Humor mit Fleiß und Akribie: Loriot-Werkschau in Oberhausen

Na, wenn das keine typische Loriot-Figur ist…. (© Studio Loriot)

In der etwas älteren Generation, so ungefähr ab 45 oder 50 Jahren, können eigentlich alle Leute aus Sketchen von Loriot herauf und herunter zitieren. Es reichen schon kleine Anspielungen auf Jodeldiplom oder Kosakenzipfel, auf die hochnotpeinliche Nudel im Gesicht, zwei Herren in derselben Badewanne („Die Ente bleibt draußen!“) oder ein schief hängendes Bild als Chaos-Auslöser – und schon ist man mittendrin im Schwelgen und Schmunzeln. Da könnte man glatt von einer „Generation Loriot“ sprechen.

Unter dem lakonischen Titel „Ach was“ (auch so ein unvergänglicher Loriot-Ausspruch) zeigt die Ludwiggalerie Schloss Oberhausen eine umfassende Werkschau dieses Großmeisters des feinsinnig distinguierten Humors, der 1923 als Vicco von Bülow in Brandenburg an der Havel geboren wurde und 2011 in Ammerland (Starnberger See/Bayern) gestorben ist. Der Pirol (französisch: Loriot) war übrigens das Wappentier der altehrwürdigen Familie. Womit das auch geklärt wäre.

Groteske Liebeserklärung: legendäre Nudel-Szene mit Loriot und Evelyn Hamann. (© Radio Bremen – Do Leibgirries)

Frühe Bilder im Stile Albrecht Dürers

Ganz anders als bei vielen Künstlern, die von den Eltern zu einträglichen „Brotberufen“ gedrängt wurden, hat Loriots Vater den anfangs noch zaudernden Sohn vom Kunststudium überzeugt. In Hamburg lernte Loriot die Kunst auf geradezu altmeisterliche Art. Es sind aus jenen Jahren gar Bilder im Stile eines Albrecht Dürer erhalten. Im Spätwerk hat Loriot wiederum „Große Deutsche“ wie Goethe, Richard Wagner, Nietzsche oder Thomas Mann durchaus liebevoll mit seinem mittlerweile längst etablierten Markenzeichnen, der Knollennase, versehen und ansonsten klassisch porträtiert. So ikonisch waren solche Nasen, dass sie bereits Merchandising-Figürchen inspiriert haben. Loriot hatte eben auch ein Gespür für geldwerte Trends.

Aus dem Spätwerk: Loriots Dürer-Porträt mit Knollennase (© Studio Loriot)

Die Exponate stammen zu wesentlichen Teilen aus einer Schau des Frankfurter Caricatura Museums, die für Oberhausen nochmals erweitert wurde, u. a. um eine interessante Dokumentation zu Loriots erster Ausstellung in der DDR (anno 1985, just in Brandenburg), auf die SED und Stasi erst im Nachhinein grollend aufmerksam wurden.

Werbegraphiker und Opern-Liebhaber

Vor allem mit rund 350 Original-Zeichnungen sowie Szenenbildern aus Film und Fernsehen ergibt sich eine frappierende Vielfalt, die auch Kennern von Loriots Schaffen noch etliche Neuigkeiten bieten dürfte. Nicht alle wissen beispielsweise, dass Loriot in seiner Frühzeit oft als Werbegraphiker tätig war (z. B. mit pfiffiger Reklame für Fiat-Automobile, Zigaretten oder strapazierfähige Bodenbeläge). Außerdem hat der leidenschaftliche Musikliebhaber zuweilen Opern inszeniert und dafür auch Bühnenbilder und Kostüme entworfen. Zwei seiner Szenenmodelle sind in Oberhausen zu bestaunen. Ja, sogar das nahezu niedliche Originalmodell jenes Atomkraftwerks, das bei „Familie Hoppenstedt“ in einem legendären Weihnachts-Sketch unterm Tannenbaum explodierte, ist hier zu sehen.

