Der schwerelose Tanz der Phantome – Peatc Voßmann in neuen Räumen des Dortmunder Kunstvereins

Von Bernd Berke

Dortmund. Kaum zu glauben, aber wahr: Der Dortmunder Kunstverein präsentiert erstmals einen Dortmunder Künstler. Und Peatc (sprich „Pätz“) Voßmann, Jahrgang 1949, hat sogleich das Vergnügen mit den neuen Räumen des Vereins.

Die Adressen klingen stets blaublütig: Bisher an der Prinz-Friedrich-Karl-Straße ansässig, residiert der Kunstverein nun in der Kaiserstraße, allerdings wohl nur bis zum nächsten Frühjahr. Dann will man – ungleich zentraler – dauerhaft am Königswall Quartier beziehen, im „Löwenhof“.

Schade, daß mail die jetzigen Räume nicht dorthin mitnehmen kann. Peatc Voßmann jedenfalls fand sie geradezu ideal für seine Boden-Installationen, beispielsweise für „Der schwarze Block“ (1993), der sich aus genau 444 kleinen Teilen zusammenfügt. Die meisten sind schwarz angemalte, kaum mehr als solche erkennbare Zigarettenschachteln.

Die stumme Parade der verfremdeten Päckchen wird in Zeitabständen gesteuerten Zufalls von einer Neonröhre beleuchtet, das Flackern spiegelt sich in Cellophan-Hüllen. In gemessener Entfernung thronen fünf Figuren und besehen sich das Schauspiel. Die Arbeit scheint auf der Grenzlinie zweier Gesten zu balancieren: einsammeln und verstreuen, ordnen und sich über die entstandene Ordnung ein wenig mokieren.

Peatc Voßmann, sympathisch genug, nimmt seine Objekte und Bilder selbst nicht gar so bierernst. Nach einer Schlachthof-Besichtigung im Münsterland entstand das vierteilige Bild „Im Jahr des Schweins“. Man sieht die Tiere in diversen Schattenrissen, beinahe lustig umstellt von bedrohlichen Gerätschaften. Dazwischen kleben kleine Tapetenstücke biederster Machart. Ob Gewalt etwas mit Biederkeit zu tun haben könne? Das wäre vielleicht eine Frage.

Völlig losgelöst und schwerelos wirken jene schemenhaften Figuren aus Voßmanns neuer Serie „Flyers & Dancers“. In unbestimmbaren, mit Sprühkleber eigentümlich verwischten Farbräumen scheinen diese Phantome wirklich zu fliegen und zu tanzen. Ein Gefühl der Freiheit, aber auch der Unsicherheit stellt sich ein. Es könnte ja sein, daß dem Flug der Sturz ins Ort- und Bodenlose folgt. Oder aber anders herum: daß diese Wesen zuerst zu fallen drohen und sich dann in die Lüfte erheben.

„Erlebnisraum Kunst“ heißt die Reihe, in der Voßmann vorgestellt wird. Und man erlebt hier auch etwas. Nichts Spektakuläres. Aber man bekommt diese freundlichen kleinen Stupser zu produktiver Gedankenzerstreuung. Auf daß man sich dann wieder sammle.

Kunstverein Dortmund, Kaiserstraße 129/131 (Ecke Franziskanerstr.). Tel. 0231/57 87 36). 28. August bis 25. Oktober, Di-Fr 15-18, So 11-16 Uhr.




Von Weltwundern und zerbrochenen Eiern – Jan Hoet bringt Spitzenstücke aus Gent in den Kunstverein Schwerte

Von Bernd Berke

Schwerte. Dieser Kontakt erweist sich als wahrer Segen: Der Belgier Jan Hoet, 1992 Chef der Kasseler documenta, ist seit Jahren gern gesehener Freund und Gast beim Kunstverein in Schwerte. Nun arbeitet Hoet als Direktor des Genter „Museum van Hedendaagse Kunst“. Und er hat für Schwerte in die Genter Schatzkiste gegriffen.

Mit rund 20 Kunstwerken ergibt sich ein Querschnitt durch die famose Genfer Sammlung. Und wann hat man in Schwerte oder auch nur in der näheren Nachbarschaft schon mal einen echten Francis Bacon oder einen Magritte bewundern dürfen?

