Das zeitversetzte Lächeln des Herrn Löw (nebst gewittrigen Plaudereien im ZDF)

Was ist das für eine mediale Welt, in der ein Oliver Kahn mit dem ergreifend schlichten Tweet „Wir werden Europameister“ im Nu Abertausende von Followern um sich schart? Sind wir denn noch gescheit, sind wir noch zu retten?

Was ist das für eine mediale Welt, in der auf YouTube millionenfach (!) die Szene angeklickt wird, in der ein staunenswert schelmischer Bundestrainer Joachim Löw einem Balljungen die Lederkugel unter dem angewinkelten Arm wegschlägt? Und das auch noch während des überlebenswichtigen Spiels gegen Holland!

Ja, denkste. Just jene Szene wurde vor dem Anpfiff aufgezeichnet, dann aber als optisches Füllsel derart mitten ins Live-Geschehen montiert, dass es den Anschein hatte, der lächelnde Löw sei bei dieser Partie ganz entspannt im Hier und Jetzt.

Es handelt sich dabei zweifellos um eine Manipulation, um eine Täuschung, wenn auch in einem noch halbwegs harmlosen Fall.

Mutet man uns ähnliche Beschönigungen auch auf politischem Felde zu? Eine bestens gelaunte Kanzlerin, mitten in der Krise? Nun, das vielleicht gerade nicht, denn eben dann muss sie ja staatsfraulich ernste Miene machen. Und wohl kein Sender wird es – außerhalb der spärlichen Satireprogramme – wagen, einen gegenteiligen Eindruck zu erwecken.

Dennoch ist dies ein Lehrstück, das zu noch mehr Misstrauen und Wachsamkeit Anlass geben sollte, als man sie ohnehin dem Fernsehen gegenüber hegt. Da wird eben keineswegs die reale Welt abgebildet, sondern allererst mit den Mitteln des Mediums konstruiert. Das wusste und weiß man sicherlich schon längst, doch muss man diese Erkenntnis ständig wachhalten. Sonst übertölpeln sie einen mit ihrem bildwütigen Erzählduktus.

Sicher. Auch Zeitungen spazieren ungleich mehr über den Boulevard als ehedem und im Hörfunk schrauben die meisten Sender ihre Anforderungen an die Konsumenten gleichfalls immer weiter herunter. Kaum noch längere Sätze, erst recht keine mit Schachtelung, kaum noch nicht-englische Fremdworte, die den Weg ins Programm fänden. Man fragt sich bang, auf welchem Niveau das eines Tages anlangen soll. Irgendwann werden vielleicht nur noch blanke Dreiwort-Äußerungen erwünscht sein. Vom landläufigen Mehrheitenfernsehen schweigen wir in solchen Zusammenhängen lieber gleich ganz.

Ach, es ist manchmal verdammt schwer, kein Kulturpessimist zu sein.

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P. S.: Ich lege ganz bewusst keinen Link zur besagten Szene auf YouTube.

P. P. S.: In diesen Minuten unternimmt das ZDF den schwierigen Versuch, die gähnende Zeit zu überbrücken, denn das Spiel Ukraine – Frankreich ist wegen eines heftigen Gewitters unterbrochen worden. Der Sprecher Béla Réthy ist wirklich nicht zu beneiden. Er flüchtet sich in Lehrsätze wie „Die Ukraine ist der zweitgrößte Flächenstaat Europas“ oder Menschheitsfragen wie „Was bekommt Michel Platini jetzt zu essen?“ Auch unternimmt er Ausflüge in die Fußballhistorie (Regenspiel 1974, Deutschland – Polen etc.). Überdies gibt’s Mutmaßungen zur Regelkunde, Wetterspekulationen und eine (Hahaha!) „Blitz-Tabelle“ der EM-Gruppe. Da bleibt kein Auge trocken.

Man erlöst Réthy mit Werbung und den heute-Nachrichten…

Das Schlimmste kommt jetzt: Sie schalten nach Usedom…aber gottlob nur ganz kurz.

Und nun gibt’s tatsächlich Fußball. Hoffentlich guten.

Réthy jedoch, einmal in Schwafelstimmung geraten, kommentiert auch jetzt noch den Blick zum Abendrothimmel über dem Stadion mit den goldenen Worten „Caspar David Friedrich hätt’s nicht schöner hinbekommen.“

Wir schalten um in die angeschlossenen Funkhäuser.




