Neuer Mauerbau, Stalins Schatten und der Terror des Digitalen – zum umstrittenen DAU-Kunstprojekt in Berlin

Fotografie aus dem „Institut" (Charkiw). (© Gruber / Berliner Festspiele)

Rätselhafte Fotografie aus dem „Institut“ (Charkiw). (© Gruber / Berliner Festspiele)

Vor 29 Jahren fielen in Berlin die Mauer und der „Eiserne Vorhang“. Das war der Auftakt vom Ende des Realen Sozialismus und einer Diktatur des Proletariats, die immer nur ein ideologischer Popanz war, mit dem sich schamlose Partei-Bonzen der herrschenden Nomenklatura die Macht über das Volk sicherten. Neben einigen unverbesserlichen Nostalgikern, die sich gern die schlechte Vergangenheit schön reden, gibt es jetzt auch einige Künstler, die vom (temporären) Wiederaufbau der Mauer träumen.

Direkt in Berlins Mitte, in einem etwa 300 mal 300 Meter großen, von einer russischen Beton-Mauer abgeriegelten Areal zwischen Staatsoper und Bauakademie, soll direkt an der Straße Unter den Linden vom 12. Oktober bis 9. November ein neo-stalinistisches Menschenexperiment durchgeführt werden, das sich als freiheitliches Kunst-Projekt tarnt und den Besuchern neue und ungeahnte Möglichkeiten der Wahrnehmung und Partizipation verspricht.

Erlebniszone mit „historischen Echoräumen“

Unter dem kryptischen Kürzel „DAU Freiheit“ wird, so lassen die als Mitveranstalter auftretenden Berliner Festspiele verlauten, eine „Zone markiert, die für vier Wochen zu einem besonderen Erlebnisraum wird“, „historische Echoräume öffnet“ und angeblich die Chance bietet, „eine politisch-gesellschaftliche Debatte über Freiheit und Totalitarismus, Überwachung, Zusammenleben und nationale Identität zu eröffnen.“

Wer denkt, das klinge arg nach politischer Überhöhung eines künstlerisch größenwahnsinnigen Projekts, liegt wohl nicht ganz falsch. Doch worum geht es eigentlich beim „DAU“-Projekt, dieser seltsamen Mixtur aus Performance und Reality-Show, die in Berlin unter dem Begriff „Freiheit“ auftritt, bevor sie – entschlackt und ohne Mauer – weiter zieht und in Paris als „Gleichheit“ und in London als „Brüderlichkeit“ für verwirrte Gemüter sorgen wird?

Auf den geheimnisvollen Spuren des Physikers Lev Landau

Mit der Französischen Revolution und ihren hehren Idealen hat „DAU“ jedenfalls nichts zu tun. Eher schon mit der Negation der Digitalmoderne, die hinter der Maske der totalen Transparenz den gläsernen Menschen schafft. Namensgeber des Projekts ist der russische Physiker und Nobelpreisträger Lev Landau (1908-1968), der von seinen Freunden „Dau“ genannt wurde und in Moskau ein streng geheimes „Institut für Physikalische Probleme der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften“ betrieb.

Weitere Fotografie aus dem „Institut" (Charkiw). (© Orlova / Berliner Festspiele)

Weitere Fotografie aus dem „Institut“ (Charkiw). (© Orlova / Berliner Festspiele)

Um dem Rätsel des geheimnisumwitterten Physikers auf die Spur zu kommen, ließ der russische Regisseur Ilya Khrzhanovsky im ukrainischen Charkiw, wo Landau eine zeitlang lebte und arbeitete, ein gigantisches, 12.000 Quadratmeter großes Filmset aufbauen: einen eigenen, von Zäunen begrenzten Stadtteil, in dem von 2009 bis 2011 über 400 Menschen lebten und das – mit allen Mitteln des Terrors und der Totalüberwachung – so funktionierte wie Stalins Machtimperium.

