Ein Dreckskerl von heute – Karin Beier verquickt Shakespeares „Richard III.“ mit den New Yorker Anschlägen

Von Bernd Berke

Bochum. Das „Friedens-Trallala“ im „Wackelstaat“ ist Richard III. ein Graus. Auch für die Freuden der Liebe fühlt sich der bucklig-schiefe Mann nicht geschaffen. Da beschließt er eben, „ein Dreckskerl“ zu werden.

Regisseurin Karin Beier stellt Shakespeares monströse Figur in ein Plastik-Pop-Ambiente wie aus den 60er Jahren (Bühne: Florian Etti). Große bunte Zielscheiben markieren in Bochum die prekäre Schwebelage zwischen Show und Gewalt. Natürlich neigt sich die Wippe zum Verderben. Doch Richard (Armin Rohde) schlendert zunächst so lässig wie ein Tramp durch seine Schule des Bösen, in die er uns mit diabolischem Charme einführt.

Die Friedensschlüsse zwischen den Häusern Lancaster und York werden hier als faule Kompromisse dargestellt, die Machtkämpfe gehen weiter – und der Skrupelloseste ist just dieser Richard. Er lässt die halbe Verwandtschaft ausrotten – und alle, die ihm sonst im Wege stehen. Ein paar Herren (aalglatt: Matthias Leja als Buckingham) helfen ihm beim Mordhandwerk, die seelischen Kosten tragen vor allem die Frauen (schmerzensreich: Johanna Gastdorf als Königin Elizabeth).

Nur ein Katalysator der üblen Verhältnisse

Zwischendurch tobt sich eine besinnungslose Spaßgesellschaft in Tänzen und Slapstick aus. Dass hier ein Blitz dreinfahren möge, kann man Richard fast nachfühlen. Er bringt ja, so legt uns Karin Beier nahe, letztlich nur ein verderbtes Gesindel auf seinen nackten Begriff und ist lediglich ein Katalysator der eh schon herrschenden Verhältnisse. Richard muss sich nicht einmal selbst mit Blut beflecken, sondern kann auf willfährige Handlanger zählen.

Im Arena-ähnlichen Bühnenviereck flimmern acht Bildschirme, meist sieht man die grünlich flackernden CNN-Bilder vom US-Angriff auf Afghanistan. Damit beginnt ein Elend dieser Inszenierung. Karin Beier aktualisiert auf Teufel komm ‚raus. Ein Mordanschlag auf das Haus York wird mit einem Verlautbarungs-Mix aus Redefetzen à la Bush, Blair und Schröder beantwortet. Schwacher Trost: Osama bin Laden hat keinen Auftritt, und Milzbrand-Briefe kommen auch nicht vor…

Offenbar sollen alle Beileids-Bekundungen als Heuchelei entlarvt werden. Sogar beim Gedenk-Vaterunser schnarchen sie alle. Schöne Christenmenschen, ha! Keine Spur von Spiritualität. Offenbar Grund genug, dass man das Kreuz-Symbol bei Richards königlicher Machtergreifung mit „Heil“-Rufen der Masse verknüpft, die den Diktator als Erlöser feiert.

Das Handy zirpt wie bei Joschka Fischer

Überdies schwafelt man von Teppichmessern, und auch das Schlagwort von der „uneingeschränkten Solidarität“ bleibt nicht aus. Zudem zirpt einmal ein Handy in der Hosentasche – wie neulich bei Joschka Fischer, als er neben dem Kanzler stand. Karin Beier hat eben viel ferngesehen in den letzten Wochen. Statt Dringlichkeit aus dem Text zu schöpfen, pfropft sie Tages-Details auf. Oh, wie billig.

Was aus der Sache hätte werden können, ahnt man nach der Pause. Richards Machtrausch läuft sich leer, die Königskrone ist nur noch Tand. Er brütet in gottserbärmlicher Einsamkeit. Hier hat Armin Rohde große Momente. Und endlich verspürt man das Gefühl, eine Shakespeare-Tragödie zu sehen.

Als Richard alle Untaten gesteht, gibt es kein Echo mehr. Niemand hört zu. Ihm bleibt nur das Fernsehen, das von anrückenden Feindestruppen berichtet. Das medial vermittelte Übel ist dauerhaft in der Welt. Gespenstisch.

Im Premierenpublikum gab’s ein heftiges Gewoge von Bravos und Buhs.

Termine: 27., 28. Okt, 1., 3., 23, 24. Nov. Karten: 0234/ 3333-111.




