Kollektiv ohne Erbarmen: Der MiR Dance Company gelingt in Gelsenkirchen ein eindrucksvoller Einstand

Die MiR Dance Company tanzt „Le Sacre du Printemps“ in der Fassung von Uri Ivgi und Johan Greben. Die Choreographen interessieren sich dabei vor allem für gruppendynamische Prozesse in einer scheinbar ausweglosen Situation (Foto: Bettina Stöß)

Von einer archaischen, vor-zivilisatorischen Gesellschaft ist zumeist die Rede, wenn es um Igor Strawinskys Ballettmusik „Le Sacre du Printemps“ geht. Dieses Frühlingsopfer ist ein Fest heidnischer russischer Stämme: ein barbarisches Ritual, das ein Menschenleben fordert, um die Natur gnädig zu stimmen.

Nach Vaslav Nijinsky, Choreograph der im Tumult endenden Uraufführung 1913 in Paris, inspirierte Strawinskys explosiv rhythmische Musik viele Künstler zu immer neuen, teils Maßstäbe setzenden Fassungen: Mary Wigman (1957), Maurice Béjart (1959) und Pina Bausch (1975) sind nur einige von ihnen. In der Gegenwart versuchten sich Sasha Waltz (2013) und Mario Schröder (2018) an dem nur halbstündigen, aber schwergewichtigen Ballett-Dinosaurier.

Im Gelsenkirchener Musiktheater ist das „Sacre“ jetzt im postzivilisatorischen Gewand zu sehen. Das israelisch-niederländische Choreographenduo Uri Ivgi und Johan Greben sperrt die Natur aus, die Tänzer dafür aber in einen düsteren Bunker ein. Vergitterte Luken in Bodennähe verweisen auf unterirdische Kerker. In der Rückwand klafft ein großer Riss, als habe das Gebäude unter Beschuss gestanden. Dahinter zeigt sich keine Welt, sondern nichts als ein paar lose Kabel, Rauch und Dunkelheit (Bühne: Karol Dutczak). Claude Debussys spöttisches Bonmot vom „Massacre du Printemps“ bekommt hier eine neue Bedeutung.

Die Tänzerinnen und Tänzer der MiR Dance Company demonstrieren im Sacre ekstatische Hingabe. (Foto: Bettina Stöß)

Das liegt auch an der MiR Dance Company, der mit diesem Strawinsky-Abend ein höchst eindrucksvoller Einstand gelingt. Gelsenkirchens neuer Ballettchef Giuseppe Spota hat eine Gruppe von Tänzern formiert, die starke individuelle Qualitäten haben, aber auch im Kollektiv fantastisch funktionieren. Im „Sacre“ verschmelzen sie zu einer Masse Mensch, die das Fürchten lehrt. Sie rollen zu Haufen übereinander, branden in verzweifelten Fluchtversuchen die Wände hoch wie das Meer an den Klippen.

Endzeitstimmung macht sich breit. Die Gruppe sucht Sicherheit im Ritual, ist in Wahrheit aber orientierungslos und panisch. Immer wieder sieht sich der Einzelne plötzlich einem feindseligen Kollektiv gegenüber. Da werden Schultern und Ellbogen ausgefahren, da werden Menschen am Hals gepackt, da wird dem Individuum kein Platz gegönnt.

Das Opfer ist bei Ivgi/Greben keine Frau, sondern ein Mann. Zu Tode tanzt sich in dieser Fassung niemand. Gleichwohl kommt es zu einem erbarmungslosen Showdown. Unterstützt von der Neuen Philharmonie Westfalen, die sich unter der Leitung von Giuliano Betta sehr ehrbar durch diesen Hexenkessel komplexer Rhythmen schlägt, begeistert die MiR Dance Company durch ekstatische Hingabe und eine nachgerade gewaltbereit wirkende Körpersprache, die der absichtsvollen Rohheit der Partitur in nichts nachsteht.

