Alles wird zur Inszenierung: Leverkusener Museum Schloss Morsbroich zeigt „Das Rokoko in der Gegenwartskunst“

Glenn Brown: The Shallow End, 2011. Öl auf Tafel (oval), 128 x 96 cm, Collection of the artist. Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin/Paris/London. © Glenn Brown

Glenn Brown: The Shallow End, 2011. Öl auf Tafel (oval), 128 x 96 cm, Collection of the artist. Courtesy Galerie Max Hetzler, Berlin/Paris/London. © Glenn Brown

Natur, Theater und Lebenskunst, rationale Aufklärung und verfeinerte Décadence, schäumende Formen und frivoles Spiel: Das Rokoko ist eine kurze, eminent kreative und bis heute so schwärmerisch geliebte wie herzlich verachtete Epoche in der Geschichte der Kunst. Rokoko und Gegenwart lassen sich dabei kaum zusammendenken: Zu unterschiedlich scheinen die künstlerischen Mittel und die denkerischen Ansätze. Oder doch nicht?

Das Leverkusener Museum Schloss Morsbroich jedenfalls will mit der Ausstellung „Der flexible Plan. Das Rokoko in der Gegenwartskunst“ demonstrieren, wie diese Epoche in der Kunst der Gegenwart fortlebt. Dabei geht es um Form- und Ideengeschichte, vor allem aber um den – mehrfach medial und intellektuell – gebrochenen Blick heutiger Künstlerinnen und Künstler auf die höchst differenzierte Kunst- und Geisteslandschaft von vor 250 Jahren.

Schloss Morsbroich, 1775 als „Maison de plaisance“ errichtet, ist für eine solche Schau der richtige Ort. Die Kunstwerke treten dort mit dem historischen Bau in einen spielerischen Dialog, der schon eines der Merkmale der Rokoko-Kultur hervorbringt – nämlich alles zur Inszenierung, zum kunstvollen Spiel werden zu lassen.

Rachel Kneebone, Act III, 2016. Porzellan, 78,9 × 60,3 × 56,6 cm, © Rachel Kneebone Courtesy White Cube. Foto: © White Cube (Ben Westoby)

Rachel Kneebone, Act III, 2016. Porzellan, 78,9 × 60,3 × 56,6 cm, © Rachel Kneebone Courtesy White Cube. Foto: © White Cube (Ben Westoby)

Die Natur, die im Zeitalter des Rokoko eine zentrale Rolle spielt, überführt beispielsweise Alice Channer in ihren Muschel- und Krabbenarbeiten in post-industriell produzierte, hybride Objekte. Lois Renners Fotografien der Stiftsbibliothek Admont wie auch Markus Schinwalds zeitgenössische Fragonard-Adaption, Jeppe Heins Lichtinstallation „Enlightenment“ (2002) und Pia Stadtbäumers opulent-freizügige Rokoko-Figuren bringen die divergierenden Pole des 18. Jahrhunderts zusammen, welche die Spannbreite der Ausstellung bestimmen: Aufklärung trifft sich mit frivoler Unterhaltung, vergnüglicher, inhaltloser Dekor mit einer Explosion des geordneten Wissens, die sich damals im Projekt der Enzyklopädie, heute im Internet ereignet.

Die ausgestellten Werke spielen etwa virtuos mit der Idee des Frivolen, wie die Arbeiten von Alexej Koschkarow, inszenieren auch Räume und laden sie atmosphärisch auf. So steigert etwa Anri Sala das räumliche Erlebnis durch das Akustische. Thierry Boutemy verwischt in seinen floralen Installationen die Grenzen zwischen Außen und Innen. Katharina Grosse erweitert die Malerei in den Raum. Weitere ausgestellte Künstler sind Leonor Antunes, Cornelia Badelita, Karla Black, Glenn Brown, Edith Dekyndt, Anke Eilergerhard, Rachel Kneebone, Markus Schinwald und Anj Smith.

Anke Eilergerhard: Annastasia, 2018; Annalotta, 2018: Annabeth, 2018; alle hochpigmentiertes Silikon, Weimar Porzellan, Nero Marquina Marmor, Edelstahl, Höhe 185 cm x ø 90 cm. Courtesy Anke Eilergerhard.

Anke Eilergerhard: Annastasia, 2018; Annalotta, 2018: Annabeth, 2018; alle hochpigmentiertes Silikon, Weimar Porzellan, Nero Marquina Marmor, Edelstahl, Höhe 185 cm x ø 90 cm. Courtesy Anke Eilergerhard.

Die Ausstellung „Der flexible Plan. Das Rokoko in der Gegenwartskunst“ ist bis 6. Januar 2019 im Museum Schloss Morsbroich in Leverkusen-Alkenrath zu sehen. Begleitend zur Ausstellung erscheint eine Publikation, die Installationsansichten aller Kunstwerke, eine Einführung von Stefanie Kreuzer und einen Essay von Heike van den Valentyn enthalten wird.

