – 17 Uhr, Sa, So, feiertags 10 – 18 Uhr, www.kunsthalle-karlsruhe.de, Hans-Thoma-Straße 2-6, 76133 Karlsruhe




Kunstvoll Geld verdienen

In Zeiten wie diesen kommen viele Anleger auf die Idee, ihr Geld zu Kunst zu machen. Kurzfristige Gewinne erzielt damit jedoch vor allem eine Gruppe – die der Berater. Einer Szene auf der Spur.

Die "Lesende" von Gerhard Richter, dem teuersten deutschen Künstler.

Kann man sich leisten: Die "Lesende" von Gerhard Richter als Postkarte. Bringt aber kein Geld.

November 2011. Ein abstraktes Bild von Gerhard Richter erzielt bei einer Auktion von Sotheby’s in New York 15 Millionen Euro, fast doppelt so viel wie erwartet. Ein Monat zuvor kam bei Christie’s eines seiner Kerzen-Gemälde unter den Hammer – für 12 Millionen Euro. Gerhard Richter ist 79, und er malt noch immer. Fast jedes Bild, das sein Atelier verlässt, wird seinen Galeristen aus den Händen gerissen. Wohl dem, der einen Richter hat – doch jetzt Richter kaufen?

Wie anders erging es damals Pablo Picasso. Erst zwei Jahrzehnte nach seinem Tod konnte sich die Kunstwelt mit seinem Spätwerk anfreunden. Doch auf dem Kunstmarkt ist Picasso keine sichere Bank: Mal erreichen seine Werke Rekord-Ergebnisse wie im vergangenen Jahr, als ein Käufer für das Ölgemälde „Nackte, Grüne Blätter und Büste“ 106 Millionen Dollar ausgab. Mal zählt er zu den Ladenhütern, wie bei einer Auktion in diesem November.

„Viele glauben, wenn ich einen Picasso habe, habe ich immer ein gutes Bild. Das ist aber nicht so. Es gibt gute und schlechte Picassos, auch nicht so gut verkäufliche. Wir beraten unsere Kunden, dass sie das richtige Bild zu einem realistischen Preis kaufen“, sagt Dr. Stefan Horsthemke. Auch zum derzeit teuersten deutschen Maler hat er eine Meinung: „Die Preise für Richter sind auf einem sehr hohen Niveau. Als Invest würden wir das nur empfehlen, wenn es einem wirklich gut gefällt.“

Es ist offenbar leicht, Geld zu Kunst zu machen, aber eine Kunst für sich, sein Vermögen mit Kunst zu mehren. Dr. Stefan Horsthemke ist kein Künstler. Doch die Kunst, mit Kunst zu verdienen, beherrscht er gut. Kein Wunder nach einem passgenauen Studium der Betriebswirtschaftslehre mit Schwerpunkt Kulturmanagement und der Kunstgeschichte, inklusive Dissertation („Das Bild im Bild in der italienischen Malerei“). Erfahrungen mit dem Kunstmarkt sammelte der Kunsthistoriker bei der AXA Art – er versicherte die Werke, bei deren Ver- und Ankauf er nun hilft, bewertete und beriet zahlreiche Privatsammlungen. Nebenbei baute er seine eigene Sammlung zeitgenössischer Kunst auf. Nun hat Horsthemke gemeinsam mit dem Düsseldorfer Kunst-Berater Helge Achenbach und der ältesten deutschen Privatbank, der Berenberg-Bank, die „Berenberg Art Advice“ gegründet. Ein eigenständiges Unternehmen, das sich nicht nur dem Aufbau und der Verwaltung von Sammlungen sowie der Kunstberatung verschrieben hat, sondern das Kunden auch dabei unterstützt, ihr Geld in Öl auf Leinwand zu investieren – und Kapital aus der Kunst zu schlagen. Ein genialer Schachzug für alle Beteiligten. Das prall gefüllte Adressbuchvon Kunstberater Achenbach, der, wie er in einem Interview verriet, seit 15 Jahren nicht mehr akquirieren muss, wurde noch angereichert durch die Sammler-Kontakte Horsthemkes und die Abwicklungsmöglichkeiten über eine Privatbank.

Immobilienblasen können platzen, Aktienbörsen zusammenbrechen, Währungen wertlos werden. Ein Bild bleibt dagegen ein Bild. Auch wenn die Finanzwelt verrückt spielt – mit einem Kunstwerk hat man nicht nur ästhetischen oder dekorativen Mehrwert, sondern besitzt ein Stückchen Kunstgeschichte. Man holt sich die Aura des Originals ins Haus. Und so beantworten Reiche und Superreiche die Frage „Wohin mit dem Geld?“ zunehmend mit „Kunst“. Der internationale Kunstmarkt hat aktuell ein Volumen von 20 Milliarden Euro, in Boom-Jahren wie 2010 können es auch schon mal 43 Milliarden sein. „Das liegt auch daran, dass der Markt internationaler geworden ist, immer mehr Sammler kommen aus Asien, vor allem aus China“, sagt Horsthemke.

