„Polizeiruf“ rund um einen Kindergarten: Die Hölle der ehrgeizigen Eltern

Wenn ein „Polizeiruf“-Krimi schon „Kinderparadies“ heißt, dann kann man ziemlich sicher sein, dass er gleichsam mitten in die Hölle führt. Und so war es dann auch.

Man lernte einen Kreis pädagogisch versierter Eltern aus der gehobenen Mittelschicht kennen, die ihren eigenen, höchst ambitionierten Kindergarten betrieben. Ganz klar: Sie alle wollten nur das Allerbeste für ihre Kinder, die hier im zarten Alter von zwei, drei oder vier Jahren schon mit chinesischer Sprache, klassischer Musik und Theater wie Shakespeares „Sommernachtstraum“ vertraut werden sollten.

Die kleine Lara (laut Besetzungsliste Doris Marianne Müller - in Wahrheit Edwina Kuhl, Tochter von Annika Kuhl und Leander Haußmann) wurde fast zur Hauptdarstellerin. Hier bekommt sie vom Kommissar einen Teddy. (© BR/EIKON Süd GmbH/Barbara Bauriedl)

Die kleine Lara (laut Besetzungsliste Doris Marianne Müller – in Wahrheit Edwina Kuhl, Tochter von Annika Kuhl und Leander Haußmann) wurde fast zur Hauptdarstellerin. Hier bekommt sie vom Kommissar einen Teddy. (© BR/EIKON Süd GmbH/Barbara Bauriedl)

Lauter psychische Wracks

Das war ziemlich dick aufgetragen, wenngleich es gewisse Vorbilder in der Wirklichkeit gibt. Mit entsprechender Zerstörungslust wurden solche idyllischen Lebenslügen in diesem Film (Regie: der theatererfahrene Leander Haußmann) ebenso genüsslich wie gründlich demontiert. Statt liebevoller Eltern lernte man einige psychische Wracks kennen, die einander in Hass und Eifersucht verfolgten.

Das mag sich recht schematisch anhören, doch die Frage ist, wie so etwas gespielt wird. Und da muss man sagen: Es war – bis in die Nebenrollen hinein – darstellerisch überwiegend exzellent. Angefangen vom Münchner Kommissar Hanns von Meuffels (Matthias Brandt) bis hin zu den Elternrollen (u. a. Annika Kuhl, Johannes Zeiler, Markus Brandl). Filmisch erging man sich vielfach in bloßen Andeutungen und Impressionen, so dass sich mancher Sachverhalt nur nach und nach zusammensetzte – wie ein Mosaik. Es war schon ein besonderes Stück Fernsehen, keineswegs alltäglich.

Momente der Hoffnung

Letzten Endes konnten einem alle Figuren zutiefst leid tun, allen voran natürlich die Kinder, die unter den furchtbar deformierten Erwachsenen zu leiden hatten. Doch selbst die Täterin, die unglaublich brutal zu Werke gegangen war, war ein solch erbarmungswürdiges Häufchen Elend…

Die insgesamt ziemlich niederziehende Milieustudie beschränkte sich gottlob nicht nur auf bitteren Ernst, sondern nahm sich auch Zeit für einige parodistische Momente und ein paar Lichtblicke. So beispielsweise, als die versammelten Kripo-Spurensicherer im Gefolge des Kommissars „Heile heile Gänschen“ brummelten, um die kleine Lara zu beruhigen. Die wurde so etwas wie die heimliche Hauptperson des ganzen düsteren Dramas, indem sie auf sehr anrührende Weise ein Stück Hoffnung verkörperte. Als Vater einer gerade vierjährigen Tochter weiß ich erst recht, was ich da sage.

Der Beitrag ist zuerst bei www.seniorbook.de erschienen.




Die Unlust der Theatermacher am eigenen Handwerk – Regisseure Langhoff, Castorf und Haußmann schimpfen drauflos

Von Bernd Berke

Was ist nur mit den Regisseuren los? In den letzten Tagen schimpfen sie wie die Rohrspatzen aufs Theater.

Den Anfang machte Matthias Langhoff, der nach Jahren in Paris für eine Gastinszenierung nach Berlin zurückkehrte und dort offenbar einen Kulturschock erlitt. Im deutschen Theater langweile er sich fast immer, barmt Langhoff im „Zeit“-Interview. ?

Erstarrte Strukturen, Cliquenwirtschaft, überzogene Kunstansprüche, unter denen jede Lebendigkeit verschüttet werde. So lautet, in den Grundzügen, seine Diagnose. Überhaupt muss man das ganze Bühnenelend offenbar eher medizinisch betrachten. „Im Grunde ist Theatermachen ja eine Krankheit“, meint Langhoff. Und das Zuschauen? Erst recht. „Ich glaube, dass jeder, der mehr als zweimal im Jahr ins Theater geht, irgendwie einen Defekt hat.“

Gleich morgen werden wir uns in Behandlung begeben. Doch zuvor lassen wir uns noch einmal aufs wilde Denken von Leander Haußmann und Frank Castorf ein, die jüngst bei einer Diskussion in Bochum (die WR berichtete) ins gleiche Horn stießen. Der Berliner Volksbühnen-Chef Castorf geht nicht mehr ins Theater, „weil ich mich dort nur noch langweile“, und Bochums Noch-Intendant Haußmann findet, „dass nur noch Idioten Theater machen dürfen“. Ähnlich wie Langhoff fühlt er sich im Kino weitaus wohler.

