Neue Ballettchefin Marguerite Donlon spürt in Hagen dem Mythos Frida Kahlo nach

Frida Kahlo gilt als Ikone der Frauenbewegung: stark, unabhängig, politisch aktiv, sexuell selbstbestimmt. Selbstbewusst bewegt sie sich als Künstlerin zwischen volkstümlich inspirierter Malerei, indigener Symbolik, wagemutigem Surrealismus und reflektierter Selbstinszenierung: eine moderne Figur, die sich selbst erschafft.

Luis Gonzalez und Sara Pena als Diego Rivera und Frida Kahlo. Foto: Oliver Look

Luis Gonzalez und Sara Pena als Diego Rivera und Frida Kahlo. Foto: Oliver Look

Aber sie war auch eine Frau, die unendlich gelitten hat, an Kinderlähmung, an den Folgen eines grauenvollen Unfalls, an beinahe 30 Operationen und an schmerzhaft eingeschränkter Körperlichkeit. Ihren Liebesaffären mit Menschen gleich welchen Geschlechts tat das keinen Abbruch – auch diese von Moral und Gesellschaft unbeeinträchtigte erotische Freiheit lässt sie für uns so zeitgenössisch erscheinen. Zu den Büchern, Theaterstücken und Filmen über Frida Kahlo tritt nun im Theater Hagen der Tanz: Marguerite Donlon gibt mit dem 75-Minuten-Abend „Casa Azul“ ihren Einstand als neue Ballettdirektorin.

Die neue Ballettdirektorin am Theater Hagen, Marguerite Donlon. Foto: Werner Häußner

Die neue Ballettdirektorin am Theater Hagen, Marguerite Donlon. Foto: Werner Häußner

Es ist eine Choreografie, die 2009 bereits am Saarländischen Staatstheater Saarbrücken Premiere hatte und anschließend bis 2012 auf Gastspielen in Europa und Asien höchst erfolgreich gezeigt wurde. Ein rundweg gelungenes Werk, denn die gebürtige Irin erliegt nicht der Versuchung, Kahlos Leben in hübschen Bildern nachzuerzählen. Sie versucht zu überwinden, wo die oberflächliche Rezeption hängenbleibt: bei der Pop-Künstlerin und dem feministischen Abziehbild.

Donlons Interesse richtet sich auf die multiple Persönlichkeit der mexikanischen Künstlerin: Drei Tänzerinnen – Noemi Emanuela Martone, Filipa Amorim, Sara Peña – stellen sie, immer wieder auch gleichzeitig, dar. Das Seelenleben zeigt sich in der ausgefeilten Bewegungschoreografie der Körper, das imaginäre, selbstgeschaffenes Gegenüber der Kahlo, aber auch ihre lebensbejahende Fröhlichkeit und ihre äußerlichen Rollen: Frida in der Badewanne, Frida als femme fatale, Frida voll Sehnsucht nach Liebe, Frida als verträumte Künstlerin und als bräutliche Hoheit, Frida mit blutig verletztem Schoß und zum Schluss Frida mit einer Maske, hinter der nur noch der Tod erscheint.

In diesem Spiel mit Camouflage und Entblößung, voll kraftvoller Symbolik, kommt die kreative Aneignung der Gemälde nicht zu kurz. „Die zwei Fridas“ von 1939 werden wörtlich zitiert, das „fliegende Bett“ (1932) hinterlässt seine Spuren, die bunte, ikonenhafte Umkränzung von „Der Rahmen“ (1938) oder auch „Diego und Frida“ (1944) dürften Pate für das Innere der imaginierten „Casa Azul“ gestanden haben. Faszinierend, wie Filipa Amorim im Kleid aus dem Gemälde „Die gebrochene Säule“ (1944) die versehrte, von ihrem Unfall gezeichneten Frau mit ihrem eigenen Körper repräsentiert. Die finale Szene erinnert an „Das Mädchen mit der Totenmaske“ von 1938. Aber die Gemälde sind nicht einfach nur zitiert, sondern in Zusammenhänge verwoben, die von Szene und Tanz entwickelt werden.

