Pikante Pirouetten, Pandas und Teufelsbrigaden – Ruhrtriennale präsentiert ein schräges Security-Ballett in Gladbeck

Szene aus „No President..." (Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker / Ruhrtriennale)

Szene aus „No President…“ (Foto: Heinrich Brinkmöller-Becker / Ruhrtriennale)

Es kommt nicht häufig vor, dass Off-off-Theaterproduktion bei großen Festivals gezeigt werden. Die RuhrTriennale präsentiert jetzt das Natural Theatre of Oklahoma, bekannt für seine diversen theatralen Ausflüge in neue Welten und verstörende Ideen.

Die Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck („in the middle of nowhere“) bietet der amerikanischen Compagnie, die hier in Europa hin und wieder auf großen Festivals zu sehen war, Gelegenheit, eine Erzählung mit Balletteusen in Turnhosen, Tutus und anderen komischen Kostümierungen zu zeigen.

140 Minuten konfrontieren sie uns mit einer abstrusen Geschichte (Titel: „No President. A story ballet of enlightenment in two immoral acts“) um einen Sicherheitsservice, der sich aus ehemaligen Schauspielern und Tänzern zusammensetzt, um einen Vorhang zu bewachen.

Die Übertitelung in Deutsch ist hilfreich, denn es geht schnell und turbulent zu. Slapstick und Stummfilm-Anmutungen, manchmal ironisch angelehnt an zeitgenössischen Tanz, begleitet von der Nussknacker-Musik, bebildern den Text des Sprechers, der einen unglaublichen Job macht.

Im Nebel der Ungewissheit

Auf der Suche nach aktuellen Bezügen zum Weltgeschehen, habe ich nach einger Zeit aufgegeben, zu wild und schräg sind die Ideen, die hier inszeniert wurden. Das Ensemble besteht aus amerikanischen Performern und Mitgliedern des Düsseldorfer Schauspielhauses, das diese Produktion koproduziert hat. Es geht u.a. um das „gefährliche Lebensmittel“ Cheeto, eine Art Chipssorte, um russo-chinesiche Oligarchen, um Prä-Aufführungsrituale, um flüchtige, desorientierte Pandas, Ballettbanditen, pikante Pirouetten, private Teufelsbrigaden, Masturbationszubehör.

„Das Regieren ist eine Form der darstellenden Kunst“, heißt es einmal. Es geht um Macht, Liebe und Wahnsinn. Schön und lustig; dennoch fehlt hier der Moment des Innehaltens. Wenn am Ende doch die Vorhänge – es sind drei – aufgehen, dann bewegen sich die beiden Hauptakteure, Georgie und Mikey, im Nebel der Ungewissheit. So geht es auch mir. Es bleibt ein Eindruck von Tohuwabohu.

Weitere Aufführung am 20. September. Nähere Infos hier




Ruhrtriennale: Letzte Abenteuer auf dem Schlachtfeld des Theaters

Foto: Jörg Bauman

Foto: Jörg Bauman

Menschen lieben Geschichten, und wo ihnen keine angeboten wird, basteln sie sich aus dem, was sie wissen, selbst eine zurecht. Insofern ist jedes Stück postdramatisches Theater, das rein mit Stimmungen, Motiven und Versatzstücken arbeitet, eine Herausforderung für den Wahrnehmungsapparat.

Der Zuschauer muss akzeptieren, dass er höchstens das Thema zu fassen bekommt – und die ewige Suche nach dem Sinn aufgeben. Die britische Künstlergruppe Forced Entertainment unter der Leitung des Regisseurs Tim Etchells hat dieses Prinzip perfektioniert. In der weiten, offenen Maschinenhalle Zweckel in Gladbeck zeigte sie für die Ruhrtriennale „The Last Adventures“, letzte Abenteuer.

Die Produktion ist eher Performance denn Schauspiel. Sie hat eine Choreografie, aber – für „Forced Entertainment“ durchaus untypisch – fast keinen Text. Sie hat keine Rollen, dafür aber Kostüme und Ton. Ebenso wichtig wie das Spiel der Darsteller, wenn nicht sogar tonangebend, ist die Sound-Collage, die der libanesische Klangkünstler Tarek Atoui mit einem selbst entwickelten Instrument live auf der Bühne erzeugt.