Wie das Theater das Leben abgrast – Pirandellos „Sechs Personen suchen einen Autor“ in Bochum

Von Bernd Berke

Bochum. Wundersamer Raum: Eine Treppe führt bis in die tiefste Bühnentiefe. Und nicht nur der eine übliche rote Vorhang öffnet sich zum Zuschauerraum hin, sondern es wallen drei weitere: vorn, in der Mitte und ganz hinten. In Dimiter Gotscheffs Bochumer Inszenierung ist dies der sinnfällige Illusions-Ort für Luigi Pirandellos Stück „Sechs Personen suchen einen Autor“; ein Ort, der den irritierend vielen Ebenen des Textes ideal entspricht.

Das 1921 entstandene Stück, von heute aus betrachtet gleichsam ein Leitfossil avantgardistischer Dramatik, stellt die Mittel des Theaters infrage, allerdings nicht trocken theoretisch, sondern eben durchaus „theatralisch“ und handlungssatt.

Besagte sechs Personen (Vater. Mutter, Stieftochter und drei weitere Kinder) platzen aus dem vermeintlich „realen“ Leben, das ja vom schmerzlich vermissten Autor erfunden wurde, mitten in eine Theaterprobe hinein. Der Vater (Heiner Stadelmann) verlangt, dass sich ihrer aller Schicksal (der böse Bann eines inzestuösen Familien-Skandals) auf der Bühne verwirklichen und klärend vollziehen soll.

Der Regisseur und die Schauspieler schwanken zwischen Hohn und Verwirrung. Dann aber versuchen sie, das Leben nachzuahmen – ein unmögliches Unterfangen, wie sich zeigt. Am Ende weiß man, wie zeichen- und skizzenhaft Theater die Realität notgedrungen abbildet. Doch auch dem sogenannten wirklichen Leben und seinen Maskierungen traut man nicht mehr so recht. Ist denn alles nur Trug?

Bemerkenswertes Gefühl für den Raum

Diese Schauspieler-Schar ist aber auch gar verkünstelt, verzärtelt, überaus geziert und lebensfern ins eigene Metier eingesponnen. Wie wollen sie das Leben begreifen? Lächerlich eifrig sind sie ihrem Regisseur (vom „Betrieb“ genervt: Matthias Leja) allzeit zu Diensten. Wie groteske Figurinen stolzieren und staksen sie einher. Obgleich grundsätzlich von Ernst getragen, hat die Aufführung nicht nur hier ihre komischen Momente.

Im eingangs erwähnten Bühnenbild von Achim Römer entwickelt die Inszenierung zudem ein bemerkenswert differenziertes Raum-Gefühl. Bestimmt kann Dimiter Gotscheff für jede Sequenz, ja für jede jede Sekunde schlüssig begründen, warum die Figuren-Gruppen so und nicht anders stehen, warum sie sich hier miteinander mischen, dort aber auf Distanz zueinander gehen. Schon dies, für sich genommen, ist ein ästhetischer Genuss. Und man erlebt eine durchweg lobenswerte Ensemble-Leistung, aus der – mit ihrer unerhörten Präsenz – allenfalls Henriette Thieme als Mutter noch ein Stückchen heraus ragt.

Ein Kitzel in der Magengrube

Ein Abend, der zum Nachdenken übers Theater zwingt: Er handelt davon, wie die Bühne das Leben aussaugt oder sozusagen restlos abgrast; wie sie das Chaos der oft schmutzigen Realität in ach so reine Kunstanstrengung überführt, ja, wie sie sich am Leiden weidet. „Großartig“, ruft der sonst so übersättigte Regisseur immer dann ganz verzückt, wenn besonders bühnenträchtig gelitten wird. Was zählt da noch die Wahrheit, wenn man den grellen Effekt haben kann?

In einer grandiosen Szene holt Gotscheff das Chaos des ungestalteten Lebens auf die Bühne. Tatsächlich: Plötzlich gerät die ganze Szenerie gleichsam ins Rutschen und stürzt in eine kakophon untermalte, allgemeine Verwirrung hinein. Der Zusammenprall von Kunst und Leben erzeugt einen irren, ratlosen Taumel. Diese Idee überzeugt ebenso wie die fragilen, geradezu gläsernen Momente der Inszenierung, in denen man all die Untiefen zwischen Sein und Schein als Kitzel in der Magengrube zu spüren meint.

Termine: 15. April, 8., 9., 17. bis 21. Mai tägl. Karten: 0234/ 3333-111.