Eingemauert und bereit zum Sprung – Cappenberg zeigt kritische DDR-Kunst

Von Bernd Berke

Selm/Cappenberg. Der Streit um die DDR-Kunst schwelt noch immer: Erst kürzlich gab es in Nürnberg Ärger wegen einer vom Künstler Willi Sitte erzürnt abgesagten Werkschau. An das Debakel von Weimar, wo NS- und DDR-Kunst gleichermaßen summarisch „erledigt“ wurden, erinnert man sich mit Schaudern. Im Cappenberger Schloss jedoch widerfährt den Malern aus dem verflossenen Staatsgebilde jetzt Gerechtigkeit.

Mit 110 Exponaten von 55 Künstlern versammelt die herausragende Schau, die nur in Cappenberg Station macht, vor allem kritische Impulse aus den letzten Jahren der DDR. Und der Drang zur Verneinung geht fast durchweg mit hoher Qualität einher.

Der Titel „Kassandrarufe und Schwanengesänge“ markiert die Richtung. Wie einst die antike Sagengestalt Kassandra, so mahnten die Maler. Und ihre Klagen glichen jener des mythischen Schwanes, der sterbend zu singen anhebt.

Bekannte Namen: Wolfgang Mattheuer, Werner Tübke, Hartwig Ebersbach, Willi Sitte, Volker Stelzmann – um nur einige zu nennen. Fast alle Arbeiten wurden schon im SED-Staat ausgestellt. Das Regime war in den 80er Jahren wohl schon zu kraftlos, um Widerspenstigkeit in den Künsten noch durch Bann zu brechen. Zudem war Duldung schlauer.

Als widerständig konnten (im Umfeld des unsäglichen „Sozialistischen Realismus“) bereits gewisse ästhetische Positionen gelten. Eberhard Goschel, der Dresdner Schule delikater Feinmalerei entstammend, zelebriert mit „Figur in der Landschaft“ eine fürs kollektive Denken unerträgliche Einsamkeit und begibt sich noch dazu auf den missliebigen Weg der Abstraktion.

Eine Abteilung ist Bildern gewidmet, die das Gefühl des Eingemauert-Seins bis zur kafkaesken Unerträglichkeit steigern. Grandioses Beispiel ist Mattheuers „Allein“ (1970): eine verzweifelte Figur, von einer Mauer weit überragt; droben lastet ein grauer Himmel, dessen Farbton in vielen Motiven bedrückend wiederkehrt. So beherrscht fahle Tristesse etwa Wolfgang Peukers Angstbild „Pariser Platz“ (1989).

Auf Joachim Völkners „Der Vorhof“ (1984) erscheint die Umgebung gar als Nachbarbezirk der Hölle. Kein Inferno ohne Konsumterror oder zumindest die Sehnsucht danach: Sighard Gilles „Autofahrer“ wirken, obwohl in Trabis gepfercht, wie westliche Dekadenzler. Auch Umweltvergiftung wurde gebrandmarkt: Die Leuna-Werke erscheinen 1979 bei Dieter Weidenbach im bedrohlichen Muster von Arnold Böcklins „Toteninsel“, in Jürgen Schäfers „Lebenslauf“ (1985) gleicht sich der menschliche Körper zusehends den Betonbauten an.

Das alles wollte man hinter sich lassen: Mattheuers „Prometheus“ (1982) reißt die Tür auf und springt – in die Freiheit oder in die große Leere?

Bis 17. Juni, Schloss Cappenberg (Selm). Di-So 10-17.30 Uhr. Eintritt frei. Katalog 50 DM




Die breite Straße des Realismus – Querschnitt durch die DDR-Kunst in Bonn

Von Bernd Berke

Bonn. Der DDR-Maler Bernhard Heisig stand gestern im Mittelpunkt des Interesses, als in der NRW-Landesvertretung an der Bonner Dahlmannstraße die Ausstellung „Menschenbilder – Kunst aus der DDR“ (bis 16. Januar ’87 in Bonn) vorgestellt wurde, die heute von Ministerpräsident Johannes Rau eröffnet wird.

Heisig hat Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt auf dessen Wunsch für die „Kanzlergalerie“ im Bundeskanzleramt porträtiert. Ein Schmidt-Porträt ist nun Blickfang der Ausstellung, ein weiteres wurde gestern im Kanzleramt übergeben. Es ist das künstlerisch höchstrangige offizielle Kanzlerporträt, vergleichbar allenfalls mit Oskar Kokoschkas Adenauer-Bildnis, das freilich seinerzeit keinen amtlichen Beifall fand.

Heisig hat sich nicht vom Klischee des „Machers“ Schmidt blenden lassen, er hat den Menschen hinter dem Image gesucht, und dieser Mensch strahlt vor allem wache Nachdenklichkeit aus. Beschaulich kann es aber bei den Porträt-Sitzungen nicht zugegangen sein. Heisig zur WR: „Schmidt steckte voller Ungeduld und bewegte sich dauernd. Ich mußte sein Gesicht auswendig lernen“. Ob er auch Helmut Kohl, einen (höchst unwahrscheinlichen) Auftrag vorausgesetzt, malen würde? Heisig: „Das ist keine Frage politischer Sympathien. Es gibt Gesichter, die macht man, und es gibt Gesiebter, die macht man nicht.“

Es war sicher kein Zufall, daß Schmidt einen renommierten DDR-Künstler beauftragte. Die Ausstellung „Menschenbilder“, ein Querschnitt durch vier Jahrzehnte DDR-Kunst, macht nämlich deutlich, daß im zweiten deutschen Staat die realistische und also auch die Bildnis-Tradition nie abgerissen sind. Das „Menschenbild“ war immer gegenwärtig. Von plattem sozialistischem Realismus kann aber längst nicht mehr die Rede sein, der „Bitterfelder Weg“ (Einschwörung der Kunst auf den Sozialismus im Jahr 1959) ist zur breiten Straße geworden. In der DDR haben sich ganz unterschiedliche Realismen entfaltet, auch solche, die Brüche, Risse und Krisenphänomene darstellen.

Günther Einert, NRW-Mînister für Bundesangelegenheiten und Hausherr der Landesvertretung, wies stolz auf die museumsreife Qualität der (von DDR-Seite nicht behinderten) Auswahl hin. Die Ausstellung umfaßt weit über 100 Werke von 14 DDR-Künstlern. Die Crème der DDR-Kunst ist vertreten, neben Heisig u. a. Wolfgang Mattheuer, Arno Rink, Willi Sitte und (der 1906 in Arnsberg geborene) Fritz Cremer, der das Mahnmal für das KZ Buchenwald schuf.

Der Ausstellungsort Bonn signalisiert politische Bedeutung (Stichwort: Kulturabkommen). Diesen Aspekt betonte gestern der stellvertretende Kulturminister der DDR, Dietmar Keller, der die Brücke vom Realismus in der Kunst zum Realismus zum Realismus in den politischen Beziehungen schlug. Ab 8. Februar 1987 kommt die Ausstellung ins Westfälische Landesmuseum in Münster.