Technik kann die Tagträume beflügeln – Werkschau der Multimedia-Künstlerin Laurie Anderson in Düsseldorf

Von Bernd Berke

Düsseldorf. In den dezent abgedunkelten Räumen des Düsseldorfer Museums „kunst palast“ rumort es beständig aus Lautsprechern. Zudem hängen hier etliche Kopfhörer zur gefälligen Selbstbedienung. Dazwischen flackern Videos in Kabinetten. Ein medialer Overkill, der einen nur nervös macht? Im Gegenteil: Diese Ausstellung wirkt kontemplativ.

Kein Wunder, dass man hier fast mehr zu hören als zu sehen bekommt. Denn die 1947 in Chicago geborene Urheberin heißt Laurie Anderson und hat als Musik-Performerin (Song-Erfolg: „O Superman“) einige Berühmtheit am avantgardistischen Saum des Pop-Sektors erlangt. Seit rund 30 Jahren regt sie sich auf der Szene. Größen wie Peter Gabriel, Brian Eno oder Wim Wenders haben bei gemeinsamen Projekten ihre innovative Kraft schätzen gelernt.

Laurie Anderson äußert sich in zahllosen Medien-Mischungen: Musik, Filme, Fotos, Stimmen, mit Schriftzeichen gefüllte Räume, Objekte, Installationen und theatralische Auftritte gehören zum Arsenal.

Ihre besondere Stärke liegt nicht so sehr auf den einzelnen Feldern, sondern vielmehr in der Kombinatorik, deren Alchemie oft gespenstisehe Einblicke in unbewusste Bezirke eröffnet. Eine Papageien-Figur plappert Worte und Satzfetzen daher, die man sonst höchstens still zu denken wagt – „Unsinns“-Sedimente des Lebens. Doch man lausche nur: Vielleicht kommt hier eine ungeahnte Wahrheit zum Vorschein.

Vielfach exponiert Anderson ihren Körper. So trommelt sie mit den Händen an ihren Kopf, fängt die „Hirnschalentöne“ auf und gibt sie verstärkt zum entsprechenden Videofilm wieder. Der Mensch als schaurig verkabelter Automat, als Anhängsel der Technik – oder als kreatives Wesen, das sich stets mutig in neue Symbiosen begibt?

Die Geige ist ihr Lieblings-Instrument. Es mag formal für Weiblichkeit stehen, was die Künstlerin freilich auch ironisiert, indem sie ihren eigenen männlichen „Klon“ elektronisch erzeugt. Digital gerüstet, entlockt der Strich mit dem Geigenbogen einer Computer-Festplatte präparierte Klänge der astralen Art.

Meditative Momente zuhauf: Auf einem Sockel liegt ein Kissen. Der Besucher soll seinen Kopf darauf betten. Die sphärischen Töne, die nun aus den Federn dringen, könnten seine Tagträume beflügeln. Selbst ein unscheinbarer Tisch beginnt sanft zu vibrieren, wenn man die Ellbogen darauf stützt.

Von Laurie Andersons Qualitäten als technische Tüftlerin zeugen Planskizzen, die auch Performance-Situationen penibel im Voraus kalkulieren. Die reiche Phantasie fußt auf solidem Fundament.

museum kunst palast, Düsseldarf (Ehrenhof). Bis 19. Okt., di-so 11-18 Uhr. Katalog 15 €

 




Lustvoll kneten und naschen – New Yorks freche junge Kunstszene zu Gast im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

Köln. 17 000 Bilder in sechs Jahren hat der Amerikaner Stephen Keene gemalt. Der Fließband-Künstler ist reif fürs Buch der Rekorde. Wenn wir mal nur von Ziffern sprechen, so war – damit verglichen – der hochproduktive Picasso ein bedächtiger Mann. Keene bietet jedenfalls nur eine von vielen schrägen Attraktionen der Kunstschau „l Love New York“ im Museum Ludwig.

