Zweierlei Herbst des Lebens: Louis Begleys Roman „Erinnerungen an eine Ehe“

Der Schriftsteller Philip hat Frau und Tochter durch tragische Umstände verloren. Früher hat er in Paris und New York komfortabel gelebt, jetzt aber hat er sich zurückgezogen.

Durch Schmerz und Trauer ist er gleichsam ein Außenstehender geworden, doch betrachtet er die Dinge des Lebens aus freundlicher Distanz, mit mildem Sinn.

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Eines Abends trifft er im New Yorker Ballett-Publikum seine mondäne Jugendfreundin Lucy, eine geborene De Bourgh und somit dem Ostküsten-(Geld)-„Adel“ zugehörig, der quasi schon mit der „Mayflower“ in die Neue Welt gekommen ist und daraus einige Privilegien herleitet. Sie lädt Philip ein und will reden, reden, reden. So beginnt Louis Begleys Roman „Erinnerungen an eine Ehe“, dessen illusionslos-lakonische Vorgabe so lautet: „Lucy war alt; ich war alt.“ Sie beide kennen inzwischen längst mehr Tote als Lebende.

Einst hat Philip auch Lucys inzwischen verstorbenen Mann Thomas Snow gekannt, Sohn eines Automechanikers, nach Lucys Verständnis also ein „Emporkömmling“, der steile Wirtschaftskarriere machte, jedoch gesellschaftlich nie so richtig ganz oben ankam. Unter diesem Zeichen hat auch die Ehe von Lucy und Thomas gestanden – eine Verbindung, die wohl niemals hätte geschlossen werden dürfen. Sollte sie am Ende nur sein Entrée in die höheren Schichten und überdies seine Hure gewesen sein? Und wie sehr hat der Sohn Jamie unter seinen Eltern gelitten?

Interessiert einen das? Möchte man genauer wissen, warum jene (einst so lebenslustige) Lucy nun dermaßen verbittert ist, inwiefern sie vielleicht ihr Leben verpfuscht hat? Bis etwa zur Hälfte des etwas zähflüssigen Buches hätte ich diese Fragen eher verneint.

Philip lässt sich jedenfalls nach und nach in Lucys Ehe- und Lebensgeschichte hineinziehen, als könnte das Stoff für einen Roman ergeben. Sicher ist er sich freilich nicht. Er trifft und befragt einige Menschen, die jeweils ein paar Mosaiksteine zu einem möglichen Gesamtbild beitragen sollen – doch da rundet sich nichts. Dieses beinahe zu Ende gelebte Leben der Lucy Snow bleibt letztlich ungreifbar, auch wenn noch so viele „Zeugen“ einvernommen werden. All die Gespräche kreisen – in manch’ widersprüchlichen Facetten – immerzu um ein nebulöses Zentrum.

Wir erfahren von diversen Affären, von psychiatrischen Behandlungen und Alkoholismus. Alles natürlich vor höchst gediegenem, kultiviertem Hintergrund. Was das weltläufig-metropolitane Leben in „besseren“ Kreisen halt so hergibt. Doch wie’s da drinnen aussieht…

Jetzt ist Lucy so allein wie Philip – nein, im Grunde ist sie ganz anders allein, nämlich verzweifelt einsam. Betrüblicher Befund: „Die frühere Lucy – das lustige, originelle, draufgängerische Wesen (…) ist einfach verschwunden.“ Philip hingegen hat seine schlimmste Trauerzeit offenbar hinter sich gelassen und wirkt trotz aller Zurückgezogenheit geradezu heiter und aufgeschlossen. Zweierlei Herbst des Lebens…

Louis Begley gestattet sich allerlei Umschweife, er erzählt mitunter umständlich. Lange wirkt es so, als wollte sein Roman gar nicht recht „in Gang“ kommen, als seien dies alles nur Vorstudien. Doch unaufdringlich, ja kaum merklich spielt sich die wehmutsvolle Handlung vor der Folie des heillosen kriegerischen Eingreifens der USA im Irak ab. Auch stellt sich die dringliche Frage, ob man unter linksliberalen, egalitären Gesichtspunkten überhaupt abfällig von einem „Emporkömmling“ reden sollte. So erhält das Geschehen nach und nach einen weiteren Horizont und etwas mehr Tiefenschärfe. Immerhin.

