Klee und Feininger: Stilles Leuchten

Es steht ja schon in der Bibel: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…“ Die ganze bildnerische Ideen- und Formenfülle liegt in jener Frühzeit bereit – und gleichzeitig liegen die Fertigkeiten noch brach.

Umso besser also, wenn begnadete Künstler irgendwann auf Kinder- und Kindheitsbilder zurückkommen, so auch Lyonel Feininger (1871-1956) und Paul Klee (1879-1940), die jetzt bei einer Doppelausstellung in Hamm ästhetische Dialoge auf höchstem Niveau führen.

Rund zehn Jahre haben sie parallel am berühmten Bauhaus in Weimar und hernach Dessau gewirkt – Feininger in erster Linie als technisch beschlagener Leiter der Druckwerkstätten, Klee vor allem als einfühlsam Lehrender. Nebenher schufen beide auch Spielzeug (Holzhäuser, Lokomotiven etc.) für den Nachwuchs.

In Bildern wie „Stadt mit Sonne“ (1921) hat sich der gebürtige US-Amerikaner Feininger, der damals schon reichlich Erfahrung mit Comic-Zeichnungen gesammelt hatte, ein kindlich anmutendes Raumschema anverwandelt, sprich: Die Dinge schweben neben- und übereinander, sie sind weder hierarchisch sortiert noch perspektivisch gestaffelt. Vor allem aber bringt Paul Klees oft so leichthändige, stille Freude an formalen Reduktionen Gegenstände zum innigen Erglühen – wie in unvordenklichen Kindertagen.

Ein Schwerpunkt der angenehm konzentrierten Ausstellung (insgesamt etwa 90 Exponate) sind Meeres- und Schiffsbilder. Feininger zog es häufig an die Ostsee , er begriff sich zeitweise gar als „Marinemaler“. Von duftiger, kühl umwehter Transparenz sind seine Segelschiff-Darstellungen. Der Künstler hat Anteile der einmal aufgetragenen Ölfarbe zuweilen wieder abgewaschen, so dass eine Art bleicher Schwerelosigkeit zurückbleibt. So vermag er es auch, Segelboote in Nebelschwaden als bloßen Hauch anzudeuten. Die Bildräume atmen oft ungeheure Weite. Es ist, als werde eine imaginäre Pforte in eine neue Dimension größter Ruhe aufgetan. Trotz kubistischer Aufsplitterung mancher Motive (speziell aus der Architektur) bleiben die kristallinen Gegenstände doch stets erkennbar.

Während Feininger ersichtlich auch etwas beflissen Akkurates hatte, kommt einem Paul Klees Vorgehensweise meist spielerischer vor, wie ein schöner, selbstvergessener Tanz von Kräften und Gegenkräften. Seine Bilder sind um einige Spuren anekdotischer, erzählerischer, sanft getragen von feinnervigem Humor – und letztlich vielleicht doch weniger „kontrolliert“ als Feiningers Schöpfungen.

Gewiss: Auch Klee ist mit Farbtheorien, mathematisch-musikalischen Rhythmuslehren und sonstigem Kunstwissen aus dem Baukasten der Historie genugsam gewappnet und gesättigt, doch verliert er sich „unterwegs“ im Schaffensprozess oft ins wundersam Beiläufige, bis hin zu dem Punkt, an dem es wohl gar keinen Vorbehalt oder Rückhalt mehr gibt.

Sie mögen einander geistig nah gewesen sein, doch der gegenseitige Einfluss war begrenzt. Feininger und Klee wussten je für sich, was sie wollten und konnten. Mit großer Wertschätzung nahmen sie die unvergleichliche Arbeit des jeweils Anderen wahr. Auch schenkten sie einander gelegentlich Bilder. Doch letztlich zog jeder seine ganz eigene Bahn.

„Lyonel Feininger – Paul Klee. Malerfreunde am Bauhaus“. Bis 24. Mai. Gustav-Lübcke-Museum. Hamm, Neue Bahnhofstraße 9. Geöffnet Di-Sa 11-18, So 10-18 Uhr. Katalog 19,90 €.




