Trash-Komödie um Nazis und Völkermord – Mario Salazars wüste Mixtur „Schimmelmanns“ im Theater Oberhausen

Den Anfang macht Toni Schimmelmann. Er ist Clown im Zirkus von Nazi-Krüger, rote Perücke, rote Schuhe, lappiges Tutu. Eigentlich will er weg von hier, weil er Nazi-Krüger hasst. Und weil er im Zirkus so unerfreuliche Rollen spielen muss wie die eines jüdischen KZ-Gefangenen, der nicht weiß, ob er heute noch vergast wird oder nicht.

"Schimmelmanns"-Szene mit (von links): Mervan Ürkmez, Jürgen Sarkiss, Ingrid Sanne, Clemens Dönicke, Ayana Goldstein. (Foto: © Katrin Ribbe)

„Schimmelmanns“-Szene mit (von links): Mervan Ürkmez, Jürgen Sarkiss, Ingrid Sanne, Clemens Dönicke, Ayana Goldstein. (Foto: © Katrin Ribbe)

Ist das witzig? Was kommt als nächstes? „Schimmelmanns“ heißt das Stück, das von der ersten Minute an mit Provokationen und Zumutungen auf sein erschrockenes Publikum feuert. Geschrieben hat es Mario Salazar, Kind chilenischer Eltern und 1980 in Ostberlin geboren. Im Theater Oberhausen war nun die Uraufführung.

Mit Anklängen an die Titelmelodie der „Schwarzwaldklinik“ (Live-Musiker mit Keyboards und Schlagzeug auf der Bühne: Martin Engelbach) nimmt das Geschehen seinen Lauf. Es kreist um die Beerdigung des Großvaters, das die Familienmitglieder, die einander nur sehr begrenzt leiden können, zusammenbringt. Auch Toni, der einst vor seiner grauenvollen Familie nach Amerika geflohen war, reist schließlich an.

Nazis sind sie mehr oder weniger alle

Nazis und Altnazis sind sie mehr oder weniger alle, und die Konzentrationslager waren ja wohl eine einmalige historische Leistung. Doch die Syrer sollte man nicht vergasen, billigere Arbeitskräfte gibt es schließlich nicht – auch nicht für das profitable Freizeitpark-Projekt Ossiland in Bottrop, wo der geschäftstüchtige Felix Schimmelmann (Clemens Dönicke) als Hauptattraktion stündlich eine scheiternde Republikflucht nachspielen lassen will.

Witwe Rosi Schimmelmann (Ingrid Sanne), familiäres Epizentrum und angeblich erblindet, will nicht von ihrer Bibel lassen, und sie hasst alle, denen das Neue Testament nichts gilt, Juden, Araber, ganz egal. Früher war sie mal in der SPD. Und seit Beginn ihrer Ehe sei sie permanent vergewaltigt worden. Sagt sie.

Und weiter dreht sich das Kaleidoskop der braunen Unappetitlichkeiten. Doch was sich als Handlung ankündigte, ist eher eine Aneinanderreihung von Meinungen, Positionen, Haltungen, es passiert eigentlich nichts. Auch die demente Großmutter mit ihrer panischen Russenangst (Anna Polke) ist kaum mehr als ein grotesker Sidekick.

Schenkelklopfer zum apokalyptischen Gang der Dinge

Nur eine uneheliche Tochter (Ayana Goldstein), Tati Asensio Rodriguez mit Namen und vorgeblich dunkelhäutig, fällt etwas aus der Art. Sie hat sich der linken „Antinationalarmee“ angeschlossen, was vielleicht ehrenhaft, aber nicht plausibel ist und überdies im rassistischen Schimmelmann-Kosmos keine Rolle spielt. Nur der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass das Thema Raubkunst und in Gestalt von Videoeinspielungen auch die Nürnberger Prozesse vorkommen.

Von links: Jürgen Sarkiss (hinter der Zeitung), Ingrid Sanne, Lise Wolle. (Foto: © Katrin Ribbe)

Von links: Jürgen Sarkiss (hinter der Zeitung), Ingrid Sanne, Lise Wolle. (Foto: © Katrin Ribbe)

Ach ja: Draußen haben die Nazis (oder war es die AfD?) die Macht übernommen oder stehen kurz davor, und alles wird vermutlich jetzt ganz schrecklich. Drinnen aber, im Hause Schimmelmann, gibt man den apokalyptischen Gang der Dinge als schenkelklopfendes Boulevardtheater, als definitiv kurzweilige Tür-auf-Tür-zu-Komödie auf zwei Etagen (Bühne: Maria-Alice Bahra), die ihren Abschluss mit der Wiederkehr des alten Patriarchen Arius Schimmelmann (Klaus Zwick) findet, SS-Hauptsturmbannführer a.D., ausstaffiert wie Uncle Sam. Oder ist das jetzt doch wieder Nazi-Krüger aus Miami, der im ähnlichen Outfit auftrat? Ist auch irgendwie egal.