Doch keine „Wirtschaftswunder-Mutti“

Bemerkenswert auch die Geschichte zu Loriots langjähriger Sketchpartnerin Evelyn Hamann. Eigentlich hatte Loriot eine dralle Wirtschaftswunder-Mutti gesucht, doch dann überzeugte ihn die so ganz anders auftretende Hamann mit ihrer kongenialen Schauspielkunst. Weiterer Wissenszuwachs: Loriots berühmtes altes Sofa (in Oberhausen als halbwegs ähnliches Exemplar vorhanden) war zunächst knallrot, weil man das Potenzial des damals gerade eingeführten Farb-Fernsehens ausreizen wollte. Als derlei Effekte nicht mehr so gefragt waren, nahm man ein vergleichsweise dezentes Sitzmöbel in Grün.

Loriots Touristen-Verulkung, die beinahe schon auf Smartphone-Gepflogenheiten vorauszudeuten scheint. (@ Studio Loriot)

Beim Rundgang durch die Ludwiggalerie finden sich viele herrliche Beispiele für Loriots Sprachkunst der erzkomisch misslingenden Kommunikation, die seiner bildnerischen Hochbegabung kaum nachsteht. Überhaupt hat Loriot – auf der Basis ausgefeilter handwerklicher Fähigkeiten – die Arbeit am Humor mit geradezu „preußischer“ Akribie und unermüdlichem Fleiß betrieben. Das Leichte, das bekanntlich schwer zu machen ist… Wie es heißt, ruhte Loriot auch an Wochenenden und zu Ferienzeiten nicht. Zudem soll er an Schlaflosigkeit gelitten und zahlreiche Nachtstunden mit Texten und Zeichnen zugebracht haben. Womöglich sind dabei auch so langlebige Serien wie die über 17 Jahre im „Stern“ allwöchentlich fortgesetzten Bildergeschichten über „Reinhold das Nashorn“ entstanden.

Loriot, sozusagen mit Hunden (Möpsen) „im Handgepäck“. (© Holger Jacobs)

Mit feinem Florett gefochten

Trefflich lässt sich darüber debattieren, ob Loriots Komik recht eigentlich „harmlos“ sei. Sie ist tatsächlich niemals gemein und verletzend, sehr wohl aber hintersinnig und tiefgründig zielsicher. Sie zündet nicht sofort und direkt, dafür aber umso nachdrücklicher. Er focht filigran mit dem Florett, nicht mit dem Degen.

Während Loriots Lebenswerk aus dem Frankfurter Caricatura Museum nach Oberhausen kommt, gastiert die vorherige Oberhausener Schau über Walter Moers in der Mainmetropole. Fürwahr ein hochkarätiger Austausch. Apropos: Die „Neue Frankfurter Schule“ des parodistischen Humors (Robert Gernhardt, F. K. Waechter, F. W. Bernstein usw.) zählte zu den Bewunderern Loriots. Dass dies wohl für eine Mehrheit der Cartoon-Zunft gilt, belegt eine kleine Abteilung mit Hommage-Arbeiten jüngerer Adepten, sprich: Die „Generation Loriot“ hat ihre Erben.

Loriot – Künstler, Kritiker und Karikaturist. Noch bis 18. Mai 2025.

Neu: verlängert bis 15. Juni! Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 12 Euro,ermäßigt 6 Euro. Kinder/Jugendliche bis 17 Jahre Eintritt frei. Kein Katalog, aber zwei begleitende Booklets mit je 16 Seiten zu je 5 Euro. Infos/Buchungen (Führungen) Tel. 0208 / 41 249 28. www.ludwiggalerie.de

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Der Text ist in ähnlicher Form erstmals im Kulturmagazin Westfalenspiegel (Münster) erschienen: www.westfalenspiegel.de




TV-Nostalgie (11): Loriot – Humor mit Stil

Berühmte Szene mit Loriot: Liebeserklärung mit Nudel im Gesicht...  (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=zArEBFsviHs)

Berühmte Szene mit Loriot: Liebeserklärung mit Nudel im Gesicht… (Screenshot aus http://www.youtube.com/watch?v=zArEBFsviHs)

Der Mann ist wirklich eine Fernseh-Legende: Was Loriot (1923-2011) geschaffen hat, gehört fraglos zu dem, was man – etwas altfränkisch – den „Hausschatz deutschen Humors“ nennen könnte. Auf dieser ehrenvollen Liste stehen auch Namen wie Wilhelm Busch, Heinz Erhardt oder Robert Gernhardt…

Man muss ja nur ein paar Stichworte oder Halbsätze aus Loriots Werken nennen, die längst Allgemeingut sind – und schon wissen alle Bescheid: Jodeldiplom. Kosakenzipfel. Steinlaus. „Früher war mehr Lametta!“ – „Ein Klavier, ein Klavier!“ – „Die Ente bleibt draußen!“ – „Es saugt und bläst der Heinzelmann…“ Oder einfach das unnachahmlich lakonische „Ach was!“

Derlei Zitate, die allseits bekannt sind, kennzeichnen Klassiker.