Nun gut. Die Theaterkrise dauert eh seit über 2000 Jahren an, immer wieder wurde sie herbeigeredet, es hat wohl schon bei den alten Griechen begonnen. Außerdem gibt’s derlei Überdruss in jedem Beruf. Der Arbeiter mosert über die Fabrik, der Angestellte übers Büro, der Lehrer über die Schule, der Journalist übers Rundfunk- oder Zeitungswesen. Doch meist tun sie’s unter sich und behelligen nicht gleich die Öffentlichkeit damit.

Dass die üble Laune einiger Theatermacher sich zudem in pauschaler Medien- und Publikumsschelte entlädt, macht die Sache gewiss nicht besser. Man stelle sich einmal vor, die Bosse von VW, Opel, BMW oder Daimler hielten ihre Produkte für langweilig und würden dies auch lauthals hinausposaunen. Überhaupt: Autos zu bauen und zu fahren sei sowieso krankhaft, deshalb solle man doch lieber gleich die Bahn nehmen.

Was würden wir denen noch abkaufen? Genau!

 




Willkommen im Land der Gespenster – Leander Haußmann inszeniert Ibsens „John Gabriel Borkman“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Dumpfe Schritte hallen aus dem Zimmer oben. Auf und ab, auf und ab. Da stapft er umher, der frühere Bankdirektor John Gabriel Borkman, dieser einsame Wolf. Man hat ihn des Betruges überführt und abserviert. Seither hat er sich nicht blicken lassen, hat acht Jahre in Klausur verbracht und krude Phantasien ausgebrütet („Wir Ausnahmemenschen“). Doch das ganze Unglück ist noch nicht heraus. Erst jetzt wird es in Henrik Ibsens Stück enthüllt.

Vor vielen Jahren hat Borkman – der Karriere wegen – die Frau seines Lebens von sich gewiesen. Statt Ella hat er aus purem Opportunismus deren Schwester Gunhild geheiratet. Davon hat sich keine der drei Seelen mehr erholt. Es war ein Mord am Geist der Liebe. In Leander Haußmanns Bochumer Inszenierung des innigen Gesprächs-Dramas macht sich folglich die Eiszeit breit.

Nur noch das Versäumte betrauern

Die Bühne (Franz Havemann) ist anfangs vollgestellt mit staubigem Mobiliar. Man spürt, wie die Menschen, die in diesem Raum allmählich erstarren, körperlich eingezwängt werden durch lauter Plunder und Lasten der Vergangenheit. Die Zeit des Tuns ist längst vorüber, die Figuren können nur noch bitterlich dem Ungenügen nachsinnen.

Wenn die Schwestern Ella (Traute Hoess) und Gunhild (Margit Carstensen) einander hier nach vielen Jahren erstmals wieder begegnen, so ist auch jedes Wort anstößig. Jede Bemerkung enthält Sprengstoff. Denn Ella hat John Gabriel Borkmans und Gunhilds Sohn Erhard großgezogen, und nun – von tödlicher Krankheit bedroht – möchte sie ihn für den kleinen Rest ihres Lebens noch einmal zu sich nehmen. Die Mutter wiederum will ihn auch nie wieder loslassen.

Die Rivalinnen von einst haben ein Ersatz-Streitfeld gefunden. So zerren sie beiderseits an ihm und zehren von ihm. Erhard (Andreas Pietschmann) soll zur Linderung der Leiden herhalten, er soll alle Enttäuschungen tilgen. Dabei will der Student doch unbeschwert seine Jugend genießen. Einmal japst und rülpst er herum, um sich Luft zu verschaffen in der ihm zugemuteten Enge. Einer der ganz wenigen billig verjuxten Momente.

Das schmerzliche Verwehen der Zeit

Der junge Mann wirkt fahrig, haltlos, nervös. Das Scheitern ist auch ihm schon eingeschrieben. Unrettbar verpfuschtes Dasein allenthalben. Haußmann beweist haarfeines Gespür fürs schmerzliche Verwehen der Zeit. Obwohl er und die SchauSpieler (vor allem Peter Rauch als Hilfsschreiber Foldal – mehr als ein Kabinettstück!) dem Text komödiantische Facetten abgewinnen, bleibt der Grundton doch elegisch. Einmal bedecken angegilbte Zeitungsseiten den Fußboden. Ein Sinnbild all der vergeudeten Tage, Wochen, Jahre.

Die Schwestern sind – durchaus sinnvoll – etwas „gegen den Strich“ besetzt. Traute Hoess sieht robuster aus, als es die Rolle eigentlich zulässt, Margit Carstensen hingegen beklagenswert verhärmt. Ihr früherer „Sieg“ (die Heirat) blieb ohne Ertrag. Ebenso wie Borkman (Ezard Haußmann, der sein Elend im schlaksigen Konversationston vorzeigt) lassen die Schwestern sich nie ganz von Emotionen hinreißen (was verteufelt schwer zu spielen ist). Es ist, als gebe es da eine Bremsvorrichtung.