Das Museum ist Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet, an Sonntagen findet um 15 Uhr eine öffentliche Führung statt. Der Eintritt kostet acht, ermäßigt vier Euro. Info: http://www.museum-morsbroich.de




Flut der Farbe

Köln/Leverkusen. Mindestens zwei Seelen wohnen in seiner Brust: Gerhard Richter (76) hat oft nach Foto-Vorlagen gemalt – sehnsüchtig, begierig auf Wirklichkeit, doch stets zweifelnd: Was heißt denn eigentlich „Realismus”? Deswegen hat Richter auch immer wieder die Gefilde der Abstraktion durchmessen. In die Flut der freien Farben lassen sich zwei Ausstellungen in Köln und Leverkusen gleiten.

Im Kölner Museum Ludwig sind 40 überwältigende, immens verdichtete Großformate zu sehen. Richter hat die Farbe mit Spachtel und Rakel aufgetragen, hat über und über geschichtet, verwischt, kraftvoll durchpflügt. Allerlei Spuren durchkreuzen einander: Schlieren, Gitter, Krusten. Der Blick des Betrachters findet kaum einen Halt. Man kann sich geradezu in diesen Gemälden verlieren – wie in etwas Unendlichem. Und weil man’s letztlich nicht wortwörtlich sagen kann, deshalb sind es Bilder.

Erst der Zufall,
dann die Kontrolle

Der Künstler selbst bekennt sich bei all dem zum fließenden Zufall, den er aber im Laufe des Malprozesses mehr und mehr kontrollieren und korrigieren muss – „bis es schön aussieht”, wie er leise und bescheiden anmerkt. Hört sich simpel an, ist aber denkbar schwierig. Denn gefällig dekorativ soll es nicht sein, auch nicht vordergründig spektakulär. Wie Richter die vielen Klippen umschifft, das gerät zum intensiven, bisweilen glühenden Ereignis.

Im Leverkusener Schloss Morsbroich hängen derweil weitaus kleinere Exponate an den Wänden, doch geht’s hier ebenso spannungsreich zu. Eine bislang noch nie öffentlich ausgebreitete Werkgruppe ist zu sehen: rund 500 übermalte Fotografien, überwiegend aus Privatbesitz.

Die Bilder sind in der Regel nur 10 mal 15 Zentimeter klein. Ursprünglich waren es ganz gewöhnliche Fotoabzüge aus dem Großlabor: Keine ambitionierte Fotokunst, sondern Schnappschuss-Szenen mit Familie und Freunden, Impressionen von Spaziergängen, gewöhnlicher Alltag. Auch hierbei waltete anfangs der Zufall. Gelegentlich war in Richters Atelier Ölfarbe auf solche umherliegenden Fotografien getropft. Der Künstler erkannte bald den ästhetischen Reiz. An den Grenzlinien der Gegenständlichkeit setzte er die Übermalung fortan bewusst ein. Erkennbare Formen ragen danach – wenn überhaupt – nur noch vage ins Bild. Die Farbe schwappt darüber hinweg, bildet Rinnsale, verästelt sich, schmiegt sich mal dem Figürlichen an oder setzt sich entschieden davon ab. Ein Spiel mit zahlreichen Varianten, doch gewiss nicht regellos.

Hat Richter durch Übermalung die fotografisch festgehaltene, stillgelegte „Wirklichkeit” vernichtet? Keineswegs. Man wird Zeuge einer verblüffenden Wandlung. Die Fotos werden durch malerische Behandlung aus den Archiven der Vergangenheit herausgehoben – mitten hinein in den gegenwärtigen Moment des Betrachtens. Sie erstrahlen plötzlich ganz im Hier und Jetzt.

Solchen Zauber bewirkt man natürlich nicht, indem man einfach Farbe auf Fotos schmiert. Man muss schon ungemein genau auf die Vorlagen reagieren. Mindestens die Hälfte seiner Versuche wirft der Maler weg – in zerrissener Form, damit niemand lukrativen Schindluder mit „Fehlfarben” treiben kann. Denn was durch Gerhard Richters Hände gegangen ist, kostet enorm viel Geld.

Abstrakte Bilder. Museum Ludwig, Köln, Heinrich-Böll-Platz (neben Dom/Hauptbahnhof). – Bis 1. Februar 2009. Di-So 10-18, jeden 1. Freitag im Monat 10-22 Uhr. Eintritt 9 Euro. Katalog 49,80 €.

Übermalte Fotografien. Schloss Morsbroich, Leverkusen, Gustav-Heinemann-Straße 80. – Bis 18. Jan. 2009. Mi-So 11-17, Di 11-21 Uhr. Katalog 39,80 €.