Streng ritualisiert sind die Hochzeitsrituale in Strawinskys „Les Noces“. Die MiR Dance Company tanzt eine Choreographie von Mario Bigonzetti. (Foto: Bettina Stöß)

Im ersten Stück des Abends hingegen halten die Rituale der Enthemmung noch Stand. Strawinsky beschreibt in „Les Noces“ abstrakte Hochzeitszeremonien, untermalt von vier Klavieren, vier Gesangssolisten, einem Chor und viel Schlagwerk. Mario Bigonzetti zeichnet in seiner Choreographie eindringlich scharfe Bilder von der Beziehung der Geschlechter. Ein langer Tisch oder Laufsteg trennt die Sphäre der Männer von der der Frauen. Metallgestelle, die wie niedrige Hocker mit hoher Rückenlehne aussehen, engen die Körper ein (Bühne: Fabrizio Montecchi). Die MiR Dance Company zeigt einerseits formelhafte Erstarrung und Unterdrückung, andererseits Verlangen und feurige Leidenschaft.

(Informationen und Termine: https://musiktheater-im-revier.de/#!/de/performance/2019-20/les-noces-sacre/)




Zwischen Talkshow und Happening – die Triennale auf musikhistorischer Lesereise

Blick auf die skandalträchtige Uraufführungschoreographie von Strawinskys "Sacre". Foto: Christoph Sebastian

Blick auf die skandalträchtige Uraufführungschoreographie des  „Sacre“. Foto: Christoph Sebastian

Ach Du lieber Gott! Da hopsen und tanzen seltsame Hutzelmännchen, mit Vollbart verziert und Bärenfell behangen, wie Indianer auf dem Kriegspfad umeinander, und das zu Igor Strawinskys archaischer, brutaler, rhythmusgesättigter „Sacre“-Musik.

Es sei gestattet, ein wenig zu lachen, auch wenn hier, als filmisches Dokument, die Rekonstruktion der Uraufführungschoreographie gezeigt wird (1913 in Paris, von Waslaw Nijinsky), die immerhin einen der größten Theaterskandale des beginnenden 20. Jahrhunderts ausgelöst hat. Sodass die Musik im tumultuösen Lärm des erhitzten Publikums beinahe unterging.

Nicht zuletzt auf Eklats dieser Art hat der amerikanische Musikkritiker Alex Ross wohl bei der Titelgebung seines Buches geblickt: „The Rest is Noise“ erzählt eine Geschichte von der tönenden Moderne, die nicht wenige Zeitgenossen als Lärm abtaten, von einer Moderne, die andererseits den Lärm der Welt durchaus spiegelte. Der Autor entwirft dabei ein großformatiges Gemälde, das die musikalische Entwicklung des vergangenen Jahrhunderts in Beziehung setzen will zu politischen, philosophischen, soziologischen Strömungen jener Epoche. Ein überquellendes Kompendium, nicht frei indes von steilen Thesen, „Vielleicht“- und Konjunktivsätzen, Halbwahrheiten.

Sei’s drum: Triennale-Intendant Johan Simons hat das Buch ins Herz geschlossen und schon als Chef der Münchner Kammerspiele szenische Lesungen erarbeitet. Die finden nun ihre sechsteilige Fortsetzung in Schauspielhäusern des Ruhrgebiets. Diese Kooperation mit Theatern des Reviers, anfangs vollmundig beschworen, vereinzelt realisiert, dann aber schmählich fallen gelassen, erfährt also nun eine gewisse Renaissance. Das ist nur recht und billig: dass die Triennale sich bei allen europäischen Leuchtturmprojekten noch der Leistungsfähigkeit der traditionsreichen städtischen Bühnen und ihrer Ensembles bewusst wird.

Stephanie Schönfeld in der Rolle des Buchautors Alex Ross. Foto: Christoph Sebastian

Stephanie Schönfeld in der Rolle des Buchautors Alex Ross. Foto: Christoph Sebastian

Johan Simons’ Musikvermittlung der besonderen Art startet im Essener Grillo-Theater und verhandelt zunächst die letzte Jahrhundertwende, das Fin de Siècle, mithin die Komponisten Mahler und Strauss, um sich dann im 2. Teil hauptsächlich eben des „Sacre“ anzunehmen.