Regie führt der neue Intendant Florian Fiedler

Was ist die Botschaft dieser wüsten Mixtur aus Nazi-Denken, aktuellem Rechtsextremismus, hartnäckigem Rassismus, Flüchtlingsthematik und so fort? Alles schlimm, gewiss. Doch die unbedarfte Verarbeitung des millionenfachen, industriell durchgeführten deutschen Völkermords im Nationalsozialismus zu Unterhaltungsstoff in einer Trash-Komödie befremdet denn doch. Der Holocaust als Menschheitskatastrophe bis dahin ungeahnten Ausmaßes war eben nicht „Hololo“, wie Arius Schimmelmann, Lacher sind ihm da gewiss, bei seiner Wiederauferstehung memoriert.

Offenbar wurde der Autor von der wirren Internet-Kommunikation am rechten Rand inspiriert. Claus Leggewie kommt im Programmblatt zu Wort, linksliberaler Politologe und Professor in Gießen, der von einem befremdlichen Internet-Dialog mit dem rechten Publizisten und Verleger Götz Kubitschek berichtet.

Es ist ein fiebrig-delirantes Spiel, das sich Mario Salazar ausgedacht hat und das Florian Fiedler, der neue Intendant des Theaters Oberhausen, nun als sein Regiedebut in einer Stunde 45 Minuten auf die Bühne stellt. Der Unterhaltungswert dieser Produktion ist unbestreitbar, auf die nächste Regiearbeit Fiedlers darf man gespannt sein. Anerkennung ist dem engagiert aufspielende Ensemble zu zollen. Das Publikum spendete langen, freundlichen Applaus.




Beschädigte Welten: Uraufführung am Schauspiel Köln

Die Zutaten sind gut, das Rezept ist originell, trotzdem schmeckt das Chili ein wenig langweilig. Woran liegt das bloß? An den Schauspielern jedenfalls nicht: Sie schlüpfen in der Uraufführung „Die Welt mein Herz“ von Mario Salazar am Schauspiel Köln in zahlreiche unterschiedliche Rollen und beweisen ihre extreme Wandlungsfähigkeit.

Dabei verfährt Regisseur Rafael Sanchez nach dem Prinzip des cross-gender-acting: Männer spielen Frauen, Frauen spielen Männer, aber manchmal bleiben sie auch, was sie sind.

Liegt es an der Story? Sie ist tatsächlich etwas verwickelt, springt von von einem Diner in New York, in dem sich junge mexikanische Einwanderer treffen und von einem besseren Leben träumen, in eine argentinische Favela, wo diese Hoffnung noch ein wenig unwahrscheinlicher erscheint. Hier bleiben nur Prostitution, Gewalt und das gegenseitige Belauern von Hure und Zuhälter, Mutter und Kindern, Mann und Frau.

Einen weiteren Handlungsstrang bildet die Welt von Steve und Janine in Stendal und anderswo bzw. im Netz, ihre Mails kann man per Video-Projektion mitlesen. Sie haben ihr Kind umgebracht und können das nicht verkraften, deswegen fliehen sie voreinander in alle möglichen Länder, wo sie dann den Mexikanern begegnen. Aber nur kurz.

Tatsächlich sind die mäandernden Handlungsstränge nicht wirklich ein Problem, denn sie geben dem Stück so eine „globale“ Atmosphäre, ein Empfinden eines gleichzeitigen Geschehens in verschiedenen Zeitzonen und unterschiedlichen prekären Milieus. Denn beschädigt sind diese Welten alle, in die wir hineinblicken.

Vom Lebenskampf und ökonomischen Sorgen zermürbt, verroht auch die Innenwelt dieser Figuren; die Enttäuschung macht sie bitter und resigniert, hart gegen sich und andere, die Hoffnung nimmt ab wie der Mond und dann wird es dunkler. Es flimmern nur noch geisterhafte Figuren (oder ist es das tote Kind?) durch die Tiefen des Netzes, projiziert an die Bühnenwände.

Als verbindende Idee hat Salazar die Phantasie entwickelt, dass die Mexikaner in der Wüste von Nevada in ein Loch durch den Mittelpunkt der Erde hindurch fallen und in Stendal wieder rauskommen und dort auf Steve und Janine treffen und dann – passiert eigentlich nix. Müsste jetzt was passieren?

Jedenfalls ist die Szene lustig gespielt in einer Art kindlichem Impro-Stil. Witzig sind auch die Szenen, (den Handlungsstrang hatte ich fast vergessen) in denen sich die beiden alten dementen Damen aus ihrem Leben erzählen: Erinnerungsmäßig geht da allerdings einiges durcheinander. Auf jeden Fall ist die eine Omi die Geliebte vom Ehemann der anderen gewesen: Erfrischend zu sehen, dass Alter nicht vor Zickigkeit, Sex, Bosheit und Humor schützt. Vergessen hilft dabei, die Dinge von der leichten Seite zu nehmen.

Also: Warum ist das Chili nicht so ganz scharf? Ich weiß es nicht, seht selbst…

Tickets und Termine:

www.schauspielkoeln.de