[FI’LO:TAS] leidet im Bochumer Schauspielhaus

Ein Mensch hockt bewegungslos auf der Bühne, schreibt dann mit den Händen hektisch Zeichen in den Sand, verwischt sie wieder, erstarrt. Er wechselt die Position, seine Handlungen wiederholen sich. Schon diese ersten Minuten in Roger Vontobels Einpersonenstück „Filotas“ im Kleinen Haus des Bochumer Schauspiels lassen erkennen, dass dies ein Gefangener ist, gefangen von Feinden ebenso wie in zwanghaften Vorstellungswelten, deren Sinnlosigkeit er ahnt und erleidet, ohne sie jedoch überwinden zu können.

Foto: Jana Schulz als gequälte Kreatur in Roger Vontobels Lessing-Adaption "Filotas". (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Foto: Jana Schulz als gequälte Kreatur in Roger Vontobels Lessing-Adaption „Filotas“. (Foto: Diana Küster/Schauspielhaus Bochum)

Der Mensch ist die Schauspielerin Jana Schulz, das Stück die Bochumer Wieder-Inszenierung jener Arbeit, mit der der junge Schweizer Regisseur Roger Vontobel (Jahrgang 1977) im Jahr 2002, damals in Hamburg noch, unter Verwendung von Motiven aus Gotthold Ephraim Lessings Drama „Philotas“ seine Karriere begann. Den Stücktitel schreibt das Theater in einer Art Lautschrift: „[FI’LO:TAS]“, was möglicherweise den Charakter der Interpretation betonen soll.

Lessing erzählt in seinem Stück die Geschichte des Königssohnes Philotas, der sich in der Kriegsgefangenschaft entleibt, um nicht vom gegnerischen König Aridäus als Druckmittel gegen den eigenen Vater eingesetzt werden zu können. Im Sterben erst muss er erkennen, dass die Tat sinnlos ist, weil, kurz gesagt, auf gegnerischer Seite ebenso viel Heldentum zu finden ist, sich kriegerisches Töten und Sterben zum Nullsummenspiel verrechnen. Eine klare, friedliche Botschaft, wie vom großen Menschenfreund Lessing nicht anders zu erwarten.

Das tragische antike Geschehen nun, so ist allerdings eher im Programmheft zu lesen als auf der Bühne wahrzunehmen, verbindet Vontobel mit der Geschichte des jungen US-Amerikaners John Walker Lindh, der in Afghanistan auf Seiten der Taliban kämpfte und 2001 20-jährig in Kriegsgefangenschaft geriet. Bei den jungen Männern, so die These, gibt es Parallelen.

Der Menschen auf der Bühne ist sicherlich eher gefangener Taliban als Königssohn. Lessing kommt nur mit wenigen Sätzen ins Spiel, die angesichts der starken Erregung des Helden ebenso auch persönliche Beruhigungsmantras sein könnten, seelische Positionierungsversuche im traumatischen Geschehen. Das zwanghafte Memorieren diverser Zahnbürstengrößen aus vergangenen amerikanischen Jugendzeiten verfolgt den selben Zweck.

Satzfragmente sind zu vernehmen, Wörter wie König, Vater und Sohn, die an ein ödipales Problem denken lassen, ohne dass dies indes Kontur gewönne. Das Spiel mit einem Stuhl, dessen Beine zum Schwert werden, nimmt breiten Raum ein. Doch alles in allem geschieht wenig. Zu sehen sind 55 Minuten im Leben eines Gefangenen, der mit seiner Situation überfordert ist und am Ende gar noch – piff! – eine Sprengladung zündet. Möglich, dass der „amerikanische Taliban“ Lindh irgendwie ein Seelenverwandter des Königssohns Philotas ist, zumindest jugendliche Radikalität mag beiden eigen sein.