Westdeutsche Autoren um Honorare betrogen – Ehemalige DDR-Verlage manipulierten Auflagen

Von Bernd Berke

Frankfurt. Schätzungsweise 60 bis 80 Prozent des weltweiten Lizenzgeschäftes der Branche werden auf der Frankfurter Buchmesse getätigt. Da trifft es geradezu den innersten Nerv, wenn ruchbar wird, daß womöglich viele wichtige Verlage eines Landes jahrelang Lizenzbetrug begangen haben. Das Land hieß DDR, und am meisten haben sich Verdachts- und Beweislage offenbar beim renommierten „Aufbau“-Verlag und bei „Volk und Welt“, Flaggschiffen der verflossenen Öst-Republik, verdichtet.

So platzte der Saal in der abgelegenen Halle 9 aus allen Nähten, als Elmar Faber in dieser Sache vor die Presse trat. Faber war ab 1983 „Aufbau“-Geschäftsführer, wurde dann kürzlich von der Treuhandanstalt geschaßt, gehört aber der neuen Leitung des seit wenigen Tagen in Westbesitz befindlichen Verlages wieder an.

Seltsames Zusammentreffen: Am Montag war die Veräußerung des Verlages von der Treuhand bestätigt worden. Just an diesem Tag kam es auch zu einer großangelegten Polizeiaktion, zur staatsanwaltschaftlich verordneten Durchsuchung beim „Aufbau“-Verlag und in den Privatwohnungen seiner früheren Chefs.

Elmar Faber betätigte die in der ehemaligen DDR gängige Praxis sogenannter „Plus-Auflagen“: Bücher, deren Lizenzen man im Westen erworben habe, seien vielfach in größerer Stückzahl gedruckt worden als vertraglich vereinbart. Den Lizenzgebern und nicht zuletzt den Autoren wurde also Geld vorenthalten, um es gelinde zu sagen.

Vom SED-Staat angeordnet

Faber, der von dieser üblen Praxis nach eigenem Bekunden seit seinem Verlagseintritt anno 1983 Kenntnis hatte („Darüber wurde hinter verschlossenen Türen ganz offen geredet“), sprach von „Staatskriminalität“, denn die „Plus-Auflagen“ seien staatlich verordnet gewesen, und das damalige Kulturministerium habe auch sämtliche Gewinne abgeschöpft, um so andere Kulturbereiche wie Theater und Büchereien zu subventionieren.

Grund des Vorgehens sei zum einen der chronische Devisenmangel der DDR gewesen. Ideologisch erwünschter Nebeneffekt des Auflagen-Schwindels: Der Bedarf an Westliteratur habe sich auf diese Weise künstlich herunterrechnen lassen. Beträge und konkrete Auflagenhöhen mochte der mit allen Wassern des Verlagsgeschäftes gewaschene Faber nicht nennen, es sei aber „nicht um Millionen“ gegangen, sondern um Zahlen „nach menschlich faßbaren Maß“. Außerdem hätten West-Verleger von den „Plus-Auflagen“ gewußt und sie stillschweigend in Kauf genommen. Ein im Saal anwesender westdeutscher Verleger bestätigte dies sogleich für seine Person.

Wahnsinniger Appell kroatischer Autoren

Anwesend war auch der prominente „Aufbau“-Autor Christoph Hein, der gleichsam zwischen zwei Stühlen saß: Zum einen protestierte er scharf gegen den Polizeieinsatz, andererseits könne er nicht ungerührt zusehen, wenn Autoren um Honoraranteile geprellt würden. Hein: „Und ich dachte bisher immer, nur wir DDR-Autoren seien betrogen worden.“

Ein erschütterndes Lehrbeispiel für die Ohnmacht, ja für das gänzliche Verstummen der Literatur in Kriegszeiten gab es an anderer Stelle der Buchmesse, bei einer Veranstaltung mit slowenischen und kroatischen Autoren (Vorsitzende der PEN-Zentren und der Schriftstellerverbände). Sie bekannten allesamt, derzeit nicht mehr schreiben zu können. Auch sei der Dialog mit den serbischen Autoren praktisch abgerissen und dann riefen die kroatischen Schriftsteller die Intellektuellen ihres Landes auf, zu den Waffen zu kommen. Das Leben sei das Mindeste, was man dem Vaterland opfern könne. Der deutsche Schriftsteller Arnfrid Astel sprach wohl den meisten Nicht-Kroaten aus dem Herzen, als er entsetzt feststellt, ein solcher Appell zum kollektiven Autoren-Selbstmord sei „einfach wahnsinnig“.