Horsthemke spricht mit ruhiger, sonorer Stimme. Seine goldenen Manschettenknöpfe blitzen auf, wenn er während des Gesprächs kurz E-Mails auf dem iPad checkt oder das Klingeln seines iPhones unterdrückt. Die beiden Geräte wirken seltsam aus der Zeit gefallen in dem dunkel-gediegenen Konferenzraum der Stadtvilla direkt am Rhein mit ihrem schmiedeeisernen Gitter und dem Kamera-Auge am Eingang. Seine sorgfältig gegelten grauen Haare und die markante schwarze Brille lassen den 46-Jährigen nicht nur jünger wirken, sondern für einen gebürtigen Westfalen auch ziemlich düsseldorferisch. Wenn Horsthemke unterschreibt, wird daraus eher eine Zeichnung denn eine Signatur. Das ist vermutlich angemessen, wenn man seinen Namen unter Millionen schwere Transaktionen setzen muss.

Leztens hatte er fast wieder so einen Fall. Ein Kunsthändler sprach Stefan Horsthemke an. Er wollte einen Picasso zurückkaufen, den Horsthemke ihm vor zwei Jahren im Auftrag eines Kunden abgekauft hatte. Auf 2,5 Millionen Euro hatte man sich damals geeinigt – ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis, fand Horsthemke. Und er hatte recht: Mittlerweile könnte der Kunsthändler das Bild für bedeutend mehr Geld verkaufen. Er bot Horsthemke 3,8 Millionen für das Bild. Horsthemke sprach mit seinem Kunden, dem damaligen Käufer. Eine Rendite von über 50 Prozent in zwei Jahren – ein Traum, sollte man meinen, auch wenn man die hohen Transaktionskosten von 10, bei Auktionshäusern bis zu 35 Prozent berücksichtigt. Doch der Picasso-Besitzer wollte sich nicht trennen. „Seine Liebe zu dem Bild ist gewachsen“, sagt Horsthemke, „ursprünglich hatte der Mann mit Kunst wenig am Hut und wollte nur sein Geld sinnvoll anlegen.“ Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Anleger zum Sammler wird.

Ein betriebswirtschaftlich irrationales Verhalten – und doch ein für diesen Markt typisches. Der Kunstmarkt ist noch unberechenbarer als andere Märkte, was nicht nur am unkalkulierbaren Verhalten der Marktteilnehmer liegt. Anders als bei Aktien oder Immobilien lässt sich der Wert von Kunst nur begrenzt kalkulieren. Und da ist sie wieder, die Frage aller Fragen: Was ist gute, qualitätvolle Kunst? Was ist Kunst wert?

Fragt man Stefan Horsthemke danach, dann klingt alles ganz logisch und transparent. Horsthemke redet von „Art Evaluation Process“ und „Due-Diligence-Prüfung“, einem Verfahren, mit dem man vor einem Kauf verborgene Risiken aufspüren und die Qualität prüfen kann. „Im Falle der Kunst schauen wir, wo das Werk herkommt und wie häufig es bereits gehandelt wurde, wie stark es restauriert wurde, ob es gefälscht sein könnte, und welche Preise es auf dem Kunstmarkt erzielt hat.“ Neulich etwa habe ein Kunde ein bestimmtes Gemälde von Ernst Ludwig Kirchner im Auge gehabt und um Beratung vor dem Kauf gebeten. Es zeigte sich, dass bei einer älteren Restaurierung Leinwand und Farbschicht des Bildes in Acrylharz getränkt wurden. Die schlechte Restaurierung ließ sich nicht mehr rückgängig machen. „Dadurch war das Bild wertlos geworden“, so Horsthemke, „es kommt für viele Käufer nun nicht mehr in Frage, auch wenn es motivisch interessant ist.“ Natürlich riet er vom Kauf ab.

Doch was, wenn Bilder weder gefälscht noch beschädigt sind? Wie kommt man rechtzeitig dahinter, dass Bilder aller Schaffensperioden von Gerhard Richter Summen erbringen, die der Künstler selbst „unverständlich, albern, unangenehm“ nennt?

