Geschichtenerzähler im Videokabinett – Kunstsammlung NRW präsentiert den britischen Künstler Isaac Julien

Isaac Juliens Zehnkanalinstallation „Lessons of The Hour“ über den ehemaligen Sklaven, Freiheitkämpfer und Fotografen Frederick Douglass. (Foto: Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Achim Kukulies)

Überall Videos. Abgedunkelte Räume voll von unterschiedlich großen Projektionsflächen, auf denen in bunten Farben Bewegtbilder ablaufen. Alles sehr ordentlich, professionell und, ja, so kann man durchaus sagen: schön. Natürlich ordnet sich der überwältigende erste Eindruck zügig, die realen Räume sind eben auch Themenräume, in denen auf drei, fünf, zehn Bildflächen, je nachdem, Geschichten erzählt werden.

Große Werkschau

Der Schöpfer dieser Arbeiten, den Videokünstler zu nennen es nur zum Teil trifft, ist Isaac Julien, Jahrgang 1960, Brite, Documenta- und Biennale-Teilnehmer und für sein künstlerisches Schaffen bereits hoch geehrt. Zu sehen sind nun elf Video-Installationen sowie eine Reihe von Fotografien in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, im K21, dem Haus für das Zeitgenössische, das früher mal den Landtag beherbergte.

Videokünstler, Filmemacher, Fotograf: Isaac Julien (Foto: Theirry Bal/Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen)

Schwarz und schwul

Seit Julien in den frühen 80er Jahren, mit Amateurvideo-, 8- und 16-Millimetermaterial zunächst, zu arbeiten begann, sind „schwarz“ und „schwul“ zentrale Motive. Von Anfang an ist da der Zorn über die ungerechten Verhältnisse. „Who Killed Colin Roach?“ aus dem Jahr 1983 etwa thematisiert den Mord an einem Farbigen vor einem Londoner Polizeirevier, „Territories“ (1984) Erfahrungen junger farbiger Frauen in England, und der Titel des Zehnminüters „This Is Not An AIDS Advertisement“ (1987) ist quasi selbsterklärend. „Western Union: Small Boats“ (2007) erzählt von afrikanischer Migration, verwebt die Dokumentation auf unerhörte Weise mit einer Tanzperformance Russell Maliphants. Altchinesische Mythen wiederum und die zu Anfang des 20. Jahrhunderts glamouröse Filmstadt Shanghai sind Thema von „Ten Thousand Waves“ (2010), werden thematisch in Zusammenhang gebracht mit dem tragischen Tod von chinesischen Wanderarbeitern in England. Es gibt der Themen etliche mehr.

Harlem Renaissance: Szene aus „Looking For Langston“ von 1989 (Foto: Isaac Julien, Courtesy the artist and Victoria Miro/Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen)

Geschichte

Seit dem Ende der 80er Jahre, jedenfalls vermittelt die Düsseldorfer Schau diesen Eindruck, verlagert sich Juliens Interesse stärker hin zu historischen Themen. „Looking for Langston“ (1989), ein zwischen schwelgerischer Reinszenierung, Spielhandlung und eleganter Erotik meisterlich changierendes Werk in Schwarzweiß, thematisiert die „Harlem Renaissance“, die selbstbewußte Manifestation schwarzen homosexuellen Lebens in den 20er Jahren. „Ein wichtiger Beitrag zur Erforschung schwarzen, queeren Begehrens“ ist „Looking…“ laut Pressetext, „die wichtigste Arbeit der Ausstellung“ in den Worten von Kuratorin Doris Krystof.

Sklave, Freiheitskämpfer, Fotograf

Auch das üppigste Werk der Schau hat ein historisches Thema. „Lessons of The Hour“ (2019) – 10 Bildkanäle, Surroundsound, knapp eine halbe Stunde lang – portraitiert Leben und Werk des ehemaligen Sklaven Frederick Douglass, der sich selbst befreite und zum Freiheitskämpfer wurde. Douglass befaßte sich intensiv mit Fotografie, schrieb über sie, gilt überdies „als die meistfotografierte Persönlichkeit in den USA im 19. Jahrhundert“. „Der moralische und soziale Einfluß des Bildermachens“, noch einmal sei mit diesem Terminus der Pressetext zitiert, hat Isaac Julien in seinem eigenen Schaffen tief und nachhaltig motiviert. Und das Video (wenn man es denn doch einmal so nennen darf): schöne Bilder aus einer versunkenen Zeit, lange Kleider, Samt und Seide. Bilder gerade so, wie sie seinerzeit in den Fotoateliers entstanden.