Zu Beginn erklären die 16 Darsteller einander die Naturgesetze und versichern sich im Chor der Welt: „Sterne können nicht vom Himmel genommen werden“, rufen sie aus einem Mund, „Zeit kann man nicht sparen. Ein Gewehr kann nicht denken. Was wir tun, ergibt keinen Sinn.“

Zuletzt sind die Worte kaum mehr zu hören – das Soundgewitter setzt ein, ab jetzt übernehmen Bild und Klang die Regie. Ein Darsteller nach dem anderen verlässt den Chor, nimmt einen Baum aus unbemaltem Sperrholz  und schiebt ihn von rechts nach links über die Bühne. Wer nun an das Motiv des wandernden Waldes bei Macbeth denkt, liegt vielleicht richtig – vielleicht auch nicht. Es ist das erklärte Prinzip von „Forced Entertainment“, Zuschauererwartungen zu unterlaufen. Immer wenn man glaubt, einen erzählerischen Faden gefunden zu haben, wird er durchtrennt.

Aus dem Wald wird ein Schlachtfeld. Mit Kochtopf-Helmen und Besen-Säbeln inszeniert die Gruppe das Gemetzel eines vielleicht napoleonischen Krieges: Man sieht Leiber zucken, Soldaten robben, töten und marschieren, Verletzte werden abtransportiert, weiße Fahnen geschwungen. Eine lineare Handlung ergibt sich jedoch nicht, der Fokus liegt auf den Trash-Effekten, die die Darsteller verstörenderweise mit großer Ernsthaftigkeit produzieren: Rote Bänder simulieren spritzendes Blut und herausquellende Gedärme, die Toten tragen Skelett-Kostüme.

Foto: Jörg Bauman

Foto: Jörg Bauman

Später betritt ein von drei Darstellern geführter Lindwurm die Szenerie, es folgen Roboter in Alufolien-Kartons, Feen in Gardinenstoffen und Könige mit Papp-Krone. Ein Mann mit Axt verfolgt einen Baum, dann verfolgt der Baum die Axt. Wir sind tief in der Fantasy-Welt, die Naturgesetze gelten nicht länger, und die Maschinenhalle wird zur Bühne für ein Genre-Mashup aus Theater- und Film-Effekten.

Documenta-Teilnehmer Tarek Atoui steht derweil hinter seinem Sound-Pult und bietet fast eine One-Man-Show: Seine Hände fahren durch die Luft, beschreiben Kreise und Gesten und produzieren dadurch auf seinem Instrument elektronisch verzerrte, fragmentarische, collagierte Klanggebilde.

Der Abend ist eine Total-Überforderung – für die Augen, die Ohren, die Sinne. Die durchaus vorhandenen komischen Momente retten den Zuschauer nicht über den Abend. Denn letztlich gibt es kein Motiv, das hängenbleibt – weder textlich noch bildlich oder akustisch. Die Sinnsuche aufzugeben, das fällt einfach schwer. Der Applaus blieb verhalten, vereinzelt waren Buh-Rufe zu hören.




Die Stille vor der Zukunft – Zehn NRW-Künstler beleben die riesige Gladbecker Maschinenhalle Zweckel

Von Bernd Berke

Gladbeck. Filzpantoffeln über die Straßenschuhe streifen und ehrfürchtig über kostbares Parkett wandeln – so kennt man’s von Besichtigungen alter Schlösser. Warum aber sollte man sich in einem verwitterten Industriebau des Ruhrgebiets so verhalten?

Vielleicht, weil ein Künstler es vorschlägt. Werner Haypeter aus Bonn hat 200 Quadratmeter des rissigen Kachelbodens in der (1908 erbauten) früheren Gladbecker Maschinenhalle Zweckel mit einer wächsernen, transparenten Schicht überzogen. Damit diese nicht zerkratzt, soll man in Pantoffeln hinüber gleiten, bis man merkt: Das sonst so unscheinbare Relikt der Zechen-Ära schimmert samtartig durch und strahlt nun etwas Würdevolles aus, es wird zum quasi-archäologischen Zeugnis einer verfallenden Kultur.