Man kann es nur vermuten – also spekulieren. „In der Tate Modern in London läuft eine Richter-Ausstellung, die demnächst nach Berlin kommt, und er wird nächstes Jahr 80 Jahre alt – solche Faktoren spielen in die Bewertung hinein“, sagt Horsthemke, „für viele ist Richter ein zweiter Picasso.“ Aber niemand kann garantieren, das Richter an seinem 107. oder 122. Geburtstag von den Zeitgenossen noch ebenso geschätzt werden wird. Letztlich kann keine noch so gute Qualitätsprüfung die Wertentwicklung vorhersehen. Es ist der Markt, der den Rang eines Kunstwerkes bestimmt, und nicht das Werk selbst. Sobald es jemanden gibt, der bereit ist, Geld auszugeben, steigt der Wert. Ein einfacher Mechanismus.

Wenn man Stefan Horsthemke glauben darf, dann ist er glücklich darüber, dass der Millionen schwere Picasso-Rückkauf nicht zustande kam. „Eine Kunstinvestition“, sagt er, „ist für uns eine langfristige, konservative Anlage und kein kurzfristiges Spekulationsobjekt.“ Man sollte nur kaufen, was zu einem passt und einem gefällt, findet er, und es mindestens fünf, besser zehn Jahre halten – am liebsten noch länger. Kunstwerke, die Berenberg Art Advice als Geldanlage empfiehlt, haben alle eines gemein: Sie entstanden vor 1945. Ihre Schöpfer sind tot, ihr Stellenwert auf dem Kunstmarkt ist geklärt. „Wenn man die wichtigen, großen Künstler nimmt, die in Museen und Sammlungen vertreten sind, und auf gute Qualität achtet, kann man wenig falsch machen“, sagt Horsthemke. Große Wertverluste sind dann ebenso wenig zu erwarten wie große Steigerungen: Mal steht Renaissance-Künstlern eine Renaissance bevor, weil die Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Berliner Bode-Museum das Interesse neu entfacht. Mal sind es die Impressionisten, die wieder im Interesse steigen. Natürlich muss man für Kunst dieser Kategorie tiefer in die Tasche greifen. Die Kunden von Berenberg Art Advice können das. Ihre Kunden investieren mindestens 100.000 Euro jährlich in Kunst. Zwischen fünf und zehn Prozent des Verkaufspreises landen als Beratungsgebühr bei Berenberg Art Advice.

Immer mehr Kunden wollen jedoch etwas anderes. Sie sind auf der Suche nach junger, zeitgenössischer Kunst, nach dem ultimativen Geheim-Tipp, der sich top entwickeln wird. „Ich werde das sehr oft gefragt, auch von Künstlern selbst“, sagt Horsthemke und schaut sehr ernst durch seine schwarze Brille. „ Kunstspekulationen sind für uns ein No-Go-Thema. Damit macht man Kunst zur Ware und zerstört jungen Künstlern den Markt.“ Beispiele dafür gebe es genug, seit Christie’s und Sotheby’s vor 15 Jahren damit begonnen hätten, auch sehr junge zeitgenössische Kunst zu versteigern. Zu viele Künstler seien zu früh auf dem so genannten zweiten Markt, dem Auktionsmarkt, gehandelt worden, anstatt nach und nach über Galerien ihre Weg in Sammlungen zu finden.

Kunst als Ware – ist das nicht die Basis des Geschäftsprinzips von Berenberg Art Advice? Diesen Umstand möglichst auszublenden, ist noch so eine Eigenheit der Akteure auf dem Kunstmarkt. Auch Horsthemke spricht lieber davon, wie glücklich das Sammeln von Kunst macht, welche Lebensfreude es bringe und wie wichtig die richtige Vermittlung von Kunst sei.

Viele Künstler sind da längst einen Schritt weiter. Jeff Koons oder Damien Hirst spielen mit den Mechanismen und Funktionsweisen des Marktes, der Flirt – wenn nicht gar der Beischlaf – mit Markt und Kommerz ist zu ihrem Markenzeichen geworden. Damit stehen sie in der Tradition Andy Warhols, der bewusst die Grenzen zwischen Kunst und Kommerz verwischte, und das weit über seinen Tod hinaus: Nie war er so teuer wie heute, was vor allem an den Absprachen der größten Warhol-Sammler untereinander liegt.

Wer sehr viel Geld in Kunst investieren will, dem raten Horsthemke und seine Kompagnons nicht zu Warhol, sondern eher dazu, sich an Ankäufen großer, teurer Werken zu beteiligen, die anschließend zum Beispiel an Museen ausgeliehen werden. Allerdings ist man auch dann vor bösen Überraschungen nicht gefeit. In Dortmund schrubbte unlängst eine Putzfrau Martin Kippenbergers Installation „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ kaputt. Das Werk war die Leihgabe eines anonymen Sammlers und ist nun irreversibel beschädigt. Dass die Versicherungssumme 800.000 Euro beträgt – ein für die kunstferne Öffentlichkeit unglaublicher Betrag angesichts des mageren Materialwertes aus einigen Brettern und einer rostigen Wanne – dürfte den Leihgeber kaum trösten, zumal die Installation nach Ansicht Horsthemkes stark unterbewertet war.

