Inseln der Kunst im Sauerland – Rundfahrt zu aktuellen Ausstellungen in Arnsberg, Lüdenscheid und Schwerte

Von Bernd Berke

Arnsberg/Lüdenscheid/Schwerte. Sage niemand, daß es im Sauerland keine interessanten Ausstellungen gebe. Nur sind hier die zeitlichen und örtlichen Zwischenräume etwas größer als im Ruhrgebiet oder gar in Köln. In Südwestfalen sind es eben Inseln der Kunst. Ein paar Beispiele:

Der rührige Kunstverein Arnsberg, beflügelt auch von der Konkurrenz durch die mäzenatisch betriebene Stadtgalerie im nahen Sundern, zeigt derzeit großformatige Bilder des in Köln lebenden Klaus G. Gaida (geb. 1950). Der Ausstellungstitel „Erdrandbewohner“ bezieht sich selbstverständlich nicht aufs Sauerland, sondern auf Feuerland. Dort hat der Forscher Martin Gusinde um 1918 Sitten und Gebräuche eines bald darauf (durch Masern) ausgestorbenen Indianervolkes fotografisch festgehalten. Diese Dokumente dienten Gaida als Vorlagen. Man sieht phantastische Wesen wie von anderen Sternen, zu strengen Haltungen erstarrte Rituale der Geisterbeschwörung.

Ritual wie beim Fußballteam

Nach striktem Farbschema hat der Künstler diesen so ganz eigenen Menschen-Kosmos mit Kalkfarben und Sand-„Nestern“ auf Textilunterlagen gebannt. Als Mitteleuropäer sucht man nach vertrauten Mustern – und meint eines gefunden zu haben, wenn man z. B. eine Indianer-Gruppe aufgestellt sieht wie eine Fußballelf zum Meisterschaftsfoto. Doch damit sitzen wir bereits dem vorgeprägten Blick auf, den deutsche Fotograf arrangiert hat und den Gaida weitergibt. Vertraute Form, höchst fremdartiger Inhalt – eine irritierende Wechselwirkung.

Weiter geht’s: nach Lüdenscheid. Fast 60 Kilometer sind es von Arnsberg aus über die kurvige B 229. Lüdenscheid kann mit dem schmucken Städtischen Museum, der Stadtgalerie und dem Kulturzentrum schon als Sammelpunkt gelten. Für Kontinuität und Konzepte bürgt Uwe Obier, der jetzt Arbeiten des Lüdenscheiders Heinz Richter (geb. 1924 in Berlin) präsentiert. Die Schau beschließt eine geschichtlich zentrierte Erinnerungs-Trilogie. Der Titel („Steinzeit“) lässt sich beziehen auf kriegerische Ausbrüche, die immer wieder vorzeitlich anmuten. In redlicher Absicht, doch gelegentlich allzu plakativ, warnt Richter vor Neonazis und einer schrecklichen Wiederkunft von „Stalingrad“, wobei er auch auf Skizzen zurückgreift, die er nach dem 2. Weltkrieg angefertigt hat. Besonders im Gefolge des Golfkrieges (1991) hat ihn das Kriegsthema gepackt.

Bekenntnisse auf einem Tuch

Da fordert er auch schon mal flammende Bekenntnisse gegen Gewalt ein, die der Besucher in einer Flügelaltar-Installation per Unterschrift auf einem langen Tuch bekunden soll. Andererseits taucht Richter auf Farbwolken-Bildern in unbewußte oder mythische Regionen und findet mit Metall-Durchbrüchen innigere Bilder der Gewalt.

Einige hundert Meter weiter befindet sich jene Galerie Friebe, die die rigorosen Jury-Maßstäbe der Kölner Kunstmesse „Art Cologne“ erfüllt. Hier sind nun Arbeiten des renommierten Münsteraner Kunstprofessors Joachim Bandau (geb. 1936) zu sehen. Es ist eine sparsam, jedoch überlegt getroffene Auswahl. Die kleinen Wandplastiken aus patiniertem Blei oder Kupfer, in rhythmischer Folge angebracht, offenbaren ihre formalen Qualitäten bei geduldiger Betrachtung. Ähnliches gilt für die „Schwarz-Aquarelle“, die unaufdringlich mit sanften Überlagerungen, Übergängen und Schattierungen spielen.