…und die Kamera war immer dabei

In Charkiw wurde drei Jahre lang geforscht und geliebt, wurden Experimente durchgeführt und Kinder gezeugt. Und die Kamera von Jürgen Jürges, der früher mit Fassbinder und Wenders drehte, war immer dabei. Kunst-Performerin Marina Abramovic war zu Gast und Regisseur Romeo Castellucci, Pop-Musiker von Massive Attack und Star-Dirigent Theodor Currentzis. Aus dem so entstandenen Film-Material sollen 13 Spielfilme und eine Vielzahl von Mini-Serien geschnitten worden sein. Nichts Genaues weiß man nicht, alles liegt im Dunkeln der künstlich angeheizten Gerüchteküche.

Jetzt sollen die Filme im temporären neuen Berliner Mauer-Staat „DAU Freiheit“ vier Wochen lang präsentiert werden. Dazu soll es Performances und Lesungen, Konzerte und Vorträge, Einzelgespräche und Überraschungen geben. Mit dabei sollen auch wieder Abramovic und Co sein. Doch wer was wann wo vorführt, darüber herrscht (noch) Schweigen. Klar scheint bisher nur, dass im ganzen Kunst-Areal das alte DDR-Flair wieder auflebt, schlechte Beschilderung und dunkle Beleuchtung, muffiger Geruch und beklemmende Atmosphäre wie weiland im Mangel-Staat.

Reanimation des Realsozialismus‘

Wer die neo-sozialistische Reanimation betreten will, muss vorher einen Fragebogen ausfüllen und ein Visum beantragen und dann beim Passieren der Mauer sein Handy abgeben. Dafür bekommt er ein Gerät namens „DAU-Device“, das den Besucher zu den einzelnen Programmpunkten führt: Einlass nur auf Einladung durch das Gerät.

Wer dem Kunst-Terror nicht gewachsen ist, kann ein Notsignal senden und sich befreien lassen. Die Anwohner des Mauer-Parks werden zu „Ehrenstaatsbürgern“ erklärt, haben eigene Zutritts-Möglichkeiten zum Überwachungsstaat und können sich in ihrem angestammten Wohnraum frei bewegen. Ob das ganze Treiben wiederum von Khrzhanovsky und Jürges filmisch begleitet und später in einen neuen Streifen über Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit einfließt, ist noch unklar.

Auch ein russischer Oligarch finanziert das Ganze mit

Klar ist nur, und das macht die bizarre Angelegenheit nicht schmackhafter, dass neben den Berliner Festspielen auch Sponsoren das Projekt finanzieren, die nicht gerade ein guten Leumund haben, wie der russische Oligarch Sergej Adonjew. Auch dass es beim Dreh in der Ukraine sexuelle Übergriffe von Seiten des Regisseurs gegeben haben soll, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack.

Die Kunst ist frei und wird auch den Größenwahn dieses Menschenexperiments und den Terror des temporären Mauer-Staates ertragen. Der schlimmste Feind der Kunstfreiheit ist aber die Bürokratie: Der Bau einer Mauer und das Leben in einem von eigenen Gesetzen bestimmten Erlebnisraum brauchen Genehmigungen von Bau- und Gewerbeamt, Polizei, Feuerwehr. Die stehen noch aus. Könnte also sein, dass sich alles noch als Luftnummer erweist und alle Kunst-Träume zerplatzen wie heiße Ballons.

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„DAU Freiheit“, vom 10. Oktober bis 9. November 2018.
Ein genaues Programm existiert (noch) nicht, auf dem 300 mal 300 Meter großes Areal und in den kooperierten Häusern und Akademien am Boulevard Unter den Linden sind Filmvorführungen des 700 stündigen DAU-Filmmaterials, Kunst-Performances, Auftritte von Musikern, wissenschaftliche Vorträge u.a. geplant.
Besucher(innen) registrieren sich auf der „DAU-Webseite“, um ein Visum zu erwerben.
Täglich können bis zu 3000 Visa ausgegeben werden. Ein Zwei-Stunden-Visum kostet 15 Euro, ein Tagesvisum 25 Euro, ein 72-Stunden-Visum 45 Euro. Es soll auch Diplomaten- und Presse-Visa geben, die für die gesamte Laufzeit gelten und Zutritt zu allen Veranstaltungen gewährt.