Die wahren Gefühle sind eben längst erstorben und wohl auch erstickt unter kitschigen Erwartungen: Ella findet gar die Muße, ein blinkendes Eiffelturm-Modell auf den Tisch zu wuchten, als Erhard seine Geliebte Fany (Maren Eggert) vorstellt, mit der er vor all dem flüchten will. Dazu ertönt der Schläger „Ganz Paris träumt von der Liebe“.

Bei eisiger Kälte ins Nirgendwo

Es sind Szenen von grotesker Art, die jederzeit in eine böse Endlos-Schleife eingefädelt werden könnten, in furchtbar-komisch verewigte Wiederholungen à la Thomas Bernhard oder Samuel Beckett.

Gegen Ende brechen Borkman und Ella bei eisiger Kälte ins Nirgendwo auf. Die mit Hub und Schub vielbewegte Bühne ist nun beinahe leer. Schneewehen vernebeln den Blick wie im Traum, und es huschen trollhafte Geister herbei. Bereits im Jenseits angelangt, schneidet Borkman ihnen Grimassen. Schließlich sagt er belustigt: „Schön hier bei euch.“ – Willkommen im Gespensterland!

Furioser Premieren-Applaus.

Termine: 25., 26. Sept; 3., 8. Okt. Karten: 0234/3333-111.




Apokalypse mit Abwasch – Leander Haußmann inszeniert die Uraufführung von Edward Bonds „Das Verbrechen des Einundzwanzigsten Jahrhunderts“

Von Bernd Berke

Bochum. Links kauert eine Ruine. Auf schräger Holzplanke kann man bis auf einen beengten Platz balancieren. In dessen Mitte steht ein wackeliger Tisch, rechts erhebt sich windschief ein notdürftig gezimmerter Verschlag als kaum menschenwürdige Behausung. Das wie für alle restlichen Zeiten unwandelbare Elendsquartier (Bühnenbild: Franz Havemann) ist Schauplatz eines Endzeit-Spiels.

Der Brite Edward Bond (64) läßt sein Stück „Das Verbrechen des Einundzwanzigsten Jahrhunderts“ anno 2090 spielen. Die Welt besteht weithin nur noch aus Schutt und Asche, eine brutale, fürchterlich anonyme Militärmacht kontrolliert die abgeriegelten Bezirke. Von den Tätern erfährt man nichts Näheres, man schaut nur den Opfern eine Weile beim Vegetieren zu.

Das Drama, jetzt unter Regie von Leander Haußmann in Bochum uraufgeführt, stößt uns ins „Säuberungsgebiet“, in dem versprengte Flüchtlinge umherirren und um die letzten kargen Wasser- und Nahrungs-Reserven kämpfen. Man muß nicht 91 Jahre vorausdenken, um derlei Verhältnisse zu imaginieren…

Auch die Sprache ist nur noch Ruine

Bond, der seine Stücke gern wortkarg betitelt („Sommer“, „Gerettet“), verwendet auch hier eine Sprache, die vielfach aus Ein- oder Zweiwortsätzen besteht. Mit hervorgeschnappten Wortbrocken beginnt der anfängliche Disput um einen Becher Wasser, den Grig (Ralf Dittrich) von Hoxton (Margit Carstensen) erfleht. Nicht nur die Häuser, auch die Sätze sind Ruinen. Und menschliches Verhalten ist zurückgestutzt auf elementare Antriebe des bloßen Überlebenswillens. Die Figuren  nehmen einander durch Witterung wahr, sie erschnuppern die vermutlich gefährliche Gegenwart der anderen.

Der Abend hangelt sich zuweilen zäh über manche Leerstellen hinweg – und wahrscheinlich gibt das Stück auch nicht mehr her. Bond bastelt sich seine apokalyptische Vision aus Versatzstücken zurecht. Es treten keine „Charaktere“ auf, sondern wandelnde Chiffren der Katastrophe. Auch gibt es keine erzählbare Entwicklung, keinen Fortgang. Alles ist schon zu Beginn ausweglos und bleibt so. Es beschleicht einen das Gefühl, man habe solche Befunde bei Samuel Beckett schon wesentlich konsequenter und gültiger gestaltet gesehen. Und Sätze wie „Wir rammeln die Sterne vom Himmel“ hätte der Ire nicht im Traum benutzt.

Mit Bond betreten wir gar einen vergleichsweise gemütlichen Flecken im Niemandsland. Immer wieder sehen wir, wie aus einem Kanister (mit komfortabler Zapf-Vorrichtung) Waschtage und Geschirrspülen bestritten werden. Fehlt nur das Bügeleisen. Der Alltag, wie bruchstückhaft auch immer, geht selbst in dieser Zivilisations-Wüste unterm öden Bildschirm-Himmel irgendwie weiter. Oder sollte gerade in solcher „Normalität“ am Ende aller Geschichte der eigentliche Schrecken bestehen?

Zwei weitere Personen betreten die Szene: Grace (Annika Kuhl) will ihre vermeintliche Mutter Hoxton steinigen. Und der als Schmerzensmann geradezu auftrumpfende Kriminelle namens Sweden (Andreas Pietschmann), der seinen Kontroll-Chip aus dem Leibe geschnitten hat und deshalb von der Armee des Augenlichts beraubt wird, ersticht buchstäblich blindlings die beiden Frauen. Nach finaler Selbstamputation wankt er auf blutigen Beinstümpfen.