 

Der Text erschien zuerst in der Dezember-Ausgabe des NRW-Kulturmagazins K.West.




Mehr „junge“ Galerien auf dem Markt der Kunst – Heute beginnt in Köln die „Art Cologne“

Von Bernd Berke

Köln. Haben Sie zufällig 165 000 Mark übrig? Dafür könnte man, auf dem heute beginnenden Kölner Kunstmarkt, gerade mal ein kleines Nebenwerkchen (sprich: Gouache-Arbeit) von Max Ernst erstehen. Für weniger pralle Geldbeutel hält die „Art Cologne“ zwar auch Stücke ab etwa 100 DM bereit, doch das sind natürlich keine hehren Originale, sondern Abzüge von Auflagenwerken, noch dazu von unbekannten Künstlern.

Als „solide“ bezeichnete Gerhard F. Reinz, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Galerien e. V. (Veranstalter der Messe) das Preisgefüge. Dem kann man (mit einem kräftigen Schuß Ironie) nur beipflichten.

Ähnlich wie die Frankfurter Buchmesse, wächst auch die „Art Cologne“, der wohl größte Kunstmarkt der Welt, beständig. 267 Galerien aus 19 Ländem nehmen heuer teil, rund 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Ausstellungsfläche wurde sogar um etwa 30 Prozent vergrößert, Halle 5 des Kölner Messegeländes wird erstmals einbezogen. Effekt: Es sind mehr „junge“ Galerien dabei, nicht nur die alljährlichen Stammgäste. Man hofft, daß diese „Jungen“ die Nase mehr in den Wind neuester Trends halten.

Selbstverständlich spielen die neuen Bundesländer auch auf dem Kunstmarkt eine Rolle. Immerhin schon vier Privatgalerien der ehemaligen DDR sind vertreten; nicht mit den allerletzten Novitäten der Szene, dafür aber mit – wenn der erste Eindruck nicht trügt – ausgereifteren, durchdachteren Programmen als so mancher West-Anbieter. An deren Ständen regiert oft fröhlicher Pluralismus oder, negativ ausgedrückt: bunte Beliebigkeit. Die Präsenz ostdeutscher Galerien ist übrigens höchst ratsam, sonst bemächtigt sich der westliche Handel der nennenswerten Ost-Kunst womöglich noch begieriger, als dies schon der Fall ist.

Auch Sonderschau und Benefiz-Veranstaltung sind diesmal einem ostdeutschen Institut gewidmet, nämlich dem Kupferstichkabinett Dresden. Dessen erster frei gewählter Leiter, Dr. Werner Schmidt, schilderte mit Galgenhumor, wie er zu SED-Zeiten in Dresden insgeheim Blätter von mißliebigen Künstlern gesammelt habe, z. B. schon ab 1965 Bilder des heute berühmten A. R. Penck, als der noch seinen bürgerlichen Namen Ralf Winkler trug.

Wenn wir schon einmal bei Künstlernamen sind, darf die „Hitliste“ jener, die von den meisten Galerien vertreten werden, nicht fehlen: Platz eins belegt unangefochten Joseph Beuys, von dem gleich 19 Galerien Arbeiten im Programm haben. Es folgen Imi Knoebel, Arnulf Rainer, besagter A. R. Penck, Bernard Schultze und Georg Baselitz „auf den Plätzen“.

Bei Gelegenheit der gestrigen Eröffnungs-Pressekonferenz nannte Verbandsvorsitzender Reinz auch einige kulturpolitische Wünsche der Galeristen. So monierte er das erst kürzlich im Bundestag verabschiedete Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz, dessen Bestimmungen teilweise gegen den Datenschutz verstießen. Außerdem mahnte Reinz ein „Verfassungsbekenntnis zur Kultur“ sowie die Einrichtung eines Kulturausschusses im nächsten Bundestag an.

„Art Cologne“. Internationaler Kunstmarkt. Köln.Deutz, Messegelände. 15. bis 21. November, täglich 11 bis 20 Uhr. Tageskarte 12, Dauerkarte 30 DM. Messekatalog 30 DM.




Erstaunlicher Boom für Museen und Kunstmarkt – WR-Serie: Bilanz der 80er Jahre

Von Bernd Berke

Dortmund. Die Jahrzehnt-Bilanz der bildenden Kunst wäre unvollständig ohne einen Blick auf Museumslandschaft und Markt. Knappste Formel: Bei den Museen gab es einen Bau- und Besucher-Boom, auf dem Kunstmarkt einen Preis-Boom.