Dem 41jährigen Rasanz-Künstler aus der zumeist haßgeliebten US-Metropole kann man in Köln live bei der Arbeit zuschauen. Fertige Sperrholz-Bilder werden, kaum daß sie trocken sind, gleich ans Publikum verkauft: zu Spottpreisen von 3 bis 5 DM, je nach Größe; solange der Vorrat reicht.

Die witzige Attacke auf Wertmaßstäbe des Kunstmarktes deutet schon auf einen Kern der Ausstellung hin: Maßstäbe werden in der jungen New Yorker Szene (hier: 28 Künstler) kaum noch angepeilt. Bar jeder Ideologie und meist ganz entspannt im Hier und Jetzt, sprengt man Medien- und Gattungsgrenzen, wirbelt man Stile und Niveaus, Ernst und Entertainment kunterbunt durcheinander.

Museumsdirektor Jochen Potter nennt diese Kreuzungen – ganz flott – „Crossover“. Tatsache ist: Etliche Exponate haben Jahrmarkts- oder sogar Rummelplatz-Charakter. Man fühlt sich animiert, nimmt aber vielfach nur flüchtige Eindrücke mit. Eine Kunstschau für die Videoclip-Generation.

Hinein geht’s über eine flackernde Disco-Treppe

Die so gar nicht weihevollen Hallen betritt man über eine Disco-Treppe mit Flackerlichtern in den Stufen. Durch diese Arbeit von Piotr Uklanski auf „Hully-Gully“ eingestimmt, darf man ums nächste Eck auf Stühlen Platz nehmen, sich Kopfhörer überstülpen und lustbetont in rosaroter Modelliermasse kneten. „Body Study Center“ (Zentrum für Körperstudien) nennt Charles Long seine Installation.

Dermaßen auf leibhaftigen Zugang zur Kunst konditioniert, wundert man sich kaum noch, wenn man sich in Jack Piersons nachgebautem Striptease-Lokal unversehens auf der Bühne wiederfindet. Bekleidet, versteht sich wohl. Man staunt auch nur noch begrenzt, wenn man in Mark Dions marktschreierisch angekündigtem Schaustellerzelt („Zoologisches Wunder!“) ein absurd konstruiertes Tiergerippe aus Kuhrumpf und Bärenkopf besichtigte. Wer neugierig hineingeht, hat sich selbst als Voyeur entlarvt, der sich am Bizarren ergötzen will.

Also schämt man sich ein wenig. Doch schon steht man – wie zum Trost – vor einem Hügel golden eingewickelter Bonbons („Placebo II“ von Felix Gonzalez-Torres). Man soll davon naschen, auf daß das Kunstwerk allmählich schrumpfe und Schwund-Melancholie freisetze. Wenige Meter weiter erlebt man das Gegenteil von Schwund: Ein machtvoller Dinosaurier (Thom Merricks Schöpfung) versperrt, fast bis zum Platzen mit Luft vollgepumpt, einen Durchgang. Putzig.

Irgendwann ist man aber doch dankbar, daß die Ausstellung auch stille Momente be- schert. Die gebürtige Japanerin Mariko Mori entwirft die wandfüllende Vision eines Zauberwaldes mit Feen und asiatischen Schriftzeichen. Jessica Stockholder erzeugt sanfte Energiefelder zwischen textilen Dingen des Alltags. Der aus Jamaika stammende Nari Ward verstreut Dutzende geschnürter Bündel, die Brandspuren tragen und karge Habseligkeiten enthalten. Stillleben in Zeiten der Apokalypse.

Auch die Popmusik-Stars David Bowie und Laurie Anderson zählen hier zu den „Stillen im Lande“. Ihre Zeichnungen sind bei gemeinsamen Telefonaten entstanden. Beide sagen, es sei „Telepathie“ im Spiele gewesen. Nun ja. Jedenfalls haben sie schön reduzierte Rebus-Rätselbilder gekritzelt.

Museum Ludwig, Köln. Bis 31. Januar 1999. Di 10-20, Mi bis Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 12 DM. Katalog 38 DM.