Infos unter www.berlinerfestspiele.de

https://www.berlinerfestspiele.de/de/aktuell/festivals/dau_freiheit/dau_freiheit_1.php




Die Kunst des Schmerzes: Marina Abramović in Bonn

Marina Abramović auf einem Hügel aus blutigen Knochen: "Balkan Baroque" (Performance, 4 Tage, 6 Stunden - 47. Biennale Venedig, Juni 1997 / © Marina Abramović, Courtesy of Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Marina Abramović auf einem Hügel aus blutigen Rinderknochen, die sie tagelang abgebürstet hat: „Balkan Baroque“ (Performance, 4 Tage, 6 Stunden – 47. Biennale Venedig, Juni 1997 / © Marina Abramović, Courtesy of Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Die Frau ist verrückt. Das steht fest für uns, die wir im Leben nach Wohlbefinden streben. Marina Abramović setzt sich körperlichen Schmerzen und seelischen Qualen aus und nennt das Kunst. Sie zelebriert ihren Masochismus in aller Öffentlichkeit.

Dafür wird sie von Kuratoren und Vernissage-Plauderern in den renommiertesten Galerien der Welt vergöttert. Warum nur? Vielleicht, weil es ihr gelingt, das Dunkle und Wilde, das Gefühl von Wut, Angst und Gefahr vor unseren Augen in ein Gezähmtes zu verwandeln, es gewissermaßen unschädlich zu machen. Das versteht, wer sich auf die Retrospektive in der Bonner Bundeskunsthalle einlässt: „The Cleaner“ (Tatortreiniger) heißt die furiose Schau und ist kein Familienprogramm.

Anders als in der Malerei entfernt sich ein Performance-Künstler nie von seinem Werk. Es existiert ja nur im besessenen Schöpfer. Marina Abramović erscheint ungezählte Male auf Videos und Fotos in dieser aufwändig, mit zahlreichen Requisiten inszenierten Ausstellung. Sie ist eine serbische Schönheit mit pechschwarzem Haar und herben Zügen, die – dank einer verschwiegenen Beauty-Medizin – im Alter von 71 Jahren glatter wirken als je zuvor. Unheimlich glatt. Mit dem Glamour eines Filmstars erscheint diese Marina Abramović ihrem Publikum. Das genügt manchmal schon. „The Artist is Present“, die Künstlerin ist anwesend, hieß es 2010 im New Yorker Museum of Modern Art, wo sie im bodenlangen Gewand insgesamt 736 Stunden unbeweglich an einem kleinen Tisch saß.

Marina Abramović: "The Artist is Present" (Performance, 3 Monate, The Museum of Moderne Art, New York, 2010 / © Marina Abramović / Foto: © Marco Anelli - Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-KUnst, Bonn 2018)

Wer zuerst wegschaut, hat verloren: Marina Abramović „The Artist is Present“ (Performance, 3 Monate, The Museum of Moderne Art, New York, 2010 / © Marina Abramović / Foto: © Marco Anelli – Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Wer wegsieht, hat verloren

Freiwillige mit guten Nerven konnten gegenüber Platz nehmen und der erstarrten Lady in die Augen sehen. Die armen Amateure sollen zum Teil recht emotional reagiert haben, und das erinnert irgendwie an das alte Kinderspiel: Wer zuerst wegguckt oder zuckt, der hat verloren. Marina Abramović gewinnt immer.

Sie macht ihr Spiel mit so mancher alten Qual. Viele Frauen ihrer Generation erinnern sich, dass sie als Mädchen von schroffen Müttern so straff frisiert wurden, dass es wehtat. Marina die Unerbittliche hat das schon in den 1970er-Jahren in einer Performance verwertet, in der sie ihr herrliches Haar so lange mit Metallzinken bürstete und kämmte, bis es beschädigt und die Kopfhaut aufgekratzt war: „Die Kunst muss schön sein, die Künstlerin muss schön sein“, hieß der zynische Titel.

