Über die Schädelstätte zur großen Philosophin gehen – Markus Lüpertz‘ kraftvolle Studien der Vergänglichkeit in der Essener Zeche Zollverein

Von Bernd Berke

Mit der Vergänglichkeit allen Lebens kann man verschieden umgehen: Manche schicken sich drein und werden vielleicht fromm, andere überlassen sich dem Trübsinn, wieder andere machen auf Erden das beste daraus und schlürfen jede kostbare Minute. ZumStamme dieser sinnlichen Leute gehört wohl auch der Künstler Markus Lüpertz.

Der 58jährige, der sich als Erbe der „Malerfürsten“ geriert, präsentiert in der kulturell umtriebigen Essener Zeche Zollverein rund zwei Dutzend zumeist neuere Ölbilder unter dem Leitbegriff „Vanitas“, was just Vergänglichkeit bedeutet. Es sind vorwiegend Stilleben, die das Bewußtsein vom Tode wachhalten, die ihm in ihrer kraftvollen Machart aber auch entschieden widerstehen. Gerade wenn man sich die Endlichkeit stets vor Augen hält, ist man vielleicht eher bereit, den Tag zu ergreifen – und das Schöne zu pflücken; zumal, wenn man auf die 60 zugeht und dem nahenden Alter kraftstrotzend trotzen will.

Die Ausstellung ist eine wahre Schädelstätte. Mal liegt der allgegenwärtige Totenkopf gleichsam grinsend auf dem Tische, mal hat er frech auf dem Hintern einer ausgelassen sich bewegenden Figur („Totentanz“, 1997) Platz genommen, als wolle er sich auch in frohen Lebenslagen nicht abweisen lassen. Geradezu liebevoll schmiegt sich der hohle Schädel an ein wabbeliges Organ („Tod küßt Lunge“), er leistet einem Kürbisgesicht zu „Halloween“ (1987) gespenstische Gesellschaft, zeigt sich mit Ratten oder Fischen – und manchmal vollführt er seine Grimassen solo, ohne alle Beigaben. Zuweilen wird Gevatter Tod in Gitterstrukturen eingesperrt: Bleib drinnen!

Barocke Stilleben sind die Vorbilder, doch deren Inventar wird bei Lüpertz schon mal wild verwirbelt. Hier stürzt eine Kerze, dort brennt ein raketenförmiger Fisch. Das ist oft wirklich kraftgenialisch „hingefetzt“, wirkt wie nur halbwegs fertig, sich selbst und dem Betrachter überlassen.

Bemerkenswert eine Bilderserie, in der Lüpertz realistische Landschafts-Ansichten zwischen abstrakte Strukturen einblendet, als seien es Fenster-Ausblicke. Nur ein simpler Effekt der Gegenüberstellung oder ein subtiles Spiel, in dem die Darstellungsweisen einander wechselseitig befragen und deutlicher hervortreiben?

In der Nachbarhalle finden sich vier Lüpertz-Skulpturen, die auf dem ungeheuer weiten Areal so recht zur Geltung und zu eigenem „Atem“ kommen. Drei bunt bemalte, ineinander verschlungene, ja nahezu neurotisch in sich verkapselte Bronze-Figurationen stehen unter dem Motto „Männer ohne Frauen“ (1995). Man meint, die seelischen Windungen der Einsamkeit zu sehen, als hätten sie organische Form angenommen. Turmhoch über das unbeweibte Trio erhebt sich, triumphal aufragend, „Die Philosophin“, deren massiver Leib freilich eher an eine Kugelstoßerin gemahnt. Vielleicht betreibt dieser bronzene Gast aus matriarchalischen Zeiten ja das Denken als Hochleistungssport.

Markus Lüpertz: „Vanitas“. Bis 22. August. Essen, Zeche Zollverein. Hallen 5 und 6 (Gelsenkirchener Str. 181). Mi 15-18, Do/Fr 15-20, Sa/So 11-18 Uhr.