Drei Erscheinungsformen derselben Person: Noemi Emanuela Martone, Filipa Amorim und Sara Peña verkörpern Aspekte der Persönlichkeit Frida Kahlos. Foto: Oliver Look

Drei Erscheinungsformen derselben Person: Noemi Emanuela Martone, Filipa Amorim und Sara Peña verkörpern Aspekte der Persönlichkeit Frida Kahlos. Foto: Oliver Look

Das Bühnenbild von Ingo Bracke lässt die Hagener Compagnie in einem strengen, kühlen Raum agieren, den er beziehungsreich auch mit intensiven Farben fluten kann oder als Projektionsfläche für Videos und für Zitate aus den Tagebüchern nutzt. Im Vordergrund rieseln leise Kristalle über ein sanft glühendes Häuschen – die „Casa Azul“, das blaue Haus, in dem Frida Kahlo 1907 geboren wurde und 1954 starb. Das Haus, damals eine Oase des Rückzugs, heute als Museum ein Wallfahrtsort, steht noch einmal größer im Hintergrund der Bühne. Von Kahlos zweifachem Ehemann Diego Rivera aufgeklappt, offenbart es sich als Lebensschrein: Umrahmt von Symbolen aus ihren Gemälden, farbenfrohen Blumen, Bildern, Skulpturen, indigenen Symbolen, sitzt Frida vor einem Spiegel, in weißem, rot geblümtem Kleid und mit ihren von Selbstbildnissen bekannten hoch geflochtenen Haaren.

Hinter der Maske erscheint der Tod: Filippa Amorim ujd Darion Rigaglia in "Casa Azul" in Hagen. Foto: Oliver Look

Hinter der Maske erscheint der Tod: Filippa Amorim ujd Darion Rigaglia in „Casa Azul“ in Hagen. Foto: Oliver Look

Auf diese Weise verknüpfen Ingo Bracke und der Kostümbildner Markus Maas die Bildwelt der Künstlerin mit den Szenen auf der Bühne und mit autobiographischen Assoziationen aus den Gemälden. So vertiefen und deuten sie die psychischen Situationen, die sich im Tanz entfalten. Denn bei aller Bildverliebtheit bleibt Donlons primäres Ausdrucksmittel der Tanz, den sie mit ihren Tänzerinnen und Tänzern eindringlich, ohne akrobatisches Selbstzweck-Gehabe und in expressiver Körperlichkeit ausbreitet, vielfältig gespeist aus Elementen klassischen Balletts und spannungsreichen Ausdruckstanzes bis hin zu pantomimischen Ansätzen und naturalistischen Schauspiel-Skizzen.

Für die fröhlichen Rhythmen von Folklore, verbreiteten mexikanischen Tanzformen und populären Schlagern aus der Zeit Kahlos – teils in historischen Aufnahmen in die Arrangements von Claas Willeke eingearbeitet, teils aus dem Soundtrack des Films „Frida“ von 2002 – entwickelt Donlon auch einmal ein Ensemble ungestüm trivialer Tanzlust; aber die elektronischen Klangwelten, die schwermütigen Tangos und Canciones setzt sie oft in ruhige Gedanken-Figuren der Körper um. Ein Glücksgriff ist Luis Gonzalez, der nicht nur Kahlos zweifachen Ehemann, den Maler Diego Rivera darstellt, sondern live Gesang und Gitarrenmusik beiträgt, zum Teil unterstützt von Alexandre Démont, dessen Cajónes das rhythmische Spektrum reizvoll öffnen. Das Leben als Kunstwerk, Kampf und Lust spiegelt sich in dieser Musik, und Hagen hat einen Ballettabend, der den Besuch lohnt und wohl auch diejenigen überzeugen dürfte, die früheren Tanzhöhepunkten nachtrauern.

Weitere Vorstellungen: 17.11. (18 Uhr); 21.11. (19.30 Uhr); 27.12.2019 (19.30 Uhr); 18.1.2020 (19.30 Uhr); 29.1. (19.30 Uhr); 22.2. (19.30 Uhr); 29.3. (18 Uhr); 18.4. (19.30 Uhr). Karten: (02331) 207 32 18. www.theaterhagen.de




Mörderischer Goldschmied, getarnter Zar: Theater Hagen stellt Programm für die Spielzeit 2019/20 vor

Blick aufs Hagener Theater. (Foto: Werner Häußner)

Blick aufs Hagener Theater. (Foto: Werner Häußner)

192 Seiten, vollgepackt mit Programm: Ironisch signalisiert das Theater Hagen mit dem Reclam-Heft-Format seiner Spielzeit-Übersicht 2019/20 wieder Sparsamkeit. Inhaltlich allerdings fächert es den ganzen Reichtum auf, den das in den letzten Jahren arg gebeutelte Haus mit dem Team um Intendant Francis Hüsers aus seinem 18-Millionen-Etat zaubert. Eine bunte Vielfalt tut sich auf, die gleichwohl einige durchgehende Linien sichtbar werden lässt, die sich in den nächsten Jahren in den Spielplänen abzeichnen sollen.