Eifriges Theater der Grausamkeit

Derlei morbide Akte wirken hier wie willkürlich schockierende „Zugaben“, die fast ebenso gut unterbleiben könnten. Es ist, als hätte Bond mit seinem Theater der Grausamkeit der kürzlich verstorbenen Sarah Kane (ihr ist der Text gewidmet) nacheifern wollen. Und es scheint so, als vollführe Sweden seine Morde vor allem deshalb, weil er merkt, daß er diese Frauen braucht (als Pflegerinnen, Wegweiserinnen, Huren), sie ihn hingegen nicht. Es ist nicht zum Aushalten.. .

Von wegen „Bochumer Spaß-Theater“. Sie können auch anders: Sieben erbärmliche Heullaute, ausgestoßen in einem klinisch weißen Raum, verhallen am Schluß. Die Darsteller stehen alles Klagen tapfer durch. Doch die Apokalypse haben sie über weite Strecken nur behauptet, selten aber zutiefst gezeigt.

Dennoch unbändiger Premierenjubel des Haußmann-Fanclubs. Ob das Abo-Publikum auch so reagieren wird, darf bezweifelt werden.

 




Shakespeare-Premiere mit Drehwurm und „Stinkefinger“ – Leander Haußmanns harsche Reaktion auf Buhrufe in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Hat man so etwas schon erlebt? Da kassiert das Ensemble seinen Beifall und holt nun den Regisseur auf die Bühne: Leander Haußmann, Intendant des Bochumer Schauspiels. Der muß einige Buhrufe einstecken. Und wie reagiert er? Er zeigt den Vogel, reckt sodann einen „Stinkefinger“ in Richtung der vorderen Publikumsreihen und geht brüsk ab.

Welch ein Kerl! Fürs gleiche Verhalten ist der Fußballer Stefan Effenberg jahrelang aus der Nationalmannschaft verbannt worden. Fragt sich, von wem man mehr Souveränität, Reife und Stilgefühl erwarten sollte – von einem Kicker in seinen Zwanzigern, oder vom bald 40jährigen Chef einer ruhmreichen Bühne.

Gespielt wurde auch, und zwar Shakespeares „Viel Lärm um nichts“. Es war jene große Produktion mit fortgeschrittenen Schauspielschülern, die in Bochum gute Tradition hat. Die berühmte Komödie handelt vorwiegend von zwei Paaren: Graf Claudio und die schöne Hero lieben einander sogleich, werden aber durch gemeine Ränkespiele zunächst am Glücksgenuß gehindert. Edelmann Benedikt und Heros Cousine Beatrice wehren sich scharfzüngig gegen jede Gefühlsanwandlung, werden aber (gleichfalls auf intriganten Wegen) dann doch zueinander gedrängt.

Bevor sich diese Verhältnisse herauskristallisieren, erleben wir erst mal das kollektiveVorspiel. Merke: Die böse Gesellschaft behauptet ihren Vorrang, sie mischt sich in alle „privaten“ Dinge. Männlein und Weiblein noch strikt wie in einer Schlachtordnung getrennt, ergeht sich die junge Truppe in Gruppen-Übungen, die Merkmale der schauspielerischen Ausbildungsgänge tragen. Welche Lektionen haben sie gelernt? Beispielsweise den Umgang mit Fechtgerät und die sichere Einteilung des knappen Bühnenraums: Auch wenn alle durcheinander wuseln, darf keiner den anderen ungewollt anrempeln.

Der Reigen des Begehrens wird zum Totentanz

Die Bühne rotiert so ausgiebig, daß man schon vom Zuschauen fast einen Drehwurm bekommt. Doch der technische Trick weitet den Blick. Sinnfällige Simultan-Geschehnisse tun sich auf: Sah man gerade noch ein geil sich wälzendes Paar, so saust schon – wusch! –  die Szene vorbei, in der eine einstmals Geliebte gewürgt wird. Der Reigen des Begehrens als Totentanz. Hübsche Groteske: Auf dem Karussell erhebt sich ein Gehäuse (Bühnenbild: Alex Harb), durch dessen viele Türen Betrüger und Betrogene mitunter wie von Sinnen stolpern.

Diese Inszenierung (Ko-Regie: Leander Haußmann, Uwe Dag Berlin) sucht uns stets über Zusammenhänge zwischen Sex und Tod, Gier und Vergänglichkeit auf dem laufenden zu halten. Lustgott Cupido (längst kein Schüler mehr, sondern gestandener Darsteller: Steffen Schult) gibt hier den melancholisch singenden Mahner. Nichts Fleischliches ist von Dauer. Nun ja, Derlei Einsicht hat begrenzte Leuchtkraft, sie erlischt rasch zur Allerweltsweisheit.

Claudia (Lucas Gregorowicz) kehrt anfangs aus dem Kriege heim und sehnt sich nach der Liebe. Doch Liebe ist hier just ein anderes Wort für Krieg. Bescheidwisser von heute inszenieren solchen Befund freilich nicht nur trübsinnig, sondern in einer flackernden Mixtur aus Schwermut, Überdruß und Unernst, der oft eher albern als komisch wirkt.

