Hotzenplotz und all die anderen – Oberhausen zeigt den kongenial illustrierten Figurenkosmos des Otfried Preußler

Illustration von F. J. Tripp, Mathias Weber (Kolorierung) aus Otfried Preußler „Der Räuber Hotzenplotz“ (© by Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart)

F. J. Tripp, Winnie Gebhardt, Herbert Holzing, Daniel Napp, Thorsten Saleina, Annette Swoboda. Schon mal gehört? Wahrscheinlich nicht, oder?

Dabei hätten vor allem die ersten beiden eine gewisse Prominenz verdient. Es sind samt und sonders Illustrator(inn)en von Büchern des unvergessenen Otfried Preußler (1923-2013). Der hat sich bekanntlich Figuren wie den „Räuber Hotzenplotz“, „Die kleine Hexe“, „Das kleine Gespenst“ oder „Krabat“ ausgedacht. Und etliche andere.

So markant Preußlers Personal schon rein literarisch sein mag, so erlangt es doch durch die kongenialen zeichnerischen Vergegenwärtigungen erst recht nachhaltige Unverwechselbarkeit. Das war dem Autor sicherlich auch bewusst. Die fruchtbringende Wechselwirkung der Künste greift jetzt eine umfangreiche Bilderschau in der Ludwiggalerie Schloss Oberhausen auf, wo man sich seit vielen Jahren der beachtlichen Qualität im Populären verschrieben hat. Über 300 originale Zeichnungen sind zu sehen, hinzu kommen einschlägige Filmrequisiten, Bücher und Fotos. Dabei gerät der ganze, durchaus vielfältige Kosmos der Preußler-Geschichten in den Blick, da tummeln sich auch Gestalten wie die dumme Augustine, der starke Wanja, Tella oder die Schildbürger („Bei uns in Schilda“).

Illustration von Winnie Gebhardt aus Otfried Preußler „Die kleine Hexe“, 1957 (© by Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart)

Preußler zählt längst zu den Klassikern der Kinder- und Jugendliteratur, seine 35 Bücher wurden in über 50 Sprachen übertragen und haben eine Gesamtauflage von mehr als 50 Millionen Exemplaren erreicht. Weit über solche dürren Zahlen hinaus, haben seine besten Geschichten einen festen Platz im kollektiven oder zumindest weit verbreiteten Bewusstsein – wie sonst nicht allzu viele Werke und Protagonisten; allen voran gewiss der erstmals 1962 in Buchform erschienene „Räuber Hotzenplotz“, der 2006 von Gernot Roll mit hochkarätiger Besetzung verfilmt wurde (Armin Rohde in der Titelrolle, dazu u. a. Piet Klocke, Rufus Beck und Katharina Thalbach).

Illustration von Herbert Holzing aus Otfried Preußler „Die Abenteuer des starken Wanja“, 1968 (© by Thienemann in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH, Stuttgart)

Die Zeichnungen des eingangs erwähnten, 1915 in Essen geborenen F. J. Tripp zum „Hotzenplotz“-Buch haben auch die Verfilmung – und zahllose Theater-Inszenierungen – inspiriert, insofern kann der Einfluss kaum überschätzt werden. Dieser Wirkung steht Winnie Gebhardt kaum nach, die das Erscheinungsbild der (gleichfalls ambitioniert verfilmten) „Kleinen Hexe“ und des kleinen Wassermanns ein für allemal vorgeprägt hat. Über 50 ihrer Tuschzeichnungen zeugen in Oberhausen davon. Und ich muss sagen: Ihre filigrane und herzerwärmende Kunst hat es mir noch mehr angetan als die von Tripp, die zuweilen etwas klobig wirkt, aber damit just einen klotzigen Charakter wie Hotzenplotz ideal verkörpert. Es war wohl  genau richtig, dass sie die Hexe und er den Räuber übernommen hat.

Apropos: Unsere Tochter (11), langjährige Preußler-Kennerin seit Vorlese-Zeiten, hält vehement dafür, dass F. J. Tripp partout keine Füße malen konnte. Wenn man es recht bedenkt und besieht: stimmt! Als bewusst eingesetztes Stilmittel oder als Stilisierung lässt sich das Defizit jedenfalls schwerlich kaschieren. Aufs Ganze gesehen, sind Tripps Schöpfungen freilich mancher Ehren wert.