Der eingangs erwähnte Videoschnipsel bleibt alleiniger Filmbeitrag, ansonsten wird fleißig rezitiert. Doch längst nicht alles, was wir in der Lesefassung von Julia Lochte und Tobias Staab zu hören bekommen, entstammt direkt dem Buch. Manche Zitate gehen weit darüber hinaus. Ross’ Werk wird zum Steinbruch, andere Quellen (zu erschließen aus den Anmerkungen des Buches?!) kommen hinzu. Das Schöne ist: Wenn in Simons’ Inszenierung die Figuren selbst sprechen, wenn also die Zeitzeugen etwa über den „Sacre“-Skandal in Form einer aufregenden Collage berichten, gewinnt die Geschichte weit mehr Authentizität als durch die Einlassungen von Alex Ross.

Da gibt Axel Holst einen fein formulierenden Harry Graf Kessler, Stefan Diekmann einen spitzzüngigen Jean Cocteau, und die resolute Ingrid Domann zitiert im Agitpropstil harsche Kritiken aus der zeitgenössischen Weltpresse. Der wunde Punkt von Strawinskys Musik ist schnell benannt: die Dissonanz. Sie ist im übrigen in Ross’ Buch das Element, das die Entwicklung der tönenden Moderne geprägt hat. Sie emanzipiert sich indes nicht erst, das sei nur am Rande angemerkt, seit den späten Stücken eines Franz Liszt. Es gibt Werke der Renaissance, die würde der arglose Hörer im 20. Jahrhundert verorten.

Gestatten: Richard Strauss, Alma und Gustav Mahler (Thomas Büchel, Janina Sachau, Jens Winterstein, v.l.n.r.). Foto: Christoph Sebastian

Gestatten: Richard Strauss, Alma und Gustav Mahler (Thomas Büchel, Janina Sachau, Jens Winterstein, v.l.n.r.). Foto: Christoph Sebastian

Vieles von Ross’ Text, der, wie erwähnt, mit Strauss und Mahler beginnt, wird von Stephanie Schönfeld gelesen. Sie sitzt auf der T-förmigen Bühne auf einem Drehstuhl, fungiert als Wegbereiterin für den Einsatz der jeweiligen „Zeitgenossen“. Thomas Büchel (Strauss) und Jens Winterstein (Mahler) wirken dabei eher verhalten, lümmeln sich auf ihren Plätzen, wollen hintersinnig witzig sein, verleihen dem Abend aber leichte Zähigkeit. In der hinteren Reihe weitere Akteure: etwa Axel Holst als nöliger Kaiser Wilhelm oder Jan Pröhl als teils bärbeißiger, teils gesetzter Debussy.

Das Ganze wirkt wie eine Mischung aus Talkshow und studentischem Happening. Es ist ein unterhaltsamer Abend mit Stärken und Schwächen. Musiker der Bochumer Symphoniker streuen hier und da klingende Beispiele ein, etwa zwei Sätze aus Debussys Streichquartett.

Über allem schwebt die Frage zur Rolle des Publikums, das einst etwa Strauss’ modernistische „Salome“ bejubelte, das „Sacre“ aber erst allmählich goutierte. Debussy und Schönberg wiederum hatten für ihre Zuhörer mitunter nur Verachtung übrig. Die Vorstellung im „Grillo“ indes wird einhellig beklatscht. Dennoch bleiben Zweifel inhaltlicher Art. Die amerikanische Sicht auf einen Teil der europäischen Musikgeschichte mutet nicht zuletzt etwas salopp an.

Die weiteren Stationen der Lesereise finden sich unter www.ruhrtriennale.de




Mit Igor Strawinsky im Knochenstaubland – die Ruhrtriennale zermalmt das „Sacre“

Auf der Bühne rieselt's Knochenstaub, aus der Konserve tönt das "Sacre". Foto: Wonge Bergmann/Triennale

Auf der Bühne rieselt’s Knochenstaub, aus der Konserve tönt das „Sacre“. Foto: Wonge Bergmann/Triennale

Es gibt Momente im Leben eines Kritikers, die entpuppen sich letzthin als verlorene Zeit. Wir haben es gerade erfahren, in einer Vorstellung der Ruhrtriennale. Annonciert wurde die Produktion, zu sehen in der Duisburger Gebläsehalle, in seltsamer Verkehrung der Urheberschaft. „Romeo Castellucci: Le Sacre du Printemps, Choreografie für 40 Maschinen mit Musik von Igor Strawinsky“ lautet der genaue Titel. Das lässt einiges erahnen, allein, es kommt noch schlimmer.