In einem Fotoatelier des 19. Jahrhunderts; Szene und Still aus „Lessons of The Hour“ von 2019 (Foto: Isaac Julien, Courtesy the artist and Victoria Miro/Kunstsammlung Nodrhein-Westfalen)

Bildergalerie

Vier Stunden 35 Minuten braucht man, um alle in Düsseldorf gezeigten Filme vollständig anzuschauen. Aber dazu muß man sich schon zwingen, denn die Gleichzeitigkeit vieler Bildbotschaften nebeneinander vermittelt einen paradoxen Eindruck von Bewegungslosigkeit, von Gemäldeausstellung mithin. Das scheint ein wenig auch gewollt zu sein, ähnelt die Bildpräsentation doch sehr jener der brasilianischen Architektin und Designerin Lina Bo Bardi, die in von ihr geplanten Museumsbauten Alte Meister gerade so im Raum platzierte wie Isaac Julien in seinen Ausstellungen die Videoflächen. „Lina Bo Bardi – A Marvellous Entanglement“ (2019) heißt sein Film über sie, der übrigens nur über drei Videoflächen läuft.

Freiheit bedeutet, keine Furcht zu haben

Je länger man in der Schau verweilt, im Untergeschoß des K21, desto mehr verflüchtigt sich der Eindruck von „Oberflächlichkeit“ (ich stelle das mal in Tüttelchen, um keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen), den die formal makellose, technisch aufwendige Präsentation zunächst hervorgerufen hatte. In der zeitgenössischen Kunstproduktion begegnet man einem gewissen Mißverhältnis zwischen Aufwand und Botschaft häufiger, da hat sich beim Betrachter vielleicht eine falsche Erwartungshaltung herausgebildet. Isaac Julien jedenfalls erzählt ganze Geschichten, die trotz ihrer Opulenz nur zu einem Teil über die Videowand laufen und ihre Ergänzungen in den Köpfen der Betrachter finden. Und vielleicht erzählt er auch nur eine Geschichte. „I’ll tell you what freedom is to me. No fear” zitiert er die amerikanische Jazz-Sängerin und Bürgerrechtsaktivistin Nina Simone. Aus ihrem Satz ist der Titel der Ausstellung, die vor Düsseldorf übrigens in der Londoner Tate-Gallery zu sehen war, abgeleitet.

  • „Isaac Julien. What Freedom Is To Me“
  • Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, K21, Ständehaus, Ständehausstr. 1
  • Bis 14. Januar 2024
  • Geöffnet Di-So 11-18 Uhr
  • www.kunstsammlung.de
  • Katalog 207 Seiten, 46 €

 




Ein Schwabe sorgt für Kunstgenuß in Dortmund – Secessions-Bilder aus Rolf Deyhles Sammlung

Von Bernd Berke

Dortmund. Großer Tusch zur Dreifach-Premiere in Dortmund: Das Museum für Kunst- und Kulturgeschichte ist gewachsen; der Unternehmer Rolf Deyhle präsentiert erstmals seine Sammlung in unseren Breiten; die neue Dortmunder „Kultur und Projekte GmbH“ debütiert.

Atem holen und der Reihe nach: Das Museum an der Hansastraße öffnet sich nun auch in Richtung Bahnhof. Bedeutsam auch der Flächenzuwachs um 1000 qm, verteilt auf drei Räume, die – ohne architektonische Mätzchen – sich ganz in den Dienst der Kunst stellen. Damit verglichen, darbt das Ostwall-Museum. An der Hansastraße leitet Wolfgang Weick nunmehr das (teu)erste Haus am Platze.

Klar, daß man diesen Anbau nicht mit einer x-beliebigen Schau eröffnen konnte. Glücksfälle häuften sich, so daß man nun die neuen Hallen mit „Robert Breyer und die Berliner Secession“ würdig bestücken kann. Und das kam so: Der Stuttgarter Unternehmer Rolf Deyhle betreibt u. a. die „Stella Musical GbmH“, die in Bochum den „Starlight Express“ rollen läßt. Just deshalb ist er auch Mitglied im hochkarätigen Sponsorenring „Initiativkreis Ruhrgebiet“. Dort hat er viel Kontakt mit Prof. Jürgen Gramke vom Kommunalverband Ruhrgebiet. Der wiederum sorgte dafür, daß Deyhle sich für einen Dortmund-Abstecher jener Schau erwärmte, die auch noch in die USA und nach Japan wandert. Gesponsert wird die Tour von der Autofirma mit dem Stern.

Im Kontext von Liebermann, Corinth und Slevogt

Deyhle sammelt seit 30 Jahren Kunst. Inzwischen ist sein Domizil mit rund 2000 Bildern randvoll. Ganz im Stillen hat er eine der bedeutendsten deutschen Privatsammlungen zusammengetragen. Schwerpunkt: Künstler aus dem deutschen Südwesten. Doch die Kollektion ist nicht etwa provinziell. Rund um den aus Schwaben stammenden Sezessions-Maler Robert Breyer (1866-1941) gruppierte Deyhle dessen berühmte Mitstreiter: Max Liebermann, Wilhelm Trübner, Max Slevogt, Lovis Corinth, dazu – etwas außer der Reihe – Carl Hofer, Max Beckmann, Käthe Kollwitz.

