Absurditäten des Alltags: Alpträume in Rosé

Was geschieht eigentlich mit Frauen in der Nacht? Während es bei Männern die Legende des Werwolfs gibt und damit das Bild des haarigen, hungrigen, gewalttätigen Biestes (was natürlich auf der Klischeepunkteskala auch nicht besser wegkommt), scheinen sich Frauen des Nachts in pinkfarbene Gefälligkeitskindchen zu verwandeln.

Das ist zumindest der Eindruck, der sich mir aufgedrängt hat, als ich jüngst nach einem Nachthemd oder irgendeiner für die Nacht geeigneten Bekleidung suchte: Pink, hellrosa  oder babyblau waren die scheußlichen, dominierenden Farben der Textilien, auf denen sich außerdem wahlweise „süße“ Comictierchen (Bären, Hunde, Katzen) oder kecke Sprüche räkelten. Das tut mir nicht nur in den Augen weh. Das greift tatsächlich auch mein Selbstbild als Frau an.

Unterstellt die Nachtwäsche produzierende Industrie in Verkennung der eigentlichen Realität nur, was Frau sich wünscht? Oder gibt es tatsächlich (haha) eine dunkle Mehrheit, die sich in den unbeobachteten Stunden des Schlafes in einen Zustand der prinzessinnenhaften Kindheit träumt, die sich sanft, anschmiegsam, puschelig und rosawolkig präsentieren will? Da sträuben sich mir alle Nackenhaare.

Gut, ich weiß aus Gesprächen mit Freundinnen, dass die die Suche nach würdiger Wäsche längst aufgegeben und sich in die „Ich trage einfach die alten Shirts von meinem Liebsten“-Haltung geflüchtet haben. Das aber kann doch neben dem unbekleideten Schlafen nicht ernsthaft die einzige Alternative zu dieser „textilen Diskriminierung“ sein.

Liebe Nachtwäsche-Industrie – könnt auch Ihr einmal in der Gegenwart ankommen? Und sei es nur, damit ich nicht, beim Anblick meines eigenen Nachthemdes, von Alpträumen geplagt werde, in denen Snoopy & Co. versuchen, mich mit rosafarbenen Wattebäuschen zu ersticken.




Soziale Miniaturen (7): Herrenrunde

Kleinstädtisches Ausflugslokal, sonntags. Norddeutsche Herrenrunde am späten Nachmittag. Alle in den Sechzigern. Großväter, finanziell arriviert und arrondiert. Sie würden sich als gestandene Männer bezeichnen. Man ist mit dem Bürgermeister per Du.

Die ersten drei, vier Biere haben sie verdrückt. Man muss nicht lauschen, um manches zu hören. Jetzt schlägt einer vor, endlich mal den ersten Schnaps zu nehmen. Ein anderer möchte vorerst beim Bier bleiben. Gejohle am Tisch: „Entweder alle oder keiner!“ Man einigt sich schnell auf „alle“. Als einer im Lokal einen Weißwein trinkt, sind sie geradezu aufgebracht. Weißwein bei uns an der Küste! Unmöglich. Wahrscheinlich ein Pfälzer. Oder ein Schwuler. Hohoho.

Zwei Tische weiter begeht eine Frau den „Fehler“, diskret ihr Baby zu stillen. Die einschlägig geeichten Herren bemerken es trotzdem und rufen halblaut herüber: „Musste den Pullover richtig hochziehen, dann kommt das Kind besser ran.“ Launige Lachsalve der Marke „Nix für ungut“. Besser aber, dass die Frau es nicht vernommen hat oder es geflissentlich ignoriert.

Da kochen sie wieder im eigenen Saft.

Wenig später betritt ein junges Paar die Gaststätte. Die Herren stecken die Köpfe zusammen. Die Frau erinnert sie ohne Umschweife an „eine Professionelle“, wie sie es nennen. Tuschelnd werden Mutmaßungen ausgetauscht. Ach was, keine Vermutungen. Tatsachen! Man kennt sich aus im Leben. Ihnen kann niemand etwas vormachen.

Dann wird es wieder lauter: Im Nu ist man bei Kachelmann, Strauss-Kahn und dem berüchtigten Betriebsausflug der Versicherungsleute nach Ungarn. Man weiß Bescheid. Und man hat seine klaren Ansichten.

Noch bleibt es unausgesprochen, doch es zittert in der Luft: Die Welt ist voller Sex, wie soll man da widerstehen? Und diese jungen Dinger, also bitteschön! Zicken! Biester! Wenn nicht Huren…

Wenn man nur noch besser zurecht wäre, so wie früher. Und wenn die Alte zu Hause nicht wäre. Ja, dann würde man noch einmal durchstarten.

Soweit die Vorglühphase.




Wenn Schalke mit Borussia singt: Franz Wittenbrinks Lieder-Revue „Männer“ in Gelsenkirchen – und bald in Dortmund

Von Bernd Berke

Gelsenkirchen/Dortmund. Zum Theater geht’s über die Autobahn A 42, Abfahrt Gelsenkirchen-Schalke. Für manchen Fan der Dortmunder Borussia ist dies fußballerisches „Feindesland“ und „verbotene Stadt“. Just die uralte Rivalität der Revierclubs prägt das musikalische Bühnenspektakel „Männer“.