Doch damit hat es schon sein Bewenden. Keine radikalisierenden Ohnmachtserfahrungen deuten sich an, keine psychischen Krisen in früheren Zeiten und auch nichts anderes aus dem Bereich Motivforschung. Man wundert sich, wie wenig Energie dieses Bühnenprodukt für ein intellektuelles Durchdringen des vermeintlich Ungeheuerlichen aufwendet. Hätte es sich nicht aufgedrängt, jetzt, in der Bochumer Neuauflage nach immerhin zehn Jahren, etwas mehr in die Tiefe zu gehen? Doch nach wie vor herrscht dort, wo es wirklich spannend werden könnte, geradezu unverständliche Gleichgültigkeit.

Wenn diese Momentaufnahme aus einem Kriegsgefangenenlager unbefriedigend bleibt, ist das sicherlich nicht der Schauspielerin Jana Schulz (Jahrgang 1977) anzulasten. Sie, die diese Rolle vor über 10 Jahren auch in Hamburg spielte, formt den Titelhelden mit androgyner Kreatürlichkeit berührend aus, verkörpert seine existentiellen Dimensionen überzeugend. Ihr galt in Bochum der größte Applaus.

 

Nächster Termin: 15. Januar. Karten Tel.: 0234 / 33 33 55 55 

tickets@schauspielhausbochum.de

 




Goethe muss natürlich unbedingt ins Sturmzentrum – Eine Traumelf deutscher Dichter und Denker aufstellen

Von Bernd Berke

Heute geht’s endlich gegen Argentinien rund. Aber gestern und vorgestern waren bei der WM erstmals spielfreie Tage. Seufz! Da wusste man ja fast schon gar nicht mehr, was man mit der leeren Zeit anfangen sollte.

Was tut man also? Sich doch mal wieder spielerisch mit Kultur und Fußball befassen. Etwa mit der reizvollen Idee, eine Traumelf mit ruhmreichen deutschen Dichtern und Denkern aufzustellen. Richtig gelesen.

Wer steht im Tor? Immanuel Kant! Der Mann hat sich in der T-Frage gegen Leibniz und Heidegger durchgesetzt. So abgeklärt wie er ist sonst keiner. Er bleibt nicht auf der Linie kleben, sondern denkt weit voraus. Und er dient der ganzen Mannschaft als Ansprechpartner in moralischen Sinnfragen.

Viel wild er wohl nicht auf den Kasten kriegen. , Denn wir haben ja hinten unsere Weltklasse-Viererkette – mit Hölderlin (dichtet, äh, dribbelt jeden schwindlig), dem willensstarken Nietzsche (gefürchtete Blutgrätsche!), E. T. A. Hoffmann (macht schon mit flackernder Miene dem Gegner Angst) sowie dem kompromisslosen preußischen „Abräumer“ Kleist. Die Härte! Aber Vorsicht vor gelben Karten, die Schiri Reich-Ranîcki so freihändig verteilt.

Fürs 4-3-3-System postieren wir vor die Abwehr kreative Spieleröffner, die auch Defensivaufgaben nicht scheuen: den schnörkellosen Büchner, den gewitzten Heine (bei Paris St. Germain unter Vertrag) und den listigen Lessing, der die ganze Dramaturgie eines Spiels lesen kann und mit allen Freiheiten hinter den Spitzen agiert. Ein solches Mittelfeld schmückt ungemein.

Weiteres Prunkstück ist der Angriff. In der Mitte lauert der wendige junge Goethe („Sturm und Drang“) auf Chancen. Von links bedient ihn der schlaue Bert Brecht mit frechen Flanken, von rechts kommt brachial Gottfried Benn, der auf dieser exponierten Position dem hüftsteifen Ernst Jünger den Rang abgelaufen hat. Jedenfalls: Unsere beiden ,Außen“ gehen konsequent bis zur Grund(satz)linie – und dann schnackelt’s.

Da können es sich der schwäbische Trainer Hegel (Devise: „Das Wirkliche ist vernünftig“) und sein Assistent Marx sogar erlauben, Joker wie Schiller, Thomas Mann, Eichendorff oder Fontane auf der Bank zu lassen. Ihre Stunde kommt noch – ebenso wie die der Talente Heinrich Böll und Günter „Odonkor“ Grass.




Peymann-Inszenierung bei den Ruhrfestspielen: Am Ende bleibt „Nathan“ schmerzlich allein

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Wer Lessings „Nathan der Weise“ spielen lässt, darf dunkelste deutsche Vergangenheit nicht ausblenden. Ein Regisseur wie Claus Peymann weiß das natürlich.