Aber das war eine Kleinigkeit gegen die 1975 zum ersten Mal durchlittene Performance „Lips of Thomas“ – eine Selbstgeißelung der extremen Art, benannt nach dem Kollegen Thomas Lips, mit dem sie eine kurze Affäre hatte. Und die Show geht so: Die nackte Künstlerin trinkt Honig und Wein, zerbricht ihr Glas, dass die Hand blutet, peitscht sich aus, ritzt sich mit einer Rasierklinge ein Pentagramm in den Bauch und legt sich dann mit bloßem Körper auf ein Eiskreuz unter einen Heizstrahler, der das Kreuz langsam schmelzen und die Wunden heftiger bluten lässt. Komplett zerschunden, behält die Künstlerin doch stets die Kontrolle. Sie macht den Plan.

Qual und Erlösung

Kontrolle: Das ist das Stichwort zu den lebenslangen Grenzerfahrungen der Marina Abramović. Man hört ihre Schreie durch den ganzen Saal, doch sie bleibt immer die Königin des Schmerz-Theaters. Anders als in ihrer Kindheit, als sie mit dem Arm in die neue Walzen-Waschmaschine ihrer Mutter geriet, sich den Arm quetschte und dafür noch geohrfeigt wurde. Die Mutter fackelte nicht lange. Sie war Partisanin im Zweiten Weltkrieg gewesen und arbeitete unter Tito als Chefin des Revolutionsmuseums. Der Vater gehörte zur Staatssicherheit. Beide Eltern waren so etwas wie Profi-Jugoslawen, entschlossene Typen. Ihre kleine Marina, 1946 in Belgrad geboren, lebte die ersten Jahre allerdings bei ihrer Großmutter, einer frommen orthodoxen Christin, die ihr ein diffuses Gefühl gibt für Schmerz und Erlösung.

Aus dem Frühwerk: Marina Abramović "Truck Accident (I)", 1963, Öl auf Leinwand (© Marina Abramović, Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Aus dem Frühwerk: Marina Abramović „Truck Accident (I)“, 1963, Öl auf Leinwand (© Marina Abramović, Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Obgleich den Eltern nur die kommunistische Idee heilig war, förderten sie doch Marinas Talent und ermöglichten ihr ein Studium an der Belgrader Akademie. Tatsächlich machte sie ihr Diplom und malte in der ersten Zeit erstaunlich gute Bilder. 1965 entsteht ein expressives Selbstporträt, und aus dem garstigen Thema „Truck Accidents“ (LKW-Unfälle) zaubert die junge Frau fast abstrakte Kompositionen. Eine andere Serie widmet sich auf kühl-konstruktive Art dem Thema „Wolken“.

Bis das Blut spritzt

Sie hätte weiter malen können, aber die Zeiten waren nicht so. Es wurden Experimente gemacht, Studentin Marina ließ sich mit Klebeband auf eine Bank im Kulturzentrum fesseln und begriff: Körperliche Erfahrungen können Kunst sein. Aus der Koje nebenan hört man ein Klopfen und Stöhnen. Das ist der „Rhythm 10“ von Marina Abramovićs erster öffentlicher Performance 1973 in Edinburgh, als sie sich mit wechselnden Messern so schnell zwischen ihre gespreizten Finger hackte, dass sie sich immer wieder schnitt und das Blut spritzte.

Von nun an gehörte sie zum internationalen Performance-Zirkus, alsbald unterstützt von dem deutschen Künstler Frank Uwe Laysiepen alias Ulay, den sie 1975 in Amsterdam kennengelernt hatte und der die Wirkung ihrer Ideen verdoppelte. Gemeinsam zogen sie durch die Welt und ersannen Paar-Dramen, die im Video bis heute erschreckend präsent sind. Um den Bonner Besucher herum küssen sich Ulay und Marina mit verstopften Nasen, bis sie schier ersticken, sie ohrfeigen sich, rempeln sich an und brüllen wie die Tiere – bis einer aufgibt. Aber das sieht man im Film nicht, da wiederholt sich alles ungebrochen, mit hypnotischer Wirkung auf das Publikum. Und Ulay spannt immer wieder den Bogen, richtet den vergifteten Pfeil auf Marinas Herz und hält ihn mühsam zurück: „Rest Energy“, wie es heißt.