Wer jetzt freilich euphorisch in die Ausstellung stürmen will, wird erst einmal optisch gebremst: Eine Art Senkblei baumelt von der Decke herab und versperrt den direkten Weg. Die Vorrichtung markiert den Anfang der Schau. Sie heißt „Universal Plumbob“ und stammt von Royden Rabinovitch. Das Werk erinnert an eine physikalische Versuchsanordnung, strahlt aber vor allem kontemplative Ruhe aus und bereitet einen vor auf das Eintauchen in die Welt der Kunst, auf die innigere Art des Schauens.

Der strenge Geruch der verströmten Zeit

So eingestimmt, nähert man sich beispielsweise Gerhard Richters „Pyramide“ (1966). Das ägyptische Weltwunder ist bewußt völlig „unscharf“ gemalt, es erhebt sich wie hinter einer Nebelwand. Eine Erscheinung von halluzinatorischer Kraft. Im selben Raum leuchtet alarmrot eine Platte, auf die Marcel Broodthaers „289 Eierschalen“ (Titel, 1966) geklebt hat, allesamt an der Spitze aufgebrochen. Aus scheinbar banalen Einzel-Elementen erwächst eigentümliche Suggestion. Aufs Ei kommt auch Guillaume Bijl zurück. Er hat ein kleines Nest mit Gelege aus drei Billardkugeln gebaut. Schlichter Titel: „Sorry“. Eine Abbitte an düpierte Vögel?

Große Namen: Von Francis Bacon sieht man das fratzenhafte Bildnis eines Kardinals(1955), von Panamarenko ein gekacheltes Terrarium mit drei Krokodil-Figuren (1967), von Bruce Nauman einen Videofilm über Gewalt, von Joseph Beuys die in einen Schrank gesperrten Kunst-Stoffe „Butter und Bienenwachs“ (1975), welche mittlerweile strengen Geruch absondern. Der Duft der verströmten Zeit…

Ab 16. Dezember wird dann noch als absolutes Spitzenstück „Manets Balkon“ (1950) hinzukommen, auf dem René Magritte die menschlichen Figuren durch Särge ersetzt hat.

In jedem Raum der Ausstellung finden sich jene nüchternen Schwarzweiß-Fotos von Zoe Leonard: Sie zeigen, immer wieder, eine Vagina in quasi gynäkologischer Frontalansicht. Doch die Künstlerin hat genau das Gegenteil von Pornographie im Sinn. Sie will zu einer unverstellten, noch nicht von Phantasien besetzten Körperlichkeit zurück.

Kunstverein Schwerte (Kötterbachstraße 2). Eröffnung heute um 20.00 Uhr mit Ansprache von Jan Hoet. Bis 18. Januar 1998. Di.Fr 16-19 Uhr, So 15-18 Uhr, Eintritt frei.




Lebensmuster im Pullover – Rosemarie Trockel stellt in ihrer Geburtsstadt Schwerte aus

Von Bernd Berke

Schwerte. Das schlichte Foto, aufgenommen bei einer Klassenfahrt im Jahre 1966, zeigt zwei Mitschülerinnen. Meist verschwinden solche Erinnerungen in alten Kartons oder Alben und werden selten hervorgekramt. Ganz anders bei einer Künstlerin wie Rosemarie Trockel. Da lagern sich im Laufe der Zeit immer mehr Gedanken und Assoziationen an –und aus einem solchen Foto wird eine ganze Bilderserie.

Mit der Ausstellung ,„Gudrun“ (so heißt eine der Schulfreundinnen auf besagtem Foto) kehrt die hoch gehandelte Rosemarie Trockel abermals an ihren Geburtsort Schwerte zurück. Es ist die dritte Ausstellung, die ihr der rührige Kunstverein ausrichtet. Bei der jüngsten documenta in Kassel erregten Frau Trockel und Carsten Höller Aufsehen mit einem „Haus für Schweine und Menschen“, in Schwerte präsentiert sie nun einige Hundeporträts.

Zurück zum Foto mit jener Gudrun. Die trug damals einen Pullover mit Strickmuster, das wie eine Geheimschrift wirkt. Und so erwächst aus einer „Kleinigkeit“ mit den Jahren ein wahres Bilder-Geflecht mit Kreuz- und Querverweisen. Da taucht zunächst ein Bild des Revolutionärs Ernesto „Che“ Guevara auf, neben dem die Schauspielerin Barbra Streisand sitzt – bekleidet mit einem Pullover, der ähnlich gemustert ist wie damals der von Gudrun. Zufall oder mysteriöse Fügung?

