Beklemmend schön: „Der Hamiltonkomplex“ mit dreizehn dreizehnjährigen Mädchen im Bochumer Schauspiel

Hamiltonkomlex Foto: Fred Debrock

Dreizehn (ungefähr) Dreizehnjährige bilden das Ensemble in „Der Hamiltonkomplex“. (Foto: Fred Debrock / Schauspielhaus Bochum)

„Der Hamiltonkomplex“ heißt die Inszenierung von Lies Pauwels aus Belgien, die das Publikum am Bochumer Schauspielhaus (Kammerspiele) jubeln ließ.

Bodybuilder (Stefan Gota) mit Mädchen (Emily Lück). (Foto: Fred Debrock / Schauspielhaus Bochum)

Dass diese Idee aus Belgien kommt (Antwerpen 2015) zeigt einmal mehr, dass dieses Land seit langem viele freie Produktionen hervorbringt, die dann ihren internationalen Weg machen und an Schauspielhäusern Einzug finden in die Spielpläne (z. B. Alain Platel, Jérôme Bel etc.). Auch Lies Pauwels gehört zu dieser Riege. Seit Jahrzehnten ist sie als Erfinderin solcher Projekte und als Schauspielerin geachtet.

Worum geht es im „Hamiltonkomplex“? In den 60er Jahren hatte der Fotograf David Hamilton mit Fotos ganz junger Mädchen seinen Stil entwickelt, den viele Kritiker als kitschig, pornografisch oder latent pädophil bezeichneten. Im Gegensatz zu anderen Fotografen lehnte er es ab, seine Motive naturgetreu abzulichten.

„Befinden sich Pädophile im Raum?“

13 Mädchen um die 13 (begleitet von dem Bodybuilder Stefan Gota) sind die Hauptfiguren des Stückes, die dem „Hamiltonkomplex“ folgen. Direkt zu Beginn stellen sie sich vor. Ihre Namen – allesamt Allegorien – versinnbildlichen die Zeit, in der wir leben. Und die Sprecherin teilt Regeln mit, die das Publikum zu beachten hat. Zudem lautet eine Frage ungefähr so: „Befinden sich Pädophile im Raum? Wir wollen niemanden diskriminieren, aber die Sache klarstellen.“ Dann beginnt ein Reigen von Bildern, der beeindruckt, schmunzeln lässt, schön und doch schrecklich ist.

Es beginnt mit dem Aufmarsch der Mädchen in Uniformen von Einlassdamen. Kostümwechsel und immer wieder Formationen der geballten Mädchenpower lassen den Augen keine Zeit, sich zu erholen. Dem Aufzählen ernsthafter Probleme, folgt am Ende ein Foto von Elyas M‘Barek („Fack ju Göhte“) und es beginnt eine nicht enden wollende Kreischorgie. Mädchengekreische. Mannomann.

Gassi gehen: ein Hausmädchen (Louisa Marti y Schiebel) mit Kuschelhündchen. (Foto: Fred Debrock / Schauspielhaus Bochum)

Es folgen u.a. 13 Rotkäppchen mit gesenkten Köpfen. Und da steht der „böse Wolf“ in Gestalt des einzigen Erwachsenen auf der Bühne: Stefan Gota, ein Hüne zwischen den Mädchen, kraftvoll aber sanft Angst einflößend.

Parade der Kuschelhündchen

Die Assoziationen springen durch den Kopf. Eine Choreografie mit Letizia Altmann und später mit der behinderten Robine Goedheid sind Höhepunkte des Abends. Extraapplaus gab es außerdem für die Leistung eines Mädchens, eine Suada von Vokabeln ins Mikro zu jagen. Unglaublich. Darin nur ein vollständiger Satz: „I wanna be your dog.“ Und schon sieht man kleine Kuschelhündchen, die von herausgeputzten Hausmädchen Gassi geführt werden. Doch nichts kommt einfach nur so daher, alles hat spürbare Hintergründe, die nicht nur komisch sind. Es endet im kontrollierten Chaos und aufbrausendem Jubel.

Bis Januar 2019 ist diese Produktion noch zu sehen – und es lohnt sich. Es ist die Kunst von Frau Pauwels, aus kontrollierten Improvisationen das herauszufiltern, was trägt und ein kunstvolles Gesamtbild ergibt. Chapeau!

Die nächsten Termine in den Kammerspielen: 4. November (17 Uhr), 9., 10. November (jeweils 19 Uhr), 11. November (17 Uhr), 16. November (19 Uhr), 24. November (19.30 Uhr) usw. Karten-Tel.: 0234 / 3333 5555. 

www.schauspielhausbochum.de




Familienfreuden auf Reisen: Polka Dots!

Modisch ganz weit oben.(Foto: Albach)

Modisch ganz weit oben.(Foto: Albach)

Sicher, das Geschlecht eines Babys zu bestimmen, ist nicht einfach. Schon in Deutschland musste ich mehrfach erklären, dass es sich bei Fi um ein Mädchen handelt. Aber die Taktrate, mit der die Amerikaner sie für einen Jungen halten, macht mich doch stutzig.

Immerhin, die Rezeptionistin in San Francisco, einmal eingeweiht, begrüßt Fiona fortan mit breitem Grinsen und großem Enthusiasmus für die „polkaaaa dots!“, die ihre kleinen Lederschlappen zieren. Die gefallen auch der Dame in dem winzigen Fischrestaurant-Verhau an einem kleinen Hafen von Oregons Küste. Doch auch sie hält Fiona für einen Jungen. Mit Rotweinglanz in den Augen, noch im Kostüm von dem Kirchenbesuch, erzählt sie selig von ihrer Gemeinde und der Aufregung, die sie einmal ausgelöst hat, als sie einmal einem weiblichen Baby eine Leggins angezogen hat, das daraufhin alle für einen Jungen hielten. „Aber sie hat doch auch Kleider?“, fragt sie mit besorgtem Blick auf Fi, die fröhlich die wackeligen Wände auseinander nimmt. Als ich nicke, wirkt sie beruhigt. Sie zahlt und steht unsicher auf ihren riesig hohen Stilettos auf. Wir stellen uns vor, wie sie an den Hafenarbeitern vorbei schwankt oder vielleicht angeschwipst in ihr Auto steigt und zu dem Hotel braust, das sie in dem Ort führt.

Als wir schließlich in einem Disney-Store landen, werden all meine emanzipativen Alpträume wahr. Auf den Bügel hängen glitzernde, paillettenbewehrte Prinzessinnenkleider, eines schimmernder als das andere. Gut, dass Fiona lieber verzückt der Dame lauscht, die mit ganzem Körper und Stimmeinsatz nahezu sämtliche Charaktere aus dem neuesten Monster-Animationsfilm vormacht. Uns sind die Schlafanzüge auch lieber, auf denen steht „Mommy’s little Monster“. Die Kassiererin begrüßt Fi daraufhin natürlich mit „Hi, guy!“

Als wir rausgehen, erleben wir, wie kleine Mädchen kreischend auf die Kleider losrennen. Wir ahnen: die Zeit, in der Fi für einen Jungen gehalten wird, ist nur eine Schonfrist.