„Bitte sagen Sie jetzt nichts…“

Denkt man nur an die Redewendung „Bitte sagen Sie jetzt nichts…“, so sieht man sofort ihn sofort wieder vor sich – jenen bedauernswerten Mann (natürlich Loriot), dem beim gediegenen Essen mit seiner Bekannten (natürlich Evelyn Hamann) die Nudel zunächst an der Oberlippe, am Kinn und dann an so manchen anderen Gesichtspartien klebt, während er sich eine Liebeserklärung abringt.

Mühsam um Beherrschung ringen

In solche hochnotpeinlichen, urkomischen Situationen geraten Loriots Figuren häufig. Mühsam suchen sie noch im größten Schlamassel ihre Beherrschung und Würde zu wahren, die Anstandsregeln einzuhalten. Doch ach, vergebens! Was da nicht alles entgleist!

Von Lebenserfahrung zeugen die Eheszenen von Loriot. Man denke nur an den Cartoon-Film vom Mann, der einfach nur mal still im Sessel sitzen möchte. Doch immer wieder scheucht ihn die Gattin auf: Er solle doch endlich mal etwas tun, was ihm Spaß macht. Wie die beiden aneinander vorbei reden, das ist zum Piepen!

Wie soll man Loriots Komik verorten? Ist sie nicht manchmal ein wenig hanseatisch? Oder gar einen Hauch britisch? Aber wir wollen uns jetzt nicht den Kopf zerbrechen. Dazu sind wir zu lachlustig.

Manchmal auch ein bisschen boshaft

Schon die bloßen Geschichten sind gut, sie wären aber nur die Hälfte wert ohne punktgenaue Umsetzung und geschmackssichere Dosierung; auch und gerade, wenn kleine Schlüpfrigkeiten ins Spiel kommen. Bei Loriot (bürgerlich Vicco von Bülow) stimmt jedes Timing, es „sitzt“ jede Geste, auch sprachlich passt alles bis ins Kleinste. Übrigens war Loriot nicht immer nur nachsichtig mit menschlichen Schwächen, manchmal konnte er auch ein bisschen boshaft sein. Aber immer mit Stil und Niveau. Und niemals so platt wie mancher heutige „Comedian“.

Satte 90 Minuten Sketche bei RBB

Warum ich das gerade jetzt schreibe? Weil ich Vorfreude wecken möchte. Am morgigen Abend (Sonntag, 9. März) zeigt der Sender RBB satte eineinhalb Stunden Sketche von Loriot. Um 20.15 Uhr heißt es „Über Vertreterbesuche, Jodeldiplome und Urlaubsbekanntschaften“, um 21.00 Uhr schließt sich Teil zwei an: „Über Bananen, Lottogewinne und Schweifträger.“ Um 21.45 Uhr dürfte man dann schlapp in der Couchecke liegen und abwinken, weil man wieder dermaßen gelacht hat…

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Vorherige Beiträge zur Reihe: “Tatort” mit “Schimanski” (1), “Monaco Franze” (2), “Einer wird gewinnen” (3), “Raumpatrouille” (4), “Liebling Kreuzberg” (5), “Der Kommissar” (6), “Beat Club” (7), “Mit Schirm, Charme und Melone” (8), “Bonanza” (9), „Fury“ (10)




„Spätlese“ zum 90. von Loriot: Eine Fülle bisher unbekannter Zeichnungen

Ach, um den Humor deutscher Bauart ist es nicht eben blendend bestellt, seit prägende Gestalten wie Robert Gernhardt und Loriot gestorben sind. Umso inniger sollte man der beiden und einiger anderer gedenken.