Aus vier Fingern werden Hasenohren

„Che“ wiederum, Ikone der rebellischen 60er, macht beidhändig „Victory“-Zeichen. Seine vier gereckten Finger mutieren in einem der nächsten Bilder zu vier Häschen-Ohren in einer Art Witzzeichnung, die aber insgeheim vom weiblichen Gefühl des Bedrohtseins handelt. Sodann sieht man Gudruns Gesicht in zwei zeichnerischen Momentaufnahmen, und auch das Pullovermuster wird eigens wie unter der Lupe vorgeführt. Waltet hier ein Seh-Zwang? Etwa so: Überall mag sich etwas Entscheidendes verbergen, da heißt es wachsam bleiben und offen für jede Botschaft, für jede Inspiration.

Ins Muster des Pullovers könnte das Muster des ganzen Lebens eingewoben sein. Wer weiß, wer weiß.  Jedenfalls hat sich Rosemarie Trockel intensiv mit C. G. Jungs Lehre von den Archetypen (Urbildern) befaßt, die im kollektiven Unbewußten der Menschheit ihr ewiges Wesen treiben sollen.

Triebkräfte der Biographie

Trockels Bilderserien entstehen nicht nach Plan und Schema, sondern dann, wenn die Künstlerin visuelle „Bausteine vorfindet, die in verborgener Entsprechung zu den bisherigen Elementen stehen. Daraus ergibt sich ein rätselhaft-faszinierendes Puzzle, eine bildnerische Meditation über Details und Triebkräfte der eigenen Biographie, die ihre wichtigsten Impulse wohl in den 60er Jahren bekommen hat – damals, zu Gudruns Zeit.

Auch andere Bildreihen sind aus Keimen jener Jahre entstanden. Ein Foto zeigt eine diffuse Menschenmenge, wahrscheinlich im Londoner Hyde Park. Damit wäre das Kernthema freie Rede und somit der Befreiung angestimmt. Schicht um Schicht wird daraus eine Gruppe von Arbeiten, die just um den Freiheitsdrang kreisen, allerdings auch um dessen Pervertierung: Ein Paar, das sich der „freien Liebe“ erfreut, wird mit der Kamera aufgenommen wie für einen Pornostreifen.

Alles Sichtbare ist beseelt

In vier Trockel-Videofilmen, die man sich in Schwerte ansehen kann, findet man Motiv-Partikel der Tafelbilder wieder. In die wandelbaren Punkt-Raster einer gefilmten Vogelschar, die sich zum Flug nach Süden sammelt, löst sich auch die erwähnte Liebesszene auf, und eine Art Chaostheorie wird mit Wollknäueln durchgespielt. Womit man wieder beim Pullover wäre.

Und die Hunde? Rosemarie Trockel hat ihren Terrier „Fury“, dessen Hunde-Freundin sowie – als lokale Zugabe – Vierbeiner aus Schwerte so einläßlich porträtiert, als seien es bedeutende Menschen. Wenn schon Pullover beseelt sind, dann erst recht die Tiere.

Rosemarîe Trockel. Kunstverein Schwerte, Kötterbachstraße 2. Bis 9. November (geöffnet Di-Fr 16-19 Uhr, So 15-18 Uhr).




Jedes Fundstück kann zur Kunst beitragen – Arbeiten von Helga Hanisch in Siegen

Von Bernd Berke

Siegen. „Die Süße“ blickt ganz treuherzig. Zwar hat sie eiserne Augen, doch dies hätte man ihr denn doch nicht zugetraut: Ihr Rumpf besteht aus dem hölzernen Griff eines Gewehrs. Ist sie gar nicht so friedfertig?

Das widersprüchliche Mädchen steht in der neuen Ausstellung des Siegener Kunstvereins. Helga Hanisch (40) gibt ihren Bildern, Objekten und Installationen eben gern Titel, die im Kontrast zum Augenschein stehen.

Sie gehört zur Menschengattung der Sammler: „Ich hebe buchstäblich alles auf.“ Einen wahren Schrottplatz habe sie bei sich daheim im Kunst-Bahnhof Dingden (nahe Bocholt) angehäuft. Manche Dinge blieben jahrelang unbenutzt liegen – bis plötzlich ein Ideenfunke auf sie übersprang.