Beim abwechslungsreichen Rundgang, den ich hier lediglich anhand des Katalogs nachvollziehe, stößt man u. a. auch auf Zeichnungen, die Otfried Preußler selbst geschaffen hat (zu „Hörbe mit dem großen Hut“). Interessant zudem die Möglichkeit, verschiedene zeichnerische Auffassungen derselben Gestalten zu vergleichen. Von Zeit zu Zeit, so scheint es, muss eben auch das prägnanteste Figuren-Inventar behutsam neu interpretiert werden. Nichts hat ewigen Bestand.

Otfried Preußler – Figurenschöpfer und Geschichtenerzähler. Ludwiggalerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46. Bis zum 10. Januar 2021. Geöffnet Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, Familie 12 Euro. Katalog 29,80 Euro. www.ludwiggalerie.de

 




Gesellschaft voller Monster – „Unser täglich Wahnsinn“: Cartoons von Gerhard Haderer in Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Da muss einer etwas gründlich missverstanden haben: „Schöner Rasen“ heißt die Titelzeile der Zeitschrift, die am Fußboden liegt. Der Kerl, der sie achtlos hingeworfen hat, schaut aus dem Fenster – hinaus auf öden Asphalt und ein PS-starkes Auto. Nicht sattes Grün hat er im Sinn, sondern fulminante Fahrten ohne jede Rücksicht: „Schöner rasen“ eben.

Der österreichische Cartoon-Zeichner Gerhard Haderer, jetzt im Schloss Oberhausen mit einer 160 Exponate starken Retrospektive (Titel: „Unser täglich Wahnsinn“) gewürdigt, lässt durchweg ziemlich gemeine, unverschämte und hässliche Gestalten auftreten. Die Spezies, so könnte man meinen, wird mehrheitlich von „niedrigen Beweggründen“ angetrieben.

Doch da gibt’s auch noch die (gleichfalls unansehnlich gewordenen) Opfer – wie etwa jene Ehefrau, die vor ihrem Gatten kniet und offenbar seit Stunden putzt. Der Herr des Hauses trägt ein ekelhaft triumphales Grinsen zur Schau, als sei sie sein braves Haustier.

Krasse Typologie der hassenswerten Zeitgenossen

In der Summe ergibt sich eine abgründige und krasse Typologie vorwiegend hassenswerter Zeitgenossen, der Rundgang gleicht somit fast einem Horrortrip durch die Gesellschafts-Hölle. Ob Haderer (Jahrgang 1951) über all seinen messerscharfen Beobachtungen wohl zum Menschenfeind geworden ist? Oberhausens Museums-Kurator Peter Pachnicke („Haderer ist kein Karikaturist, sondern Realist“) glaubt jedenfalls, dass hier jeder Betrachter sich selbst erkennen könne. Nicht doch! Wer vor diesen Bildern steht, wird immerzu krampfhaft denken, dass „die Anderen“ gemeint sind. Sonst wäre es kaum auszuhalten.

Dumpfe Reaktionäre blecken da die Zähne. Hysterische Gesundheits- und Fitness-Fanatiker gehen mit ihrem elenden Narzissmus hausieren. Offenbar gedopte Bodybuilder lassen aufdringlich ihre grotesk geschwollenen Muskeln spielen, denn sie halten sich für Schönlinge sondergleichen. Andere sind weniger körperfixiert: Ganze Scharen fress- und fernsehsüchtiger Wohlstands-Monster lümmeln sich feist in den Wohnzimmern…

Bildaufbau nach altmeisterlichen Mustern

Haderer, der sich anfangs als Werbegrafiker verdingte, weiß sehr gut, wie man Aufmerksamkeit weckt und „Hingucker“ erzielt. Er stellt ästhetische Fallen, indem er die fiesen Leute und ihr infernalisches Ambiente mit geradezu biedermeierlicher Detailfreude ausmalt. Der Bildaufbau folgt oft altmeisterlich geprägten Mustern. Doch inhaltlich ist es eben das Gegenteil von Beschaulichkeit. Jede Idylle steht unter Verdacht, sie wird geradezu weggeätzt.

