Martin Kippenberger und die Arena des Lebens-Wettkampfs – zwei Ausstellungen in Essen

Sportfeld mit „Wimmelbild“: Essener Ausstellungsansicht von Martin Kippenbergers Installation „The Happy End of Franz Kafka’s ,Amerika'“ (Museum Folkwang, Essen, 2021 – © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne – Foto: Simon Vogel)

Um einen flapsigen Spruch war Martin Kippenberger (1953-1997) nie verlegen. Von ihm stammt z. B. der Nonsens-Reim „Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald.“ Vor allem aber sprudelten seine künstlerischen Ideen wie aus einem Füllhorn hervor.

Manchmal hat sich Kippenberger auch Zeit genommen und über Jahre hinweg am selben Projekt gearbeitet. Was daraus werden konnte, ist nun im Essener Museum Folkwang zu besichtigen: „The Happy End of Franz Kafka’s ‚Amerika‘“ heißt dieses Opus magnum, das sich auf einem 20 mal 23 Meter großen Fußballfeld erstreckt. Man kann entweder außen herum gehen oder seitwärts auf zwei Tribünen Platz nehmen.

Zu sehen sind 50 Tisch-Stuhl-Kombinationen, 32 Einzelstühle, Skulptur-Elemente, verschiedene Wachtürme und Hochsitze, dazu Videos, u. a. mit Cheerleader-Anfeuerungen. Folkwang-Chef Peter Gorschlüter findet, dass man das Ganze zuerst als „Wimmelbild“ wahrnimmt, bevor man sich auf die vielen Einzelheiten konzentrieren kann. Im Katalog wird jedes der vielen Ensembles näher erläutert. Jegliches Detail (einige Elemente stammen von befreundeten Künstler*innen) hat seine Geschichte, seinen Deutungs-Spielraum.

Auf Schienen rund ums Spiegelei: weitere Kippenberger-Installationsansicht aus Essen. (Museum Folkwang, Essen, 2021 – © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne – Foto: Simon Vogel)

Wenige Stichworte: Ein von Kippenberger verwendeter Aldo-Rossi-Stuhl, Ikone modernen Designs, wurde gezielt durchlöchert – eine Reminiszenz an schusswütige Western-Filme. Auf einer Art Kinder-Karussell fahren Schleudersitze im Kreis, rund um ein riesiges Spiegelei. Ein Tisch ist jenem nachempfunden, an dem Robert Musil seinen Jahrhundertroman „Der Mann ohne Eigenschaften“ verfasst hat. Ein weiteres Gebilde greift einen Sketch von Karl Valentin auf, der Schreibtischbeine so lange passend zurechtsägen wollte, bis praktisch nichts mehr übrig war. Und so weiter…

Der „Happy End“-Titel spielt auf Franz Kafkas Romanfragment „Der Verschollene / Amerika“ an. Dessen Hauptfigur Karl Roßmann muss sich in rätselvoller Fremde zurechtfinden. All die Tische und Stühle simulieren denn auch gleichzeitige, massenhafte Einstellungsgespräche mit höchst ungewissem Ausgang. Das stellenweise gespenstische, jedoch mit luzidem Witz funkelnde Großwerk erweist sich als Sinnbild des Lebens als Wettkampf, des unsicheren Ankommens in der Fremde, der permanenten Überwachung.

In der altehrwürdigen Villa Hügel begibt sich das zweite, deutlich stillere Kippenberger-Ereignis. Hier werden zwei Werkgruppen gewürdigt: Plakate und Künstlerbücher.

Die 100 Plakate aus dem Kippenberger-Kosmos nehmen sich im überaus gediegenen Ambiente der einstigen Krupp-Villa wie kleine Nadelstiche aus. Früher hätte das Ganze für einen Skandal getaugt. Inzwischen weiß man längst, dass Kippenberger seinerzeit der Richtige war, um den Kunstbetrieb provozierend auf Trab zu bringen. Auf gar spezielle Weise ist er, dem erst posthum große Ausstellungen gewidmet wurden, heute nobilitiert.

Kippenberger-Plakat in der Villa Hügel: „Gib mir das Sommerloch“ (Galerie Klein, Deutschland, Bonn, 1986 – Siebdruck, 83,8 x 59,5 cm) (© Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne – Foto: Jens Nober, Museum Folkwang)

Selbst seine beißend spöttischen Plakate sind heute fast schon nostalgische Anlässe zum Lächeln: Nein, wie rotzfrech er doch gewesen ist! Ganz gleich, ob er sich dem Publikum nackt, besoffen oder ernstlich verletzt gezeigt hat. Es war ihm völlig egal, wie unvorteilhaft er auf seinen Selbstdarsteller-Plakaten aussah. Es war just das Gegenteil heutiger „Selfie“-Optimierung.

In einer anderen Zimmerflucht, der Bibliothek des Hauses, werden die historischen Bestände nun dicht an dicht konterkariert von rund 120 Künstlerbüchern. Typisches Beispiel für den ironischen Zugriff: Als Künstlerkollege A. R. Penck sein majestätisches Buch „Die Welt des Adlers“ publiziert hatte, konterte Kippenberger mit niedlichen kleinen Bändchen. Titel: „Die Welt des Kanarienvogels“.

„The Happy End of Franz Kafka’s ,Amerika‘”. Museum Folkwang, Essen, Museumsplatz 1. – Bis 16. Mai 2021. Geöffnet Di bis So 10-18 Uhr, Do und Fr 10-20 Uhr. Eintritt 5 Euro. Katalog (ab April) 48 Euro. www.museum-folkwang.de – Zeitfenster-Tickets (erforderlich): https://museum-folkwang.ticketfritz.de

„Vergessene Einrichtungsprobleme in der Villa Hügel“. Plakate und Künstlerbücher von Martin Kippenberger. Essen, Villa Hügel, Hügel 1. – Bis 16. Mai 2021. Geöffnet Di bis So 10-18 Uhr. Eintritt 5 Euro, Kurzführer gratis. www.villahuegel.de

Ausstellung in der Villa Hügel verlängert

Update vom 20. Mai 2021: Die Ausstellung in der Villa Hügel (wieder geöffnet ab Dienstag, 25. Mai) wird bis zum 4. Juli verlängert!