Bild: Katalog-Cover der Kölner Ausstellung (Verlag Hatje Cantz)




Bilder vom Riß, der durch die Welt geht – Sechs Museen zeigen Werke von Wolf Vostell

Von Bernd Berke

Köln/Bonn. Wolf Vostell hat einen Traum: „Eine ganze Messehalle müßte man einmal mieten und dort mein gesamtes Werk zeigen. Das wäre mein Lebens-Film.“

Doch auch so kann der „alte Kämpe“ der Happening-, Objekt- und Fluxus-Kunst zufrieden sein. Nicht weniger als sechs Museen in fünf Städten haben ihre Kräfte vereint, um jetzt ein wahres Vostell-Festival auszurichten. Nicht Retrospektiven sollen es nach dem Willen des Künstlers und der Museumsleute sein, sondern Zwischenbilanzen, „Einblicke in einen laufenden Prozeß“. Derlei Vorläufigkeit entspricht in der Tat dem Wesen eines Mannes, der zwar im Oktober 60 Jahre alt wird, aber immer noch Kraft zur Provokation hat. Zuletzt sorgte 1987 sein Berliner „Beton-Cadillac“ für bundesweites Aufjaulen.

Die Ausstellungen in Köln, Bonn, Leverkusen (Geburtsort des Künstlers), Mülheim/Ruhr und Mannheim bringen – so Vostell – endlich einmal „Ordnung in mein Werk“. Er fühle sich direkt zu neuen Taten angespornt. Besagte Ordnung darf hier nicht mit Schubladen-Sortierung verwechselt werden. Vostell ist eben kein ein unbändiger Chaot, sondern er verfolgt Themen und Motive sehr hartnäckig und konsequent durch Jahrzehnte. Doch er ist natürlich auch kein Kunst-Buchhalter, dessen Werk sich fein säuberlich und genregerecht auf sechs Museen verteilen ließe. Zwar setzen die beteiligten Museen jeweils Schwerpunkte (Köln etwa zeigt die großen Environments, Bonn Arbeiten auf Papier und bisher fast unbekannte Erotik-Zeichnungen, Mülheim TV- und Videoinstallationen), aber es mischen sich oft genug Materialien und Stilmittel, so daß die Grenzen immer fließend bleiben.

Zerstörung als zentraler Aspekt

Desto mehr fallen nun einige durchgängige Themen und Prinzipien auf. Praktisch immer geht es darum, Kunst ins Leben und Leben in die Kunst zu bringen. Vostells gesamtes Werk ist eine Suche nach bildnerischen Strategien, um diese Ziele zu erreichen. Bevorzugt setzt er sich mit den populärsten zeitgenössischen Gegenständen auseinander: Autos und Bildschirme, häufig innig miteinander verquickt, durchziehen das Werk seit Ende der 50er Jahre. Ein zentraler Aspekt ist dabei vor allem die Destruktion: Zerstörung der Wirklichkeit durch elektronische Bilder, Zerstörung der Lebenswelt durch Automobile. Vielfach gilt diesen Objekten wiederum die Aggression des Künstlers: Elektrisch betriebene Hämmer dreschen auf Fahrzeuge ein, TV-Geräte werden einbetoniert oder beerdigt.

Dazu paßt auch das von Vostell so genannte Verfahren der „Dé-Collage“, die eben im Gegensatz zur Collage nicht verschiedenste Dinge zusammenfügt, sondern durch Zerstörung (z. B. Abriß von Plakat-Schichten) diese Verschiedenheit erst schreiend sichtbar macht. Die Dé-Collage ist sozusagen bildlicher Ausdruck der Risse, die durch die Welt gehen. Ganz grell sieht man dies in Vostells politischen Arbeiten aus der Zeit der Studentenbewegung und des Vietnamkrieges, deren Kontraste (Luxus-Lippenstift gegen schreiende Vietnam-Kinder; tierische Kreatur gegen seelenlose Technik) heute vordergründig wirken mögen, damals aber vielleicht einigen die Augen geöffnet haben.

Ein besonderes Problem dieser Ausstellungen liegt darin, daß viele Zeichnungen nur Vorstudien zu Aktionen, viele Objekte nur Relikte derselben sind, also gleichsam versteinerte Taten. Doch eine Spurensuche entlang des Rheins lohnt allemal.

Köln/Stadtmuseum und Haubrich-Kunsthalle (bis 22. März); Bonn/Rheinisches Landesmuseum (bis 29. März); Leverkusen/Schloß Morsbroich (bis 29. März);  Mannheim/Kunsthalle (bis 26. April) ; Mülheim/Städtisches Museum (bis 22. März). Gemeinsamer Katalog 48 DM.