Es hat sich herumgesprochen: Loriot (1923-2011) wäre just heute 90 Jahre alt geworden. Gern geben Verlage zu solchen Anlässen Bücher aus dem Nachlass heraus, möglichst mit bislang unbeannten Schöpfungen. Ganz in diesem Sinne möchte Diogenes, dass wir nun eine „Spätlese“ des begnadeten Vicco von Bülow verkosten. Die Verlagswerbung scheut dabei den marktschreierischen Begriff „Sensation“ nicht.

Das Wort „Spätlese“ bezieht sich auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung, weniger auf die Entstehung der bisher nicht publizierten Blätter, rund 400 an der Zahl. Ein anfänglicher Schwerpunkt liegt gar auf Zeichnungen und Cartoons der 50er und frühen 60er Jahre.

Loriot

Das Etikett „unveröffentlicht“ ist nicht durchweg ein Qualitätssiegel. Anfangs wurden vereinzelte Einfälle von Illustrierten wie „Stern, „Quick“ und „Weltbild“ noch abgelehnt – öfter freilich auch, weil die Redakteure den eigentlichen Witz verkannt haben.

Sehr schnell zeigt sich jedoch, dass die anfänglichen Fingerübungen zügig in einen eigenen, unverwechselbaren Stil übergehen. Der typische Loriot-Duktus entwickelt sich, der szenische Phantasie freisetzt und mit herrlich trockenem Understatement daherkommt. In einem Atemzuge wird da die Realität bemäntelt und enthüllt.

Wie man hier sehen kann, dienten Loriot häufig unscheinbare, insgeheim groteske Zeitungsmeldungen und Kleinanzeigen als Anstöße. Da schlägt er manchen Funken scheinbar aus dem schieren Nichts. Unvergleichlich, wie der Humorist Freundlichkeit und Abgründigkeit verbindet. Nur ein Beispiel: Die geradezu diskret erscheinende Straßenbahn-Zeichnung „Nicht mit dem Führer sprechen“ holt Hitler gruselig in die Gegenwart.

Zeitdiagnostisch für die Wirtschaftswunder-Republik sind jene Szenen aus der Arbeitswelt, die von Drill und starrer Disziplin künden und damit das Militärische in den Alltag bringen. Weitere Themenfelder muss Loriot nicht lange suche, sie drängen sich geradezu auf: Das Verhältnis zwischen Firmen und Kunden, Gebrauchtwagenkauf, Restaurantbesuche, Massentourismus, Jagd, Bahnfahren und Fliegerei sind auch ihm nahezu unerschöpfliche Quellen. Doch er findet zumeist einen eigenen Dreh, der ihn von der Masse der bloßen „Witzzeichner“ abhebt.

Geradezu nostalgisch mutet aus heutiger Sicht an, wie Loriot die damals gängigen Telefon-Ansagedienste aufgreift. Beispielsweise den Dienst mit Kochrezepten. Leider hat die Platte einen Sprung und verkündet immer wieder denselben Schritt. Und also schlägt der Koch daheim ein ums andere Ei entzwei.

„Große Deutsche“ als Knollennasenfiguren sind ein weiteres Kapitel, man bestaune Goethe, Nietzsche, Wagner, Thomas Mann, die der Bildungsbürger Loriot in den 90er Jahren auf etwas andere Weise zeigt. Leider ist die Reihe unvollendet geblieben. Eine Liste zeigt, wen Loriot noch porträtieren wollte – übrigens neben all den Berühmtheiten auch einen unbekannten „Herrn Schultze“.

Weitere Abschnitte des gewichtigen Bandes (fast 2,5 Kilo) widmen sich Möpsen (sozusagen in allen Lebenslagen) oder auch Zueignungen aus Anlass von Geburtstagen und anderen Feierlichkeiten. So hat Loriot liebvolle kleine Hommagen etwa an „Spiegel“-Herausgeber Rudolf Augstein, den Kritiker Joachim Kaiser, Tagesschau-Sprecher Karl-Heinz Köpcke oder den Kollegen Robert Gernhardt verfertigt. Doch auch sein Briefträger bekam zum Ruhestand eine Widmung.

Die wohl größte Überraschung aber sind die „Nachtschattengewächse“ im Schlusskapitel. Diese ins Horrible reichenden Visionen sind ganz offenkundig in schlaflosen Nächten entstanden. Die oft kubistisch getürmt erscheinenden Alpträume haben mancherlei Quellen. Hier spukt Hitler ebenfalls, doch auch die eigenen Figuren haben Loriot in gespenstischer Verwandlung heimgesucht.