Trivialmythen fließen umstandslos ein: Fürst Don Pedro (Uwe Eichler) tritt auf wie ein Bruder von Guildo Horn, Beatrice (Yvon Jansen) und Benedikt (auffallend, das könnte „mal einer werden“: Benjamin Höppner) hocken schon mal da, als hätten sie sich bei einer kieksenden „Herzblatt-Show kennengelernt.

Trotz solcher Gags hat der fast dreistündige Abend ein paar arge Längen. Das Ensemble hält sich insgesamt wacker, scheint aber mehr auf körperliche Ausdruckspräsenz denn auf Sprechkultur trainiert zu sein. Doch das eine oder andere, gar zu nachdrückliche Über-Agieren wird sich im Laufe des langen Bühnenlebens wohl noch geben…

Termine: 2., 6., 11., 13. Februar. Karten: 02 34/3333-111.




Zimmerschlacht nach Lust und Laune – Jürgen Kruse inszeniert Andreas Marbers „Rimbaud in Eisenhüttenstadt“

Von Bernd Berke

Bochum. „Blöööd ist es auf der Welt zu sein / Sagt die Biene zu dem Stachelschwein.“ Welch eine Gaudi, wenn diese Schläger-Verballhornung auf der Bochumer Kammerspiel-Bühne gegrölt wird. Mittendrin ruft Intendant Leander Haußmann, der sich als „Rimbaud in Eisenhüttenstadt“ (Regie: Jürgen Kruse) diesmal auch Titeldarsteller-Ehren gönnt, ins Publikum: „Und nun alle! Auch die Kritiker, die sollen ihre Stifte mal loslassen!“ Von wegen.

Rimbaud also. Dieser „wilde“ französische Dichter (1854-1891), dem schon früh die Lyrik nicht mehr genügte und den es hinaustrieb ins Unbedingte. Sodann ausgerechnet Eisenhüttenstadt, aus dem Boden gestampfte Industrieansiedlung der früheren DDR, Inbegriff genormter Enge zwischen Plattenbauten. Mit solch gegensätzlichen Gewürzen hat Andreas Marber (Jahrgang 61, Hausdramaturg in Bochum) sein Stück abgeschmeckt. Jürgen Kruse setzt den Text mit allen erreichbaren Mitteln und im wegwerfenden Gestus aggressiven Angewidertseins unter Dampf.

Es wird – zumal vor der Pause – im Publikum oft gelacht, freilich vielfach kopfschüttelnd, wenn sich etwa Rimbaud Kokain via Staubsaugerrohr in die Nase zieht oder das Überraschungsei einen Präser enthält. Sachen gibt’s…

Stilsicher versiffte Behausung

Die gut dreistündige Zimmerschlacht (hoher Sudelfaktor mit Bier- und Blutspritzern) spielt sich in der stilsicher versifften Einraum-Behausung Rimbauds ab. Dieser ostdeutsche Anarcho-Rebell der Nach-Wendezeit, der auf die reichen Westler schimpft und „vergossene Worte“ des Ostens bewahren will, lebt an seiner Endstation. Mit allen hat er Streit: Die „Süddeutsche Zeitung“ mochte seine zynische Hymne auf Michael Jacksons Kinderschändungen nicht abdrucken. Und in der Stadtbücherei hat man ihm Hausverbot erteilt, als er dort entnervt das „Kochbuch der Anne Frank“ verlangte…

Nun tänzelt auch noch sein schwuler Gespiele Dr. Martin Wolf (Komödiant von Gnaden: Torsten Ranft) aus dem evangelischen Predigerseminar zu Wittenberg herbei, um sich im lachhaften Jargon der Selbsterfahrung von Rimbaud zu trennen – vage Reminiszenz an die historische Dichter-Liebe zwischen Rimbaud und Paul Verlaine, außerdem Gelegenheit zu derben Antiklerikal-Scherzchen („Sinn-Hode“ statt „Synode“).

Derweil irrt Rimbauds hirnkranke Frau mit Namen Vera Vernunft (Annika Kuhl) umher und produziert kleine Sprechopern der Vergeßlichkeit: „Oh, oh, oh – Weil, weil, weil…“ Ihre weitgehend stumm-verzweifelte Rolle wird in Erinnerung bleiben.

Zwischen Aufwallung und Achselzucken

Später gesellt sich eine Kammerjägerin (Henriette Thimig) hinzu, früher bei der Stasi, die auf anderer Ebene mit der „Schädlingsbekämpfung“ fortfährt. Auch wankt hin und wieder eine Riesen-Ratte über die Bühne. Schließlich erscheint ein Mann im weißen Kittel (Marquard Bohm), den man angesichts all dessen erwarten durfte. Als Vera kurzerhand aus dem Fenster springt, brüllt Rimbaud wie am Spieß, doch plötzlich verstummt er und holt sich ein Pils aus dem Kühlschrank.

Derlei willkürliche Abfolge von Aufwallung und Achselzucken bildet ein Grundmuster. Theater nach dem schieren Lustprinzip: Wo Jürgen Kruse „Bock“ hatte, hat er rotzig etwas hin-inszeniert. Zuweilen hat das gleichsam dreckigen Charme.

Leander Haußmann muß wenig Filigranarbeit leisten, er kann sich just austoben mit gehörigem Talent zur Raserei. Die gesamte Darbietung folgt quasi der Rimbaud’sehen Chaos-Regel. Sie könnte jederzeit enden, aber auch immer so weitergehen.

