Von der „Spieluhr“ bis zum „Ohrenbär“: Die Entwicklung des Kinderrundfunks mit Dortmunder Impulsen

Gastautor Heinrich Peuckmann über die Entwicklung des Kinderrundfunks, zu der auch einige Ideen und Konzepte aus Dortmund beigetragen haben:

Als Mitte der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts der WDR-Lokalsender Radio Dortmund an der Lindemannstraße eingerichtet wurde, gab es unter Kulturschaffenden große Vorbehalte. Das wäre ein trojanisches Pferd, wurde geurteilt, denn erst käme der harmlose öffentliche Rundfunk und in seiner Nachfolge der Privatsender mit seinen oberflächlichen und verdummenden Programmen.

Screenshot der „Ohrenbär"-Homepage www.ohrenbaer.de

Screenshot der „Ohrenbär“-Internetseite www.ohrenbaer.de

Ich war damals Sprecher des Schriftstellerverbandes und die Autoren beschlossen, nachzuhaken, was denn der Dortmunder WDR-Sender für uns zu bieten hätte. Hintergrund vor allem meines Optimismus war die Information, dass Erdmann Linde Sendeleiter des Lokalfunks werden würde, und den kannte ich schon lange als großen Freund der Literatur.

Hoffnungsträger Erdmann Linde

Im Sender haben wir uns dann getroffen, im Kellerraum, der später für die Journalisten zur Mensa werden sollte und das, was Linde und sein Team den Autoren damals anboten, war mehr als beachtlich.  Eine große Kultursendung („Schöner Sonntag“) sollte es geben, vor allem aber eine Kinderhörfunkreihe, die dann „Die Spieluhr“ heißen sollte. Jeden Abend sollte im Lokalsender eine kleine Kindererzählung von etwa 10 Minuten Länge laufen, eine Einschlafgeschichte für die Kleinen.

Dieses Angebot war insofern etwas Besonderes, als die öffentlichen Sender damals gerade dabei waren, ihre Kindersendungen entweder heftig zu beschneiden oder ganz einzustellen. Das Dortmunder Angebot lief dem damaligen Trend also komplett entgegen.

Jürgen Hoppe plante, redigierte und las auch noch selbst vor

Erdmann Linde und sein Team haben in der Folge wirklich Wort gehalten, vor allem Jürgen Hoppe, der mit großem Engagement „Die Spieluhr“ allein bestritt. Er prüfte die eingesandten Texte, redigierte, wo es nötig war und las die Geschichten selber vor. Jahrelang hat er das getan, Tag für Tag, eine unglaubliche Leistung.

„Die Spieluhr“ fiel auf, auch weit über den Dortmunder Sendebereich hinaus. Als der Sender Freies Berlin (SFB) später eine eigene Kinderreihe etablierte, griff er deutlich auf das Dortmunder Konzept zurück. „Ohrenbär“ wurde diese Reihe genannt, die es nun schon seit dreißig Jahren gibt, heute vom RBB produziert. Die tägliche Sendung wird mit Musik aus „Peter und der Wolf“ eingeleitet, in der Regel sind es siebenteilige Kindergeschichten, die von bekannten Schauspielern vorgelesen werden.

Jedes Tageskapitel ist in sich abgeschlossen und von Kapitel zu Kapitel entwickeln sich die Charaktere bis zur Konfliktlösung. Für uns Dortmunder Autoren war der Umstieg von der „Spieluhr“, die bald mit dem gesamten Lokalsender verschwand, auf den „Ohrenbär“ kein Problem, die Texte mussten nur unwesentlich länger werden und sie sollten keine Ortsangaben enthalten.

Neue Reihe „In der Kirche ist viel los“

Es war also eine erstaunliche Entwicklung, die sich damals vollzogen hat. Mit großer Skepsis der Autoren hat sie begonnen, wurde dann zu einem regionalen Erfolgsprogramm und wandelte sich im nächsten Schritt zu einer großen Kindersendung, die nun in der halben Republik gehört wird. Denn der „Ohrenbär“ wird zwar vom RBB produziert, wird aber vom NDR und vom WDR-Kinderradiokanal („KiRaKa“) im Internet übernommen. Beim WDR läuft die Sendung jeden Abend in der Zeit von 18.45 – 18.55 Uhr.

Ich bin seit langer Zeit und immer noch als Autor dabei. Von mir wird vom 24. September an eine Woche lang eine weitere Reihe gesendet werden. „In der Kirche ist viel los“ lautet der Titel meiner insgesamt 23. Ohrenbärgeschichte, die von der Schauspielerin Leslie Malton gelesen wird. Sie ist eine wirklich gute Schauspielerin. Es sind lustige, traurige oder spannende Episoden, die im Umfeld einer Kirche spielen und die ganz nebenbei ein bisschen über das Christentum aussagen. Kinder wissen immer weniger über den Mythos, sie sind deshalb auch immer weniger in der Lage, historische, philosophische oder künstlerische Hintergründe zu begreifen, bei denen man eben doch religiöse Bezüge erkennen muss.

Bloß keine Pädagogik mit dem Zeigefinger

„Ohrenbär“ liefert keine aufgesetzte Pädagogik, das wäre ja auch tödlich für diese Sendereihe, aber im Hintergrund wird, quasi nebenbei, doch ein bisschen an Infos mitgeliefert, allerdings komplett umgesetzt in Handlung und nicht irgendwie belehrend erklärt. Eine schöne Konzeption. Und weil  das so ist, literarisch anschaulich und doch angereichert mit Informationen, ist „Ohrenbär“ nicht allein eine Sendung für Kinder geblieben.