Die Welt ist luftig und leicht – Lyonel Feiningers „Natur-Notizen“ im Kölner Museum Ludwig

Von Bernd Berke

In zittrigen Linien, gezeichnet wie in fiebrig-froher ErWartung, ragt die New Yorker Skyline empor. Auf einem anderen Bild sieht man von hoch oben einige Autos. Sie wirken wie kleine bunte Tiere. Selbst die Dampflok stampft wie ein harmloses Spielzeug daher. Lyonel Feininger (1871-1956) schöpft Heiterkeit noch aus dem städtischen Chaos.

Das Museum Ludwig zeigt 163 Zeichnungen und Naturskizzen des Amerikaners, der mit 16 Jahren nach Deutschland kam und 1937 wieder in die USA emigrierte. Diese Arbeiten aus den Jahren 1901 bis 1954 wurden bislang kaum ans Licht geholt, sie blieben die ganze Zeit über wohlverwahrt und befinden sich daher in einem hervorragenden Zustand. 5000 derartige Blätter besitzt das Busch-Reisinger-Museum (Cambridge/Massachusetts).

In seinen Skizzen ist Feininger viel spontaner als im malerischen Werk. Ausgetüftelte kristalline Formen oder prismatische Brechungen finden sich hier nur in seltenen, allenfalls zaghaften Ansätzen. Für seine „Natur-Notizen“ begibt er sich (meist mit dem Fahrrad) direkt in die Landschaft und läßt dem zeichnerischen Drang freien Lauf. Ja, manchmal verliert er sich ums Haar in naiv anmutenden Betrachtungen, die er jedoch gleichsam augenzwinkernd zu herrlich luftiger Leichtigkeit auflöst. Man folgt ihm gern in diese heilsame Welt der kleinen Freuden. Gar vieles erinnert an den Comic-Zeichner Feininger (Pionierleistung: „The Kinder Kids“) oder ergeht sich in geradezu chaplinesker Groteske („Pinkelnder Mann von hinten“, 1909).

Skizzen fein säuberlich gelocht und abgeheftet

Feininger erarbeitete sich mit den Skizzen allmählich einen breiteren Motiv-Fundus. Er betrachtete diese Arbeiten vor allem als Übungsblätter, die er nicht öffentlich vorzeigen mochte, sondern fein säuberlich lochte und in etlichen Ordnern abheftete. Da weiß man, was man hat…

Zahlreich sind die Landschaftsstudien aus der dörflichen Umgebung von Weimar und vom Gestade der Ostsee. Die mit stilisierten Menschen bevölkerten Strandszenen haben stets einen leichten Stich ins Komische, die Figuren wirken fast ein bißchen äffisch angesichts erhabener Naturkulissen.

Feiningers Dorfidyllen entfernen sich indessen nur zögernd von der Konvention. Erkennbar ist jedoch – in beiden Genres – Feiningers entschiedene Neigung zur Architektur. Am Meer sind es die Segel, an Land die Kirchtürme, die sich zu charakteristischen Dreiecksformen fügen. Auch Natur wird architektonisch durchdrungen, manch ein Baumgeäst erscheint wie Bauwerk von Menschenhand. Und in den Wolken flimmern auch schon mal Schriftzeichen.

Zwischen Schreck und Verwunderung schwankt der Betrachter vor den „Figurenstudien“ aus dem Jahr 1933. Da glaubt man in ein lustiges Kinderbuch zu blicken: kopfüber und kopfunter bunte Figuren. Doch dazwischen bewegt sich etwas Unförmiges, unscheinbar Graues – und schwenkt eine Hakenkreuz-Fahne. Kein Zorn gegen die NS-Umtriebe ist da zu spüren. Feininger scheint vielmehr eine kleine Verirrung zu belächeln. Da beginnt die Leichtigkeit leichtfertig zu werden.

Lyonel Feininger: „Natur-Notizen“. Museum Ludwig, Köln (direkt am Hauptbahnhof) .Bis 17. April. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11 -18 Uhr, Mo geschlossen. Eintritt 10 DM, Katalog 42 DM.