Wurzeln und Früchte des Terrors – Luc Bondys Inszenierung von Martin Crimps „Cruel and Tender“ bei den Ruhrfestspielen

Von Bernd Berke

Recklinghausen. Über Luc Bondys Inszenierung „Cruel and Tender“ (Grausam und zärtlich) stand kein guter Stern: Halb leer blieb zur Premiere das Ruhrfestspielhaus, trotz des ruhmreichen Regisseurs. Sodann fiel die Übersetzung der englischen Produktion mehrmals aus.

Überdies litt Darsteller Joe Dixon unter einer Halsinfektion, so dass er nur mit Mikro-Verstärkung antreten konnte. Dies freilich sorgte für einen Verfremdungseffekt, der zum sprachlich prononcierten (Anti-)Konversationsstück passt, in dem politische wie „private“ Sphäre in Elementarteilchen zerlegt werden.

Der Brite Martin Crimp hat „Cruel and Tender“ nach Vorbild geformt: Sophokles‘ Drama „Die Frauen von Trachis“ dient als Folie. Deianira wartet dort auf die Heimkehr des ! kriegerischen Herakles. Bei Crimp wartet Amelia (Kerry Fox, bekannt aus Patrice Chéreaus Film „Intimacy“) auf ihren Gatten, einen General, der in Afrika Terroristen bekämpft und offenbar kein Massaker auslässt.

Amelia verkündet schon anfangs redselig den Befund, dessen Untiefen dann allerdings eindringlich durchmessen werden: Terroristen und deren Widersacher zeugen stets neuen Terror, der tief ins Zwischenmenschliche reicht (weil er letztlich daraus hervorgeht). Auch geschlechtlich scheint das Übel vorgeprägt. Schon kleine Jungs wollen immerzu schießen.

Die Frau grausam genommen – wie einen Feind in der Schlacht

Die Tragödie begibt sich, weil der General das afrikanische Mädchen Laela (Georgina Ackerman) und deren Bruder als Vorboten schickt. Amelia soll sich um die beiden kümmern. Angeblich hat der General die Kinder aus humanen Gründen gerettet, tatsächlich will’s der Unhold nach seiner Heimkehr mit der Schwarzen treiben. Amelia lügt sich ‚was von toleranter Ehe vor, doch in ihr wimmert Eifersucht. Aus rasender Liebe wird sie ihren Mann vergiften. Sie hängt an dem Monster: Grausam zärtlich habe er sie ehedem „genommen“ – wie einen Feind in der Schlacht. Ein richtiger Mann also, findet sie. In derlei Sex-Gemenge lauert von jeher Gewalt.

Famose Kerry Fox! Indem sie zwischen Verzweiflung, Trotz, schier aus dem Nichtsgeschöpfter Kraft und etlichen anderen Emotionen oszilliert, beweist sie ungeheure Präsenz. Amelias „Warteraum“ beim Airport ist ein gestaltloser Ort des Transits zum Tode (Bühnenbild: Richard Peduzzi). Mit Kosmetik und Fitness-Übungen hält sie sich hier bereit für ihren Bezwinger, zankt sich mit widerspenstigem Personal, selbstgerecht taktierenden Einflüsterern und ihrem rüden Sohn.

Der General (Joe Dixon) kehrt erst nach Amelias Freitod zurück. Obgleich durchs Gift nur noch ein röchelndes Wrack, will er sogleich wieder herrschen und zwingen. Er ist durch die Hölle gegangen (irgend jemand musste es schließlich tun?!) und rühmt sich des Sieges über den Terror. Gleichzeitig wittert er überall Gefahr. Dieser paranoide Berserker weckt Furcht – und sogar Mitleid; fast so, wie antike Dramatiker es wollten.