Natürlich öffnet Jürgen Kruse wieder den Plattenschrank. Er beweist exzellenten Spürsinn für starke Rock-Titel und absolut schräge Schläger. Das ganz andere Musiktheater im Revier.

Im nicht frenetischen Beifall ertönten auch Buhrufe.

Termine: 29. Mai, 18. Juni. Karten: 0234/3333-111.




Im Dschungelkampf der Liebe – Leander Haußmann inszeniert Shakespeares „Sommernachtstraum“ in Salzburg

Aus Salzburg berichtet Bernd Be r k e

Lysander liebt Hermia und schenkt ihr ein Paar Schuhe, womöglich aus dem Schlußverkauf. Hernach, wenn der Puck im Walde Lysanders Blick mit einem Kräutlein behext hat, glaubt dieser plötzlich Helena zu lieben. Da entreißt er Hermia die Schuhe und überreicht sie der neuen Angebeteten.

Die freilich ist ein rubenshaftes Mädchen und hat viel zu große Füße. Sieht trotzdem so aus, als äußere sich Zuneigung zumal in materieller Transaktion, als sei sie ein heilloses Geschäft.

Bochums Intendant Leander Haußmann hat Shakespeares unverwüstliche Liebesverwirrung „Ein Sommernachtstraum“ für die Salzburger Festspiele in Szene gesetzt. Und er hat doch hoffentlich mehr im Sinn als vorschnelle Denunzierung geschlechtlicher Umgangsformen? Mal sehen.

Ein roter Vorhang wogt und wallt über die ganze imposante Bühnenbreite der Felsenreitschule. Schon bevor das Tuch vom Sturme beiseite geblasen wird, erscheint dahinter in leuchtenden Reklame-Lettern der Schriftzug „The Wood“. Der Zauberwald lockt mit den Mitteln einer Imbißkette.

Im Hintergrund rauscht die Toilette

Wenn die wechselhaft Liebenden einander hier in Lust und Streit begegnen, verfallen sie rasch in Sprech-Übertreibungen wie aus dem ComicHeft. Poesie wird dann hechelnde und geifernde Gier im Nu, es quieken und knarren die Stimmchen. Und im Hintergrund rauscht gelegentlich eine Toilettenspülung. Geht denn alles den Bach hinunter?

Hermia (Steffi Kühnert), Helena (Sabine Orleans), Lysander (Oliver Stokowski) und Demetrius (Jan Gregor Kremp) entstammen der achtlosen Konsumwelt und somit einer Pop-Fraktion: „Hello, I love you, won’t you tell me your name?“ schmachten die Männer mit einer „Doors“-Titelzeile.

Sowieso geht’s bei Haußmann wieder mal enorm sangesfroh zu; auch Trompete, Mundharmonika und Laute kommen zum Einsatz. Manch ist’s stimmige Klangmalerei, manchmal nur Trallala. Wie denn überhaupt die ganze Inszenierung einige allerliebste Einfälle mobilisiert und zuweilen wundersam kindlich geraten ist, aber dann wieder nur töricht-kindisch vor sich hin kräht. Auch das hält dieses unvergleichliche Stück aus.

Nur Rest-Grün mit Single-Bäumchen

„Natürlich“ besteht der Forst hier lediglich aus Restgrün mit einem Single-Bäumchen. Ansonsten ähnelt die Szenerie einem schwierigen Parcours: Ringsum lauter Gestellen als Stolperfallen, in der Mitte ein vielseitig verwendbarer Holzkasten-Aufbau mit Drehscheibe. Wär’s Plastik, käm’s wohl aus Legoland.

Gottlob beschränkt man das Spiel vor allem auf dieses Zentrum, denn das ungeheure Breitwandformat der gesamten Bühne hat schon so manches Unterfangen in die lautstarke Deklamation gedrängt und damit ästhetisch erstickt.

Im Waldbezirk, den nachts der zauberische Oberon (Christian Grashof) und Titania (Almut Zilcher) mit ihren Elfen regieren, treffen die Menschen-Paare in olivgrüner Tarnkleidung aufeinander. Fertig machen zum Dschungelkampf der Liebe! Doch keine Angst! Es blitzt zwar Gewaltsamkeit auf, doch eher nach Art von slapstickhaften Videospielen, Game-Boys oder eben Comics. Ein Getümmel der ungereiften Liebesdinge. Von tieferem Weh weiß man in diesem Waldstück wenig.

Muss man bestimmte Darsteller besonders hervorheben? O ja! Zum einen André Eisermann als „Puck“, der mit irrwitzigem Gesten-Vokabular kobolzt und alles auf Trab bringt. Tatsächlich ein Wesen aus einer anderen Welt.

Sechs grandiose Darsteller treten zum „Klamauk“ an

Vor allem aber mutet es wie eine der großartigsten „Verschwendungen“ der jüngeren Theatergeschichte an, die Handwerkertruppe um Zettel und Squenz mit diesen sechs Größen zu besetzen: Michael Maertens, Peter Fitz, Otto Sander, Ignaz Kirchner, Hans-Michael Rehberg und Ulrich Wildgruber. Diese grandiosen Darsteller müssen also ausgerechnet jene grottenschlechten Hobby-Schauspieler mimen, die Shakespeare zum Klamauk antreten läßt. Doch wieviel mehr als bloßer Unsinn steckt darin, man sieht es nun. So herrlich sinnzerstäubend agiert das Sextett, daß in beinahe Beckett’scher Manier die Anfangs- und Endgründe des Theaters aufwirbeln.