Peymanns „Nathan“-Version gastiert jetzt bei den Ruhrfestspielen. Ihre Premiere am Berliner Ensemble hatte die Inszenierung bereits im Januar 2002, sie stand damals im Bann der Terroranschläge vom 11. September 2001.

Tatsächlich taugt das Stück (daszur Zeit der mittelalterlichen Kreuzzüge in Jerusalem spielt) auch heute noch, um fundamentalistische bzw. tolerante Haltungen dreier großer Religionen zu untersuchen: Judentum, Christentum, Islam. Man muss den Holocaust hinzudenken, wenn man sich an diesen kühn konstruierten Text wagt.

Ein Vorschein des Schreckens findet sich bei Lessing: Nathans Familie ist, bevor die Handlung einsetzt, von Christen umgebracht worden. Sein dringlicher Ruf nach allseitiger Versöhnung zwischen den Glaubensrichtungen ist – vor diesem Hintergrund – geradezu unfassbar human und aufklärerisch. In diesen heil’gen Hallen kennt er die Rache nicht…

Bühnenbildner Achim Freyer hat ein Spielfeld mit allerlei Bodenlinien entworfen: Es ist sozusagen ein Ort für Zwangsneurotiker, die nicht vom einmal vorgezeichneten Wege abweichen können. Und eine Art Schachbrett, auf dem zuweilen hinterlistige Strategien verfolgt werden.

Peymann wahrt respektvoll den historischen Abstand, einzelne Lessing-Wörter wie „itzo“ und „kömmt“ bleiben fremdartig stehen. Hie und da neigt der Regisseur zur karikierenden Überzeichnung, doch man versteht’s: Er misstraut den Lippenbekenntnissen und erst recht der großen finalen Versöhnung.

So bleibt Nathan (von Christen, und Moslems gleichsam kalt lächelnd aus der menschlichen Familie hinausgedrängt) am Ende schmerzlich allein, wenn alle anderen einander umarmen. Und der Bühnenboden beginnt zu brennen.

Es ist ein Abend edler Schauspielkunst, die sich nicht eitel spreizt, sondern innig dem Stück dient, das hier nie zum drögen Lehrtheater missrät. Zwei Namen nur: Der famose Peter Fitz als Nathan lässt den seelischen Zwiespalt, die Brüche und Verletzungen dieser Figur in jedem Moment spüren. Hans-Peter Korff als Sultan Saladin ist ein bis in die Fingerspitzen windungsreicher Komödiant.

Rauschender Beifall – ganz so, als wolle das Publikum den einstigen Bochumer Theaterchef Peymann endlich wieder dauerhaft in unseren Breiten behalten. Schön wär’s ja.

Termine: 20., 21., 22. Mai. Karten: 02361/92 18-0.




Feilschen und flackern – Doppelpremiere in Bochum: „Minna von Barnhelm“ und „Electronic City“

Von Bernd Berke

Bochum. Doppelter Premieren-Hieb zum Saisonstart am Samstag in Bochum: Karin Beier setzte Lessings Lustspiel „Minna von Barnhelm“ in Szene. Intendant Matthias Hartmann servierte die Uraufführung von Falk Richters Globalisierungs-Stück „Electronic City“. Ein Kontrastprogramm, fürwahr.

Wollte man denn einen kleinsten gemeinsamen Nenner finden, so wär’s wohl dieser: Ökonomischer Druck lastet auf den Menschen mitsamt ihren Liebesregungen (oder dem, was davon bleibt).

Lessing zuerst: Jener Major von Tellheim, schnöde aus dem Militärdienst entlassen, daher zutiefst gekränkt und obendrein verschuldet, weist seine große Liebe Minna von Barnhelm nun von sich. Sein schroffes Ehrgefühl lässt die Verbindung nicht zu. Manche List muss Minna anwenden, um wieder anzubandeln. Geld erweist sich als treibende Kraft.