Ein bisschen Ironie muss sein: Das "Datenheft" des Theaters Hagen für die Spielzeit 2019/20.

Ein bisschen Ironie muss sein: Das „Datenheft“ des Theaters Hagen für die Spielzeit 2019/20.

Im Musiktheater schreitet Hüsers vom Schwerpunkt der Romantik in der laufenden Spielzeit weiter in Richtung des Beginns der Moderne: Die Spielzeit eröffnet am 21. September 2019 Paul Hindemiths „Cardillac“, basierend auf dem romantischen Stoff des „Fräuleins von Scuderi“ E.T.A. Hoffmanns, komponiert aber in bewusster Abkehr von romantischer Einfühlung, in einem betont objektivierenden, „neusachlichen“ Stil. Der Stil der Oper, auch als „Bauhausbarock“ bezeichnet, passt zum 100-Jahre-Jubiläum des Bauhauses, das auch in Hagen gefeiert wird.

Den zweiten Schritt in die Moderne signalisiert Richard Strauss‘ „Salome“ ab 4. April 2020, inszeniert von Magdalena Fuchsberger, die in dieser Spielzeit mit Verdis „Simon Boccanegra“ als ambitioniertes Kopftheater für kontroverse Kritiken sorgte. Die Hindemith-Oper ist Jochen Biganzoli anvertraut, der momentan mit seiner Inszenierung von „Tristan und Isolde“ dem Theater Hagen überregionale Aufmerksamkeit sichert.

Mit dem Beginn der Moderne könnte man auch Franz Lehárs „Der Graf von Luxemburg“ verbinden – eine Operette, die wie die „Lustige Witwe“ ironisch mit der Auflösung scheinbar althergebrachter gesellschaftlicher Strukturen und Werte spielt. Roland Hüve inszeniert den Erfolg von 1909, der am 26. Oktober Premiere hat. Als Kontrapunkt zur Operette „Pariser Leben“ in dieser Spielzeit und als Abschluss des Offenbach-Jahres kommt „Hoffmanns Erzählungen“ auf die Hagener Bühne. Susanne Knapp inszeniert die Reminiszenz an die Romantik, die in der Zerrissenheit ihres Helden auch in die Moderne vorausweist; Premiere ist am 30. November. Auch das Ende der Spielzeit im Sommer 2020 hat mit der Moderne zu tun: In Jerry Bocks „Anatevka“ geht auch eine alte Welt unter, die viel mit nostalgischen Träumen zu tun hat, und muss der neuzeitlichen Brutalität organisierter Pogrome weichen.

Auf dem Foto (v.l.n.r.): Antje Haury (Orchesterdirektorin), Dr. Thomas Brauers (Geschäftsführer), Marguerite Donlon (Ballettdirektorin), Margarita Kaufmann (Kulturdezernentin), Sven Söhnchen (Aufsichtsratsvorsitzender), Anja Schöne (Leiterin Lutz Hagen), Francis Hüsers (Intendant). Foto: Theater Hagen.

Auf dem Foto (v.l.n.r.): Antje Haury (Orchesterdirektorin), Dr. Thomas Brauers (Geschäftsführer), Marguerite Donlon (Ballettdirektorin), Margarita Kaufmann (Kulturdezernentin), Sven Söhnchen (Aufsichtsratsvorsitzender), Anja Schöne (Leiterin Lutz Hagen), Francis Hüsers (Intendant). Foto: Theater Hagen.

Eine andere Linie, die in dieser Spielzeit mit Henry Purcells „Dido und Aeneas“ (Premiere am 18. Mai) bedient wird, führt Christoph Willibald Glucks „Orfeo ed Euridice“ am 29. Februar 2020 weiter. Kerstin Steeb übernimmt die Aufgabe, in ihrer Inszenierung die Inhalte freizulegen, die eine Oper an der Schwelle der Aufklärung mit unserer Zeit verbindet. Um einen aufgeklärten Herrscher geht es auch in „Zar und Zimmermann“, mit dem am 1. Februar 2020 endlich wieder einmal eine Oper Albert Lortzings in der Rhein-Ruhr-Region zu sehen ist. Denn Zar Peter der Große schleicht sich inkognito in eine niederländische Hafenstadt ein und mischt die kleinbürgerliche Gesellschaft ordentlich auf – alles natürlich versteckt unter harmlosem Gedöns, um die damalige Zensur nicht aufmerksam zu machen.