Ein Blick auf den Besetzungszettel nämlich verrät, dass Scott Gibbons für den „Sound“ verantwortlich ist. Und dass die „Aufnahme“ (des Sacre) von MusicAeterna stammt, unter dem Dirigenten Teodor Currentzis. Kurzum: Wir hören das Stück aus der Konserve. Kein Orchester, nirgends. Nun, der Klang ist immerhin raumfüllend, in den Holzbläserpassagen nimmt er uns sanft in die Arme, die attackierenden Schlagwerk-Bruitismen wiederum scheinen die Mauern zu sprengen. Doch je mehr sich die Musik in Bassregionen begibt, tönt’s mulmig und matschig.

Geschuldet ist dies allein dem Konzept Castellucis. Denn 40 Maschinen so zu programmieren, dass sie punktgenau mit der Musik agieren, ist live schlicht unmöglich. Jede kleine Verzögerung im Orchester würde dazu führen, dass alles aus dem Ruder läuft. Worum aber geht es? Um Knochenstaub. Der aus Behältnissen, kleinen bauchigen Speißtrommeln oder rechteckigen Kästen, schießt, herausrieselt, sich über die Bühne ergießt. Eine Plexiglasscheibe trennt Publikum und Materie, husten muss hier keiner, immerhin.

Die Sache wird indes noch skurriler. Wenn sich, im 2. Teil des Stückes, die archaische Musik durch den Raum wälzt oder die schneidenden, hochkomplexen Rhythmen sich ins Gehör meißeln, ist Schluss mit Maschinentanz. Ein weißer Vorhang verdeckt die Szenerie, auf den Sätze über Beschaffenheit und Verwendung von Knochenstaub projiziert werden. Das „Sacre“ zur Hintergrundmusik degradiert, im Dienste der Bildung auf VHS-Niveau.

Was das soll? Originalton Castellucci im Programmfaltblatt: „Das Opfer, auf das Strawinsky anspielt, ist … das Menschenopfer. Im Laufe der Geschichte ist es dem Menschen unmöglich geworden, seinesgleichen zu opfern … Der Knochenstaub verweist auf eine industrielle Vorstellung vom Opfer. Hier gedenken wir ‚den Tieren’, die – zu Tausenden – ohne Opferritual zur Schlachtbank geführt werden, ohne dass über ihren Tod Rechenschaft abgelegt wird“. Es ist sagenhaft.

Am Ende applaudiert das Publikum – ja, wem eigentlich? Den Programmierern, unsichtbaren Musikern, oder vielleicht den armen Teufeln im weißen Schutzanzug mit Atemmasken, die sich daran machen, das ganze Knochenzeugs wieder wegzuschaufeln? Wir indes rufen dieser Art von Kunst zu: „Aber der Kaiser ist ja nackt“ – viel Getue, nichts dahinter. Blanker Unfug.




Zwei machen auf Skandal: Alice Sara Ott und Francesco Tristano beim Klavier-Festival Ruhr

Alice Sara Ott und Francesco Tristano - zwei Pianisten, harmonisch vereint immerhin zum Schlussapplaus. Foto: Mohn/KFR

Alice Sara Ott und Francesco Tristano – zwei Pianisten, harmonisch vereint immerhin zum Schlussapplaus. Foto: Mohn/KFR

Neue Musik ist nicht gerade ein Publikumsrenner. Wenn sich die Klänge im Konzert avantgardistisch geben, nehmen viele Hörer Verteidigungsstellung ein. Oder schütteln erschrocken, verdrossen, fragend, vielleicht auch altersmilde lächelnd ihr Haupt. Atmen auf, wenn endlich, etwa mit einer Beethoven-Symphonie, wieder sicheres ästhetisches Fahrwasser erreicht ist. Doch eines ist selten geworden bei der Beurteilung tönender Moderne: der (handfeste) Skandal.