Den Touch der Kostümierung könnte man mit „mühsam verborgene Verwahrlosung“ umschreiben. Das Dekor (Bühnenbild: Thomas Dreißigacker) wird beherrscht von einer Wand mit grässlicher Nussbaum-Anmutung und einem schäbig ausgeflockten Bodenbelag. Auch eine tückische Klappcouch und piefige Lampen deuten auf frühe 1960er Jahre hin, deren Mobiliar derzeit wieder als todschick gilt. Sonderlichen Sinn für die Inszenierung gibt dieses Ambiente nicht her, es schmeichelt eher unserem schrägen Zeitgeist.

Altjüngferlicher „letzter Versuch“

Fisch oder Fleisch vermisst man gelegentlich auch in der Darstellung, die sich nur phasenweise zum Lust-Spiel bekennt, aber auch nicht ohne Scherzen ins Land gehen mag. Dem Text bleibt man recht treu, doch wird mit der hie und da gehudelt. Die Bemühungen Minnas (Johanna Gastdorf), den verstockten Tellheim (Michael Wittenborn) zurückzuerobern, wirken wie ein altjüngferlicher „letzter Versuch“.

Von Erotik spüret man kaum einen Hauch: Hier laufen eher zähe Verhandlungen zwecks Interessen-Abgleich. Am Ende wollen die beiden einander in entgegengesetzte Richtungen ziehen – landläufiges Gezerre zwischen den Geschlechtern.

Immerhin werden Tellheims Abgründe erahnbar: Der Kerl will lieber noch tiefer sinken, als sich in der Schuld anderer zu fühlen. Ein hölzerner deutscher Charakter, den es in dunkle Tiefen zieht. Gut, dass es die Nebenstränge gibt: Felix Vörtler als Wachtmeister und Angelika Richter als Minnas Zofe Franziska geben ein köstliches Komödien-Duo ab, Franz Xaver Zach als schmieriger – Hotelwirt trägt zum Vergnügen bei.

Zahlen-Codes und Onanie zum Pornokanal

Harscher Szenenwechsel in die Kammerspiele, wo Matthias Hartmann sattsam elektronisches Gerät aufgebaut hat, das freilich (wie er erläuterte) zuweilen nicht funktioniert. Die „hilfreiche“ Hotline habe man am Samstag auch nicht erreichen können. Dennoch: Man sieht ausgeklügelte Video-Sequenzen und Bilder von Live-Kameras, die leibliche Präsenz der Schauspieler (vorwiegend junge, gut gemixte Truppe) wird fast zur Nebensache. Technisch und logistisch ist’s meisterlich, darstellerisch geht die Sache auch in Ordnung.

Stromzufuhr tut not. Schließlich heißt das Stück „Electronic City“. Geschrieben hat’s Falk Richter, Jahrgang 1969. Im Premierenpublikum saß auch „Superminister“ und High-Tech-Fan Wolfgang Clement, der selbst beruflich mit Globalisierung ringt. Hier bekommt man atemlos aufgesagt, was es damit auf sich hat: In allen Metropolen der Erde sieht’s gleich aus, Manager und Hilfskräfte jetten heimatlos um den Globus, sie denken nur noch in Zahlen-Codes. Ansonsten onanieren sie zum Flimmern des Pornokanals im Hotel, um sich dann sofort wieder Laptop und Handy zuzuwenden. Merke: Simulation und medialer Overkill töten die Seele.

Glimmspuren der Zuneigung

Am Ende aber wollen es die Protagonisten Tom und Joy trotz aller Endzeit noch mal mit den Glimmspuren ihrer Zuneigung versuchen. Doch so, wie diese erloschenen Individuen verwechselbar werden, so auch diese Art des simultan tönenden und flackernden Theaters mit seinen überwiegend chorisch gesprochenen Zustands-Behauptungen, etwas Agitprop-Stakkato und Debatten-Geklingel plus Traumspiel-Fasern. Es bleibt kaum ein Rest von Geheimnis.

Hartmann lässt de sterilen Spuk die vielleicht bestmögliche Aufbereitung angedeihen. Mit diesem Text hält die Inszenierung allemal Schritt, mehr steckt kaum drin.