Das Kind muß natürlich auch einen Namen haben: „Packing Art“ nennt Frau Hanisch ihr Verfahren, die Funde zusammenzufügen, sie (wohlüberlegt) zueinander zu packen. Überdies sind verwittertes Pack-Papier und Kartonagen ihre liebsten Materialen. In Bildcollagen einklebt, bekommen die bräunlichen Fetzen eine eigentümliche Aura von Wehmut über vergehende Zeit. Dies ist eines der Hauptthemen von Helga Hanisch. Sie greift es wieder und wieder auf: in der Bilderserie „Zeitläufer“, im „Hausarchiv“ mit alten Fotos und in der Abfolge von wortwörtlich zu nehmenden „Beziehungs-Kisten“, die von erster Liebeswallung bis zum Hausbau und zum Kinderkriegen führen.

Gartenzwerg und Schuß-Projektile

Aus den vorgefundenen Gegenständen – neuerdings z. B. auch Hühnerknochen und Plastikteile – entstehen also recht inspirierte, oft unterschwellig koboldhafte Bilder und Figuren. Der „Schwere Junge“ etwa hält einem ein metallisch vergitterten Gesicht hin – es könnte einen beengten Horizont darstellen, aber auch auf den Knast anspielen. Oder das hölzerne Hahnenwesen, das sich ebenso krampfhaft wie pathetisch reckt und dem Titel „Der aufrechte Gang“ eher hohnspricht.

Aktuell gemünzt und leider etwas vordergründig ist eine Installation mit Gartenzwerg, gesiebtem Mutterboden und lauter eingepflanzten Schuß-Projektilen. Sie heißt „Die Saat geht auf“ und soll vor dem Gewaltpotential eines bieder maskiertem Rechtsradikalismus warnen. Gut gemeint ist es bestimmt.

Überzeugender das mehrteilige Großbild „Wall Puzzle“. Sechs Rahmen sind nur zum Teil collagenhaft gefüllt und so gefügt, daß sie Durchblicke auf die nackte Wand erlauben. Ein schönes Augenspiel. Verschmitzte Geister wie Hanischs Vorbild Kurt Schwitters würden wohlgefällig lächeln.

Helga Hanisch: „Packing Art“. Kunstverein Siegen, Villa Waldrich (Hohler Weg 1). Bis 2. Oktober, Di-So 15-19/Uhr, So 10-13 Uhr. Katalog 13 DM.




Kunstverein Dortmund will in die erste Reihe – mit Serra-Ausstellung und weiteren Vorhaben

Von Bernd Berke

Dortmund. Mit einer Ausstellung des berühmten Richard Serra will der Dortmunder Kunstverein im Sommer ’95 Furore machen. Die Schau kommt aus New York, die Stationen heißen Lissabon, Dortmund und Rom. Weltstädte unter sich?

Bisher wurde das Projekt verschwiegen behandelt, nun ist es heraus: Zumindest großformatige Zeichnungen aus neuster Produktion des Amerikaners, dessen Stahlplastik „Terminal“ ein Wahrzeichen der Bochumer City ist, werden in Dortmund zu sehen sein. Und die Chancen auf ein größeres Ereignis stehen offenbar bestens.

Der Kunstverein verhandelt derzeit mit zwei bekannten Dortmunder Institutionen, die sich beteiligen könnten. Für eine Nennung ist es noch zu früh, aber man kann schon verraten: Ein Kooperations-Partner gehört zum öffentlichen Sektor, der andere zum privaten. Falls der Dreierbund zustande kommt, dürften zum Beispiel auch einige der tonnenschweren Stahlplastiken von Serra nach Dortmund kommen.

„Es wird höchste Zeit, daß der Dortmunder Kunstverein von sich reden macht“, findet Burkhard Leismann (41), der seit einigen Monaten als Ausstellungsmacher die Geschicke lenkt. Nach Beilegung gewisser Querelen (Ablösung seiner Vorgängerin) fühlt sich Leismann nun stark genug, um den Kunstverein als unverzichtbare Ergänzung zu den örtlichen Museen und Galerien zu etablieren.