Zudem scheint es, als geriete Philip in den „Bannkreis“ Lucys, woraus sich ein gewisser Spannungsbogen ergibt. Doch die Erinnerung an seine nicht nur nachträglich umsonnte Ehe mit Bella hat diesen Mann für alle verbleibende Zeit so gefestigt, dass er am Ende leichten Herzens eine souveräne Entscheidung trifft…

Louis Begley: „Erinnerungen an eine Ehe“. Roman. Suhrkamp Verlag. 222 Seiten. 19,95 Euro.




„Schmidts Einsicht“ kommt nicht zu spät

Drei Romane mit der Titelfigur Albert Schmidt hat der in Polen geborene amerikanische Autor Louis Begley geschrieben. Den letzten mit dem deutschen Titel „Schmidts Einsicht“ gibt es zunächst sogar nur bei uns – in den USA erscheint die Originalausgabe erst im März als „Schmidts Steps Back“.

Viele erinnern sich bestimmt an Jack Nicholson, der 1997 den alternden Anwalt Schmidt aus New York im Kino verkörperte. Dieser etwas verschrobene Witwer mit dem hohen Einkommen hat ständig Zoff mit seiner Tochter Charlotte und eine ausgelassene Liebesaffäre mit einer jungen Kellnerin seines Lieblingslokals auf Long Island.

Im abschließenden dritten Band, der am Silvestermorgen 2009 beginnt und zwischen verschiedenen Rückblenden pendelt, ist diese Affäre beendet. Stattdessen knüpft die Handlung an den Schluss des zweiten Teils an, in dem Schmidt in Paris vor dem Haus einer früheren Geliebten steht und unentschlossen überlegt, ob er klingeln soll. Er hat tatsächlich diese hübsche Französin – inzwischen ebenfalls Witwe – wieder für sich gewinnen können. An jenem Silvestertag wartet er in seiner Villa auf ihren Besuch und die Antwort auf die Frage, ob sie bei ihm bleiben möchte. In der Zwischenzeit sind jedoch so dramatische Dinge geschehen, dass Schmidt seine Einstellung zum Leben ändert, er kommt im Sinnes des Buchtitels zur „Einsicht“, er kommt gewissermaßen zur Ruhe, und die Trilogie des Autors findet ein altersweises Ende.

Louis Begley, das zeigen alle seine Bücher, ist ein hervorragender Menschenkenner mit großem Einfühlungsvermögen. Auch sein Held Schmidtie, der durch seinen Sexismus und den unbewussten Antisemitismus eigentlich etwas abstoßend wirken soll, wird nie vollständig in ein Schwarz-Weiß-Schema gepresst, so dass man letztlich so etwas wie Mitleid mit einem alten Mann empfindet, dem das Schicksal große Glücksmomente und ebenso hartes Leid bescherte. Aus der Angst vor dem Tod gewinnt Schmidt zum Schluss jedoch noch einmal die Hoffnung, dass Liebe allem einen Sinn geben kann – ganz ohne den Zynismus, an den er sich so gewöhnt zu haben glaubte.

Louis Begley: Schmidts Einsicht. Roman, Suhrkamp Verlag, 416 Seiten, 22,90 Euro.




Am Ende droht die große Leere – Kinofilm „About Schmidt“ mit einem grandiosen Jack Nicholson

Von Bernd Berke

Die Anfangs-Szene ist ganz konzentriert, sie bannt unheimlich stille, zerdehnte Momente des Wartens: Ein Mann allein im Büro. Seine Aktentasche. Eine Wanduhr. Er blickt müde hin. Die Zeit tickt. Als der Zeiger zur nächsten vollen Stunde umspringt, war’s das mit dem Arbeitsleben: Der Versicherungs-Statistiker Warren Schmidt ist ab sofort im Ruhestand.