Viele Großstädte haben sich, auch im Sinne indirekter Wirtschaftsförderung, in den 80er Jahren ganze Museumszeilen oder Kunst-Viertel zugelegt; allen voran Frankfurt, die Stadt mit dem üppigsten Kulturetat der Republik. Köln imponierte mit dem Museum Wallraf-Richartz/Ludwig, Düsseldorf bekam den Neubau für die „Kunstsammlung NRW“. Auch zwischen Duisburg und Dortmund entstand praktisch in jeder Kommune ein neues Kunst-Domizil. Freilich bleiben Wünsche offen. So wartet Dortmund weiter auf einen Neubau für das Ostwall-Museum.

Die rege Bautätigkeit hat auch Orte der südwestfälischen „Provinz“ attraktiver gemacht. So erhielt Lüdenscheid ein ansehnliches Museum. Überhaupt darf man nicht vergessen, was sich da im Sauerland getan hat: Die Städtische Galerie Lüdenscheid oder auch das Hagener Osthaus-Museum verzeichneten in den letzten Jahren deutliche Aufwärtsentwicklungen. Wo in Lüdenscheid vor allem beharrliche Arbeit an einem Konzept abseits der Modeströmungen beeindruckte, war es in Hagen der belebende Schwung, mit dem der neue Museumschef antrat. Auch konnte man in Hagen (wie in Dortmund) den Sammlungsbestand durch Stiftungen wesentlich erweitern. Und auch das Cappenberger Schloß hat sich just in den 80er Jahren als gute Ausstellungsadresse etabliert.

Den großen Museen drohen auch schon Gefahren: Die Besucherströme waren manchmal kaum noch zu kanalisieren. Nicht wenige fürchten angesichts des Massenandrangs um den Bestand der Kunstwerke. Schadensträchtige Transporte durch alle Welt tun ein übriges. Tötet der „Betrieb“ die Kunst?

Alle Museumsleute klagen zu recht über ihre Ankaufsetats. Viele begeben sich notgedrungen auf die Suche nach Sponsoren. Die jeweils ca. 91 Mio. DM, die für Bilder von Van Gogh und Picasso gezahlt wurden, sind ja nur die Spitze des Eisbergs. Selbst Werke lebender Künstler bewegen sich mittlerweile in irrationalen, unerschwinglichen Preis-Regionen. Welche Kunsthalle heißt schon „Getty-Museum“ und kann da mithalten?

Sammler und Mäzene alten Schlages gibt es kaum noch. Statt dessen hat in den 80ern endgültig der Investor die Auktions-Bühne betreten, dem es nicht mehr auf die Kunst, sondem auf den Kitzel großer Zahlen ankommt. So herrschen denn Börsen-Gesetze, und manche Experten sagen auch hier schon einen „Schwarzen Freitag“ voraus.

Apropos Kunstmarkt: Auch die Künstler der DDR, bislang gegängelt, aber im Falle des Wohlverhaltens rundum abgesichert, werden sich – nach den rasanten Veränderungen in ihrem Land – wohl oder übel den Marktgesetzen beugen müssen. Wie die Kunstgeschichte lehrt, bedeutet das Segen und Fluch zugleich. Befreiung und Ausgesetzt-Sein liegen da dicht beieinander.

Übrigens haben wir allen Anlaß, uns künftig nicht mehr nur auf „Westkunst“ zu konzentrieren, sondern unseren Blick auf die Kunst Osteuropas zu richten. Allzu lange haben wir sie – teilweise erklärbar durch die Unsäglichkeiten des nun wohl „erledigten“ Sozialistischen Realismus – aus den Augen verloren.

(Wird fortgesetzt mit einem Theater-Rückblick)




Ikonenmuseum in Recklinghausen – die größte Sammlung der westlichen Welt

Von Bernd Berke

Das Jesuskind liegt nicht im Stall, sondern in einer dunklen Höhle. Statt in eine liebliche Landschaft blicken wir auf ein zerklüftetes Felsmassiv. Die Jungfrau Maria beugt sich nicht über Christus, sondern liegt, dem Betrachter zugewandt, malerisch hingestreckt. Josef hat der Szenerie sogar ganz den Rücken zugekehrt.

Josef spricht mit einer Gestalt im blauen Fellgewand. Theologen und Kunsthistoriker vermuten, daß diese Figur einen Versucher darstellt, der in Josef Zweifel an dem Vorgang der Jungfrauengeburt entweder wecken oder bestärken will.

Das Bild widerspricht nicht von ungefähr unserer gewohnten Vorstellung vom Geschehen in der Heiligen Nacht. Es handelt sich nämlich um eine Ikone, also um ein Andachtsbild, das am Ende des 16. Jahrhunderts in Griechenland entstanden ist und heute im Ikonen-Museum Recklinghausen hängt. Dort befindet sich die größte Ikonensammlung der ganzen westlichen Welt.