Zu Köln und Düsseldorf aufschließen

Immerhin werde dieser Kunstverein schon zehn Jahre alt (am 27. November wird im Ostwall-Museum mit prominenten Gästen gefeiert), doch die Mitgliederzahl stagniere bei etwa 500 Leuten, von denen nur etwa 100 wirklich aktiv seien: „In einer Stadt mit über 600 000 Einwohnern und mit diesem Umland muß einfach mehr drin sein“, glaubt Leismann. In vier bis fünf Jahren, so sein Ziel, müsse der Mitgliederstand deutlich gewachsen sein. Denn mit jährlich etwa 50 000 DM an Jahresbeiträgen, die man jetzt einnimmt, lassen sich keine großen Sprünge machen.

Leismann, der parallel das Ahlener Kunstmuseum betreut, träumt „als alter Dortmunder“ davon, daß der hiesige Kunstverein mit den Pendants von Düsseldorf oder Köln in einem Atemzug genannt wird. Er möchte die Kräfte und Kontakte des Kunstvereins auch für Dienstleistungen einsetzen, sprich: Man könne ganze Kulturprogramme für Unternehmen maßschneidern – gegen Bezahlung, versteht sich. Auf diese Weise ließen sich auch die schmalen Mitgliedsbeiträge aufstocken. Und wer nebenbei noch spenden will, wird ganz gewiß auch nicht abgewiesen.

Nicht nur solche Aktivitäten und die Serra-Ausstellung sollen für Belebung sorgen. Neben einer Reihe mit südamerikanischer Kunst ist auch eine originelle Aktion mit lokalem Bezug angelaufen. Der Kunstverein hat 1000 Dortmunder um die Beschreibung ihrer liebsten Wegstrecken in der Stadt gebeten, die ersten Antworten treffen gerade ein. Einige Dutzend Wege im gesamten Stadtgebiet sollen dann von einem Kölner Künstler mit Acrylfarbe markiert werden. Keine bittere Kritik an Bausünden und mißlicher Stadtplanung also, sondern ganz im Gegenteil: nachdrückliche Hinweise auf womöglich verborgene Schönheiten. So etwas entspricht Leismanns Neigung zum positiven Denken.




Kühne Kunst-Pläne in einer alten Villa – Ahlen verdankt sein neues Museum einem Industriellen

Von Bernd Berke

Ahlen. Diese Geschichte könnte beinahe im kulturellen Schlaraffenland spielen: Da überläßt ein Industrieller dem Kunstverein „seiner“ Stadt eine dreistöckige, geräumige Gründerzeitvilla und sorgt auch noch für den kostspieligen Umbau zum Museum. Im westfälischen Ahlen ist die Geschichte, die in rigiden Spar-Zeiten märchenhaft klingt, wahr geworden.

„Kunstmuseum Ahlen“ nennt man das schmucke Haus an der Weststraße jetzt stolz. Der Unternehmer Theodor F. Leifeld hat den 1882 errichteten Bau dem Kunstverein Ahlen zur Verfügung gestellt – vorerst bis Ende 1996. Man will halt erst einmal sehen, wie sich die Sache anläßt. Doch vor dem Haus entsteht bereits ein kleiner Skulpturengarten. Und eigentlich denkt man auch schon an weiteren Ausbau.

Der Kunstverein, der mit aktuellen Werken weiterhin die Stadtgalerie „bespielt“, möchte in seinem neuen Domizil zunächst ein Museum mit ständiger Sammlung aus der klassischen Moderne einrichten – und dann vielleicht sogar noch eine kleine Kunsthalle für Wechselausstellungen daneben stellen. Wahrlich ehrgeizige Pläne in der „Provinz“. Dem Kunstverein (Vorsitz: Walter Rinke) kommt diese Aufbruchstimmung zugute. Binnen Jahresfrist ist die Zahl der Mitglieder von 80 auf 132 gestiegen.

Auch die Auftakt-Schau im neuen Hause läßt hoffen, daß der Ehrgeiz nicht bodenlos ist. Denn man hat eine kompakte, recht aufschlußreiche Präsentation zum Thema „Bauhaus“ zusammengetragen, mit einigen Originalwerken von Größen wie Klee, Schlemmer, Feininger, Moholy-Nagy und Kandinsky. Sie alle waren Lehrmeister am „Bauhaus“ (Weimar / Dessau / Berlin), das besonders in den 20er Jahren mit der Kunst auch eine umfassende Reform des Alltags anstrebte.