Eine „Metropole“ begibt sich ins Sauerland – Stadtgalerie Sundern präsentiert Markus Lüpertz

Von Bernd Berke

Sundern. Da gehört einer zu den teuersten Künstlern der Welt. hat in allen Kunstmetropolen seine Werke gezeigt und kommt auf einmal ins Sauerland. Doch mit der „Provinz“ hat er nach eigenem Bekunden keine Probleme: „Ich selbst bin die Metropole. Deswegen ist es egal, wo ich ausstelle.“ Spricht’s mit freundlich-ironischem Blick. Ja, wenn das s o ist!

Der selbstbewußte Mann heißt mit vollem Namen Markus Lüpertz, Seine Auftritte in der Tradition früherer Malerfürsten sind legendär. In Sundcrn, wo er sich nachmittags spazierend in der „herrlichen Landschaft“ (Lüpertz) ergangen hatte, machte er es vergleichsweise halblang: In dämonisches Schwarz gewandet, mit Zierstöckchen, goldenem Armreif und etlichen Ringen an den Fingern, dazu eine teure Zigarre – so zeigte er sich den zahlreich und teilweise todschick erschienenen Kunstfreunden in diesem wirtschaftlich florierenden Teil des Sauerlands. Nach solchen Szenen gierte auch das Fernsehen. Der 53jährige Lüpertz ist eben ein Ereignis – und wäre in Sündern wohl niemals gesichtet worden, wenn nicht die örtliche Hubert Blome GmbH als Ausstellungs-Sponsor in die Bresche gesprungen wäre.

In der Stadtgalerie des Kulturrings, die zur Vernissage am Mittwoch Abend Rekordbesuch verzeichnete, gibt es Druckgraphik von Lüpertz zu sehen: Holzschnitte, Lithographien und Radierungen, vornehmlich aus den 80er Jahren, aber auch neueste, gleichsam noch druckfrische Arbeiten. Es sind überwiegend – typisch für Lüpertz – Serien, beispielsweise mit Köpfen wie aus der Antike, die nach- und nebeneinander verschiedene Zustände durchlaufen. Farblust und Farbwut erfassen gelegentlich auch die Rahmung.

Es werden, auch schon im kleinen Überblick einiger Dutzend Arbeiten, zwei Prinzipien der Lüpertz’schen Kunstanstrengung deutlich: die bei großen Vorläufern wie etwa auch Picasso (Totenkopfbilder) geliehene Größe und Würde sowie der Versuch, durch summierende Reihung die Wirkungen zu steigern.

Vielleicht ist der Kraftkerl ja auch nur verletzlich

Lüpertz geriert sich zumeist als Kraftkerl, er läßt die Linien und Ballungen in der Bildfläche miteinander kämpfen. Prof. Walter Hoffmann, Lüpertz‘ Konrektor an der Düsseldorfer Kunstakademie, wollte in seiner Eröffnungsansprache nicht zuletzt ein Ringen zwischen nördlichem und südlichem Prinzip darin entdecken.

Jedenfalls ist der ästhetische Einruck zwiespältig: Manchmal wirken die Auseinandersetzungen der Formen auf dem Malgrund sehr entschieden, druckvoll und von wahrer Kraft getrieben, auftrumpfend, tatsächlich wie skulptural gehauen. Manchmal erscheinen sie jedoch auch nur wie nebcnbei hingehauen. Künstlers routinierte Brotarbeit?

Leider im hinteren Teil der insgesamt sehenswerten Schau versteckt ist eine sympathischere, weil bescheidener sich gebende Seite des Künstlers in Gestalt einer „Fenster“-Serie. Siehe da, dem sonst oft so ungeschlacht-genialisch verfahrenden Manne stehen auch filigrane Mittel zu Gebote. Vielleicht spiegelt er uns ja seit vielen Jahren die unbändige Kraft nur vor, weil sie sich besser am Markt behauptet – und ist in Wahrheit so verletzlich wie andere auch.