Neue Ballettdirektorin choreografiert zwei Abende

Marguerite Donlon, neue Ballettdirektorin am Theater Hagen. Foto: Werner Häußner

Marguerite Donlon, neue Ballettdirektorin am Theater Hagen. Foto: Werner Häußner

Mit Marguerite Donlon tritt in Hagen eine neue Ballettdirektorin ihre Aufgabe an und stellt sich am 5. Oktober mit einem Abend um eine starke Frau vor: „Casa Azul“ nennt die gebürtige Irin Donlon ihren Einstand den sie der mexikanischen Malerin mit deutschen Wurzeln Frida Kahlo widmet – einer Künstlerin, die lange als „exotische Blume am Knopfloch des großen Meisters Diego Rivera“ galt und erst in den Siebziger Jahren im Zuge der Frauenbewegung in ihrer wirklichen Bedeutung erfasst wurde.

Eine weitere Choreografie, die Donlon bereits 2009 in ihrer Zeit als Ballettdirektorin in Saarbrücken entwickelt hatte, bildet den Abschluss der Hagener Ballettabend-Trias: „Schwanensee – Aufgetaucht“ in einer Kombination der Musik Tschaikowskys mit elektronischen Sounds von Sam Auinger und Claas Willeke (Premiere am 9. Mai 2020). Dazwischen, am 13. Februar, zeigen die Tänzer*innen (das Heft ist konsequent mit Sternchen durchgegendert) der Compagnie in kurzen Szenen einer „kreativen Werkstatt“ ihr choreografisches Können. „Substanz“ heißt dieser Abend.

Rock-Shows und sinfonische Neugier

Im Schauspiel setzt das Haus neben einer eigenen Produktion – Shakespeares „Sommernachtstraum“ in der Regie von Francis Hüsers – auf Gastspiele. Im Programm finden sich auch die bewährten Kabrett-Abende sowie als Wiederaufnahme die erfolgreiche Rock-Show „Take a Walk on the Wild Side“, fortgesetzt durch die Neuproduktion „Wenn die Nacht am tiefsten (… ist der Tag am nächsten)“ am 14. März 2020, eine Bühnen-Party, in der nach den amerikanischen Titeln nun deutscher Rock und Punk zu seinem Recht kommt – von den Toten Hosen bis Nena.

Alexander Krichel spielt Clara Schumanns Klavierkonzert. Foto: Uwe Arens, Sony Classical

Alexander Krichel spielt Clara Schumanns Klavierkonzert. Foto: Uwe Arens, Sony Classical

Der Blick ins orangefarbene Heft zeigt auch, dass GMD Joseph Trafton mit dem Orchester Hagen ein Programm auflegt, das so gar nichts von verstaubter Abonnenten-Bedienung an sich hat, sondern pfiffig und vielseitig Neugier weckt: Ob eine von Bauhaus-Künstler Wassily Kandinskys Bühnenentwürfen inspirierte Video-Show von Arthur Spirk zu Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“, ein russisches Programm mit dem von Steven Isserlis gespielten Cellokonzert Nr. 2 von Dmitri Kabalewsky oder Robert Schumanns „Das Paradies und die Peri“, ergänzt von „Blue Cathedral“, einem von bisher über 400 Orchestern gespielten Klangpoem der Amerikanerin Jennifer Higdon aus dem Jahr 2000. Orchesterdirektorin Antje Haury bestätigt die Beobachtung: Im sinfonischen Repertoire stehen diesmal viel mehr Werke von Frauen als sonst üblich: Neben dem Klavierkonzert der Jahres-Jubilarin Clara Schumann, gespielt am 19. Mai 2020 von Alexander Krichel, enthalten die Programme Werke von Lili Boulanger, Fanny Hensel-Mendelssohn und Kaija Saariaho.

Das abwechslungsreiche Programm des Kinder- und Jugendtheaters im Lutz, zwei große Vermittlungsprojekte gemeinsam mit dem Orchester, die Gründung einer neuen Jugendtanzgruppe und einer Orchesterakademie zeigen: Das Theater Hagen geht gut aufgestellt in die neue Spielzeit und wirkt mit seinen großen, ambitionierten Produktionen, aber auch mit seinen kleinen ehrgeizigen Projekten hinein in die Stadtgesellschaft.

Info: www.theaterhagen.de