„Nordischer“ Ton: Duo Tal & Groethuysen eröffnet in Duisburg das Klavier-Festival Ruhr

Eröffnung bei strahlendem Wetter im Landschaftspark Duisburg Nord: Das Klavier-Festival Ruhr versammelt wieder Pianisten aus aller Welt. Foto: Werner Häußner

Eröffnung bei strahlendem Wetter im Landschaftspark Duisburg Nord: Das Klavier-Festival Ruhr versammelt wieder Pianisten aus aller Welt. Foto: Werner Häußner

Der „nordische Ton“ klingt leicht, unbeschwert, spielerisch. Er hat nichts von dunklen Polarkreisnächten, eher etwas vom hellen finnischen Sommer, von der leuchtenden Frische schwedischer Frühlingstage. Er beschwört keine nebelverhangenen Wälder, sondern das flimmernde Grün des Schattenspiels in einem Mai-Garten. Yaara Tal und Andreas Groethuysen halten aus ihrem Programm alles Schwere, Lastende heraus. Sie eröffnen das Klavier-Festival Ruhr in Duisburg mit Mozart, Grieg und Strauss.

Mit dem „nordischen Ton“ als Leitlinie manövriert sich ein Festival in erhebliche Definitions-Schwierigkeiten. Da gibt es „nordische“ Komponisten, die eigentlich „international“ sein wollten, wie der ebenfalls zu Festival-Ehren kommende Jean Sibelius anlässlich seines 150. Geburtstags. Und da gibt es andere, die vielleicht auf die nationale Karte gesetzt haben, die aber heute keiner mehr kennt und von denen man kaum einen international renommierten Pianisten überzeugen kann. Wie wäre es zum Beispiel mit dem vor 200 Jahren geborenen Norweger Halfdan Kjerulf, der deutsche Romantik und norwegische Volksmusik in zahlreichen Klavierwerken verbunden hat? Das wäre ein „nordischer“ Ton – aber vermutlich würden sich Sponsorengattinnen für den schwergängigen Namen kaum begeistern lassen.

So bleibt es bei dem, was man so gemeinhin als „nordisch“ kennt, und mit dieser Dramaturgie kann auch das Duo Tal & Groethuysen gut leben. Immerhin: Die C-Dur-Sonate Mozarts (KV 545) und die c-Moll-Fantasie (KV 475) erklingen in der Gebläsehalle des Duisburger Landschaftsparks in einer Bearbeitung Edvard Griegs: Der Norweger hat eine Stimme hinzukomponiert und damit den Mozart-Ton entschieden romantisiert. Griegs Peer Gynt Suite (op. 46) in einem Arrangement für zwei Klaviere des britischen Spezialisten Richard Simm geht über gepflegte Hausmusik hinaus, wirft Blicke auf die Schichten unterhalb der weltberühmten Melodien. Yaara Tal gibt gemeinsam mit ihrem Ehemann und Klavierpartner Andreas Groethuysen dem lyrisch verhaltenen feinen Licht ebenso Raum wie der leisen Resignation von „Åses Tod“ und dem dunklen Marcato der „Halle des Bergkönigs“, das sich zu donnernden Tonketten im Bass steigert.

Seit 30 Jahren zusammen, seit 1997 regelmäßig zu Gast beim Klavier-Festival Ruhr: Das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen. Foto: KFR/Frank Mohn

Seit 30 Jahren zusammen, seit 1997 regelmäßig zu Gast beim Klavier-Festival Ruhr: Das Duo Yaara Tal und Andreas Groethuysen. Foto: KFR/Frank Mohn

Richard Strauss‘ „Till Eulenspiegel“ lässt gemischte Gefühle zurück: Nicht, weil das Duo mit dem technisch anspruchsvollen Stück Probleme hätte – dreißig Jahre gemeinsamen Musizierens führen zu einer bewundernswerten Vertrautheit. Auch nicht, weil Bearbeitungen – diese stammt von Otto Singer junior – oft durch Reduktion strukturelle Einblicke gewähren, die sonst gerne mit dem üppigen Orchesterklang bemäntelt sind. Sondern eher, weil die Farben des Orchesters fehlen und Strauss eben nicht nur strukturell, sondern auch farbig-plastisch gedacht hat. Dennoch: Das Duo findet zu burleskem Charme und spritzigen Dialogphasen. „Nordisch“ freilich ist darin nichts.

Ein wenig enttäuschend blieb ausgerechnet Mozart, sonst ein Paradekomponist der beiden Virtuosen. In der „Sonata facile“ – die alles andere als „leicht“ ist – finden sie zu ausschwingenden melodischen Phrasierungen und zu einem apart zärtlichen Ton. Aber das Andante ist im Tempo nicht nur rasch, sondern auch angespannt; das Rondeau zu neutral in der Artikulation und damit weder spritzig noch beglückt mit dem sprühenden Witz Mozarts.