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Die Madonna ist eine Fälschung

Eva Haustein sieht es sofort: „Kein Zweifel. Das ist eine Fälschung!“ Und das, obwohl die Ikone, die ein Bekannter im Jugoslawien-Urlaub gekauft hat, erst seit Sekunden auf ihrem Tisch liegt. Die 500 DM, die der Leichtgläubige dafür berappt hat, waren hinausgeworfenes Geld. Die Expertin erkennt gleich: „Das ist ein ganz bekanntes Motiv. Aber der Kopist hat die Engel in beiden oberen Ecken vergessen.“ Außerdem hat er sich nicht die Mühe gemacht, mehrere Farbschichten aufzutragen. Ein Kratzer mit dem Fingernagel, und schon ist es vorbei mit der Herrlichkeit. Das blanke Holz scheint unmittelbar durch. Und mit dem steht es denn auch nicht zum besten. Eva Haustein: „Je älter und vergammelter das Holz aussieht, desto verdächtiger. Echte Ikonentafeln sind meistens relativ gut erhalten.“

Eva Haustein weiß, wovon sie spricht. Die 31-Jährige ist Leiterin des Ikonenmuseums Recklinghausen und damit „Herrin“ über die größte Ikonensammlung der gesamten westlichen Welt. Über die Entstehung dieser Einrichtung hat sich eine hartnäckige Anekdote gehalten: Als 1955 in Recklinghausen die Ratsentscheidung über die Einrichtung eines Ikonenmuseums anstand, konnten sämtliche Parteien aus voller Seele zustimmen. Freilich jede aus ureigenen Gründen: Die CDUCDU, weil es um christliche Güter ging; die SPD, weil diese Kunst von breiten Volksschichten ausgeübt wurde; die FDP, weil es sich um Wertanlagen handelte – und die damals noch im Rat vertretene KPD, weil die meisten Ikonen aus der „ruhmreichen Sowjetunion“ stammten. So jedenfalls will es die Anekdote.

Wie auch immer. Dem „Gründervater“ des Museums, Thomas Grochowiak (70), war Erfolg beschieden. Seit dem Sommer 1956 gibt es in der Stadt der Ruhrfestspiele das Ikonenmuseum. Es beherbergt heute rund 700 Exponate. Das älteste Bild stammt von ca. 1300 n. Chr. Die Besucher (rund 12 000 im Jahr) kommen oft aus den Niederlanden, aber auch aus dem Ostblock. Begonnen hatte alles mit der vergleichsweise bescheidenen Ausstellung einer Privatsammlung. Bescheiden war übrigens auch die Ausstattung des Museumsetats in den letzten Jahren. Geld für Neuankäufe gab es nicht mehr, und für die wissenschaftliche Betreuung der Sammlung ist nur noch eine Halbtagsstelle vorgesehen.

Finanzkraft aber ist vonnöten – auch für den privaten Ikonensammler. Lohnt es sich eigentlich, Ikonen zu sammeln? Eva Haustein ist skeptisch. Der Einstieg sei heute nur noch bedingt empfehlenswert. Die wirklich kostbaren Stücke befinden sich längst in festen Händen. Auf dem Markt sind fast nur Exemplare aus dem 19. Jahrhundert, und die stellen meist keine besonders attraktive Wertanlage dar.

Sowjetunion hat ein striktes Ausfuhrverbot verhängt

Über ältere Ikonen hat die Sowjetunion, ehedem „Hauptlieferant“ mit den Zentren Kiew, Nowgorod und Moskau, ein striktes Ausfuhrverbot verhängt. Nach der Oktoberrevolution hatte man noch, wenn sie nicht gleich zerstört wurde, die verhaßte Christenkund „mit Kußhand“ außer Landes gehen lassen. Mittlerweile haben die Sowjets auch auf diesem Gebiet entdeckt, welch großes kullurelie Erbe es zu hüten gilt. Die Folgen sind mitunter drastisch: Vor wenigen Jahren etwa bekam ein Matrose, der auf dem Seeweg Ikonen herausschmuggeln wollte, eine hohe Haftstrafe.

Ikonen jüngeren Datums sind deshalb mit Vorsicht zu genießen, weil es seit langem ganze „Maldörfer“ gibt, die die Bilder für Touristengleichsam am Fließband produzieren – der eine malt nur Heiligenscheine, der zweite fügt Engel hinzu – und so fort. Nicht eben hochwertig ist auch die Ware, die in sowjetischen Devisenläden für harte Westwährung verhökert wird. Da nützt auch das beigefügte „Zertifikat“ des Kultusministers wenig.