Zum Vergleich zeigt man in Ahlen auch Arbeiten von damaligen Bauhaus-Schülern. Es sind Belege für die Wirksamkeit einer Lehre, deren Verästelungen bis in die Nachkriegszeit reichen und sogar „unser aller Kunst-Unterricht in der Schule beeinflußt haben“, wie Ausstellungsleiter Burkhard Leismann meint. Auch westfälische Ausläufer der Bauhaus-Richtung (Fritz Winter, Fritz Levedag) werden dargestellt.

Das Spektrum der Ausstellung ist breit und reicht von Tafelbildern und Fotografie über Architektur-Modelle und Lampen-Entwürfe bis hin zu Sitzmöbeln – all das im nüchternen, auf praktische Funktion ausgerichteten Bauhaus-Geist. Zuweilen staunt man, wie kühn und weit „damals“ vorausgedacht wurde. Das Bauhaus setzte Wegmarken, auf die man sich erst heute wieder besinnt.

Die Ahlener warten zudem mit einer Überraschung auf. Sie konnten einige Stücke aus einer hochkarätigen Heidelberger Privatsammlung auswählen, die selbst in der Fachweit weithin unbekannt ist.

Kunst-Museum Ahlen (Weststraße 98 / Tel.: 02382/3511): „Das Bauhaus – Gestaltung für ein modernes Leben“. Ab 5. Dezember (Einlaß am Eröffnungstag: 14 Uhr) bis 6. Februar 1994. Di-Fr 15-18 Uhr, Do 15-20. Sa/So 11-18 Uhr). Eintritt 3 DM; ermäßigt 1 DM. Katalog 30 DM.




Die Rätselwelt des Markus Lüpertz – kleinere Arbeiten im Arnsberger Kunstverein

Von Bernd Berke

Arnsberg. Die Baselitz-Ausstellung 1988 im Arnsberger Kunstverein hat eine Art Initialzündung ausgelöst. Künster, Galeristen und Museumsleute sind auf den Verein im Hochsauerland aufmerksam geworden.

Folge: In Zusammenarbeit mit einer großen Kölner Galerie kann man jetzt wiederum einen Namen aus der Künstler-„Bundesliga“ präsentieren: Markus Lüpertz (48), der nicht nur wegen seines berüchtigt-großfürstlichen Lebensstils, sondern eben auch seiner Kunst wegen international im Gespräch ist. Den Ausschlag für die Kölner Leihfreudigkeit gab auch, daß der Kunstverein – vor Ort auch schon mal als „elitär“ gescholten – unbeirrt stilistischen Kurs hält.

Lüpertz also. Keine Hauptwerke, sondern 50 „Arbeiten auf Papier“, darunter Holzschnitte, Gouachen sowie mit Öl- oder Wachskreide gefertigte, zumeist intimere Formate. Das Auswahlprinzîp ergab sich daraus, daß man einen Querschnitt der Jahre 1977 bis 1988 zeigen wollte. Der Künstler hat sich in diesem Zeitraum offenbar kaum um die Schein-Alternative „figurativ“ oder „abstrakt“ gekümmert, eins wechselt mit dem anderen. Die meisten Arbeiten tragen keine Titel, sie sollen also ohne Sprach-Assoziation nur durch sich selbst „reden“.

Lüpertz, der nicht müde wird zu betonen, daß er mit der „Anmut“ und dem Zustand unserer Gegenwart einverstanden ist, entwirft keine Gegen-Welten, jedoch eigenständige Neben-Welten. Auf den ersten Blick wirken manche Einzelbilder form- und ortlos, doch in Arnsberg hat man darauf geachtet, daß sie in Serien hängen, so daß sie sich gegenseitig „kommentieren“ können.

Das bedeutet aber keine leichte Verständlichkeit. Lüpertz verrätselt seine Bildsprache ganz bewußt. Auch wenn man hier und da Anspielungen auf die Realität zu erkennen glaubt – ein Sofa mit Stacheldraht? eine Schädelstätte? – könnte es gutsein, daß man sich irrt, indem man diese Dinge in die Bilder hineinsieht. Den eindrucksvollsten Teil der Ausstellung bilden gleichwohl die figürlichen Arbeiten, vor allem aus der Serie „Heiliger Sebastian“ (1987), Inbilder eines Martyriums der Verlorenheit.