Am Schluß packt Hermia ihren Koffer und emigriert aus der allseitig hergestellten Zufriedenheit mit dem öden Mittelmaß der Beziehungen. Aufbruch ins Land der wahren Empfindung. Just in diesem Moment sehen wir ein weißes Einhorn vorüberschreiten, Aha! Es gibt sie also, die unfaßlichen Dinge. Hätte uns Leander Haußmann nur noch mehr davon gezeigt und sich nicht so sehr im Heutigen verloren.




Ein deutscher Alptraum – Heiner Müllers „Germania 3 – Gespenster am Toten Mann“ in Bochum uraufgeführt

Von Bernd Berke

Bochum. „Mach’s leicht!“ soll der Dramatiker Heiner Müller (1929-1995) dem Regisseur Leander Haußmann geraten haben. Haußmann war schon zu Lebzeiten Müllers ausersehen, dessen Stück „Germania 3 – Gespenster am Toten Mann“ in Bochum zur ersten Bühnengeburt zu verhelfen. Nun hat der gewaltige, ungeheuerliche Text das Scheinwerferlicht erblickt. Und siehe da: Er birgt unverhoffte Spiellust, zugleich aber unaufhörlichen Schmerz.

Die alptraumartige Collage zur deutschen Historie erfaßt – einem reißenden Strom vergleichbar – Bruchstücke der germanischen Sagenwelt und schwemmt auf ihrem Weg in die Gegenwart z.B. auch Wagner, Nietzsche, Hitler und Ulbricht mit sich. Heerschau unter den Gespenstern und Untoten der Geschichte. Und so viel Mord, daß das Blut in Bochum gelegentlich mit der Schöpfkelle ausgeteilt wird. Absurde Menschenopfer allenthalben, ob in Stalingrad oder an der deutschen Mauer. „Gott ist ein Virus“, der die der Welt schon in den Griff bekommen werde, heißt es im zynischen Prolog.

Dreieinhalb Stunden Chaos

Ein bunter Harlekin (Steffen Schult) geleitet uns durch das dreieinhalbstündige Chaos. Mal mit verzweifeltem Witz, mal kleinlaut verzagend. Haußmann hat sich – Müllers Ratschlag folgend – nicht der Düsternis hingegeben, sondern den Text mit einer Unzahl von szenischen EinfäIIen geradezu übersät. Vielerlei Spielformen werden in diesem Unter-Welttheater erprobt. Manche Figuren bewegen sich wie mechanische Marionetten oder agieren in verfremdender Zeitlupe, dann wieder wird heftiger Theaterdonner oder auch unbändiger Unsinn entfesselt. Auch wenn es im Detail noch nicht durchweg „stimmt“: So muß man eine solche Collage anpacken, sie verträgt es durchaus.

Mit Nebelmaschine, Schneekanone und höllischem Krach werden wir – nach einer blutrünstigen Ansprache Josef Stalins (Gennadi Vengerov) – in den Zweiten Weltkrieg versetzt, die nahezu nackte Bühne ist alsbald ein Schlachtfeld mit rieselndem Schutt und raunenden Geistern. Bewegende Bilderfolgen hat Haußmann für die spukhaften Verwandlungen und das Gleiten geschichtlicher Zustände gefunden. Da mutiert der kroatische SS-Mann von 1945 zum kroatischen Gastarbeiter anno 1960, oder die drei hinterbliebenen Frauen Bertolt Brechts zum Hexentrio à la Shakespeares „Macbeth“.

Die Sequenz mit den resoluten Brecht-„Witwen“ (Margit Carstensen, Traute Hoess, Irene Christ) gehört, ebenso wie eine abstruse DDR-Party der 50er Jahre, zu den Glanzpunkten. Doch stets kann solche Komik in ihr brutales Gegenteil umschlagen. Wenn etwa zum Brecht-Gedicht von den „finsteren Zeiten“ plötzlich ein seltsames elektrisches Reptil über den Bühnenboden schnürt, so ist dies grausiger, als man sagen kann. Haußmann entkräftet das Vorurteil, er kaspere nur mit dem Theater herum. „Mach’s leicht!“ Das hat er getan. Aber er hat es sich nicht leicht gemacht.

Hitler säuselt eine jiddische Melodie

Gesungen wird viel. Auf der Ziehharmonika werden die Hymnen von BRD und DDR intoniert, der besiegte Hitler (Heiner Stadelmann) säuselt gar eine jiddische Melodie, später gibt es „Kein Bier auf Hawaii“. Gipfel ist ein realsozialistisches Traktoristenlied, das zum Putzen des eisernen „Schollenfressers“ ermuntert. An ihren Liedern sollt ihr sie erkennen. Es klingt oft zum Verrücktwerden komisch…

Tags darauf wurde Heiner Müllers 1969 uraufgeführter „Prometheus“ (Regie: Marold Langer-Philippsen)“ nachgereicht. Man mag in der Anverwandlung des antiken Mythos‘ dies mitlesen: Kultur- und Lichtbringer Prometheus wird letztlich von einer Staatsmacht (Göttervater Zeus) an den Felsen geschmiedet.