Kein Wunder, daß die Preise für wirklich alte Ikonen in schwindelnde Höhen geklettert sind. .Unter 100 000 DM ist da nichts mehr zu machen. Auch für gute Stücke aus dem 19. Jahrhundert werden Beträge um 3000 bis 6000 DM verlangt.

Ikonen-Museum, Kirchplatz 2 a, 4350 Recklinghausen. Öffnungszeiten: di-fr 10 bis 18 Uhr, samstags, sonn- und feiertags 11 bis 17 Uhr, montags geschlossen, 1. Weihnachtsfeiertag geschlossen. Eintrittspreis für Erwachsene 2 DM, Führungen für Gruppen über 15 Personen nach Vereinbarung (Tel.: 02361/58 73 96)

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Erschienen in der Rundschau-Wochenendbeilage vom 22. Dezember 1984.




Geld bewegt den Kunstbetrieb: Mäzene und Besitzer machten 1983 die meisten Schlagzeilen

Auch 1983 hatte der Kunstbetrieb oft mehr mit „Betrieb“ als mit Kunst zu tun. Nicht so sehr um Stilrichtungen und Werke drehte sich das Medienkarussell, als vielmehr um Mäzene und Erlöse.

Einer der Höhepunkte war die Ersteigerung des Evangeliars Heinrichs des Löwen für satte 32,5 Millionen DM am 7. Dezember bei Sotheby’s in London. Ob und wieviel die Welfen dabei mitkassieren, wird diskret verschwiegen. Der Verdacht, daß mit knappen öffentlichen Geldern ein marodes Fürstenhaus saniert wird, drängt sich auf.

Offener liegen die Vorgänge um Watteaus Rokoko-Gemälde „Einschiffung nach Cythera“ zutage. Als Hohenzollern-Prinz Louis Ferdinand für das Liebesinsel-Bild stolze 15 Millionen DM verlangte, widrigenfalls das Bild außerhalb Berlins verkauft werden könne, löste das eine Spendenwelle aus. Just zu Weihnachten waren 5 Mio. DM beisammen, so daß der Bund und Berlin jeweils mit dem gleichen Betrag als Retter beispringen können.

Nicht nur adelige Kunstbesitzer, auch bürgerliche Mäzene machten von sich reden. Der Aachener Schoko-Fabrikant Peter Ludwig veräußerte im März eine Kollektion mittelalterlicher Handschriften ans steinreiche Getty-Museum in Malibu/Kalifornien. Kölner Museumsleute fielen aus allen Wolken, hatten sie doch den Verkaufswert durch wissenschaftliche Bearbeitung gesteigert und fest damit rechnet, die Sammlung in der Domstadt halten zu können.

Günstiger scheint sich unterdessen die Liaison zwischen Lothar Günter Buchheim und Duisburg zu entwickeln. Der Stadtrat beschloß, dem Lehmbruck-Museum einen 11-Millionen-Bau anzugliedern, der für die Buchheimsche Expressionisten-Sammlung bestimmt ist – Pilgerstätte für Kunstliebhaber, aber auch ein zu Lebzeiten errichtetes Monument für den Stifter…

Im Revier war es ein Jahr der neuen Museen

Duisburg kommt 1986 dran, aber schon 1983 war ein denkwürdiges Jahr, was Museen im Revier betrifft: Das Museum Bochum eröffnete im Oktober einen Erweiterungsbau, in Essen wachsen Folkwang- und Ruhrland-Museum Zug um Zug, in Dortmund wurde am 26. November das Museum für Kunst und Kulturgeschichte eingeweiht. In Köln wehte der Richtkranz über dem Neubau des Wallraf-Richartz/Ludwig-Museums, Wuppertal hob ein Technikmuseum aus der Taufe – Keimzelle für ein „Historisches Zentrum“.

1983 war zwar ein Jahr der Museen, weniger ein Jahr der weltbewegenden Ausstellungen. In NRW dürften in Düsseldorf (das im Kunstmarkt-Gerangel Köln unterlag) noch die gewichtigsten präsentiert worden sein: im Januar die Matisse-Retrospektive, im Mai der voluminöse „Hang zum Gesamtkunstwerk“, im Dezember die Picasso-Skulpturen. Doch auch das Westfälische Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte in Münster wartete mit bemerkenswerten Ausstellungen auf, u.a. mit der „Tunis-Reise“ von Macke, Klee und Moilliet, die allein über 100000 Besucher anzog. Das Museum Folkwang in Essen setzte mit Erich Heckel und der „Sammlung FER“ erneut Maßstäbe fürs Revier.

Wenn denn überhaupt Trends auszumachen sind, so vielleicht – als Gegenbewegang zur mehr national gewichteten Strömung der „Neuen Wilden“ – eine Rückbesinnung auf die USA als Hauptland neuester Kunst. Die Düsseldorfer Kunsthalle zeigte „New York Now“, das Rheinische Landesmuseum in Bonn „Back to the USA“.