Zehn Künstler aus NRW haben eigens für die riesige leere Halle neue Arbeiten geschaffen. „Here we go“ heißt die höchst inspirierte Unternehmung, also etwa „Auf geht’s!“, aber auch: „Hierhin gehen wir“. Flankiert von der renommierten Ausstellungs-Kuratorin Katja Blomberg, haben die Künstler dem Raum subtile Reflexionen über Region und Welt, Absterben und Neuanfänge einbeschrieben.

Die Ausstellung ist gleichsam ein meditatives Gegenstück zur derzeitigen Dortmunder Medienkunst-Schau „Vision Ruhr“ (Zeche Zollern II/IV), die ja auch ehemalige Industriegebäude mit Vexierbildern der Vergangenheit und Zukunft belebt. In Dortmund packen sie’s eher spielerisch und doch seriös an, in Gladbeck geht es klösterlich still und doch aufregend zu. Viele Wege führen zum Ziel.

Gladbecker Beispiele: Wolfgang Nestlers Leuchtkästen reagieren empfindlich auf einen am Dach installierten Windmesser, das Licht zeigt Regungen der Luft an. Eine Technik, die sich der Natur anschmiegt. Auch Mathias Lanfer gibt der Technik eine neue, sozusagen sanftere Richtung, indem er Drahtgebilde aus der Autoproduktion zu pflanzlich wirkenden Gebilden umwandelt.

Die regionalen Zeitungen (u. a. zahllose Exemplare der Westfälischen Rundschau) türmt Thomas Klegin aus Schwerte zu über zwei Meter hohen Wänden eines Labyrinths auf. Im Zentrum stehen ein karger Tisch und zwei Stühle. Hier drinnen ist man ganz und gar umgeben von gedruckten Informationen. Imposant wirkt das – freilich auch lastend. Das Papier verschafft sich einen machtvollen Auftritt, als wolle es dem Internet noch einmal zeigen, wer der wirkliche Herr der Zeilen ist.

Mutierte Köpfe und ein weißer Andachtsraum

Die Maschinenhalle Zweckel, einst Energiezentrale der Zeche, darf als „Kathedrale“ des Industriezeitalters gelten. Einige Künstler greifen die weihevolle Stimmung auf. Paul Schwer hat Glasplatten mit einer Mixtur aus Buttermilch und Pigmenten bemalt, sie wirken wie filigrane Kirchenfenster.

Innig und andächtig auch dies: Die gebürtige Essenerin Doris Halfmann, Tochter einer Bergarbeiterfamilie, lässt von der Decke unaufhörlich Wasser in ein kohlrabenschwarzes Becken tropfen. Irgendwann wird das Bassin so voll sein, dass die darin stehenden Kerzen verlöschen. Eine kontemplative Installation, die unversehens Gedanken an Vergänglichkeit und Tod weckt.

Angstvoll auch dieser Ausblick in die Zukunft: Thomas Bernstein (Düsseldorf) formt grotesk-gruselige Silikon-Köpfe, die er den Maschinen-Resten in der Halle aufpflanzt. Die Häupter sehen aus wie die von genetisch mutierten (Un-)Wesen. Was kommt da auf uns zu?

Leise und feierlich hingegen der Schluss: Andreas Bee stellt einen vollkommen weißen Iglu aus Chinapapier auf, den man betreten kann. Im Inneren erhebt sich eine gleichfalls schneeweiße Schale. Es ist ein Raum der Besinnung, offenbar unberührt vom stetigen Wandel der Zeiten.

„Here we go“. Maschinenhalle Zweckel, Gladbeck (Frentroper Straße). Eröffnung So., 28. Mai, 12 Uhr. Bis 20. August. Tägl. außer Mo 12-19 Uhr. Eintritt 5 DM. Katalog (inklusive Eintritt) 30 DM.