Im Sog der Verzweiflung – „Minna von Barnhelm“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Der Kriegsheimkehrer ist halb verkrüppelt. Ohne Geld, in Erwartung eines infamen Gerichtsverfahrens wegen angeblicher Bestechlichkeit, gibt er sich dem Sog der Verzweiflung hin. Das klingt fast wie ein bitterer Vietnam-Blues, doch es steht in Lessings „Minna von Barnhelm“. Der Mann, dessen „preußische Ehre“ beschmutzt wird, ist der entlassene Major von Tellheim.

In Urs Trollers Bochumer Inszeniemng bleibt freilich von Preußen keine Spur. Tellheim (Wolfgang Michael) ist ein Leidensmann, verhärmt, verhuscht, verwirrt, verwahrlost – ein Schatten von einem Menschen. In schäbiger Montur, das Haar strähnig, „wildgrubert“ er über die Bühne, ein Misanthrop, ein Monster des Menschenhasses; einer, der sich geradezu autistisch in sein Unglück vergräbt und sich einpanzert, der Genuß aus dem Leiden zieht. Nur manchmal blitzt, grotesk verzerrt, ein Rest von Glücksgier auf. Eine Figur wie von Dostojewski.

Die Behandlung solcher Seelenleiden kann, so ist das in einer Komödie, natürlich nur in Liebe bestehen. Strahlend schön, mit schwellendem Busen, betritt „Minna von Barnhelm“ (Andrea Clausen) die Szene. Durch Zufall findet sie Tellheim, dem sie seit langem versprochen ist, in einem Gasthof. Doch Tellheim will sie nicht mit seinem Unglück belasten, er sperrt sich – in vehementer Leidens-Wollust – beharrlich gegen das nahe Glück.

Fraglich ist hier, was Minna eigentlich an ihm findet. Dieser Tellheim kann wohl niemais ein „Held“ gewesen sein. Auch sein Edelmut, zu Teilen eine Utopie der Gleichheit und Freiheit (von Geldzwängen), ist so gar nicht von dieser Welt. Seine lakonischen Einwürfe wirken oft nachgerade kindlich-naiv. So scheint es, als versteige sich Minna nur in ein willkürliches Lieben-Wollen. Wenn sie ihre Intrigen spinnt, um Tellheim gegen alle Widerstände in ihren Bann zu ziehen, so hat das viel Willküriich-Spielerisches, es paßt sehr gut zum Jungmädchen-Gekicher, dem sie sich mit ihrer Dienstmaid Franziska (Micheline Herzog) anfangs ausgiebig überläßt. Doch als sie – darin stimmen Text und Inszenierung überein – das Spiel schließlich bis zur Grenzlinie des Erträglichen treibt, wandelt auch sie Verzweiflung an.

Die schauspielerischen Leistungen, mit denen dies vorgeführt wird, sind sehenswert, es gibt sogar ein paar wahrhaft packende Szenen, bei denen es im Publikum atemlos still wird.. Auch die Nebenrollen sind gut besetzt. Zwar: Diener bleibt hier Diener, ohne Bewußtsein von Knechtschaft, höchstens mal maulend, ansonsten jedoch ums Glück ihrer Herrschaften brav mitzitternd. Aber recht hübsch machen sie das schon: Micheline Herzog als „Franziska“, Thomas Anzenhofer als „Just“ und Ivo Dolder als Wachtmeister „Paul Werner“. Abermals herausragend: Sven-Eric Bechtolf – auch er eine Art „Dostojewski-Charakter“, als Glücksspieler „Riccaut“.

Der Schattenriß des Lessing-Kopfs auf dem weißen Vorhang ist Programm: In der ganzen Inszenierung ist ein Respekt vor dem Text spürbar, eine Tendenz, die Worte „stehen zu lassen“. Auch das Bühnenbild (Florian Parbs) ist keiner Weise kunsträumlich-visionär, sondern schlicht und zweckmäßig.

Kein Regietheater also, aber (inzwischen schon Bochumer Spezialität) mal wieder ein  Régiewechseltheater, denn Urs Trailer übernahm die Produktion mitten im Entstehungsprozeß.