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„Kind des Ruhrgebiets“

Martin Kippenberger war ein „Kind des Ruhrgebiets“. 1953 als Sohn einer Ärztin und eines Zechendirektors in Dortmund geboren, wuchs er in Essen auf – als „Hahn im Korb“, mit zwei älteren und zwei jüngeren Schwestern.

Martin Kippenberger 1994 mit einem Element seiner damals – in Rotterdam – erstmals gezeigten Kafka-Installation. (Foto: Wubbo de Jong / MAI – Maria Austria Institut)

1968 brach er die Schule ab und begann eine Dekorateurslehre, die er wegen Drogenkonsums nicht abschließen durfte. In den 70er Jahren warf er ein Kunststudium in Hamburg hin.

Bald aber lernte die jüngere Kunstwelt Kippenberger als begnadeten, gewiss nicht uneitlen Selbstdarsteller kennen, der jedoch auch diese Eigenschaft selbstironisch zu brechen wusste. Lebenshunger trieb ihn umher. In Florenz und Berlin hat er gelebt, auch in Paris (um dort Schriftsteller zu werden) und in Kalifornien. Und noch und noch.

Legendär seine Begabung zum Netzwerker, der überall Freunde um sich scharte. Der wohl wichtigste Zirkel war jener mit Werner Büttner, Albert und Markus Oehlen, nachmals den „Neuen Wilden“ zugerechnet, die die Rückkehr zur (heftigen) Malerei kraftvoll betrieben haben. Um 1977 war das, als auch die Punk-Bewegung aufkam, der Kippenberger manchen Impuls verdankte.

Und was geschah 2011 in seiner Geburtsstadt Dortmund? Eine Reinigungskraft schrubbte sein Werk „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“ kurzerhand blank. Gut möglich, dass Kippenberger den Vorfall spaßig gefunden hätte. Aber da hat er nicht mehr gelebt. Am 7. März 1997, nur 44 Jahre alt, ist er in Wien an Krebs gestorben.

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P. S.: Demnächst erscheint eine längere Fassung des Ausstellungsberichts im Kulturmagazin „Westfalenspiegel“.

 




Museum Folkwang: Auf ein Neues mit Kippenberger, Fotokunst, Tanzdynamik und Filmskizzen

Ausstellungs-Teilansicht von Martin Kippenbergers raumgreifender Installation „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“ (hier 2008/2009 im MOCA Grand Avenue – Courtesy of The Museum of Contemporary Art, Los Angeles / Foto: Brian Forrest)

Es hätte fürs Museum Folkwang alles so gut geraten können. Das Jahr 2020 ließ sich geradezu prächtig an. Museumsdirektor Peter Gorschlüter blickt etwas wehmütig auf diese Zeit zurück: Die publikumsträchtige Aktion des durchgehend freien Eintritts konnte verlängert werden, das Essener Haus wurde derweil zum „Museum des Jahres“ erkoren – und schließlich wuchsen die Chancen auf ein Bundesinstitut für Fotografie in der Revierstadt.

Seit Corona regiert das Prinzip Hoffnung

Doch dann kam Corona. Man musste ab 16. März schließen und konnte auch nach Wiedereröffnung im Mai bei weitem nicht an vorherige Besucherzahlen anknüpfen. Jetzt sind die Museen bekanntlich wieder zu und müssen sich ans Prinzip Hoffnung halten – oder soll man sagen: klammern? Gorschlüter betont, noch sei das Museum Folkwang in einigermaßen komfortabler Lage und er selbst guter Dinge. Er wisse aber, dass viele andere Museumsleute bereits zu kämpfen hätten.

So weit die getrübte Rückschau nebst Ausblick zwischen Hoffen und Bangen. Doch viel lieber ließen die Essener Museumsleute auf der heutigen Video-Jahrespressekonferenz wissen, was sie für 2021 vorhaben. Neben Gorschlüter stellten die Kurator(inn)en Tobias Burg (Grafische Sammlung), Anna Fricke (Zeitgenössische Kunst) und Thomas Seelig (Fotografische Sammlung) ihre Pläne vor. Tatsächlich versprechen erste Einblicke ein durchaus spannendes Programm.

Installation von der Größe eines Sportplatzes

Martin Kippenberger in seiner Kafka-Installation – im Museum Boijmans Van Beuningen, 1994 (© Cees Kuiper/Rotterdams Dagblad)

Schon der Auftakt hat es in sich: Martin Kippenberger (1953-1997), in Dortmund geborener und in Essen aufgewachsener Künstler von bleibender Bedeutung, wird in großem Stile präsentiert. Im Museum Folkwang wird seine ungeheuer raumgreifende Installation „The Happy End of Franz Kafka’s ,Amerika'“ zu sehen sein. Kippenbergers Werk von der Ausdehnung eines Sportplatzes bezieht sich aufs Schlusskapitel von Kafkas Roman „Der Verschollene/Amerika“. Natürlich handelt es sich nicht um bloßen Kafka-Nachvollzug, sondern um eine Adaption aus der ganz spezifischen Perspektive Kippenbergers, der in seine Installation etliche Werkelemente befreundeter Künstler(innen) sowie zahlreiche Fundstücke eingearbeitet hat. Die insgesamt 50 Ensembles aus Tischen und Stühlen dürften tatsächlich so etwas wie eine „kafkaeske“ Atmosphäre erzeugen. Imaginiert ist das Ganze als Raum für viele gleichzeitige „Einstellungsgespräche“. Es geht um die verstörende Erfahrung einzelner Menschen, die sich einer fremden Gesellschaft gegenübersehen. Aber bitte das Thema nicht bruchlos eins zu eins nehmen. Bei Kippenberger sind stets einige Doppelbödigkeiten, Denk- und Blick-Fallen zu gewärtigen.