Auf den nationalen bzw. regionalen Aspekt heben zwei Großprojekte ab, die für 1984 angekündigt werden. Unter Regie der Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine wachsen im Sommer 46 Städte zu einer „Kunstlandschaft Bundesrepublik“ zusammen, in der jede Region ihr Eigengewicht behält. Elitärer gibt sich die von einem finanziell wohlbestallten Düsseldorfer Verein geplante „Neue Deutsche Kunst“, mit der man im Herbst ’84 in Düsseldorf ausschließlich deutsche Spitzenleistungen vorführen will.

Auf nationale Elite scheint sich auch Bundesinnenminister Zimmermann zu kaprizieren. Was er beim Film mit neuen Förderungsrichtlinien zu verhunzen droht, hat – stimmen die Befürchtungen von Museumsexperten – Entsprechungen: Bundeskunsthalle raus, Gedenktempel nach Walhalla-Art rein.

Bleibt die Hoffnung, daß Kunst und Künstler sich nicht vereinnahmen lassen und standhaft bleiben – wie der „Zürcher Sprayer“ Harald Nägeli, der weiter mit seiner Auslieferung an die Schweiz rechnen muß und (gottlob) eine Dozentenstelle in Wiesbaden ablehnte.




Sinkt das Interesse an großen Museen?

Von Bernd Berke

Münster. Die großen Museen, etwa in Köln, München und Berlin, verzeichnen sinkende Besucherzahlen, die kleinen und mittelgroßen Institute holen auf. Das sind die Trends, die sich in der (noch nicht abgeschlossenen) Statistik für 1982 deutlich abzeichnen.

Vertreter des Deutschen Museumbundes (DMB), dessen Jahrestagung gestern in Münster zu Ende ging, sprachen in diesem Zusammenhang von einem „Rückgang aufs normale Maß“ und nannten als mögliche Gründe für die Einbußen das Fehlen besonders spektakulärer Ausstellungen sowie die in der Rezession immer öfter geübte Praxis, dort Eintrittsgelder zu erheben, wo es bislang Museumskultur „zum Nulltarif“ gab. Auch sonst stand die Tagung zum großen Teil im unheilschwangeren Zeichen der Finanzmisere.

Dr. Christoph B. Rüger (46), Direktor des Rheinischen Landesmuseums Bonn und frischgebackener Vorsitzender des Deutschen Museumsbundes (der 636 „Vollmitglieder“ vertritt), beklagte vor allem die Auswirkungen des neuen Künstler-Sozialversicherungsgesetzes. Die Paragraphen schreiben vor, daß fünf Prozent der Ankaufsummen für Objekte lebender Deutscher Künstler an deren Sozialfonds abzuführen sind. Rüger: „Damit werden die ohnehin schon knappen Mittel für den Kunstankauf nochmals verkürzt“. Zwar sei eine solide Absicherung der Künstler wichtig, doch dürfe sie nicht auf Kosten der Ankaufsetats gehen. „Die öffentlichen Haushalte müssen unsere Etats entsprechend aufstocken“, forderte Rüger.

Fast schon selbstverständlich: Auch das Thema „Veräußerung von Magazinbeständen“ spielte bei der Tagung wieder eine überragende Rolle. Während Galeristenverbände auf eine „Belebung des Marktes“ hoffen, wenn Angestaubtes aus den Kellern der Musentempel geholt und feilgeboten wird, wehren sich die Museumsleiter beharrlich gegen diese Art der Etataufbesserung. Hauptargument: In den Tiefen der Magazine schlummere vieles, was dereinst wiederentdeckt und für kommende Generationen wichtig werden könne. Zum Teil würden die Magazine auch jetzt schon „aktiviert“, indem große Museen Leihgaben an kleinere aus diesem Fundus bestritten. Schließlich koste auch die marktgerechte Erfassung und Aufbereitung der „Keller-Kultur“ horrende Summen, so daß gar nicht viel Profit für die Museen abfallen würde. Christoph Rüger an die Adresse der privaten Galeristen: „Außerdem sind wir nicht dazu da, einen Berufsstand zu versorgen.“

Eine in Münster diskutierte Initiative des Museumsbundes kündigte dessen neuer stellvertretender Vorsitzender, Prof. Siegfried Rietschel (Karlsruhe), an: Man wolle verstärkt die Leiter der räumlich beengten Universitäts-Sammlungen beraten. Leider „vergammelten“ viele der dort aufbewahrten Schätze. Auf diesem Gebiet verschenke manche Hochschule eine Chance, sich der Öffentlichkeit freundlicher zu präsentieren.