Auch nachkubistische Bilder wie „Amor und Psyche“ (1979) oder die maskenhaften Holzschnitte zum „Mykenischen Lächeln“ zeigen Lüpertz als Formgestalter von Rang, der mit den „Wilden“ allenfalls gemein hat, daß er die Regeln der Formgebung sozusagen „kontrolliert vergessen“ kann.

Markus Lüpertz — Arbeiten auf Papier. Kunstverein Arnsberg, Königstr. 24. Eröffnung So., 4. Juni, 11 Uhr. Bis 16.Juli. Geöffnet Mi.—Fr. 17 bis 19 Uhr, So. 11—13 Uhr.




„Bauhaus-Utopien“: Mehr als nur Rechteck und Würfel – Ausstellung in Köln wendet sich gegen Vorurteile

Von Bernd Berke

Köln. Von Zierat und Zitaten, die unter dem Markenzeichen „Postmoderne“ laufen, haben viele allmählich genug. In den letzten Jahren hat Architektur mit oft funktionslosen Türmchen, Erkern und allerlei „Zuckerbäcker“-Schmuckwerk die Städte erobert; sie hat, wie Kölns Kunstvereins-Leiter Wulf Herzogenrath gestern despektierlich sagte, „auch vor der Kreissparkasse Oer-Erkenschwick“ nicht haltgemacht. Da kommt Sehnsucht nach einfacheren, funktionsgerechteren Formen auf.

Hohe Zeit also für eine Rückbesinnung auf das „Bauhaus“ (Weimar/Dessau 1919-1933). Grundsatz der von Walter Gropius gegründeten Kunst-„Schule“ bahnbrechenden Typs (an der u.a. Klee, Schlemmer, Kandinsky und Moholy-Nagy lehrten) war, Funktion und handwerkliche Qualität zu Leitgedanken der Kunst zu machen. Doch pure Funktion kann „kalt“ wirken, und so kam es zu dem Gerücht, vor allem das Bauhaus sei an gesichtlosen Hochhaus-Schachteln der 60er und 70er Jahre schuld.

Wulf Herzogenrath lastet aber diese Sünden den „Enkeln“ an, die vom „Bauhaus“ nur die Phase 1925-28 wahrgenommen hätten. In Wahrheit sei „Bauhaus“ kein festgelegter Stil, sondern eine Idee mit vielfältigen Ausprägungen. Das soll die Ausstellung „Bauhaus-Utopien“ im Kölner Kunstverein belegen (Josef-Haubrich-Hof; morgen bis 4. September, Katalog 54 DM).

Die Zusammenstellung der 252 Exponate berücksichtigt „nur“ Arbeiten auf Papier. Mit gutem Grund: Diese Stücke sind oftmals Skizzen, stehen also der ursprünglich-spontanen Idee näher als detaillierte Ausführungen und sind inniger mit dem Begriff einer produktiv „tagträumenden“ Utopie verknüpft.

Auch schon ökologische Ansätze

Die Bauhaus-Utopien, das zeigt die Auswahl, reichen tatsachlich weit über das Klischee von endlos variierten Rechteck- und Würfelformen hinaus, sie erschöpfen sich auch nicht in den bekannten Stahlrohrsesseln. Was man heute sicher schärfer sieht als noch vor einigen Jahren: Es gibt sogar ökologische Bezüge, Planspiele mit Sonnenenergie etwa oder mit dem, was man heute „Baubiologie“ nennt.

Sehr entschieden bricht vor allem der Bauhaus-Lehrer Paul Klee, ohnehin kaum in ein Klischee zu pressen, aus dem Vorurteils-Raster aus. Sein „Apparat für magnetische Behandlung der Pflanzen“ (1921) zielt beispielsweise eher auf einen kosmischen Zusammenhang als auf dürre Funktion. Gleichzeitig stellte Klee aber auch quasi-mathematische Formanalysen an.

Neben den Bauhaus-Arbeiten Klees, bilden jene von Oskar Schlemmer einen weiteren Schwerpunkt. Da ist es mitunter schon schwer zu entscheiden, ob die „abgezirkelten“, in architektonische Zusammenhänge gestellten Menschenfiguren wirklich den Raum dominieren oder ob sie in ihn eingepaßt sind. Wird hier Maß am Menschen genommen oder Maß für den Mensehen?