Zeitgleich werden in der altehrwürdigen Bibliothek der Essener Villa Hügel die vor zuweilen frecher Schaffenslust geradezu sprühenden Künstlerbücher Kippenbergers gezeigt – welche Kontraste sind da zu erwarten! Im Obergeschoss, wo sich die gediegenen Wohnräume des Krupp-Palastes erstrecken, sollen ausgewählte Plakate Kippenbergers gleichfalls eine völlig gegenläufige Dimension eröffnen.

Beide Kippenberger-Präsentationen sollen am 7. Februar 2021 starten und bis 2. Mai dauern – ob und ab wann mit physisch anwesendem Publikum, steht noch dahin.

Zwei Generationen der Fotografie

Auch schon am 19. Februar wird eine Folkwang-Retrospektive zum Werk des Fotografen Timm Rautert (Jahrgang 1941) beginnen. Anhand von rund 350 Arbeiten soll das vielfältige Oeuvre des einstigen Schülers von Otto Steinert aufgeblättert werden. Ab 25. Juni schließt sich ein Überblick zum fotografischen Schaffen von Tobias Zielony (Jahrgang 1973) an, der einer ganz anderen Generation angehört und sich vor allem auf die Spuren neuerer Jugend(sub)kulturen geheftet hat.

Tobias Zielony: „Make Up“, 2017. Fotografie aus der Serie „Maskirovka“ (Pigmentdruck, 70 x 105 cm / Courtesy KOW, Berlin / © Tobias Zielony)

Grenzen der künstlerischen Disziplinen soll ab 13. August die Schau „Global Groove. Kunst, Tanz, Performance und Protest“ überschreiten. Im Fokus steht die tänzerische Bewegung als Triebkraft politischer, kultureller und lebensweltlicher Veränderungen. Zugleich wird die wechselvolle Kulturgeschichte der Kontakte zwischen fernöstlichen und westlichen Ausdrucksformen des Tanzes erzählt.

Was Fellini zu seinen Filmen zeichnete

Federico Fellini: „Die Marktfrauen auf Rädern“, um 1972 (Faserstift-Zeichnung zum Film „Amarcord“ – Sammlung Jakob und Philipp Keel / © VG Bild-Kunst, Bonn, 2020)

Bildende Kunst, Literatur (Kafka), Fotografie und Tanz hätten wir also schon beisammen. Was fehlt? Nun, zum Beispiel der Film. Auch hierzu gibt es ein interessantes, gattungsübergreifendes Projekt: „Federico Fellini. Von der Zeichnung zum Film“ (ab 12. November 2021) beleuchtet ein bislang wenig beachtetes Kapitel im Werk des ruhmreichen Regisseurs der Opulenz. Fellini hat zahllose Skizzen angefertigt, um sich Typen, Figuren, Kostümierungen und Szenarien seiner Lichtspiele besser vorstellen zu können. Gar manches diente als mehr oder weniger direkte Vorlage für die filmische Umsetzung. Etwa 150 Zeichnungen (dazu Standbilder und Filmausschnitte) aus den Jahren 1950 bis 1982 werden gezeigt, karikaturistischer Gestus und pralle Sinnlichkeit gehen dabei fruchtbare Verbindungen ein. Und was wird Fellini wohl bei seinen Frauendarstellungen besonders betont haben? Dreimal dürfen wir raten.

Museum Folkwang. Museumsplatz 1 in 45128 Essen.

www.museum-folkwang.de

 




Kreativer Kosmos, künstlerischer Klamauk – Martin Kippenberger in der Bonner Bundeskunsthalle

Ohne Titel: Martin Kippenberger (aus der Serie Window Shopping bis 2 Uhr nachts) 1996. Öl auf Leinwand. Private Collection (Bild: © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne/Bundeskunsthalle)

Martin Kippenberger: Ohne Titel (aus der Serie „Window Shopping bis 2 Uhr nachts“), 1996. Öl auf Leinwand. Private Collection (Bild: © Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne/Bundeskunsthalle)

Was macht Spiderman im Atelier des Malers? Er könnte einfach als Besucher da sein, er könnte als Superheld eine Versinnbildlichung der Machtfülle des Künstlers sein. Er könnte aber auch, als Spinnenmann eben, Produzent jener „Spinnereien“ sein, die das Werk seines Schöpfers in herausragendem Maße prägen – Ausdruck jenes hoch assoziativen Schaffens Martin Kippenbergers, dem die Bonner Bundeskunsthalle jetzt eine große Werkschau ausrichtet.

Das Spiderman-Atelier Kippenbergers, der 1953 in Dortmund geboren wurde und 1997 viel zu früh in Wien starb, steht gleich am Eingang der Ausstellung mit dem etwas sperrigen Titel „BITTESCHÖN DANKESCHÖN“. 360 Arbeiten sind hier ausgestellt, Gemälde, Zeichnungen, Fotos, Plakate, Multiples und so weiter, und sollen eine Annäherung an den Künstler ermöglichen, dem fraglos eine gewisse Neigung zum Dadaismus eigen ist, der so recht aber keiner bestimmten Gruppe oder Richtung zugeordnet werden kann.