Allerdings haben bei dieser Inszenierung (tribünentauglich gesprochen) die Schattenparker und Warmduscher das Sagen, denn es herrscht tendenziell Versöhnung zwischen Schwarzgelb und Blauweiß. Kleinere Rangeleien lösen sich rasch in Wohlgefallen auf. Es ist eben eine ausgewogene Produktion für zwei WM-Städte: Das Gelsenkirchener Musiktheater im Revier und das Dortmunder Schauspielhaus mögen es schiedlich-friedlich. Mit einem lauen 0:0 endet denn auch ein anfänglich geschildertes Bundesliga-Match.

In Gelsenkirchen hatte das 90minütige Sangesspiel jetzt Vorab-Premiere, teilweise noch unter Probenbedingungen. Bald wird das Ganze auch in Dortmund zu sehen sein, dann wohl hoffentlich etwas ausgefeilter. Vor allem Beleuchtung und Tontechnik wären noch zu justieren.

Notdürftig auf Revier-Verhältnisse umgemodelt

Vorlage ist einer jener Liederabende des Franz Wittenbrink, notdürftig auf Ruhrgebiets-Verhältnisse umgemodelt. Und was drängt sich da heftiger auf als das ewige Derby zwischen dem BVB und Schalke 04, das hier angereichert wird mit der alten „Romeo und Julia“- bzw. „West Side“-Story. Sprich: Liebe über die Grenze verfeindeter Clans hinweg, Borussen-Fan verguckt sich in Schalke-Mädel. Diese pikante Liaison bleibt freilich eher episodisch in all dem Sängerwettstreit, der da anhebt.

Tribüne als Bühne: Hie der Schalker Block mit fünf, dort die BVB-Ecke mit vier Fans. Im munteren Wechsel schmettern die Darsteller Schlachtgesänge, vor allem aber Evergreens: lauter Einblicke in hahnenstolze, doch oft auch waidwunde Männerseelen. Man hört Kracher von Westernhagen („Sexy“), Grönemeyer („Currywurst“, „Alkohol“), Maffay („Und es war Sommer“) oder Udo Jürgens („Mit 66 Jahren“) sowie Beatles-Songs („Yesterday“, „Let it be“).

„We Will Rock You“ mit Heintje-Text

Ausflüge in deutsche Schlager-Tradition („Ich brech‘ die Herzen der stolzesten Frau’n“) wechseln mit fetzigen Rock-Einlagen („Wild Thing“). Und dass der urzeitliche Stampf-Rhythmus des „Queen“-Klassikers „We Will Rock You“ mit Heintjes „Mama“-Text gefüllt werden kann, ist wirklich verblüffend. Auswahl, Abfolge und Arrangement sind der eigenschöpferische Anteil in Wittenbrink gut geölter Wiederaufbereitungs-Anlage.

Was ist das nun? Liederabend, Nummernrevue, Musical mit Karaoke-Charme? Von allem etwas. Jedenfalls macht es Spaß. Denn Regisseur Andreas Wrosch hat im gereiften Ensemble (Schwerpunkt bei „50 plus“) die richtigen Typen versammelt. Profis sorgen fürs musikalische Gerüst, und eigens gecastete Revier-Originale geben er Aufführung authentischen Anstrich.

Alle einigen sich auf Anti-Bayern-Song

Gerade dann, wenn sich nicht alles in glatter Perfektion erschöpft, kommt die geheime Wahrheit mancher Lieder zum Vorschein. So etwa bei Willibald Zumpe (64), früher Bergmann in Dortmund-Mengede, seinerzeit im Chor der Zeche Hansemann und jetzt auf der Bühne als BVB-Altrocker zugange.

Am Schluss haben sich die Fan-Blöcke auf zwei Nenner geeinigt. Erstens darauf: Wahre Liebe kann alle Vereins-Schranken überwinden. Und zweitens auf jene güldene Parole, die sich in bierseliger Gemeinsamkeit grölen lässt: „Wir werden nie zum FC Bayern München geh’n!“

Gelsenkirchen (Musiktheater) 22. April, 15., 29. Mai. 1., 3. Juni. Tel.: 0209/40 97 200 / Dortmund (Schauspiel) 25. April, 22., 30., 31. Mai, 7. Juni. Tel.: 0231/50 27 222.

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ZUR PERSON

Häufig nachgespielt

  • Franz Wittenbrink (Jahrgang 1948) war von 1993 bis 2000 musikalischer Leiter am Deutschen Schauspielhaus Hamburg.
  • Die von ihm thematisch zusammengestellten und arrangierten Lieder-Programme werden landauf landab nachgespielt, z. B. „Sekretärinnen“, „Mütter“, „Brüder, zur Sonne, zur Freiheit“ und „Männer“ (1997 uraufgeführt).
  • Die Fassung von Gelsenkirchen/Dortmund wird musikalisch geleitet von Bill Murta und Jochen Hartmann-Hilter.