In Richtung Dortmund empfiehlt sich ein Abstecher nach Schwerte, dem – je nach Blickrichtung – Vorposten des Reviers oder des Sauerlands. Auch der dortige Kunstverein genießt überregionalen Ruf.

Schichten der Erinnerung

Im stattlichen neuen Domizil zeigt man gegenstandsfreie Bilder des Belgiers Ivan Popovic. Die Auswahl umfaßt vor allem eine Serie von „Mauerbildern“. Diese sind schichtweise aufgebaut und ähneln Hauswänden oder eben Mauerstücken, von denen der Putz abgeplatzt ist wie nach einer großen Regenzeit. Die Verwitterung legt dem Betrachter Erinnerung an Vergangenes nahe. Zuweilen eincollagierte alte Briefe mit nicht mehr gebräuchlichen Schriften verbreitern diesen Zugangsweg. Doch auch der frisch-kalkige Duft der Bilder lenkt die Wahrnehmung. Subtile Kunst im Spannungsfeld von Graffiti und politischen Mauerstürzen.

  • Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24: Klaus G. Gaida „Erdrandbewohner“. Bis 12. März. Mi.-Fr. 17-19. So. 11-13 Uhr (Tel.: [029 31] 2 11 22).
  • Museen der Stadt Lüdenscheid, Sauerfelder Str. 14: Heinz Richter „Steinzeit“. Bis 26. Februar. Di-So 11-18 Uhr. [023 51] 17 14 96).
  • Galerie Friebe. Lüdenscheid, Parkstraße 54. Joachim Bandau. Bis 10. März. Mo.-Fr.10-12 und 16-18 Uhr. Tel.: [02351] 3 89 24).
  • Kunstverein Schwerte, Kötterbachstraße 2. Ivan Popovic. Bis 3. März. Di.-Fr. 16-19 Uhr [02304] 22175).

 




Gesichter und geheime Kräfte des Gesteins

Von Bernd Berke

Arnsberg. Vorwiegend steinig geht es jetzt im Arnsberger Kunstverein zu. Wenn man mitten in der neuen Ausstellung steht, hat man vor sich eine steinerne, nur auf den ersten Blick unscheinbare Bodenskulptur von Ulrich Rückriem.

Seitwärts sieht man ein vierteiliges Großfoto in Schwarzweiß. Die Hamburger Künstlerin Claudia Rahayel, 1957 im Libanon geboren, hat sich mit der Kamera im Steinbruch bei Anröchte umgetan. Ein- und dieselbe Ansicht des zerklüfteten Bruchs findet sich nun viermal gegeneinander gedreht und gespiegelt. Da kehrt das Gestein sein „Gesicht“, ja, seine Fratzen hervor.

Wendet sich der Besucher um, erhält er den Durchblick aufs Original: Anröchter Dolomit, aus dem Rahayel eine dynamisch ausladende, schrundig-schalenförmige Skulptur gebaut hat. Auch hier öffnet sich der Stein, gibt Kräfte seines bewegten Innenlebens preis.

Dritter im Bunde ist Eckhard Karnauke, gleichfalls Jahrgang 1957 und wie Rahayel ein Schüler des vierfachen documenta-Teilnehmers Rückriem. Eine seiner Foto-Arbeiten hängt gleich am Eingang: eine formal ausgetüftelte Abfolge ernster, konzentrierter Gesichter, unterbrochen von annähernd kopfförmigen schwarzen Scheiben auf Spiegeln. Es ist Nebensache, daß es sich um Gesichter von Galeriebesuchen handelt. Man kommt jedenfalls nicht umhin, diese andächtigen Mienen sogleich wahrzunehmen – als passende Einstimmung auf diese stille Ausstellung, die im letzten Raum mit meditativen Stein-Zeichnungen von Rückriem endet.

