Ein Kerl, zerklüftet wie eine Fjordküste – Frank-Patrick Steckels strenge Inszenierung von Ibsens Rarität „Brand“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. „Alles oder nichts!“ Unerbittlicher Leitsatz von Henrik Ibsens Dramenheld „Brand“. Halbheiten duldet er nicht. Lauheiten verzeiht er nicht. Ein strenger Patron. Hausherr Frank-Patrick Steckel hat ihn auf die Bochumer Bühne gestellt. War auch er wieder streng mit dem Publikum?

Steckel stemmt erneut einen dramatischen Monolithen. Eine einzige deutsche Inszenierung (1974 in Heidelberg) hat das 1865 von Ibsen in Italien verfaßte „dramatische Gedicht“ in den letzten vierzig Jahren erlebt. Ibsen wollte von Süden aus den Norwegern die Leviten lesen. Und auch Steckel nimmt die Zuschauer in die Zucht, man amüsiert sich bei ihm nicht zu Tode. Weit über vier Stunden hat man auszuharren. Der Brocken steht erratisch in der Landschaft. Das ist eine Qual, aber auch eine widerständige Qualität.

Dieser Pfarrer und seltsame Prediger ist jedem Kompromiß abhold. Er opfert sie samt und sonders hin, die nicht ihren ganzen Besitz und notfalls ihr Leben für seine hochfahrende Gottmenschen-Idee hingeben wollen: seinen Jugendfreund Ejnar, seine Mutter, sein Kind, seine Frau, seine Kirche.

Derlei fürchterliche Unbeirrbarkeit steigert zwar das Drama, läßt aber keine Entwicklung zu. Die Musik (Elena Chernin), schier unaufhörlicher Sirenensang, deutet es an: Es geht immer in eine Richtung – von Anfang an schnurstracks auf vermeintliche Gipfel der Utopie, in Wahrheit aber auf den Abgrund zu. Da kichert der Troll. Ibsen selbst hat dramatische Knoten später ungleich wirksamer geschürzt.

Vier Darsteller verkörpern die Titelfigur

Die Übermenschen-Last wird in Bochum auf vier Schultern verteilt. Nacheinander spielen Stephan Ullrich, Ulrich Wiggers, Jochen Tovote und Oliver Nägele den stets pechschwarz gekleideten Brand. Die Abfolge hat weniger mit dem Alterungsprozeß als damit zu tun, daß die Figur zerklüftet ist wie eine Fjordküste. An den Schnittstellen, beim Darstellerwechsel, tritt Brand gleichsam neben sich selbst. Ein undeutlicher, charakterlich schillernder Kerl, seiner Willensmacht zum Trotz.

Die Inszenierung schält splittrige Widersprüche heraus: Mal ist Brand ein eisig-einsamer Gottsucher, dann ein von allen guten Geistern verlassener Sekten-Guru. Da verdammt er mannhaft den landläufigen Durchschnitt; doch schnell erschrickt man darüber, in welch totalitäres Gebaren diese Überhebung führt. Gegen Schluß kehrt Brand gar den Sozialrevolutionär hervor.

„Als ob’s das Reich der Freiheit wär’…“

Gespielt wird die Übersetzung von Christian Morgenstern. Mit seinen Reimen haben die Darsteller zu kämpfen. Zuweilen wirkt diese Sprache heute komisch, sie klappert und knittelt vor sich hin. Man hätte eine Menge streichen können. Etliches wiederholt sich, nur leicht variiert. Freilich gibt es auch Stellen, an denen man aufhorcht: „Als ob’s das Reich der Freiheit wär‘ / Lief das Volk des Herrn in Horden / Der Wohlstandslüge hinterher.“ Hat da gerade jemand „Ostdeutschland“ gesagt?

Doch gottlob haben die Bochumer das Stück nicht mit Gewalt in die Gegenwart gezerrt. Sie behandeln es sorgsam, als legten sie eine Fundstätte frei. Zudem dürfen wir uns an einem grandiosen Bühnenbild (Andrea Schmidt-Futterer) sattsehen, einer ins Un- endliche weisenden Eiswüste, dann und wann verdüstert und verengt. Und nicht zuletzt: Die Darsteller, nehmt alles nur in allem, sind auf der Höhe. Neben dem Brand-Quartett besonders zu nennen: Martina Krauel als Brands somnambule Frau Agnes.

Brand hätte das Ganze nicht gefallen, denn es ist halt weder alles noch nichts. Aber es ist durchaus etwas!




Totentanz und Trauermarsch – Horváths „Glaube Liebe Hoffnung“ in Bochum

Von Bernd Berke

Rostrote Häuserwände, Fenster wie Totenaugen; darüber ein fahlgelber Himmelsausriß. Die freudlose Gasse (Bühnenbild: Susanne Raschig) ist in Bochum Schauplatz von Ödön von Horváths Totentanz „Glaube Liebe Hoffnung“.

Zu Chopins Trauermarsch zieht eine aus, die Hoffnung zu verlernen: Elisabeth (Martina Krauel) betritt die Bühne voller Zuversicht, mit „Kopfhoch-Mentalität“. Doch sofort bricht sie zusammen. Ein stummer Prolog, der ihr Schicksal vorzeichnet.

Von bedrohlicher Unwirklichkeit die nächste Szene: Dem anatomischen Institut will Elisabeth ihre Leiche im voraus vermachen – und sofort 150 Mark kassieren. Im Elend der Wirtschaftskrise (das Stück wurde 1932 geschrieben) ist Elisabeth auf einen Wandergewerbeschein angewiesen. Aber die Gebühr dafür bekäme sie nur durch Arbeit, die dieser Schein ja erst ermöglichen soll – Teufelskreis der Gesetze, in dem sie schuldlos schuldig wird.

Elisabeth kaspert anfangs herum, Clownin mit aufgeschminktem Optimismus, ihr blaues Käppi leuchtet Hoffnung. Doch dann beginnt ihr Leidensweg durch eine fühllose Macht- und Männerwelt, die Horváths Dementi zum Trotz, viele satirisch-überspitzte Seiten hat.

Diesmal keine durchweg düstere Veranstaltung in Bochum: Benjamin Korns Regie kostet komische Momente aus, treibt manche Szenen gar zur Klamotten-Turbulenz voran, als sei’s ein Stück von Sean O’Casey. Da bleibt das Lachen oft nicht, wie jene abgenutzte Formel lautet, „im Halse stecken“.

Doch schon die Schweigepausen des Stücks reißen abgrundtiefe Gräben zwischen den Personen auf. Und fast überfallartig, also desto stärker, wirken dann die tragischen Szenen. In schmerzhafter Wortlosigkeit hat die Inszenierung, hat auch die Hauptdarstellerin der Elisabeth ihre allerstärksten Momente: Wie Martina Krauel, als alle Hoffnung geschwunden ist, in ein stummes Lachen ausbricht – das ist greifbar der grelle Wahn, Vorbote ihres Selbstmords. Dichte Studie der Verzweiflung auch, wenn sie im unsichtbaren Kerker der Verhältnisse (zwischen Männern auf der Polizeiwache) als Gefangene taumelt.

Keine „Ausfälle“ im Ensemble, ganz im Gegenteil: Nicole Heesters z. B., als geldgierige Geschäftsfrau Irene Prantl – sie „hat es“ (und uns) sofort, als müsse sie sich ihre Wirkung gar nicht erst erspielen, als wirke sie durch bloße Präsenz. Bemerkenswert auch Peter Roggisch als Präparator. Prasselnden Beifall gab’s (auch für die Regie), für Martina Krauel verdiente Bravos.