Gebrauche Deine Zeit: Zum 80. Geburtstag von Wolf Biermann

Es ist ein seltsames Phänomen um Wolf Biermann, der ein glühender Liebhaber des Kommunismus war und doch mit ungehorsamen Liedern die DDR in Aufruhr versetzte.

Wolf Biermann am 16. November 2008 beim Hamburger Festival "Lauter Lyrik" (Foto: © Marco Maas / fotografirma.de - Quelle: https://www.flickr.com/photos/qnibert/3035298792/) - Link zur Lizenz von Creative Commons: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Wolf Biermann am 16. November 2008 beim Hamburger Festival „Lauter Lyrik“ (Foto: © Marco Maas / fotografirma.de – Quelle: https://www.flickr.com/photos/qnibert/3035298792/) – Link zur Lizenz von Creative Commons: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/

Wenn man von ihm spricht, diesem schnauzbärtigen Helden deutsch-deutscher Kultur, da erhebt sich schnell ein Missmut: „Den mag ich nicht. Der ist so selbstgerecht, so eitel!“ Ja, Leute, der Biermann ist nicht berühmt für seine Bescheidenheit. Er weiß um seine Bedeutung. Aber, mit Verlaub, das darf er auch. Denn er hat mit Poesie und Pathos am Rad der deutschen Geschichte gedreht.

Von seinem Leben, das am 15. November 1936 in einer Hamburger Arbeiterfamilie begann, erzählt er uns zum 80. Geburtstag selbst. 544 Seiten lang ist Biermanns Autobiografie mit dem Titel eines Liedes: „Warte nicht auf bessre Zeiten“. 200 Tagebücher und Stapel von Stasi-Akten wurden da verarbeitet – von einem, der nur in Liebesdingen locker lässt. Viel Zorn steckt darin. Aber auch viel Zärtlichkeit, nicht nur für seine Frauen und insgesamt zehn Kinder. Am Ende wird keine fiese Abrechnung aus dem Buch, sondern ein Stück süffiger Literatur mit geschichtlich-politischem Mehrwert. Der Meister der lyrisch-prägnanten Kurzform – „Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit …“ – bleibt seiner Sprache auch auf der Langstrecke treu.

„Weggerissen wurde der Vater mir, als ich vier Monate alt war …“ Dagobert Biermann, Werftarbeiter jüdischer Herkunft, Kommunist und aktives Mitglied einer Widerstandsgruppe, wird 1937, kurz nach der Geburt seines Sohnes, zum zweiten Mal von den Nazis verhaftet. Er stirbt, nach qualvollen Jahren, im Februar 1943 in Auschwitz. Sein letzter Brief – „Warte nur, Wölflein, wenn ich wieder komme, dann bauen wir uns ein großes Schiff …“ prägt Biermanns Kinderseele bis ins hohe Alter. Im Juli 1943 überlebt der Kleine an der Hand seiner Mutter Emma die Zerstörung Hamburgs durch Fliegerbomben – den „Feuersturm“. Er sieht verbrannte und erstickte Menschen, registriert entsetzliche Details. Doch er weint nicht: „Der Schrecken war zu übermächtig.“

Vielleicht hat das große Trauma den erwachsenen Biermann unempfindlich gemacht gegen die kleinlichen Schikanen des SED-Regimes. Er ist in den Ostapparat hinein geraten, weil seine Mutter Emma Biermann, mutig-naive Witwe des Widerstandshelden Dagobert und überzeugt vom Segen des Kommunismus, ihr Bübchen zu den Jungen Pionieren und schließlich in die junge DDR schickt, den Hoffnungsstaat der westdeutschen Genossen.

Ab 1953 geht Wolf Biermann auf ein Mecklenburger Internat und fühlt sich am rechten linken Platz. Als Student und Regieassistent des Berliner Ensembles ist er Ende der 1950er-Jahre intellektuell ganz vorn dabei. 1961 begrüßt er sogar den Mauerbau als Reaktion auf die massenhafte Westflucht der Eliten. Und er bekennt heute: „Ich habe an diesem 13. August die verfluchte Mauer mitgebaut“.

Hinter der schützenden Grenze entwickelt sich der junge Biermann, gefördert vom Brecht-Komponisten Hanns Eisler, zum Liedermacher mit Gitarre. Er tritt auf als „Troubadour de Berlin“, beachtet auch von der Linken im Westen. Für den Osten ist sein Ton nicht unverfänglich genug. Er verärgert die „Alten Genossen“ mit Versen über seine Unzufriedenheit. Schon bald gibt es Auftrittsverbote wegen „Klassenverrat“ und Obszönität“.