In der Ohrenbärredaktion, von Sonja Kessen sehr umsichtig und liebevoll bis ins kleinste Detail betreut, war man am Anfang überrascht von der beachtlichen Anzahl auch erwachsener Zuhörer, hat es aber schnell als Bestätigung der Arbeit verstanden. Am besten ist es sowieso, wenn die Kinder die Sendung zusammen mit ihren Eltern hören. Die Eltern sind dann ihren Kindern nahe, sie teilen mit ihnen die Emotionen, entwickeln gemeinsam Empathie und haben ein schönes Gesprächsthema.




Chance für junge Regie-Talente – Berliner Theatertreffen: Große Bühnenkunst, doch es drohen Kürzungen

Aus Berlin berichtet Bernd Berke

Berlin. Strahlendes Sonnenwetter an der Spree. Eigentlich keine Verlockung, allabendlich ins Theater zu gehen. Doch die Aufführungen beim 31. Berliner Theatertreffen sind annähernd ausverkauft – und das ist gut so. Denn dann fällt es Bonn vielleicht ein wenig schwerer, der alteingeführten Bühnen-Börse den Geldhahn zuzudrehen.

Praktisch jede Branche hat ihren Kongreß, ihre Messe oder Leistungsschau. Ausgerechnet den besonders dringend auf breite öffentliche Diskussion angewiesenen Theaterleuten droht erzwungener Rückzug in provinzielle Nischen, wo dann jeder leidlich vor sich hinwerkelt. Denn was ist das Theatertreffen anderes als die Chance, den Stand dieser Kunst in seinen Spitzenwerten zu begutachten, sich damit auseinanderzusetzen und somit selbst voranzukommen.

Der Bund, der bislang die Hälfte der Kosten des Theatertreffens trägt, hat mit Kürzungen begonnen und will sich womöglich ganz aus der Affäre ziehen. Offenbar reicht es manchen Herrschaften, eine politische Hauptstadt (Bonn/Berlin) und eine für die großen Geldströme (Frankfurt) zu haben, die geistigen Rinnsale mögen denn versickern…

Gewiss, die Idee einer kulturellen Blutzufuhr für das geteilte Berlin, aus der das Theatertreffen 1964 entstanden war, hat sich mit dem Mauerfall erledigt. Und es ließe sich darüber reden, ob Deutschlands (laut Juryauswahl) beste Inszenierungen stets in Berlin versammelt werden müssen. Man könnte, um die Regionen zu stärken, an ein Rotationsprinzip denken. Gegengewichte zur kulturellen Übermacht Berlins tun ja auf Dauer not. Aber ein Treffen dieser Art, egal wo, das brauchen wir.

Mit der Auswahl der zwölf Inszenierungen für ’94 haben die Juroren Zeichen für einen inhaltlichen Wandel setzen wollen. Kein Matador früherer Jahre ist vertreten – kein Peymann, Stein, Flimm, Zadek, Bondy oder Dorn. Das schmälert zwar den Ereignischarakter, hat aber gute Gründe.

Einen Wachwechsel anregen

Die Genannten sind ziemlich satte Potentaten, sie haben sich über die Jahre in fragloser, aber oft von Glätte bedrohter Perfektion eingerichtet. Waghalsige Bühnen-Abenteuer verbinden sich mit diesen Namen meist nicht mehr. So hat man denn den unter 40jährigen Regisseuren sieben von zwölf Nominierungen eingeräumt, auf daß endlich ein Wachwechsel angeregt werde.

Aus Bochum – absolutes Novum – reist sogar eine Truppe der Westfälischen Schauspielschule mit der Produktion „Brennende Finsternis“ an. Das werden sie ihren Enkeln noch erzählen: als „Schüler“ beim Theatertreffen… Preiswerter als ein Gastspiel des Burgtheaters kommt es außerdem noch. Zudem hat man das Festival zeitlich gestrafft, es ist nun kürzer und kompakter.

Der Eindruck der ersten Abende war überragend, eigentlich kann es nun nur noch bergab gehen. Zu sehen war die beinahe schon beängstigend intensive Einrichtung von Henrik Ibsens „Hedda Gabler“ (Heimspiel für die Schaubühne am Lehniner Platz/Regie: Andrea Breth – mit Corinna Kirchhoff, Ulrich Matthes, Imogen Kogge u.a.), ein Musterbeispiel für genaueste Durchdringung eines Textes.

Auf seine Weise kaum minder imponierend: David Mamets Zweipersonen-Drama „Oleanna“ (Schauspielhaus Zürich/Regie: Jans-Daniel Herzog – mit Leslie Malton und Edgar Selge), dargeboten im Deutschen Theater im Ostteil der Stadt, das erstmals als Mittelpunkt des Treffens fungiert.

Zweimal Geschlechterkampf auf Spitz und Knopf, zweimal Schauspieler-Theater der ersten Güte. Möglich, daß der Abschied von den Regie-Übervätern die Darsteller wieder in stärkeres Recht setzt. Für diese Hoffnung waren es zwei exzellente Beispiele. Da verschlägt es gar nichts, daß eine harte Feministinnen-Fraktion Mamets Stück samt Inszenierung bei einer Diskussion als „frauenfeindlich“ brandmarken wollte. Wer im Theater immer nur Thesenpapiere mit der eigenen Meinung hören will, sucht das Selbstgespräch. Dazu braucht man in der Tat keine Festivals.