Aus diesem prominenten Pulk ragen Breyers Bilder nicht hervor, sie werden aber aufgewertet. Auch bekanntere Künstler hatten eben ihre schwachen Stunden – und Breyer hatte seine starken. Die Sezession, ausgehend von München und kulminierend in Berlin, war die künstlerische Opposition gegen das Kaiserreich Wilhelms II. und dessen starre Akademiekunst. Vorbild waren Frankreichs Impressionisten.

Die Ausstellung ist nach Themen gegliedert: Porträts, Stilleben, „Garten und Park“, „Erotik und Exotik“ usw. Breyers Stärke sind Porträts und Atelier-Szenen. Vor allem die höchst eleganten Porträts lassen ahnen, daß Breyer aus begütertem Hause stammte. Das war auch sein Manko, denn er mußte nie „um sein Brot“ malen. So kam es wohl, daß er sehr bald in seiner Entwicklung stehenblieb und auch ziemlich Unsägliches malte – wie jene „Tauzieher“ von 1889. Dennoch kann man in dieser Anstellung schwelgen – im „Türkischen Bad“ (1903) ebenso wie in der „Atelierszene mit Frauen“ (1929).

Sammler Deyhle sprach gestern mit leiser Ironie vom „Hunger“, den seine Kollektion erregen könne. Aus den Zuhörerreihen kam der scherzhafte Zuruf: „Wir haben angebissen.“ Doch Dortmund, so Deyhle zur WR, kann sich nicht die größten Chancen auf Dauerleihgaben ausrechnen. Sinnvoll sei es, so Deyhle, seine Sammlung dereinst in Baden-Württemberg anzusiedeln. Immerhin: Dortmunds Museumsleiter Weick ist Schwabe – wie Deyhle. Da redet sich’s leichter miteinander.

„Robert Breyer und die Berliner Secession“. Museum für Kunst- und Kulturgeschichte, Königswall/Hansastraße. Ab sofort bis 20. September. Di.- So. 10-18 Uhr. Katalog 38 DM.




Demut vor dem Herrn der Bilder

Von Bernd Berke

Der Mann vom Fernsehen kommt als Bittgänger. Man sieht, wie er sich per Sprechanlge anmeldet und dann schaudernd das hochherrschaftliche Tor passieren darf. „Baron, wo fühlen Sie sich zu Hause?“, fragt der ergebene Gerd Kairat den Kunstsammler Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza nach dessen LiebImgs-Anwesen. Nur den devoten Kratzfuß hat er vergessen.

Die Ministerpräsidenten Rau und Späth, Innenminister Zimmermann, Schweizer, Spanier und US-Amerikaner – sie alle hoffen, beim „Rennen“ um Thyssen-Bornemiszas unschätzbar wertvolle Kunst-Stiftung vorn zu liegen. Laut Ansage-Blendwerk war Gerd Kairat angetreten, mit der mitternächtlichen Sendung „Der .Baron und seine Bilder“ (ARD) den „neuesten Stand“ des Wettlaufs zu referieren. Doch man hätte einen Reporter nach Lugano schicken sollen, keinen Schwarmgeist, der in Demutshaltung den kostbaren Bildbesitz des Barons durchkämmt, ohne deutlich zu machen, welche Werke denn eigentlich „zu haben“ sind.

Der Kriechgang durch die Kunst-Gemächer des Barons geriet zum Klippschul-Kurs in Kunstgeschichte – mit banalsten „Erkenntnissen“ in vorgestanzter Sprache. Auch handwerklich stimmte nicht viel: Die fuchtelnde Hand des Fragenden geriet öfter ins Bild; mal sprach er aus dem Off, dann war er urplötzlich wieder zu sehen.

Ebenso konfus waren manche Schnittfolgen (z. B. von der Tafel des Barons und seiner Frau direkt auf Picassos „Harlekin“). Und die Meisterwerke von Dürer bis Nolde wurden von der Kamera meist so lieblos abgetastet, wie man ohne Appetit in einem Essen stochert. Da verging einem der „Hunger nach Bildern“.

Überdies konnte man den Eindruck bekommen, daß die Thyssen-Dynastie nie etwas mit Fabriken oder Politik, sondem – über Generationen hinweg – immer nur mit hehrer Kunst zu tun hatte. Zum aktuellen Kern stieß Kairat erst Minuten vor Schluß vor. Der Baron stellte klar, daß er die Bilder nur zur IIälfte herschenke, der Rest müsse teuer erkauft werden. Wer den Zuschlag erhalten wird. verriet er natürlich nicht.