Ohne Titel (aus der Serie „Das Floß der Medusa“), 1996. Öl auf Leinwand. (Bild: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne / Bundeskunsthalle)

Alles hat er gemacht

Kippenberger hat Fotos gemacht und Holzplatten zu Skulpturen zersägt, er hat wundersam verbogene Straßenlaternen geschlossert und Zäune aufgestellt, Plastikfrösche ans Kreuz genagelt und aus Hotelrechnungen Malgründe gemacht. Er hat, so scheint es, eigentlich alles gemacht, was ihm gerade in den Sinn kam. Vor allem aber war er wohl Maler, wenngleich er eine seiner bekanntesten Bilderserien nicht selbst gemalt hat. „Lieber Maler, male mir“, so der Titel, ließ er nach Fotos von dem Plakatmaler Hans Siebert anfertigen. Und der Betrachter und die Betrachterin mögen nun nachsinnen über den Wert des Originals und darüber, was ein Original ausmacht.

Menschliches Leiden und Niedergang

Im großen Saal im Erdgeschoß der Bundeskunsthalle, wo Kippenberger jetzt ausgestellt ist, dominieren zu Beginn späte Gemälde, von fremder und von eigener Hand geschaffen. Tief beeindruckt der Zyklus „Das Floß der Medusa“, für den Kippenberger das berühmte gleichnamige Gemälde Théodore Géricaults sozusagen thematisch zerlegte, die unterschiedlichen Posen menschlichen Leidens und Niedergangs isolierte. In einem zweiten Schritt stellte er diese Posen für eine Fotoserie nach, die ihrerseits das Ausgangsmaterial für den gemalten Zyklus war und Bilder von einzelnen Körpern, Gliedmaßen, Gesichtern zeigt.

Ohne Titel (aus der Serie „Lieber Maler, male mir“), 1981. Acryl auf Leinwand. (Bild: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne / Bundeskunsthalle)

Die Banane war weg

Große Bilder waren das Resultat von Kippenbergers Beschäftigung mit dem Ei, das er nach eigenem Bekunden zum Thema machte, weil die Banane ja schon von Warhol verwendet worden war. Auch die letzte Serie „Window Shopping bis 2 Uhr nachts“ von 1996 ist mit drei Arbeiten verteten. Es sind wohl eher Schaufensterpuppen, die er da gemalt hat, mit verschwimmenden Rümpfen, einmal auch mit vier Beinen, entfernt an Figuren Francis Bacons erinnernd. Auf den ersten Blick könnte man die Serien der letzten Jahre vergleichsweise glatt und gefällig finden; man könnte sie aber auch in Verbindung sehen mit Kippenbergers schwerer chronischer Erkrankung, als Befassung mit qualvoller Körperlichkeit und Vergehen.

Kippenberger arbeitete „mit großer Schnelligkeit, großem Antrieb und großer Empathie“, so Kuratorin Susanne Kleine. Er beherrschte „die Kunst des Weglassens“, „er vermeidet Wertungen in seiner Kunst, er demokratisiert“.

„Nieder mit der Inflation“ (aus der Serie „Die I.N.P.-Bilder“), 1984. Öl, Silikon auf Leinwand. Private Collection (Bild: Estate of Martin Kippenberger, Galerie Gisela Capitain, Cologne / Bundeskunsthalle)

Schrebergarten

Kippenberger thematisierte den Schrebergarten als Analogie zum eigenen und anderer Künstler Schaffen, das in dem Kommentar „Kunst ist Schrebergarten“ seines Mitstreiters Michael Krebber einen Ausdruck fand, er bastelte Zimmerkarussells und stopfte eine Galerie mit eigenen Arbeiten buchstäblich zu, um ein skulpturales Pendant zur notorischen „Petersburger Hängung“ zu schaffen, er malte absurde Richtungsschildchen für die Kasseler „Documenta“, er entwarf Aufkleber, die das berühmte „I Love New York“-Motiv variierten bis hin zu „I love Uhu und Pattex“, und so weiter, und so weiter. Es ist ein großes Verdienst der Bonner Ausstellung, die enorme Vielseitigkeit dieses Künstlers deutlich zu machen und eine Ahnung zu geben von der Komplexität seines Schaffens.

Ausstellungsansicht: „Spiderman im Atelier des Künstlers“ (Foto: Peter-Paul Weiler, 2019 © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH)

Die Wilden

In seinen multiplen Bezüglichkeiten war Kippenberger nahe an den Großen der Zunft, an Anselm Kiefer, Sigmar Polke, Jörg Immendorff. Ein Originalgemälde Gerhard Richters, der auch damals schon prominent und teuer war, verarbeitete er kurzerhand zu einer Tischplatte. Aber er war eben auch etwas jünger als die westlichen Malerfürsten, was manche Betrachter veranlaßte, Kippenberger den „jungen Wilden“ zuzuschlagen, die in den 80er-, 90er-Jahren von sich reden machten. Auch da paßte er nicht hin, wenngleich einige „Wilde“ zu seinen Freunden zählten.

Person des Künstlers bleibt rätselhaft

Nach Besichtigung der Ausstellung verschwimmt die Person Kippenberger immer noch hinter ihrem Werk. Im hoch assoziativen Geflecht aus alltäglicher Banalität und letzten Menschheitsthemen hat sie sich, unfreiwillig vielleicht, gut versteckt. Oder sollte ihr Versteck ein Gewebe sein? Auch das wäre – rein assoziativ natürlich – eine schöne Erklärung für den Spiderman im Künstleratelier.

  • „Martin Kippenberger – BITTESCHÖN DANKESCHÖN“
  • Bis 16. Februar 2020
  • Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland
  • Helmut Kohl-Allee 4, Bon
  • Di+Mi 10-21 Uhr, Do-So 10-19 Uhr, feiertags 10-19 Uhr
  • Eintritt 10.00 EUR
  • www.bundeskunsthalle.de
  • Sehr empfehlenswerter umfangreicher Katalog 49,00 EUR

Nachbemerkung:

Auch wenn er gewiß kein „typischer Dortmunder“ war, seine Heimatverbundenheit niemals an die, beispielsweise, Emil Schumachers heranreichte – die Hartleibigkeit, mit der Dortmunds fraglos berühmtester zeitgenössischer bildender Künstler in der Stadt nicht wahrgenommen wird, ist frappierend. Weil ein Stadtprobst Coersmeier vor neun Jahren die religiösen Gefühle seiner Mitmenschen durch Kippenbergers gekreuzigten Plastikfrosch verletzt sah und dies in einem Brandbrief der Bezirksvertretung West kundtat, ist kein Gäßchen, kein Plätzchen rund um das „U“ nach ihm benannt worden. Und nie gab es in dieser Stadt eine nennenswerte Ausstellung seiner Arbeiten. (Falls ich mit dieser Aussage falsch liegen sollte, bin ich für eine Richtigstellung dankbar.) Dafür aber Pink Floyd, mit einem finanziellen Verlust im zweistelligen Millionenbereich, was aber niemanden aufregt.