In der Fantasie (KV 475) entdecken Tal & Groethuysen nicht so sehr die auf Beethoven weisenden Kühnheiten in Chromatik und Modulation, sondern eher die klassische Gemessenheit, von Grieg lyrisch-romantisch eingedunkelt. Und Mozarts Sonate für zwei Klaviere (KV 448) demonstriert, wie traumwandlerisch sich die Beiden im lebendig flüssigen Tempo verstehen, lässt aber den Charme des „con spirito“ vermissen, will im zweiten Satz nur punktuell zur poetischer Tiefe und atmender Phrasierung vorstoßen und bleibt im dritten flach und rasch. „Heruntergehudlet“ schimpfte Mozart einmal in einem Brief über eine solche Demonstration fehlerfreier, aber auch seelenarmer Geschwindigkeit.

Der „nordische Ton“ bleibt im Programm präsent

Das Klavier-Festival wird in den kommenden rund 60 Konzerten in 20 Städten dem „nordischen Ton“ weiter nachspürenm aber auch dem 100. Todestag von Alexander Skrjabin Tribut zollen. So spielt Olli Mustonen am 27. April in Duisburg eine eigene Komposition – schlägt sozusagen den aktuellen „nordischen Ton“ an –, widmet sich aber auch Sibelius als Klavierkomponisten und stellt Griegs Ballade g-Moll op. 24 vor. Henri Sigfriedsson spielt am 10. Mai in Bottrop einen Sibelius-Abend. Skandinavisch geht es auch am 13. Mai in Schloss Herten zu, wenn Miah Persson, begleitet vom Klavierfestival-Urgestein Graham Johnson auch unbekanntere Lieder etwa von Ture Rangström und Wilhelm Stenhammar singt.

Jean Sibelius auf einem historischen Foto von 1913.

Jean Sibelius auf einem historischen Foto von 1913.

Am 19. Mai widmet sich dann in Essen in der Philharmonie Mikhail Pletnev den 23 Préludes op. 11 von Alexander Skrjabin. Und der junge Pavel Kolesnikov spielt am 31. Mai in Moers in einem der 25 bereits ausverkauften Konzerte die Fis-Dur-Sonate op.30 Skrjabins – die einen Tag später von Gabriela Montero in Düsseldorf wiederholt wird. Am 2. Juni bringt Rafał Blechacz mit „Pelimannit“ („Die Geiger“) das Opus 1 des 1928 geborenen Einojuhani Rautavaara, eines der wichtigen lebenden Komponisten Finnlands.

Am 5. Juni spielt in Dortmunds Harenberg Center der Sieger des Grieg-Wettbewerbs, der Norweger Joachim Carr, Stücke von Grieg und Nikolaj Medtner. Und am 6. Juni folgt ihm in der verdienstvollen Reihe „Die Besten der Besten“ der vielfache Wettbewerbssieger Andrey Gugnin mit Sibelius, Skrjabin und der Siebten Sonate von Sergej Prokofjew. Originell das Programm des norwegischen, in Köln unterrichtenden Cembalisten Ketil Haugsand. Er konfrontiert am 9. Juni in Schloss Hohenlimburg Bach und Buxtehude mit dem 1758 gestorbenen Johan Helmich Roman, dem „Vater der schwedischen Musik“ und mit dem in Memel geborenen und bis zu seinem Tod 1787 in Trondheim wirkenden Johan Daniel Berlin.

Am 15. Juni kehrt Joseph Moog zum Klavier-Festival zurück und widmet sich im Konzerthaus Dortmund mit den Bochumer Symphonikern unter Steven Sloane dem fis-Moll-Klavierkonzert Skrjabins. Und zum Abschluss des Klavier-Festivals am 4. Juli greift das WDR Sinfonieorchester unter dem Gastdirigenten Hannu Lintu noch einmal kraftvoll zum nordischen Repertoire und spielt Carl Nielsens „Helios“-Ouvertüre und Jean Sibelius‘ Zweite Symphonie. Igor Levit krönt das Programm mit Griegs Klavierkonzert.

Info: www.klavierfestival.de




Aluminium in Duisburg, Videos in Essen – die Installationen der Ruhrtriennale

Die Kunst kann jetzt besichtigt werden. Man darf sogar auf ihr gehen, rennen, hüpfen und – bei hinreichender Körperbeherrschung – tanzen. Der Grund ist schwankend, genauer: federnd: „Melt“, so heißt die Arbeit, besteht aus 50 Aluminiumplatten, die auf einer durablen Federung lagern und aneinander verlegt einen 70 Meter langen Weg ergeben.

Der Weg befindet sich zum größten Teil unterhalb der stillgelegten Hochöfen auf dem Hüttengelände im Landschaftspark Duisburg Nord, weshalb er etwas dunkel ist und auch tagsüber von Scheinwerfern bestrahlt wird. Hier spürt man in den Worten des Künstlerduos Rejane Cantoni und Leonardo Crescenti, das gern auch etwas griffiger als „cantoni crescenti“ zeichnet, die „vibes“, die „communication“, den „sound“, und natürlich ist das alles „very social“.

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„Melt“ (Foto: Leonardo Crescenti/Ruhrtriennale)

Tja.