Nun muss doch noch getadelt werden. So interessant das ausgebreitete Material sein mag, so nachlässig wird es präsentiert. Ich rede nicht von der Drucktechnik, dem guten Papier und überhaupt von der imposanten Physis des Bandes, sondern davon, dass bis auf eine läppisch kurze Vorbemerkung und ein paar nichtssagende Zwischentexte keinerlei Würdigung oder Einordnung dieser unbekannten Werkkomplexe gibt.

Es scheint ganz so, als hätte sich die Arbeit der drei Herausgeber (darunter Loriots Tochter Susanne von Bülow) weitgehend auf Beschaffung, Sichtung, Auswahl und Sortierung beschränkt. Jammerschade!

Loriot: „Spätlese“. Rund 400 bisher unbekannte Arbeiten aus dem Nachlass. Hrsg: Susanne von Bülow, Peter Geyer, OA Krimmel. Diogenes Verlag, Zürich. 374 Seiten. 39,90 Euro.

Gleichfalls unter dem Titel „Spätlese“ steht die Loriot-Ausstellung, die bis zum 12. Januar 2014 im Literaturhaus München gastiert (danach ab 25.1.2014 bis 21.4.2014 Galerie Stihl, Waiblingen, und von 4.5.2014 bis 16.8.2014 im Wilhelm Busch Museum in Hannover)




Abschied von Loriot

Es darf doch nicht wahr sein. Es soll doch bitte nicht stimmen!

Die Nachricht vom Tode Loriots macht sehr, sehr traurig. Doch sie macht die meisten nicht sprachlos. Denn nun lassen alle die Loriot-Sprüche oder sonstigen Werkpartikel vom Stapel, die ihnen ans Herz oder gleichsam ans Zwerchfell gewachsen sind. Auch das Netz vibriert heute vor lauter Hoppenstedt, Müller-Lüdenscheidt, Die Ente bleibt draußen, Heinzelmann und allem anderen. Wie wohltuend und entlastend, wenn man die Trauer ins kollektive Lachen kleiden kann – oder wenigstens in eine wehmütige Erinnerung an einstigen Frohsinn. Möge man ihn nur nicht irgendwann auf den „Hausschatz des goldenen Humors“ reduzieren. Er steht für ganz andere Dimensionen.

Das weithin presseübliche Verfahren, einen alten Artikel (etwa zum 80. oder 85. Geburtstag) „wiederzubeleben“, indem man ihn beinahe wortgleich wiederholt, um Geschehnisse der letzten Jahre sowie ein paar Trauerformeln ergänzt (und an den richtigen Stellen in die Vergangenheitsform setzt), das alles wollen wir uns hier ersparen.

Wir setzen nur noch schnell einen Link.

Dann sind wir endlich still und blättern abends leise in seinen wundervollen Büchern.




Komik des Kosakenzipfels – Deutschlands prominentester Humorist Loriot wird heute 75 Jahre alt

Von Bernd Berke

So feinsinnig, charmant und verbindlich wirkt der distinguierte Herr, daß man kaum merkt, wie rigide seine Komik manchmal ist. Aber ja! Wir reden wirklich von Vicco von Bülow alias Loriot, der heute 75 Jahre alt wird.

Er selbst hat einmal Buster Keaton und W. C. Fields als Vorbilder genannt, denn deren Komik sei „erbarmungslos“. Charlie Chaplin hingegen sei, bei allem Respekt, zu sentimental und moralisch. Bei Loriot „menschelt“ es nicht nur unverbindlich daher, sondern er zielt und trifft. Schon die steifen Posen des deutschen „Wirtschaftswunders“ hat er dem Gelächter preisgegeben. Und dabei wirkten seine Knollennasen-Männchen aus Büchern wie „Der gute Ton“ oder „Der Weg zum Erfolg“ doch so harmlos.

Was wirkliche Haltung und was bloße „Mache“ war, weiß der in Brandenburg geborene Sproß einer alten preußischen Offiziersfamilie gewiß haargenau zu unterscheiden.