Der Prinz als Privatmann und ein vielbeschäftigter Kammerherr – „Emilia Galotti“ in Wuppertal

Von Bernd Berke

Wuppertal. Die erste Schauspielpremiere der neuen Saison in Wuppertal, Lessings Trauerspiel „Emilia Galotti“, entfachte im Zuschauerraum beinahe mehr „Theater“ als auf der Bühne.

Einige Theaterbesucher auf den hinteren Rängen forderten vehement, die Schauspieler möchten doch lauter reden. Von den empörten Vorderreihen niedergezischelt, erhöhten die Hinterreihen die Phonstärke (Gebrüllter Dialog: „Ich will hören!“ – „Dann kauf Dir doch ’nen Fernseher!“) – immer mitten in den Vortrag der Darsteller hinein. Dabei hätte es solcher Aktivitäten gar nicht mehr bedurft, um die Schauspieler aus dem Konzept zu bringen. Wie ich finde, waren die meisten Darsteller ohnehin aus dem Konzept, und dieses Konzept ließ seinerseits zu wünschen übrig.

Die Rollen der Dienerschaft und des bezahlten Mörders Angelo. blieben in dieser Aufführung ausgespart. Offenbar wollte sich die Regie (Jörn van Dyck, Wuppertals neuer Schauspielleiter) ganz auf den Konflikt zwischen Adel und Bürgertum konzentrieren. Doch der Prinz (Metin Yenal), der von seinem Kammerherrn Marinelli (Peter Hommen) in übelste Intrigen hineingezogen wird, trat hier gar nicht als Vertreter einer Gesellschaftsschicht auf, sondern als Bruder Leichtfuß, der ab und zu Gewissensbisse bekommt, als Bohemien und als „Windbeutel“, der alle paar Sekunden einer anderen Stimmung unterworfen ist. Gleich die erste Szene zeigt ihn im Bett und nicht, wie von Lessing vorgesehen, am Arbeitstisch. Betont wird mithin die private Sphäre, ausgeblendet die des öffentlichen Einflusses. Daß der Prinz sich auch in einem gesellschaftlichen Dilemma zwischen Liebe, also bürgerlichem Lebensgefühl und seiner Rolle als Landesherr befindet, wurde an kaum einer Stelle deutlich; geschweige denn, daß versucht worden wäre, diesen Konflikt und die sich um ihn rankenden Machtverhältnisse für Menschen des 20. Jahrhunderts transparent zu machen.

Eine glatte Fehlbesetzung ist Anke Siefken als Emilia, die überhaupt nicht so wirkt, als könne sie sich vom Prinzen verführen lassen. Rena Liebenow als Emilias Mutter hatte ebenfalls zu kämpfen. Stellte sie Gefühlsausbrüche dar, so merkte man deutlich, wie sie erst Anlauf nehmen mußte. Ein dramaturgischer Fehlgriff überdies, daß Camilla Rota, der im Originaltext dem Prinzen ein Todesurteil vorlegt und vor übereilter Unterschrift warnt, in der Wuppertaler Fassung nicht vorkommt. Stattdessen wurden die mahnenden Worte kurzerhand in den Text Marinellis eingebaut, dessen Charakter dadurch einen humanen Zug bekommt, der vom Stück her nicht zu rechtfertigen ist. Überhaupt ist die Figur, die von Peter Hommen mit erkennbarer Anstrengung dargestellt wird, überfrachtet. Marinelli muß in Wuppertal auch noch sämtliche Aufgaben der Dienerschaft wahrnehmen.

Immerhin ragten Bernd Schäfer als Odoardo, Claudia Amm als Orsina und Michael Wittenborn als Appiani durch solide Leistungen aus dem Ensemble heraus. Sie sorgten dafür, daß trotz des verunglückten Ansatzes streckenweise doch eine akzeptable Aufführung zustande kam. Auch das Bühnenbild von Dietrich Schoras war nicht aufregend, sondern allenfalls gefällig. Wirklich packend war das Gesamtergebnis an keiner Stelle. Verhaltener bis herzlicher Beifall am Schluß belohnte die Bemühungen der Darsteller. Unüberhörbar jedoch auch einige Buhrufe, als der Regisseur sich zeigte.