Ein anderer Dortmunder, dem Beachtung eher andernorts zuteil wird, ist Norbert Tadeusz (geb. 1940 in Dortmund, gestorben 2011 in Düsseldorf). Späte Großformate von ihm sind noch bis 2. Februar 2020 im Düsseldorfer Museum Kunstpalast zu besichtigen.




Eine Peter-Rühmkorf-Allee oder Kippenberger-Straße in Dortmund – warum eigentlich nicht?

Irgendwo da unten müssten doch ein paar passende Straßen zu finden sein. Hie und da entstehen ja auch Neubauviertel. (Foto von 2012, vom Florianturm herab: Bernd Berke)

Irgendwo da unten müssten doch ein paar passende Straßen zu finden sein. Hie und da entstehen ja auch Neubauviertel. (Foto von 2012, vom Florianturm herab: Bernd Berke)

Zuweilen hat man den Eindruck, dass zum Beispiel Dortmund einige seiner Straßen im Rahmen eines engeren Horizonts benannt hat. Jedenfalls sagen einem viele, viele Namen herzlich wenig – und oft genug fehlen erläuternde Hinweise auf den Schildern. Lokale und regionale Verdienste in allen Ehren. Doch manches mutet provinziell an.

Aber gibt es denn nichts Dringlicheres im Gemeinwesen? Sicherlich. Jedoch…

Wenn schon ortsbezogene Namen: Warum bringt es die Kommune dann nicht fertig, Straßen oder Plätze nach wirklich bedeutsamen Kulturschaffenden jüngerer Zeit zu benennen, die immerhin in Dortmund geboren wurden? Zwar sind sie nicht ihr Leben lang hier geblieben (was leider von mangelndem Kultur-Magnetismus des Ortes zeugt), doch siehe: Weder Karl Marx noch Rosa Luxemburg, weder Goethe noch Haydn oder Arndt haben hier je gelebt oder auch nur den Flecken besucht, sie sind nicht einmal gebürtige Dortmunder gewesen. Dennoch sind hiesige Straßen nach ihnen benannt, so wie vielerorts und allüberall.

Wen ich nun meine? Wen ich da vorschlagen möchte? Nun, da hätten wir beispielsweise Peter Rühmkorf (geboren am 25. Oktober 1929 in Dortmund), einen der wichtigsten Nachkriegsdichter deutscher Sprache überhaupt. Ginge es nach seiner Bedeutung, so müsste ihm eine Allee von gehöriger Breite gewidmet werden.

Gleich drei Namen von erheblicher Geltung drängen sich auf dem Gebiet der Bildenden Kunst auf: Bernhard Johannes Blume (geb. 8. September 1937), Norbert Tadeusz (geb. 19. Februar 1940) und nicht zuletzt Martin Kippenberger (geb. 25. Februar 1953); allesamt „Söhne der Stadt“, wie es ehedem so feierlich hieß, allesamt verstorben, was ja wohl eine Voraussetzung ist, um eine Straße nach jemandem zu benennen.

Auch der Dadaist Richard Huelsenbeck (Jahrgang 1892), der zwar nicht hier geboren wurde, aber in Dortmund (und Bochum) aufgewachsen ist und auf dem Dortmunder Südwestfriedhof begraben liegt, wäre ein gewichtiger „Anwärter“ auf einen Straßennamen in der Stadt – erst recht genau 100 Jahre nach Begründung der Dada-Bewegung.

Falls ich Künstler(innen) von vergleichbar hohem Rang vergessen haben sollte, bitte ich um ergänzende Mitteilung.

So. Und jetzt müsste man „nur noch“ ein paar Leute im kommunalpolitischen Raum überzeugen.

Bislang habe ich noch nichts von Bestrebungen gehört, einen der Genannten posthum zu ehren. Dabei liegt das Gute doch so nah. Man sollte die nächsten Gelegenheiten beherzt ergreifen. Es tut nicht weh und ist nicht allzu teuer. Aber bitte nicht irgend eine unwirtliche Sackgasse weit außerhalb…

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Es stand in den Revierpassagen

Über Peter Rühmkorf
Über Bernhard Johannes Blume
Über Norbert Tadeusz
Über Martin Kippenberger
Über Richard Huelsenbeck




Martin Kippenberger ist nicht tot: Premiere am Schauspiel Köln

Ein U-Bahnschacht auf einer griechischen Insel, der nicht zum Zug führt. Doch vielleicht ist der Metro-Bahnhof ja gar keine Attrappe, sondern symbolisiert die Idee eines weltumspannenden Streckennetzes? Ein Dorf braucht eine U-Bahn eigentlich auch viel nötiger als die Großstadt, wo ohnehin immer etwas los ist. Ist Köln ein Dorf? Weil alle sich kennen und dauernd übereinander reden? Und die Griechen möchten auch mal weg, eine U-Bahn-Fahrkarte können sie sich vielleicht noch leisten. Direkt am Dom steigen sie aus und kaufen Döner. „Du Assi, das heißt Gyros“, sagt der Türke.