Der Name Ulrich Rückriem ist in Arnsberg immer noch ein Reizwort. 1987 gab es einen heftigen Gesinnungsstreit zwischen Kunst- und Heimatverein. Es ging um eine Steinskulptur, die der renommierte Rückriem auf einen Innenstadtplatz stellen sollte. Doch daraus wurde nichts, denn die „Heimatlichen“ blieben abgeneigt – und brachten die Mehrheit hinter sich.

Heute erhebt sich an der bewußten Stelle der gläserne Aufzugsschacht einer Tiefgarage. Ganz gleich, wie man zu Rückriem steht: Sein Werk wäre gewiß ein Zeichen gewesen, was man von dem Schacht nicht behaupten kann.

Insofern ist es eine winzige Provokation des Kunstvereins, wenn nun Rückriem in Arnsberg präsentiert wird. Doch die Herausforderung hält sich in Grenzen, denn die Arbeiten befinden sich ja nun wohlverwahrt im Hause statt auf offener Straße.

Kunstverein Arnsberg: Eckhard Karnauke, Claudia Rahayel, Ulrich Rückriem. Königstraße 24. (02331) 2 11 22. Bis 23. August. Mi-Fr. 17-19 Uhr, So 11-13 Uhr.




Kaltes Weltall und Leben im Stillstand – Fotoarbeiten von Thomas Ruff im Kunstverein Arnsberg

Von Bernd Berke

Arnsberg. Auf den Fotos von Thomas Ruff scheinen Leben und Bewegung zu gefrieren. Eine Bilderserie zeigt Ausschnitte von seltsam gestrigen Wohnungs-Interieurs. Da ist der mit Nippes vollgestopfte Schrank: angestaubtes Hochzeitsbild, Spitzendeckchen, Figur eines sich aufbäumenden Pferdes – zu Erinnerungen geronnene, liebevoll bewahrte und dennoch schon verwischte Lebensspuren.

Ein anderes Ruff-Foto zeigt verblaßte Kinderbilder auf grauslich-altmodischer Tapete. Man kann auf die ganze Wohnung schließen. Die Kinder sind außer Haus, es herrscht Stille und Einsamkeit, doch wohl auch Beschirmung vor hektischer Gegenwart.

Es ist dies denn auch eine Ausstellung im Arnsberger Kunstverein, die auf den ersten Blick fast klösterliche Stille ausstrahlt. Sinnfällig wird dies anhand der wandfüllenden Porträts. Ohne besondere Vorbereitung lichtet Ruff Bekannte und Freunde ab, als sollten nur notdürftige Paßbilder angefertigt werden. Doch dann vergrößert er die frontal aufgenommenen Gesiebter ins Riesenhafte (Standardgröße: 1,65 m Breite, 2,10 m Höhe). Und nun haben diese Bilder etwas Forderndes. Still und unbewegt, geradezu stoisch wird man von diesen gigantischen Gegenübern angeblickt. In innere und womöglich äußere Bewegung gerät indes der Betrachter. Wie lange kann er vor diesen Blicken bestehen, soll er flüchten oder standhalten?

Solche Ruhe der Bilder (die freilich Unruhe erzeugt), treibt Ruff ins Endlose: Eine weitere Serie sind nämlich jene im Observatorium gefertigten Bilder vom Weltall. Auch diese Fotos sind auf enorme Großformate gebracht. Da starrt einen sozusagen die ganze Leere und Kälte des Weltenraums an. Auch ein vorbeiziehender Komet wird hier nicht als bewegtes Objekt abgebildet, sondern“ als starrer Strich, der wie ein Riß quer durch das Bild geht.

Der in Düsseldorf lebende Ruff ist Schüler von Bernd und Hilla Becher, die besonders durch nüchtern abgelichtete Zechentürme bekannt wurden. Bei Ruff ist es nicht nur Nüchternheit, sondern oft geradezu Ernüchterung, die aus den Bildern spricht.