Mit Pfeil und Bogen auf die Partnerin zielen: Ulay / Marina Abramović "Rest Energy" (Performance für ein Video, 4 Minuten, ROSC' 80, Dublin 1980 - Detail aus: 16-mm-Film, auf Digitalvideo überspielt, mit Farbe, Ton 4:04 min (© Ulay / Marina Abramović - Courtesy of the Marina Abramović Archives - VG BIld-KUnst, Bonn 2018)

Mit Pfeil und Bogen auf die Partnerin zielen: Ulay / Marina Abramović „Rest Energy“ (Performance für ein Video, 4 Minuten, ROSC‘ 80, Dublin 1980 – Detail aus: 16-mm-Film, auf Digitalvideo überspielt, mit Farbe, Ton 4:04 min (© Ulay / Marina Abramović – Courtesy of the Marina Abramović Archives – VG BIld-KUnst, Bonn 2018)

Der letzte Liebesdienst

Das konnte nicht ewig gut gehen. 1988, nachdem sie 90 Tage lang über die Chinesische Mauer aufeinander zugelaufen waren („The Lovers“), platzte die Schmerzensliebe. Von ihm spricht man nicht mehr so oft. Sie wurde immer berühmter, zog nach Paris, später nach New York. Bewundert, umstritten, auf keinen Fall ignoriert. Nachdem sie 1997 bei der Biennale in Venedig einen preisgekrönten „Balkan Baroque“ inszenierte und unter Gesang tagelang an einem Berg blutiger Rinderknochen herumschrubbte, entwickelte Marina Abramović elegantere Performances, bei denen es eher um das Durchhalten geht. Zwölf Tage verbrachte sie 2002 im Schaufenster einer New Yorker Galerie, in drei kleinen, mit schönen Holzmöbeln eingerichteten Räumen – ohne zu essen, zu sprechen, auszubrechen.

Sich zwischen zwei Nackten hindurchzwängen: Ulay / Marina Abramović "Imponderabilia" (Performance, 90 Minuten, Galleria Communale d'Arte Moderna, Bologna 1977 (© Ulay / Marina Abramović - Foto © Giovanni dal Magro - Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Sich zwischen zwei Nackten hindurchzwängen: Ulay / Marina Abramović „Imponderabilia“ (Performance, 90 Min., Galleria Communale d’Arte Moderna, Bologna 1977 (© Ulay / Marina Abramović – Foto © Giovanni dal Magro – Courtesy of the Marina Abramović Archives / VG Bild-Kunst, Bonn 2018)

Die Leitern, die hinaufführten zum „House with the Ocean View“, hatten Sprossen aus glänzend polierten Tranchiermessern. Nur Wassertrinken hatte sich die Künstlerin erlaubt. Vor aller Augen lebte sie dahin, döste, lief umher, pinkelte gelegentlich und duschte oft. Und heute starrt man fasziniert in der Ausstellung auf die Bühne dieser Performance, die vom 12. bis 24. Juni noch einmal von der unerschütterlichen Diva benutzt werden soll.

Und wer macht mit?

Bis dahin kann man sich täglich ein kleines Abramović-Prickeln holen. Besucher sind eingeladen, barfuß in Schuhe aus unbeweglichen Mineralbrocken zu schlüpfen oder alle Habseligkeiten abzugeben, um, an einem langen Tisch sitzend, Linsen und Reiskörner zu sortieren und sich so in Achtsamkeit zu üben.

Derweil sorgen Statisten für Live-Atmosphäre durch „Re-Performances“. So stehen täglich zwei Nackte in einem engen Eingang, so wie Ulay und Marina es 1977 in Bologna taten. Wer sich traut, zwängt zwischen ihnen durch und riskiert die Berührung. Besonders Frauen lassen sich, wie man an einem ganz normalen Ausstellungstag sieht, auf solche Herausforderungen ein. Verrückt, so sind wir eben.

„Marina Abramović – The Cleaner“. Bis 12. August in der Bundeskunsthalle Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 4. Di. und Mi. 10 bis 21 Uhr, Do.-So. 10 bis 19 Uhr. Eintritt: 10 Euro. Täglich Re-Performances mit Statisten. Katalog: 32 Euro.

www.bundeskunsthalle.de