Anderes läuft dem, was die Ausstellung eigentlich beweisen will, vollends zuwider. Zu nennen wären da z. B. ein kubisches Stadt-Bild von Laszlo Moholy-Nagy, eine den Mensehen gänzlich „erschlagende“, riesige .„Reklamekugel“ von Herbert Bayer oder der Utopie-Alptraum einer Hochhausstadt von Ludwig Hilberseimer. Hier ahnt man, daß die Vorurteile gegen das Bauhaus nicht samt und sonders falsch sein können. Die Wahrheit scheint einmal mehr in der Differenzierung zu liegen: Man kann das Bauhaus nicht in Bausch und Bogen für spätere Sünden „haftbar machen“, sollte aber auch mit Entlastungs-Argumenten nicht übers Ziel hinausschießen. Freilich: Für einen „Freispruch“ finden sich auch jede Menge Belege. Besonders überzeugend sind die von bloßer Funktionalität losgelösten Theaterbau- und Bühnenbildentwürfe.




Gegenbilder zur Adenauer-Ära – Werke von Ernst Wilhelm Nay in Münster

Von Bernd Berke

Münster. Was den Marktwert anbelangt, könnte man Ernst Wilhelm Nay plakativ als „Joseph Beuys der 50er Jahre“ bezeichnen. Er gehörte seinerzeit zum „festen Stamm“ der Kasseler documenta, auch auf der Kunst-Biennale in Venedig war er vertreten.

Mittlerweile, nachdem einige Dutzend Stile, Moden und -ismen an der Kunstwelt vorübergerollt sind, ist er zwar nicht in Vergessenheit, wohl aber an die Ränder des Erinnerns geraten. Diesem Zustand will jetzt, mit subjektiv-eigenwilligen Akzenten, eine Ausstellung des Kunstvereins Münster abhelfen.

Ausschließlich aus privaten Sammlungen stammen die 48 Bilder, die einen Querschnitt durch alle Werkphasen (1932 bis in Nays Todesjahr 1968) geben. Zu verfolgen ist ein beständiges Ringen um eine quasi „musikalische“ Rhythmisierung und Öffnung der Bildfläche durch einen zunehmend stärkeren Eigenwert der Farb-Komposition.

Bildtitel wie „Schwarze Rhythmen rot zu grau“ (1952), „Tanzende Perlen“ (1953), „Swing“ (1953) und „Rondo“ (1958) deuten in Richtung musikalischer Ausdruckswerte. Welch ein Widerspruch zum glatten Perfektionswillen der damaligen „Wirtschaftswunder-Kapitäne“, welche Gegenbilder zu den Einengungsversuchen der Adenauer-Ara!

Der Vergleich mit der Musik ist natürlich eine Hilfskonstruktion, die dem Ungegenständlichen eine gewisse Faßbarkeit abgewinnen soll. Zeitweise, vor allem nach Mitte der 50er Jahre, löste sich Nay vollkommen von figurativ-gegenständlichen Formen, die hingegen in seinen „Scheiben“- und „Augen-Bildem“ wieder präsent sind.

In einigen Werkphasen werden die Farbwerte zusehends dynamischer, sie übersprühen und überfluten das Bildgefüge. Dann wieder, phasenweise abwechselnd mit diesen eruptiven Bildern, zwingt sich Nay zu strengerem Bildaufbau – dies allerdings nicht immer ohne Gefahr einer bloß noch dekorativen Wirkung. Die Wechselfolge gleicht einem Ein- und Ausatmen, sie gleicht Anspannung und Erleichterung, der Angst und deren Überwindung.

Neue (oder zumindest verdrängte) Erkenntnisse in Münster: Der Weg in die Gegenstandslosigkeit war schon in den 30er Jahren vorgezeichnet (als Nay den Nazis als „entartet“ galt), und die „Scheibenbilder“, mit denen Nay heute am meisten identifiziert wird (in Münster hängt nur eines aus dieser Serie), haben ihren Platz in einem viel breiteren künstlerischen Konzept.

E. W. Nay -Kunstverein Münster (im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Domplatz 10). Bis 22. September. Di.-So. 10-18 Uhr. Katalog 25 DM.