Termine: 12. und 13. Juni. Karten: 02361/92 18-0

 




Triumph für die Muse des Theaters – „Das Gleichgewicht“ von Botho Strauß in Salzburg uraufgeführt

Von Bernd Berke

Salzburg. Selten dürfte ein neuerer Theatertext so sehr aufs Wort belauert worden sein. Botho Strauß, immer schon zuständig für die „neueste Stimmung im Westen“, hatte vor einigen Monaten im „Spiegel“ seinen „anschwellenden Bocksgesang“ angestimmt und dabei mit brandgefährlichen Begriffen zwischen Blut, Boden und Kampfesehre gespielt. Desto mißtrauischer lauschte man jetzt bei den Salzburger Festspielen der Uraufführung seines Stückes „Das Gleichgewicht“.

Strauß ist hier ganz auf seiner eigenen Höhe. Zwischen allerlei Phantom-Liebe und versickernden menschlichen Beziehungen entfaltet er ein weites Panorama der Verluste. Verschleiert und verspiegelt: der zauberische Bühnenraum von Karl-Ernst Herrmann. Ähnlich ätherisch wie das Doppel-Leben jener Lilly Groth (Jutta Lampe). Nach einem Jahr der Trennung auf Probe von ihrem Mann, der in Australien Ökonomie lehrte, hat sie sich offenbar in eine eingebildete Zweit-Beziehung zu dem Rockmusiker Jacques le Coeur hineingesteigert. Ein zweites Leben neben dem ersten – nur so findet sie Halt und inneres Gleichgewicht.

Diese empfindliche, jederzeit bedrohte Ökonomie des Glücks spiegelt Strauß nun auf den verschiedensten Ebenen der Gesellschaft. Das Spektrum reicht vom verwahrlosten Milieu einer S-Bahn-Unterwelt (mit Rolltreppen abwärts) über eine von Spekulanten zum Abriß freigegebene Berliner Ladenzeile bis in die Vorräume der Macht. Auch sprachlich wird das Höchste mit dem Niedersten kunstvoll verwoben und verworren. Von Slapstick und Kabarett bis zum goetheschen Tonfall reicht das Spektrum, vielfältig wie das unübersichtliche Leben selbst. Ein ungeheuer reiches Stück, Strauß‘ größte Tat seit „Groß und Klein“.

Wir werden es gewiß noch in vielen anderen Inszenierungen erleben, doch schwerlich in einer besseren als jener von Luc Bondy. Ganz gleich, ob der Text in seltenen Sekunden zu raunen, zu dröhnen oder sich allzu weit zu erheben droht  – die Regie hat ihn vor jedem Abgleiten bewahrt. Auch das ein wunderbares Gleichgewicht. Und überhaupt klingt Strauß ja im Drama, im abwägenden, gegeneinander austarierten Dialog, allemal humaner als im hochfahrenden Monolog seiner Essays.

„Der Aufstand der Reinheit“

Hier, im Theater, verzeiht man auch eine Vision wie die von der „Säuberung durch Engelsstimmen“ und vom „Aufstand der Reinheit“, der alle Drogensüchtigen aus unseren Städten vertreiben müsse. Denn solche Sätze sind eingebettet ins Geflecht von Gegenstimmen.

Und welch ein Ensemble kann Bondy aufbieten, wahrhaft festspielwürdig! Jutta Lampe als „Lilly“ in all ihrer zarten Durchsichtigkeit, Brüchigkeit, Bedrängnis – und doch stark wie eine Heldin. Der majestätisch beruhigte Christoph (Martin Benrath), ihr Ehemann mit seiner Gleichgewichts-Philosophie des buddhistisch inspirierten Bogenschießens, des rechten Moments losgelöster Anspannung von Pfeil und Sehne. Sodann die phantastische Kirsten Dene (oh, alte Bochumer Peymann-Zeit!) und Martin Schwab als benachbarte Lädcheninhaber mit ihrer seit 15 Jahren unentschiedenen Buffo-Liebe. Selbst Nebenrollen sind mit Spielmagiern wie Fritz Lichtenhahn und Hans-Peter Hallwachs besetzt.

Man möchte schwelgen. Und es befällt einen der innige Wunsch, das Theater möge aus solcher Höhe nie mehr in den faden Alltag zurückfallen. Dann hätte sich alle Diskussion um seine Bedeutung erledigt. Die Muse Thalia würde triumphieren.