Eine Graphik (Auflage: 50 Stück) wurde zur Eröffnung für je 2500 DM feilgeboten: 50 mal 2500 – ein hübsches Sümmchen. Und es war nur der Vorzugspreis zum Einstand. Wer jetzt noch eines dieser Blätter erwerben will, zahlt 3500 DM. Weiteres Preisbeispiel: Ein Farbholzschnitt (175 mal 175 Zentimeter), von dem es freilich nur zwei Exemplare gibt, soll 25 000 DM erbringen. Schon zur Vernissage prangte übrigens der erste rote Punkt (Zeichen für: „verkauft“) auf einem Werk. Es war eines der „Fenster“-Bilder. Der Käufer hat Geschmack.

Markus Lüpertz. Druckgraphik. Kulturring Sundern, Stadtgalerie, Lockweg 3 (in der Fußgängerzone). Bis 5. Juni, mo-fr 16-18.30 Uhr, sa/so 10.30-12.30 Uhr. Tel.: 02933/5023.

 




Die Rätselwelt des Markus Lüpertz – kleinere Arbeiten im Arnsberger Kunstverein

Von Bernd Berke

Arnsberg. Die Baselitz-Ausstellung 1988 im Arnsberger Kunstverein hat eine Art Initialzündung ausgelöst. Künster, Galeristen und Museumsleute sind auf den Verein im Hochsauerland aufmerksam geworden.

Folge: In Zusammenarbeit mit einer großen Kölner Galerie kann man jetzt wiederum einen Namen aus der Künstler-„Bundesliga“ präsentieren: Markus Lüpertz (48), der nicht nur wegen seines berüchtigt-großfürstlichen Lebensstils, sondern eben auch seiner Kunst wegen international im Gespräch ist. Den Ausschlag für die Kölner Leihfreudigkeit gab auch, daß der Kunstverein – vor Ort auch schon mal als „elitär“ gescholten – unbeirrt stilistischen Kurs hält.

Lüpertz also. Keine Hauptwerke, sondern 50 „Arbeiten auf Papier“, darunter Holzschnitte, Gouachen sowie mit Öl- oder Wachskreide gefertigte, zumeist intimere Formate. Das Auswahlprinzîp ergab sich daraus, daß man einen Querschnitt der Jahre 1977 bis 1988 zeigen wollte. Der Künstler hat sich in diesem Zeitraum offenbar kaum um die Schein-Alternative „figurativ“ oder „abstrakt“ gekümmert, eins wechselt mit dem anderen. Die meisten Arbeiten tragen keine Titel, sie sollen also ohne Sprach-Assoziation nur durch sich selbst „reden“.

Lüpertz, der nicht müde wird zu betonen, daß er mit der „Anmut“ und dem Zustand unserer Gegenwart einverstanden ist, entwirft keine Gegen-Welten, jedoch eigenständige Neben-Welten. Auf den ersten Blick wirken manche Einzelbilder form- und ortlos, doch in Arnsberg hat man darauf geachtet, daß sie in Serien hängen, so daß sie sich gegenseitig „kommentieren“ können.

Das bedeutet aber keine leichte Verständlichkeit. Lüpertz verrätselt seine Bildsprache ganz bewußt. Auch wenn man hier und da Anspielungen auf die Realität zu erkennen glaubt – ein Sofa mit Stacheldraht? eine Schädelstätte? – könnte es gutsein, daß man sich irrt, indem man diese Dinge in die Bilder hineinsieht. Den eindrucksvollsten Teil der Ausstellung bilden gleichwohl die figürlichen Arbeiten, vor allem aus der Serie „Heiliger Sebastian“ (1987), Inbilder eines Martyriums der Verlorenheit.

Auch nachkubistische Bilder wie „Amor und Psyche“ (1979) oder die maskenhaften Holzschnitte zum „Mykenischen Lächeln“ zeigen Lüpertz als Formgestalter von Rang, der mit den „Wilden“ allenfalls gemein hat, daß er die Regeln der Formgebung sozusagen „kontrolliert vergessen“ kann.

Markus Lüpertz — Arbeiten auf Papier. Kunstverein Arnsberg, Königstr. 24. Eröffnung So., 4. Juni, 11 Uhr. Bis 16.Juli. Geöffnet Mi.—Fr. 17 bis 19 Uhr, So. 11—13 Uhr.