„Man muß sich über alles wundem“

Mit solchem Gespür begabt, mußte man in den verdrucksten 50er Jahren nur noch mit offenen Augen durch die Welt gehen, um an jeder Ecke komische Situationen zu entdecken. Wenn sich gewisse Leute im Bewußtsein des „Wir sind wieder wer!“ reckten, so schrie das ja geradezu nach humoristischer Weiterverarbeitung. „Man darf nichts als selbstverständlich hinnehmen und muß sich über alles wundern“, so lautete eine von Loriots Humor-Regeln. So ist es.

Mit Cartoons und Sketchen in Fernseh-Sendereihen wie „Cartoon“ (ab 1967), „Telecabinet (ab 1974) oder „Loriot I bis VI“ (1976) erlangte er unverwüstliche Popularität. Endlich war da mal einer, der nicht die vordem landläufige, eher krachlederne Variante „deutschen Humors bediente! Loriot (französisches Wort für Pirol – der Vogel ist das Wappentier seiner Familie) dürfte Einflüsse ausgeübt haben, die etwa über die „Neue Frankfurter Schule“ (Robert Gernhardt & Co.) bis hin zur Kabarettszene neuester Prägung unterschwellig gewirkt haben.

Unvergeßliches TV-Requisit war jenes Gründerzeit-Sofa, auf dem Loriot mit gekräuselten Lippen seine Beiträge ansagte. Man fängt schon an zu grinsen, wenn man nur an all diese Szenen denkt, die längst zum Standard-Repertoire gehören. Da war z. B. jener Mann, der sich im Restaurant eine glühende Liebeserklärung abquält („Sagen Sie jetzt nichts, Fräulein Hildegard!“) und dabei einen Nudelrest in seinem Gesicht nicht bemerkt, während die Angebetete (Lieblings-Sketchpartnerin Evelyn Hamann) immerzu fassungslos dorthin starren muß.

Von der Gummiente zum Jodeldiplom

Urkomisch auch die Herren Müller-Lüdenscheidt und Dr. Klöbner, die aus unerfindlichen Gründen in derselben Hotelbadewanne stranden und nun streiten, ob und wie man die Gummiente „zu Wasser lassen“ solle.

Man könnte endlos weiter memorieren: den ausufernden Streit zweier Ehepaare, die sich im Campingurlaub kennengelernt haben. Anlaß: jene Nachtisch-Leckerei namens „Kosakenzipfel“; das „Jodeldiplom“ für die unausgefüllte Hausfrau („Da hat man was Eigenes“); das Ehepaar Hoppenstedt und seine Chaos-Besuche beim Herrenausstatter oder in der Bettenabteilung. Es waren im Grunde kleine Tragödien einer allseits gründlich fehlschlagenden Kommunikation, die einen trübsinnig machen könnten, wenn bitterernste Autoren sie aufbereitet hätten.

Apropos Paare: Nicht nur bei den Hoppenstedts und der ehelichen Groteske ums Vierminuten-Ei erweist sich die tiefe Wahrheit der Loriot-Formel „Frauen und Männer passen eigentlich nicht zusammen“. Sie versuchen’s halt immer wieder, ob’s nicht doch geht…

Daß die von Loriot gezeichneten Maskottchen „Wum und Wendelin“ jahrzehntelang für die „Aktion Sorgenkind“ warben, haben wir bei all dem noch gar nicht erwähnt. Bayreuth-Stammgast Loriot hat zudem gelegentlich Opern inszeniert und zwei der erfolgreichsten deutschen Kinofilme der letzten Jahrzehnte gedreht, „Ödipussi“ und „Pappa ante portas“.

Die Ruhe, die er sich neuerdings antut, sei ihm von Herzen gegönnt. Doch wie schade auch, daß er, sich so zurückhält! Wir vermissen etwas.

Das ARD-Fernsehen bietet heute um 21.45 Uhr viel Prominenz auf, um Loriot gebührend zu gratulieren. Programmänderung: Um 23.45 Uhr schließt sich Theatermann August Everding als Solo-Gratulant an.




Vati bleibt zu Hause und nervt die Familie – Loriots zweiter Kinofilm „Pappa ante portas“

Von Bernd Berke

Herr Lohse ist Abteilungsleiter Einkauf bei einem Großbetrieb. Für einen Mengenrabatt zugunsten der Firma würde er notfalls durchs Feuer gehen. Doch als er eines Tages im Ersparnis-Rausch tonnenweise Schreibpapier ordert – genug für die nächsten 40 Jahre – schickt ihn sein Boß vorzeitig in Pension.