Foto: Sandra Then/Schauspiel Köln

Foto: Sandra Then/Schauspiel Köln

Sieh da, es funktioniert. Der Künstler Martin Kippenberger inspiriert zur Imitation, zur Parodie und zu einem Diskurs über Kunst, der weniger Nonsens ist, als es scheint. In der Nachahmung Kippenbergers steckt immer auch ein wenig echter Kippenberger, wie schon der Katalog, also das Programmheft zum Stück „Kippenberger“ von Angela Richter zeigt, das jetzt am Schauspiel Köln Premiere hatte. Ein Readymade als Hommage an den in Dortmund geborenen Künstler, der mit 44 Jahren starb und zum Mythos wurde. Ein Frosch, über den sich der Papst ärgerte.

Leute aus der Kunstszene, die Kippenberger kannten, erzählen in einer Art Doku-Fiktion on stage, wie es so mit ihm war – und es war wild. Aber es war auch lustig, es war traurig, es war verrückt. Es war Punk und man war bei etwas Wichtigem dabei.

Große Leinwände rollen herum, darauf die Paris Bar, wo Kippenberger in Berlin logierte oder das Hotel Chelsea, wo man ihn in Köln traf. Die Schauspieler tragen 80er-Jahre-Klamotten und feiern mit entsprechendem Sound die große Kunstparty von damals nach. Das ist nicht nur witzig, sondern erweist sich als angemessene Methode, einen Künstler mitsamt Lebensgefühl zu begreifen. Oder anders ausgedrückt: Kippenbergers Geist war plötzlich da. Gerade weil die Weggefährten nicht nur ihre Bewunderung zelebrieren, sondern ebenso ihren Ärger und ihren Schmerz. „Er hat es immer geschafft, dass alle irgendwie für ihn arbeiteten“, sind solcherart Sätze oder: „Oh Gott, bloß nicht mit dem Kippenberger ein Projekt machen, der ist völlig unberechenbar, das wird Chaos.“

Es geht um sein Trinken, seine Liebe, sein Kind und es geht um seinen frühen Tod. Es geht um Maßlosigkeit und Genie und darum, wie der Künstler im sozialen Biotop Köln agiert und wahrgenommen wird. Es geht um die Spuren, die er mit, in und durch andere Menschen hinterlassen hat. Textquellen für die Theaterproduktion stammen aus Gesprächen u.a. mit Ben Becker, Diedrich Diederichsen, Inga Humpe, Walther König, Elfi Semotan oder Helge Malchow.

Die Schauspieler Yuri Englert, Marek Harloff, Melissa Logan, Judith Rosmair und Malte Sundermann genießen auf Basis dieses Textmaterials die Freiheit, je ihren eigenen Kippenberger zu zeigen – ob sie nun Lust haben, seine blöden Witze in Endlosschleife zu erzählen (Achtung: Auch das ein Zitat aus dem Künstlerleben) oder ein bisschen wie Michael Jackson zu tanzen.

Manchmal spielen sie auch einfach Kippenberger selbst. Aber möchten wir nicht alle ein bisschen Kippenberger sein? Komm los, sei kein Frosch.

Karten und Termine:

www.schauspielkoeln.de




Ein Sommer für Matisse: Nizza widmet dem Maler acht Ausstellungen

Fünf Spidermen fassen sich an den Händen und tanzen Ringelreihen. An wen erinnert bloß diese Tanzszene, die der in Dortmund geborene Künstler Martin Kippenberger so kühn aufs Papier gebannt hat? Genau: „La Danse“ von Henri Matisse ist das Vor-Bild für die ironische Collage und dass beide Künstler nun in einem Museum zusammentreffen, kein Zufall: Zum 50. Geburtstag des Musée Matisse zeigt Nizza unter dem Titel „Un été pour Matisse“ (Ein Sommer für Matisse) noch bis zum 23. September insgesamt acht Ausstellungen, die von dem berühmtesten Maler der Côte d’Azur inspiriert sind.

Musée Matisse, Nizza, Foto: E. Schmidt

Musée Matisse, Nizza, Foto: E. Schmidt

Von 1917 bis zu seinem Tode 1954 lebte und arbeitete Henri Matisse in Nizza, hier schuf er sein farbenfrohes, vom Licht der Küste durchdrungenes Oeuvre. Den Rundgang auf den Spuren des Malers beginnt man am Besten in der roten Villa auf dem Berg über Nizza im Stadtteil Cimiez, in der heute das Musée Matisse untergebracht ist. Hier widmet man sich zum Jubiläum dem Thema der Musik im Werk von Matisse, die ebenso wie der Tanz eine zentrale Rolle bei ihm spielte. Seine Bilder zeigen Instrumente und mehrfach Tochter und Sohn an Klavier und Geige. Ergänzt wird die Schau durch die dazu passenden historischen Instrumente. Im Untergeschoss lernt man die Vielseitigkeit des Meisters erst richtig kennen: Es finden sich Theaterkostüme und eine schwungvolle blaue Keramik, die Matisse zur Gestaltung eines Schwimmbads entworfen hat. Sein Enkel hat das gesamte Interieur kürzlich der Stadt Nizza geschenkt.

Das Sujet führt den Besucher ins nebenan gelegene Musée d’archéologie, einen kleinen modernen Zweckbau nahe der Ausgrabung einer römischen Therme. Als mondäner Badeort ging Nizza in die Tourismusgeschichte ein, hier widmet man sich dem Thema des Swimming-Pools in der Kunst und hat einige ganz hübsche Fotografien und Videos zusammengestellt, die einen ein wenig abkühlen. Doch es hilft alles nichts, wir müssen den Berg hinunter, ans blaue Meer. Die Straße führt vorbei am Hotel Regina, in dem Ende des 19. Jahrhunderts noch Queen Victoria mitsamt Hofstaat logierte. Später wurde das imposante Gebäude zum Grand Hotel, in dem Matisse von 1938 bis 1954 wohnte und sein Atelier hatte.