Brausenden, rauschenden Beifall gab es nach annähernd vier Stunden. Im Publikum saßen, neben zahlreicher Kultur-Prominenz, auch Leute wie der Chef der Deutschen Bundesbahn. Vielleicht ist auch er, für seinen Job, auf der Suche nach dem „Gleichgewicht“…




„Das weite Land“ der Menschenseele – Luc Bondy hat Schnitzlers Drama verfilmt

Von Bernd Berke

Köln. In der Menschenseele regiert das Chaos: „So vieles und so verschiedenes hat zugleich Raum in uns. Liebe und Trug, Treue und Treulosigkeit; Anbetung für die eine und dennoch wildes Verlangen nach der anderen. (…) Die Seele (…) ist weites Land.“

Dieses wildzerklüftete Laiidschaftsbild, das man für banal, aber auch für unterschwellig ironisch halten kann, entwarf der österreichische Dramatiker Arthur Schnitzler 1910 in seiner Tragikomödie „Das weite Land“. Luc Bondy, noch Mitdirektor der Berliner Schaubühne am Lehniner Platz, hat daraus einen Film gemacht, der heute in ausgewählten Kinos anläuft.

Bondy, der das Stück 1984 in Paris fürs Theater inszenierte, leuchtet nicht etwa gesellschaftliche Hintergründe (Stichwort: „Bürgerdämmerung“ am Vorabend des Ersten Weltkriegs) aus. Er konzentriert sich ganz auf die „Chemie“ der Gefühlsregungen, aufs treulose Spiel der Emotionen, das jedoch unvermittelt in tödlichen Ernst umschlagen kann. Komische Akzente sind äußerst sparsam und zurückhaltend gesetzt, eine Stimmung der Vergeblichkeit herrscht vor.

Im Mittelpunkt steht der Glühlampenfabrikant Friedrich Hofreiter (Michel Piccoli), der sich auch bei glanzvollen Soireen nur mäßig vom Geschäftsleben erholt. Allgemeine Leere und Künstlichkeit (mehrfach formieren sich die Filmdarsteller zu kühlen Tableaus nach Art eines Wachsfigurenkabinetts) verlangen nach Aufstachelung, nach Kitzel. Hofreiter sucht solchen „thrill“ auf erotischem und sportlichem Felde. Das „weite Land“ seiner Seele führt Eroberungskriege. Piccoli zeigt eindrucksvoll, wie dieser Mann – unfähig zur Liebe – nur den Schauer vor der Erfüllung sucht. Nach solchen Aufwallungen stößt er die Frauen buchstäblich und brüsk zurück – eine eigentümlich hitzige Mischung aus gewaltsamer „Keuschheit“ und galoppierender Gier. In diesen Strudel reißt Hofreiter auch andere mit hinein: seine Frau, deren vermeintliche Liebhaber, seine eigenen Geliebten.

Bondy hat ersichtlich um bildkräftige Umsetzung gerungen. Vielen Bildern sieht man es an, wie überlegt sie durchkomponiert sind. Da gibt es Symmetrien oder ins Bild ragende Diagonalen, die genau so stimmen und nicht einen Deut anders sein dürften. Künstlichkeit allenthalben, wir sind im Museum der Gefühle, in dem, es zwar auch für den Kinozuschauer nicht ganz ohne Langeweile abgeht, aber es ist doch stets edle, gepflegte Langeweile.

Hinzu kommt eine ausgeklügelte Choreographie der Gänge und Verrichtungen, vorgeführt mit häufigem Tempowechsel. Mal hält die Kamera (Thomas Mauch, oft Kameramann bei Werner Herzog), erbarmungslos geduldig, auf unscheinbarste Gesichtsregungen, dann verfolgt sie ruhelos die Figuren, die mit ihren willkürlich aufgepeitschten Emotionen in stille Naturwinkel einfallen und sie mit Chaos anfüllen: der Mensch als Störenfried der Welt.

Neben Michel Piccoli bleibt vor allem Bulle Ogier als Hofreiters Frau Genia in Erinnerung, die vor Resignation ganz hell, fast wie eine Heilige, erstrahlt.