Zu den Oberhausener Schaustücken zählt auch eine Serie zum Leben Jesu, der hier just zum dauerbekifften Haschbruder mutiert und als solcher in Österreich für einen (etwas wohlfeilen) Skandal gesorgt hat. Haderer stellt klar: Die Zeichnungen seien kein Affront gegen das Christentum, sondern gegen die kitschige Bilderwelt, die sich in der Alpenrepublik mit bigotter Frömmigkeit verknüpft. Aber solche feinen Unterschiede kann man den besinnungslos Empörten wohl kaum erklären.

Gerhard Haderer: „Unser täglich Wahnsinn“. Ludwig Galerie Schloss Oberhausen, Konrad-Adenauer-Allee 46 (Abfahrt OB-Zentrum). Bis 7. September. Di-So 11-18 Uhr. Eintritt 5 Euro, Familien 9 Euro. Buch 49,90 Euro.




Wilhelm Busch: Ernste Kunst blieb seine Privatsache – Oberhausen zeigt Gemälde des berühmten Humoristen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Wenn einem der Ruf des Humoristen anhaftet, gibt es hierzulande schwerlich die höheren Weihen der Kunst. Diese Befürchtung hegte auch Wilhelm Busch, der volkstümlich berühmte Urheber von Comic-Vorläufern wie „Max und Moritz“ oder „Hans Huckebein“. Ernsthafte Tafelmalerei betrieb er daher nur ganz privat.

In Oberhausen kann man jetzt eine breite Auswahl seiner Gemälde und Zeichnungen betrachten. Das Wilhelm-Busch-Museum zu Hannover wird umgebaut, daraus ergab sich die solche Chance der umfangreichen Ausleihe.

Zeitlebens ist Wilhelm Busch (1835-1908) mit diesem Teil seines Werkes nicht an die Öffentlichkeit gegangen. Heimlich, still und leise hat er geübt, hat zahllose Bleistift-Skizzen und Ölbilder gefertigt. Man nimmt an, dass es schließlich 2000, vielleicht auch 4000 Arbeiten gewesen sind. die er hortete – in Wiedensahl bei Hannover, weit abseits der Kunstmetropolen.

Die „Dornröschen“-Szenen von 1855 atmen noch den Geist lieblicher Märchen-Romantik. Aber dann! Es ist unverkennbar, dass um 1870 Anstöße von den alten niederländischen Meistern kamen, besonders Frans Hals ist zu nennen. Auf einem Selbstbildnis zeigt sich Busch als Holländer; auch der „Mann in Tracht mit Glas“ gehört in diesen Kontext. Sogar „Prügelszenen“, die man thematisch den humoristischen Bilderbögen zuordnen würde, kommen in altmeisterlicher Manier daher. Die Farbpalette könnte von Rembrandt stammen.

Abgeschottet vom damaligen Kunstbetrieb

Einerseits bekam er in der Provinz kaum Rückmeldung aus der „Szene“, andererseits musste Busch hier keine öffentlichen Ansprüche bedienen (es war die Zeit der monumentalen Historien-„Schinken“), sondern konnte lustvoll experimentieren. So kam es, dass die ungeheure, schon „filmreife“ Dynamik seiner Bildergeschichten sich als moderner Impuls auf die Malerei übertrug. Die Rasanz der Pinselschläge bekam zunehmend Eigenwert, die Farben verselbstständigten sich als Ausdruck von Stimmungen. Eine Landschaftsskizze wie „Durchblick“ (1890/95) gerät bereits an den Saum der Abstraktion.

Freilich wird man in Oberhausen auch durch diverse Übungs-Stadien geführt. Winzige Skizzen (Busch nutzte noch den letzten Rest vom Bleistiftstummel für derlei Etüden) werden in großmächtigen Rahmungen vorgeführt – ein Effekt, den Busch selbst gewiss bizarr gefunden hätte. Natürlich zeigt die Ludwig Galerie auch etliche Bilderbögen, jene dramaturgisch treffsicheren Klassiker boshaften Witzes. Gerade heraus gesagt: Hierin war Busch wirklich ein Genie und seiner Zeit voraus. Als Maler war er gleichfalls gut, jedoch nicht einzigartig.

Ludwig Galerie Schloss Oberhausen (Konrad-Adenauer-Allee 46). 4. Dez. 1999 bis 19. März 2000. Tägl. außer Mo 11-18 Uhr. Eintritt 8 DM, Familie 15DM, Katalog 38 DM.