Prometheus (Steve Karier) steckt in einer kafkaesken Zwangs-Apparatur, die karge Bühne mit metallischem Gerüst wirkt wie eine apokalyptische Werkshalle. Durch die dauernde Gefangenschaft der Hauptperson hat das Stück einen engen Radius, man müßte also desto mehr auf die Sprache achtgeben. Hier aber werden die Worte der ersten halben Stunde mit diktatorischem Gleichschritt buchstäblich zerstampft. Da mögen sich – in wechselnden Rollen – Joana Schümer, Andreas Edelblut und Samuel Zach noch so stilwillig mühen, die Sache ist damit schon weitgehend hinüber.

Termine: „Germania 3″ am 30. Mai, 11., 16. und 26. Juni / „Prometheus“ am 30. Mai, 8., 14. und 15. Juni. Karten: (0234) 3333-111.




Mit Haußmann soll es fröhlich werden – Ab 1995 dürfte sich am Bochumer Theater einiges ändern

Von Bernd Berke

Bochum. ,lch bin ein fröhlicher Mensch“, sagt Leander Haußmann von sich. Und das werde sich im Spielplan auswirken, wenn er 1995 die Leitung des Bochumer Schauspielhauses übernehme. Doch auch bei ihm. so der 34-jährige, werde nicht ganzjährig Theater-Karneval herrschen. Er werde als Kontrast zu sich selbst auch Regisseure engagieren, die eher spröde inszenieren.

Haußmann hat gerade zähe Verhandlungen mit Bochums Kulturdezernentin Dr. Ute Ganaris hinter sich: „Es war richtig anstrengend.“ Doch erfahrene Kollegen wie etwa der frühere Bochumer Schauspielchef Claus Peymann oder Jürgen Flimm hätten ihm dringend raten, sofort alles durchzufechten: „Was du jetzt nicht erreichst, kriegst du später nie mehr.“

Vertrag noch nicht ganz sicher

Haußmann läßt durchblicken, daß er vor allem gewisse Nachbesserungen am maroden technischen Apparat zur Bedingung macht, bevor er den Vertrag unterzeichnet. Auf städtischer Seite müssen noch Kultur- und Finanzausschuß zustimmen, bevor im Februar 1994 der Rat Haußmanns Engagement endgültig absegnet. Trotzdem wurde Haußmann gestern der Presse schon quasi als Bochumer Errungenschaft vorgestellt. Der gebürtige Quedlinburger, aufgewachsen in Ostberlin, gelobte, er werde im Revier kein hochherrschaftliches Intendanten-Theater veranstalten, sondern alles auf die Schauspieler ausrichten. Und Schauspieler seien nun mal meist Komödianten.

Haußmann weckt also die Hoffnung, daß (nach den oft düsteren Visionen seines amtierenden Vorgängers Frank-Patrick Steckel) auf Bochums Bühne mal wieder bunt-sprühende Funken schlagen. Ja, er habe einige Produktionen in Bochum gesehen. Wie fand er’s? Nun ja, Steckel mache es dem Publikum nicht leicht, fordere viel Konzentration. Es fehle derzeit ein Gegengewicht, alles gehe zu sehr in diese eine Richtung. Doch das Ensemble sei hervorragend.

Peymanns Augen glänzten verklärt

Trotzdem werde er, Haußmann, viele Schauspieler mitbringen, so daß einige andere gehen müßten. So sei das eben am Theater. Es lägen ihm schon viele Schauspieler-Bewerbungen für Bochum vor („Auch von namhaften Leuten“), wie man ihn denn überhaupt um seine neue Aufgabe zu beneiden scheine. Auch Claus Peymanns Augen hätten verklärt geglänzt, als er mit ihm über Bochum sprach.

In Sachen Platzausnutzung verzeichnet Bochum seit Jahren Schwund. Haußmann selbstbewußt: Erfolge seien doch im voraus berechenbar. Wenn man etwa „Romeo und Julia“ auf den Spielplan setze, strömten die Menschen nur so ins Theater. Jedoch: „Auch Flops müssen erlaubt sein.“ Er sei nicht nur dazu da, „um das Haus vollzumachen“, sondern wolle auch mal sperrige Experimente ermöglichen.

Gagensumme soll erhalten bleiben

Kulturdezementin Canaris machte klar, daß das Gagen-Volumen fürs Schauspiel in Bochum möglichst nicht verringert werden soll – auch dies eine Bedingung von Haußmann. Allerdings, so Frau Canaris, wisse man nicht, wie sich die Stadt-Finanzen entwickeln. Die Gagensumme pro Saison beträgt 9,5 Mio. DM. Wenn freilich Leander Haußmann 1995 antritt, wird es bereits rund l Million weniger sein, denn man spart ja mit Steckels Weggang Reinhild Hoffmanns Tanztruppe ein. Dazu wollte sich Haußmann nicht äußern. Er verstehe zu wenig von Tanztheater…

Ansonsten schätzt er auch schon mal deutliche Worte. Wie er denn mit Kritikern auskomme? „Eigentlich gut.“ Aber neulich habe mal einer geschrieben, er, Haußmann, sei die fröhlichste Regie-Null Deutschlands. Haußmann: „Dem hätte ich am liebsten eins in die Fresse gehauen.“