Palais Lascaris, Nizza, Foto: E. Schmidt

Palais Lascaris, Nizza, Foto: E. Schmidt

Unten, in der quirligen Altstadt, wird auf der Place Saint Francois gerade der Fischstand abgespritzt und die Fleischergesellen machen eine Zigarettenpause. Gleich um die Ecke liegt der Palais Lascaris, ein barocker Palazzo, der einen in schattiger Dunkelheit empfängt. Hier ist die Ausstellung „Matisse und die Jahre des Jazz“ untergebracht: Zwischen 1943 und 1949 schuf Matisse ein Künstlerbuch unter dem Titel „Jazz“: Sein schwebender Ikarus auf blauem Grund mit zackigen gelben Sternen ist weltweit bestimmt millionenmal nachgedruckt worden.

Wir wandern weiter in die gleißende Sonne entlang der berühmten Strandpromenade Boulevard d’Anglais zum Musée Masséna, das in einer herrschaftlichen Luxusvilla mit Meerblick residiert, die Victor Masséna d’Essling duc de Rivoli 1898 erbaute. Hier geht es um das Thema der Palme in der Kunst, ausgehend von Matisse, der den südlichen Sehnsuchtsbaum in verschiedensten Variationen immer wieder gemalt hat. Aber Picasso hat das auch nicht schlecht gemacht, wie man sieht.

Der Rückweg über die Rue de France verführt profanerweise zum Sandalenkauf mit viel zu hohen Absätzen, in denen ich die Stufen zum Musée d’Art Moderne et d’Art Contemporain (MAMAC) kaum mehr hochsteigen kann. Doch die Mühe lohnt, denn oben heißt es freundlich „Bonjour Monsieur Matisse“ und die Kuratoren haben eine beeindruckende Auswahl an moderner Kunst zusammengetragen, die den Einfluss des stilbildenden Meisters des 20. Jahrhunderts auf seine Nachfahren augenfällig werden lässt. Von Roy Lichtenstein über Jean-Michel Basquiat und Niki de Saint Phalle bis hin zu Martin Kippenberger ist einiges von Rang und Namen vertreten.

Aufmerksame Leser haben vielleicht mitgezählt: Wir haben nur fünf von acht Matisse-Ausstellungen geschafft. Leider mussten wir dann die schmerzenden Füße ins Meer hängen. Wer alle acht an einem Tag absolviert, soll sich bitte bei mir melden, aber ich brauche Beweise. Der Flug Düsseldorf-Nizza dauert nur anderthalb Stunden.

Infos: matisse2013.nice.fr




Die Kunst, die Putzfrau und Kippenbergers Kichern

Lasset uns offen und ehrlich sein: Im Kunst-Diskurs der Republik spielt Dortmund keine tragende Rolle. Jetzt aber berichten die Medien landauf, landab über einen musealen Vorfall, der einem elend bekannt vorkommt. Ja, es scheint sich hierbei um eine der regelmäßig wiederkehrenden urban legends zu handeln, wie sie immer mal wieder – in leicht variierten Formen – durch die Presse geistern.

Machen wir’s kurz, aber nicht schmerzlos: Eine Putzfrau hat ein teures Kunstwerk (Versicherungswert etwa 800 000 Euro) reinigen wollen und dabei offenbar irreversibel beschädigt. Leider geschehen im Dortmunder „U“, wo auch das Ostwall-Museum untergekommen ist.

Diesmal hat es mit dem in Dortmund geborenen Martin Kippenberger (1953-1997) einen Künstler getroffen, der selbst virtuos und artistisch auf dem Grat wanderte, ja tänzelte, welcher Kunst von Nicht-Kunst scheidet – oder eben auch nicht…

Die 1987 entstandene, jetzt gleichsam blitzblank weggeputzte Dauerleihgabe trägt den womöglich ironisch funkelnden Titel „Wenn’s anfängt durch die Decke zu tropfen“, zudem prangen sinnigerweise die Worte „Abstrus“, „Genugtuung“ und „Wiedergutmachung“ auf der Arbeit. Materiell sieht das Ganze so aus: Unter einem hohen Holzgestell steht ein Plastiktrog, dessen Kalkfleck nun verschwunden ist, was die Wahrnehmung natürlich wesentlich verändert. Eine Restauratorin hat bereits wissen lassen, das Werk sei nicht mehr im ursprünglichen Sinne wiederherstellbar. Auf die Reinigungsfirma bzw. deren Versicherung könnte einiges zukommen.

So weit, so glücklos.

Jetzt aber setzt wieder der altbekannte Mechanismus ein. Die überwiegend kunstferne Volksseele hegt nicht nur insgeheim Sympathien mit dem robusten Tun der Putzfrau. Wie, so fragt der immer noch existierende Gesamt-Spießer, soll man denn auch die neuere Kunst vom Unrat unterscheiden. Womit wir bereits bei ganz gefährlichen Positionen angelangt wären, die leicht Anschluss an extreme Umtriebe finden könnten. Beziehungsweise umgekehrt. Demagogen dürften hier einen bestens gedüngten Nährboden vorfinden.

Auch in der gewohnt launigen, heftigst augenzwinkernden Berichterstattung steht man in der Gefahr, niedere Instinkte und Vorurteile zu bedienen. „Ist das Kunst oder kann das weg?“ lautet in solchen Fällen einer der dümmlichen, aber noch harmloseren Standardsätze, die sogleich einrasten. Die stetige Unsicherheit, wie Kunst überhaupt noch zu fassen sei, ist das weit offene Tor, durch das diese Ressentiments Einlass finden.

Da kichert wohlfeil die Nation, da kräht der Stammtisch. Wie einst, als Joseph Beuys‘ Fettecke ein vergleichbares Schicksal zuteil wurde.

Nun gut. Kippenberger hätte über die Angelegenheit wahrscheinlich gefeixt. Die immerzu schwankenden Wertzuweisungen in Sachen Kunst waren gerade ihm bewusst. Just damit hat er ja gespielt wie sonst nur wenige.