Was macht so ein Mann jetzt? Nun, beruflich deformiert, wie er ist: erst mal im alten Stile weiter. Dabei kreuzen sich berufliches und privates Verhalten. Der Frühpensionär betritt z. B. ein Lebensmittelgeschäft und ruft mit einern Anflug gebieterischer Marktmacht, aber doch schon etwas verunsichert über Theke und Kunden hinweg: „Ich heiße Lohse und will hier einkaufen!“ Auch das mit den Sonderpreisen für Masseneinkauf kriegt er nicht so schnell weg. Ohne mit der Wimper zu zucken, ordert er 150 Senftöpfchen, damit’s im Schnitt ein bißchen billiger wird.

Noch schlimmer ist’s zu Hause. Plötzlich jeden Tag daheim und mit furchtbar viel freier Zeit geschlagen, geht er Frau und Sohn alsbald gewaltig auf die Nerven. Die tagsüber „vaterlose“ Keimzelle der Gesellschaft hat bislang prima funktioniert, doch nun will sich Vati partout privat nützlich machen, sprich: den Haushalt mal so richtig durchorganisieren; Belehrungen für die konsternierte Putzfrau inklusive. Und wie einst die alten Römer in ihrer Bedrängnis entsetzt ausriefen „Hannibal ante portas“ (Hannibal vor den Toren), so nun die Familie Lohse: „Pappa ante portas“! Die Gattin würde ihn am liebsten gleich in den Hobbykeller verbannen. Soll er da doch die Tageszeitungen der letzten Jahre nach Erscheinungsdaten sortieren…

Solche Sachen kann in Deutschland wohl nur einer wirklich zwerchfellerschütternd spielen: Loriot. Sein zweiter Kinofilm ist um keinen Deut schwächer als der herrliche Erstling „Ödipussi“ (1987). Ging es dort um eine irrwitzige Mutter-Sohn-Beziehung, so diesmal um die Kämpfchen eines mittelalten Ehepaares. Doch keine Angst. Loriot behandelt zwar ein „im Grunde“ ernstes Thema, aber mit souveräner Komik. Er ist  und bleibt ein Meister vor allem der verhinderten, verweigerten oder sonstwie scheiternden Kommunikation.

Da ist keine Szene zu lang, keine zu kurz. Da wird kein Gag verschenkt, keiner überreizt. Beim Timing und im szenischen Aufbau stimmt einfach alles, bis hin zu jenen entscheidenden Kleinigkeiten, etwa dieser hier: Weißes Café, alle Leute cremefarben gekleidet, lange schwelgt die Kamera in dieser sterilen Helligkeit. Und dann tapert auf einmal Loriot im grauen Anzug rein. Ein simples, gleichwohl wunderbar inszeniertes Bild dafür, wie umwerfend es sein kann, wenn einer deplaziert ist.

Nicht zuletzt solche Detailversessenheit macht den großen Komiker. Sie gilt auch für die Nebenrollen, die alle ungeheuer „paßgenau“ besetzt sind: Beispielsweise Gerd Dudenhöffer als Kellner, der bei jeder Bestellung verdächtig aufstoßen muß, weil ihm schon beim Gedanken an die Küche seines Lokals übel wird; beispielsweise Hans-Peter Korff und Irm Hermann als verbissen „glückliches“ Ehepaar, das sich „füreinander aufgespart hat“ – und natürlich Loriot selbst, der auch drei kleine Nebenparts selbst übernommen hat. Highlight: ein Poet, dem beim geistigen Höhenflug das Körperliche vermaledeit in die Quere kommt. Mehr wird nicht verraten. Auch nicht über das Ende, das zwar „happy“, aber dann doch irgendwie dissonant ist, und zwar buchstäblich.

Als Loriots idealer Widerpart erweist sich erneut Evelyn Hamann. Ohne sie könnte selbst er nur knapp drei Viertel seiner Wirkung erzielen. Was freilich bequem hinreichen würde, um die meisten seines Metiers weit hinter sich zu lassen.

„Pappa ante portas“ (Deutschland). Buch/Regie: Loriot. Mit Loriot, Evelyn Hamann, Ortrud Beginnen, Hans-Peter Korff u. a. Ab 21. Februar im Kino