Die relativ kleine, aber konzentrierte Ausstellung, vom Künstler selbst gehängt, präsentiert auch Beispiele für Thomas Ruffs neues Interesse an Zeitungsfotos, die er seinerseits ablichtet und wiederum vergrößert. In Kunstform haben sie natürlich eine ganz andere Wirkung denn als Nachrichten-Illustration. Bilder aus dem Jahrhundert sind da versammelt: Hitler mit verzückt lauschenden Jugendlichen, der tote Chomeini, Festnahme eines Terroristen, untergehender Ozeanriese, Rheinfelsen, eine eiserne Hand usw.

Und der Zusammenhang? Jedenfalls ist es kein dokumentarischer. Thema ist eher, was Bilder überhaupt aussagen und vermitteln können.

Ruff, der zur Eröffnung der Ausstellung kommt (Sonntag, 11 Uhr), ist im Kunstbetrieb ziemlich „angesagt“. Er ist bei der zwar allseits herzhaft verrissenen, aber wohl doch den Marktwert steigernden Berliner Überblicksschau „Metropolis“vertreten, desgleichen 1992 bei der Kasseler „documenta“. Arnsbergs Kunstverein hat erneut einen guten „Riecher“ bewiesen.

Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24. – Vom 28. April bis zum 7. Juni. Katalog 30 DM.




Kopfüber ins Leiden – Baselitz im Arnsberger Kunstverein

Von Bernd Berke

Sogar der Adler, gemeinhin als „König der Lüfte“ über allem schwebend, hängt kopfüber. Jämmerlich und bedauernswert wirkt so das seit Jahrtausenden mythologisch „besetzte“ Edel- und Wappentier.

Wenn von „Kopfstand“ in der Kunst die Rede ist, kann es eigentlich nur um Georg Baselitz gehen. Der Star der internationalen Szene, während der letzten Jahre praktisch auf allen wichtigen Überblicksschauen vertreten und dabei oft unter dem irreführenden Etikett „Neuer Wilder“ präsentiert, hat Umkehrungen der erwähnten Art seit Ende der 60er Jahre zu seinem medienwirksamen „Markenzeichen“ gemacht.

Nicht gerade alltäglich, daß Arbeiten von Baselitz fern von den großen Museen zu sehen sind. Zwar keine (inzwischen sündhaft teuren) Gemälde, aber immerhin rund 50 Graphikblätter und Zeichnungen sind ab Sonntag (Eröffnung 11 Uhr) im Kunstverein Arnsberg zu besichtigen.

Das Spektrum reicht von Zeichnungen aus den Jahren 1965/66 (noch aufrechte, aber traurig-ungelenk taumelnde, wie aufgeblasen wirkende „Helden“-Figuren) bis hin zu neuesten Arbeiten. Ein gewisser Überblick zu Grundlinien in Baselitz‘ Schaffen ist also möglich. Dabei zeigt sich einmal mehr, daß die Kopfüber-Darstellungen keineswegs ein purer  sind, Baselitz lenkt mit diesem Kunstgriff vielmehr die Aufmerksamkeit von der dargestellten Figur ab – und hin auf die Art der Darstellung. Trotzdem bleibt das Figürliche erkennbar: ein Vexier- und Wechselspiel zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion.

Überdies erweisen sich die „verkehrten“ Darstellungen zugleich als Bilder einer verkehrten Welt, genauer: als Leidensbilder. Eines der eindrucksvollsten Exponate in diesem Sinne: der „Trinker“, der zwischen schlierig-giftgrün fließenden Linien ins Bodenlose stürzt.

Der Arnsberger Kunstverein, gegründet vor einem halben Jahr, hat inzwischen 140 Mitglieder. Einige Förderer kommen gar aus Städten, die nun wahrlich selbst große und altehrwürdige Kunstvereine haben: Düsseldorf und Münster.

(Kunstverein Arnsberg, Königstraße 24, bis 17. Juli). Mo. bis Fr. 17 -19 Uhr; So. 11-13 Uhr und nach Vereinbarung (Tel. 0 29 31/2 11 22).