Eindrucksvoll ist diese Arbeit ganz ohne Frage. Das verbaute Material dürfte einen beträchtlichen Wert haben (Achtung! Metalldiebe!), und ob es die Laufzeit (!) der Triennale bis 28. September ohne Blessuren übersteht, muß sich noch zeigen. Das wäre jedenfalls der Beweis für eine hervorragende technische Qualität dieser Konstruktion.

Der arglose Flaneur indes könnte die Installation unter dem gigantischen Stahlkorsett der rostigen Hochöfen glatt übersehen, würden nicht Schilder und Menschenmassen von ihrer Existenz künden. Wenn er sie dann doch betritt und sein Gleichgewicht suchen muß, läßt ihn das langgestreckte Aluminiumgebilde spontan an eine Hüpfburg denken, an eine aufgeblasene Bereicherung sommerlicher Kinderfeste. Nur sind die dank der Materialien Luft und Plastik deutlich leiser.

Fraglos jedoch gehören Scheppern und Donnern des Aluminiums mit zum künstlerischen Konzept der federnden Laufbahn, und grundsätzliche Gedanken über einen gültigen Kunstbegriff und die zeitgenössischen Weitungen desselben wollen wir uns verkneifen. Wenn wir aber standhaft akzeptieren, daß dies ohne Wenn und Aber ein Kunstwerk ist, bleibt doch eine gewisse Beklommenheit angesichts des Aufwands, der hier getrieben wurde.

Einwenden könnte man jetzt natürlich, daß andere soziale Kunstwerke viel teurer kommen, man denke nur an das Denkmal für die deutsche Einheit, das in Berlin (unter anderem unter Mitwirkung der Choreographin Sascha Waltz) entstehen sollte und aus einer Art Wippe besteht, die das Publikum durch Gewichtsverlagerung bewegen kann. Auch so ein beglückendes soziales Erlebnis; allerdings ist mittlerweile fraglich, ob das Berliner Millionenprojekt noch realisiert wird.

Doch den federnden Alusteg mit Namen „Melt“ gibt’s in Duisburg wirklich. Ein Jeder und eine Jede mögen selber urteilen, der Eintritt ist frei.

 

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Nicht eine – viele Filmeinstellungen versammelt Harun Farockis Arbeit „Eine Einstellung zur Arbeit“ im Folkwang-Museum. (Foto: Achim Kukulies/Ruhrtriennale)

Zu sehen ist jetzt auch die Videoarbeit „Eine Einstellung zur Arbeit“ des jüngst verstorbenen Film- und Videokünstlers Harun Farocki und seiner Frau Antje Ehmann, und der Titel ist von feinem Doppelsinn. Filmemacher aus der ganzen Welt filmten Männer und Frauen in Stahl-, Bau- oder Textilindustrie, Wachpersonal, Museumswärter und so fort. Sie lieferten kurze Filme (maximal zwei Minuten Länge) ab, 450 an der Zahl. Die Filme durften nicht geschnitten sein, sind somit in der Sprache der Filmleute jeweils „eine Einstellung“.

Nun sieht die deutsche Sprache für das Wort Einstellung aber auch die Bedeutung von Haltung, Wertschätzung vor, was dem Projekt seine qualitativen Valeurs verleiht. Wenn im abgedunkelten Ausstellungsraum des Essener Folkwang-Museums auf zehn Leinwänden die Zweiminutenfilmchen in bunter Reihenfolge laufen, stellen sich beim Betrachter gegenläufige Empfindungen ein. Der serielle Charakter des Gezeigten verstärkt den Eindruck der Gleichförmigkeit, die Gleichzeitigkeit des Gezeigten hebt dessen Vielfalt hervor. Die Botschaft des ganzen allerdings bleibt verhalten. Und ähnliches hat man häufig schon gesehen, übrigens auch von Farocki.

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Die Choreographie „Levée“ von Boris Charmatz läuft im Folkwang-Museum als Videofilm von César Vayssié. (Foto: Ruhrtriennale)

„Levée“ schließlich ist ein Videofilm, der bei der Ruhrtriennale 2013 entstand. Auf der Halde Haniel in Bottrop führte das Musée de la danse die Performance „Levée des confits“ des Choreographen Boris Charmatz auf, der Filmemacher César Vayssié filmte. Es entstand ein Video aus Luft- und Bodenaufnahmen, das nun in einem separaten Saal des Folkwang-Museums gezeigt wird und hübsch anzusehen ist. Tänzerinnen und Tänzer sind in ununterbrochener Bewegung und vollführen Posen und Gebärden, wie man sie aus dem Tanztheater kennt, gestikulieren, werfen sich in den Staub, fegen Sand und so weiter. In den Luftaufnahmen scheint sich die Gruppe gegen den Uhrzeigersinn zu bewegen, „Entwicklung“ im dramatischen Sinn indes ist nicht auszumachen – anders als beim geradezu schon klassisch zu nennenden Tanzstück „Le sacre du printemps“ (Frühlingsopfer) von Igor Strawinsky, das das nämliche Opfer nicht überlebt. Das inszeniert, wie berichtet, Romeo Castellucci unter Verzicht auf menschliche Darsteller mit Knochenmehl.

www.ruhrtriennale.de