„Scandale“ rufen die Pianisten Alice Sara Ott und Francesco Tristano. Die französische Wortvariante ist bewusst gewählt, geht es ihnen doch darum, musikalische Eklats ins Gedächtnis zu rufen, die sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in der aufregenden Kulturmetropole Paris ereigneten. Die entsprechende CD soll im Herbst erscheinen, einen Vorgeschmack hat es nun beim Klavier-Festival Ruhr gegeben.

Fürs Plattencover – und das Festival-Programmheftchen – haben die beiden das elegante Konzertoutfit abgelegt und sich ganz existenzialistisch schwarz gekleidet. Alice Sara blickt uns in herausfordernder Gleichgültigkeit an, Francesco wiederum schaut auf seine Klavierpartnerin, als sei sie ein fleischgewordenes Rätsel. Man mag auch über die Botschaft dieser Ikonographie nachdenken – beider Auftritt in Duisburgs Gebläsehalle jedenfalls bedient eher das konventionelle Bild zweier junger Pianisten, die eben Werke für zwei Klaviere zu spielen gedenken.

Am Beginn steht Maurice Ravels „Bolero“, ein Stück, zu dem der Komponist selbst anmerkte, es sei eigentlich keine Musik. Sie wurde geschrieben für die Tänzerin und Mäzenin Ida Rubinstein, und war, wohl erst in Verbindung mit einer lasziven Choreographie, skandalträchtig. Die Fassung für zwei Klaviere stammt nun von Tristano. Er zupft zunächst im Klavierbauch an einer Saite den charakteristischen Trommelrhythmus, später verlagert sich die repetitive Dauerfigur auf die Tasten. Alice Sara Ott ist für die zweiteilige Melodie zuständig, die sich aus aller Zartheit ins Orgiastische steigert.

Das Paar in Aktion. Foto: Mohn/KFR

Das Paar in Aktion. Foto: Mohn/KFR

Das alles macht mächtig Effekt, ohne noch irgendwie verstörend zu wirken. Die Interpretation zeigt indes exemplarisch die Probleme, die dieser Abend mit sich bringt. Und die ergeben sich nicht zuletzt daraus, dass hier zwei stark verschiedene Pianistentypen am Werk sind. Wobei Tristano den Takt vorgibt, auf dass die Musik nur ordentlich groove. Handwerkliche Probleme, die sich etwa dadurch ergeben, dass beide auf Umblätterer verzichten, fallen auf, spielen aber bloß eine Nebenrolle.

Im „Bolero“ also tackert’s rhythmisch, gewinnt die Dynamik an Intensität, bevor Tristano (aus welchen Gründen auch immer) auf die Bremse tritt. Dann ertrinkt das Trommeln im Hall, wird die Lautstärke zwei Mal extrem zurückgeführt. Das Ergebnis hat mit Skandal wenig zu tun. Viel mehr aber mit Nivellierung und einem faden Groove, den der Pianist aus seinem eigenen Werk ableitet, hier aus einer impressionistisch, jazzig und minimalistisch angehauchten Lounge Music namens „A Soft Shell Groove Suite“.

Da ist nun alles auf Wellness gebürstet und so wundert es kaum, dass Igor Strawinskys „Le Sacre du Printemps“, 1913 das Skandalstück schlechthin, in dem der Komponist nicht zuletzt die Emanzipation des Rhythmus feiert, seine archaische Kraft nur bedingt entfalten kann. Tristano und Ott setzen auf Struktur, skelettieren beinahe das Werk. Feine Linien schimmern auf, in Kontrast gesetzt zur futuristischen Maschinenmusik der stampfenden Bässe. Doch Ekstase und harsche Dissonanzen kommen in dieser Interpretation recht harmlos daher.

Das ungleiche Paar findet nicht wirklich zusammen. Damit ist kein Skandal zu machen. Da hilft auch keine existenzialistische Pose.