Bei uns daheim: Fettecke "für aufs Brot". Und wehe, die macht jemand weg... (Foto: Bernd Berke)

Bei uns daheim: Fettecke "für aufs Brot". Und wehe, die macht jemand weg... (Foto: Bernd Berke)




Frechheit siegt im Kunstbetrieb – Sonderfall der Szene: der gebürtige Dortmunder Martin Kippenberger

Von Bernd Berke

Düsseldorf. Mit dem üblichen Werkbegriff kann man an einen wie Martin Kippenberger (1953-1997) nicht herangehen. Der Kerl nahm’s und gab’s, wie es kam. Häufig zog er auch andere in seinem Namen zur Kunst heran. Er schlug dann die Motive vor und ließ von fremder Hand fertigen. Eine Serie heißt denn auch „Lieber Maler, male mir…“

Der gebürtige Dortmunder brachte seit den späten 70er Jahren sozusagen drastischen „Punk“ in Galerien und Museen. Immer gleich drauf und dran, erfrischend direkt, zuweilen dilettantisch, um keinen Kalauer verlegen. Er führte ein rastloses, verzehrendes Leben, als hätte er geahnt, dass er früh sterben würde. Heute gilt er als typische Leitfigur des damaligen Zeitgeistes – wie gewisse Rockstars.

Jetzt würdigt ihn das Düsseldorfer K 21 (Kunstsammlung NRW, Haus fürs 21. Jahrhundert) mit einer letztlich doch als „Werkschau“ gedachten Auswahl, die in Kooperation mit Tate Modern (London) entstanden ist.

Eine ausufernde Installation füllt weite Teile des Erdgeschosses: „The Happy End of Franz Kafkas .Amerika'“ (1994). Dazu muss man wissen: Kafka entwarf am Schluss seines Amerika-Romans („Der Verschollene“) die Utopie eines allumfassenden Bewerbungsgesprächs mit massenhafter Einstellungsgarantie. Fiebriger Traum für Zeiten der Arbeitslosigkeit…

In jedem Moment könnte alles passieren

Davon inspiriert, bespielte Kippenberger ein grünes Feld, das (nicht nur in diesen WM-Tagen) an einen Fußballplatz erinnert. Darauf befinden sich, jeweils mit Stühlen und Tischen gebaut, vielfach variierte Situations-Vorgaben für Gespräche. Allein das Formenvokabular der Sitzmöbel reicht vom Kinderstühlchen bis zum Jagd-Hochsitz, vom Cocktailsessel bis zum erhöhten Ausguck des Tennis-Schiedsrichters. Im Detail sind es lauter festgelegte Hierarchien, in der überwältigenden Summe aber leuchtet eine Offenheit, in der wahrhaftig alles simultan möglich zu sein scheint. Es ist ohnehin ein Kennzeichen dieses windungsreichen Kunst-Kosmos‘: In jedem Moment könnte alles passieren. „Geht nicht“ gibt’s nicht.

Im Untergeschoss sieht man einen Querschnitt durch Kippenbergers Schaffen. Mehrfach tauchen Skulpturen auf, die dem Betrachter gekränkt den Rücken zuwenden. Tîtel jeweils: „Martin, ab in die Ecke und schäm Dich.“ So lachlustig ging Martin Kippenberger mit Kunstkritik um. Und überhaupt mit dem ganzen neunmalklugen Betrieb, der ihn dann hofierte. Oh, närrischer Überdruss, oh, siegesgewisse Frechheit!

Ein hellwacher Ideenschöpfer, oft aus Launen heraus

Ob wilde, munter beschriftete Collagen oder zerstörte Bilder, deren Fetzen er in einen Container packte – vieles wirkt so, als wäre bald Schluss mit aller Kunst. Jedoch: So sehen Neuanfänge aus! Joseph Beuys‘ Sinnsprüchlein, jeder Mensch sei ein Künstler, hat Kippenberger flugs umgedreht: „Jeder Künstler ist ein Mensch.“ Just an solchen Grenzlinien zum Alltagsleben wollte er Freiräume ausloten. Kein Material, das er nicht verwendet und kommentiert hätte. Nichts und niemand war vor ihm sicher.

Ein großer Maler oder Zeichner ist Kippenberger nicht gewesen, gewiss aber ein hellwacher Ideenschöpfer, oft aus Augenblickslaunen heraus. Eine Ausstellung kann allerdings nur Spurenelemente dieses regen, wüsten, spontanen Geistes und seiner Eingebungen konservieren. Der Selbstdarsteller, der recht unverfroren zur Sache ging, ist leider nur noch in Filmen präsent, die hier in Endlosschleifen laufen. Seine Bilder wirken hingegen wie Relikte (oder je nach Lesart: Reliquien) eines Verschwundenen.

Kunstsammlung NRW „K 21 „. Düsseldorf (Ständehausstr. 1). Bis 10. September. Di-Fr 10-18, Sa/So 11-18 Uhr. Eintritt 6,50 Euro.

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ZUR PERSON

Zoff in Schule und Lehrzeit

  • 1953 wurde Martin Kippenberger in Dortmund geboren. Sein Vater war Zechendirektor, die Mutter Hautärztin.
  • 1956 zieht die Familie nach Essen, es folgen Schuljahre im Schwarzwald. Martin schwänzt den Zeichenunterricht, weil der Lehrer ihm nur eine „zwei“ gegeben hat.
  • 1968: Nach dreimaliger Wiederholung der Untertertia: Abbruch der schulischen Laufbahn.
  • 1968/69 Dekorateurslehre bei einem Bekleidungshaus. Küdigung wegen Drogenkonsums.
  • 1971 Umzug nach Hamburg, diverse WGs.
  • 1977 Erste Einzelschau in einer Hamburger Galerie – Beginn einer unverhofft steilen Kunst-Karriere.