Was nun? Sequenzen von solch ufigeheurer Dichte, die Einschnitte im Leben markieren, enthält dieser Film von Alexander Payne häufig. „About Schmidt“ geht frei und doch treffsicher mit der Romanvorläge von Louis Begley um, auf dem Papier war z. B. die Hauptfigur Anwalt und kein Versicherungsmann. Egal! Nicholson spielt hier eine ganz große Altersrolle; würdevoll und doch bestimmt vom leisen Schrecken des nahenden Todes, des womöglich gescheiterten Lebens.

Es zerreißt einem ganz sachte das Herz, wenn man sieht, wie dieser Schmidt mit den ersten arbeitsfreien Tagen so gar nichts Rechtes anzufangen weiß. Mal geht er lustlos einkaufen, dann wieder hockt er vor dem Fernsehgerät, wo er allerdings mittendrin aufhorcht: Eine Hilfsorganisation wirbt um zahlende „Paten“ für arme Kinder der Dritten Welt.

Ein Kinderbild scheint den ganzen Sinn des Lebens zu enthalten

Schmidt wird für den kleinen Ndugu aus Tansania monatlich Geld spenden und ihm lange Briefe schreiben, in denen er sich (zunehmend wahrhaftig) seiner selbst versichert. Die Schrift gerät zur Hoffnungslinie. Und am Ende wird als Antwort ein von Ndugu gemaltes Bild eintreffen, das in seiner vermeintlichen Naivität den ganzen Sinn des Lebens zu enthalten scheint…

Doch zunächst geht’s bergab. Schon bald besucht Warren Schmidt seinen jungen Job-Nachfolger. Der Schnösel begrüßt ihn mit großem „Hallo“, hat sich aber bereits bestens im Office eingerichtet und gibt mit jeder dynamischen Geste zu verstehen, dass er keinen erfahrenen Rat mehr braucht. Seiner Frau wird Schmidt jedoch vorgaukeln, er habe in der Firma noch einmal helfen können.

Die ihm nun ganztägig nahe Gattin (June Squibb), so denkt Schmidt bei sich, widert ihn nach 42 Jahren Ehe an. Ihre lachhaften Gewohnheiten, ihr Geruch gar. Waren sie einander überhaupt die Richtigen? Oder hätte „alles anders“ verlaufen müssen?

Wenigstens die Tochter vor einer üblen Ehe bewahren

Achtlos geht Schmidt eines Tages aus dem Haus, als sie die Wohnung saugt. Wenn er zurückkehrt, surrt der Sauger noch immer genau so – nur: Sie liegt tot auf dem Fußboden. Selbst wenn es eine späte Befreiung vom Ehe-Jochsein sollte, so schmerzt es doch. Nicholson zeigt alle Facetten zwischen dem (schalen) Triumph des Überlebenden und tiefster Bestürzung.

Nun droht die ganz große Leere. Denn auch die geliebte Tochter Jeannie (Hope Davis) wohnt weit entfernt, findet nur Zeit für eigene Belange. Zudem will sie den reichlich deppert wirkenden Randall (Dermot Mulroney) heiraten, der mit Wasserbetten handelt und überwiegend ungehobelte Verwandte hat. Schmidt zürnt: Ach, könnte er der Tochter doch die üble Liaison verbieten! Aber als alternder Mann ist man ja machtlos.

Schluss jetzt mit Erstarmng: Warren Schmidt macht sich mit dem Wohnmobil auf den Weg, besucht Stätten seiner Jugend, atmet unter weiten Himmeln durch, wird weltfromm unterm Sternenzelt. Dann wiede fürchtet er, sein Leben verrinne folgenlos.

Grandios lässt Nicholson die inneren Kämpfe ahnen bis zur notgedrungenen Hochzeitsrede für seine Tochter. Am liebsten würde er mit derben Worten die Feier platzen lassen, doch er nimmt hinter jeder Satzbiegung gerade noch die Kurve ins halbwegs Sozialverträgliche. Noch so eine brillante Szene.

Immer wieder werden in dieser bewegenden Spätlese eines Lebens Toasts und Trinksprüche an feierlichen Tischen ausgebracht. Es sind meist wohl gesetzte Lügenworte. Dahinter aber lauern die existenziellen Fragen.