Wolf Biermann beim Konzert in Leipzig am 1. Dezember 1989 (Foto: © Waltraud Grubitzsch geb. Raphael - Bundesarchiv Bild Nr. 183-1989-1201-046) - Link zur Lizenz von Creative Commons: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Wolf Biermann beim Konzert in Leipzig am 1. Dezember 1989 (Foto: © Waltraud Grubitzsch geb. Raphael – Bundesarchiv Bild Nr. 183-1989-1201-046) – Link zur Lizenz von Creative Commons: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en

Mitte der 1960er-Jahre gehört Biermann zu den Geistern des Widerstands, ununterbrochen bespitzelt. „Die Stasi ist mein Eckermann“, so kommentiert Biermann bissig die eifrigen Mitschriften der Lauscher. Die westliche Studentenbewegung liebt ihn und seinen eingängigen Song von der „Ermutigung“ (1966): „Du, lass dich nicht verbrauchen, gebrauche deine Zeit …“. Sie liebt auch sein wehmütiges Barlach-Lied: „Vom Himmel auf die Erden falln sich die Engel tot …“. Die Langspielplatte „Chausseestraße 131“, zu Hause aufgenommen mit einem von Mutter Biermann geschmuggelten Mikrofon, wird 1969 hüben verkauft und mit dem Fontane-Preis ausgezeichnet. Sie bringt dem Regime und dem Barden erstaunliche Devisen.

Biermann hat sich recht kuschelig eingerichtet im Gesinnungsgefängnis DDR, wo er Beachtung findet an der Seite des Chemikers und Dissidenten Robert Havemann, dessen Tochter Brigitt zu seinen zahlreichen Amouren gehört. Er inszeniert sich poetisch als preußischen Ikarus, „mit grauen Flügeln aus Eisenguss“. Wegen seines westlichen Ruhms wagen die Behörden nicht, Biermann einzusperren, sie lassen ihn 1976 sogar auf Westtournee gehen (siehe Video am Schluss des Beitrags), und er wäre wohl artig zurückkommen, wenn man ihn nicht nach seinem triumphalen Konzert in Köln ausgebürgert hätte. Aus Protest verlassen etliche Kunstgenossen, darunter auch die Filmstars Manfred Krug und Eva-Maria Hagen, die DDR. Das System erzittert nachhaltig. 13 Jahre später wird die Mauer fallen.

Der Vertriebene selbst verliert in der Freiheit seinen Status. Die Fans reagieren gelangweilt auf klassenkämpferische Parolen und belehrende Konzerte. Sie sind genervt von den Streitigkeiten, die er vom Zaun bricht. Biermann zieht sich zurück nach Frankreich, in den „Bernstein der Balladen“ und in den Kreis seiner wachsenden Familie.

Der schönen Pamela, Mutter der letzten drei Kinder, ist er immerhin seit 1983 verbunden. Er ist weich geworden. Geehrt mit Preisen im Namen deutscher Dichter von Hölderlin bis Heine, kommt der alte Wolf Biermann zu ziemlich liberalen Einsichten. Er lobt die bürgerliche Demokratie als „das am wenigsten Unmenschliche, was wir Menschen als Gesellschaftsmodell bisher erfunden und ausprobiert haben“. Ist doch wahr. Drum: „Lass dich nicht erschrecken in dieser Schreckenszeit!“

Wolf Biermann: „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ Die Autobiografie. Propyläen Verlag. 544 Seiten. 28 Euro.

Wolf Biermann: „Im Bernstein der Balladen – Lieder und Gedichte“. Propyläen. 240 Seiten. 24 Euro.

„Warte nicht auf bessre Zeiten“ – Wolf Biermann 1976 beim legendären Auftritt in der Kölner Sporthalle:




Ein freundlicher Riese – Christos gigantischer „Mauerbau“ aus 13000 farbigen Ölfässern im Gasometer Oberhausen

Von Bernd Berke

Oberhausen. Dieser Christo schafft es einfach immer wieder: Anfangs, wenn man nur von den Projekten des Verhüllungskünstlers und seiner Gefährtin Jeanne-Claude hört, schüttelt man vielleicht noch den Kopf. Doch das ist bloßer Phantasiemangel. Man muß stets nur eine Weile abwarten. Und jetzt muß man’s nicht mehr: Das Ereignis ist da!

Sobald Christos Ideen verwirklicht sind, ist man überwältigt. So war’s 1995 beim verhüllten Reichstag, so ist es nun im Oberhausener Gasometer, wo Christo 13 000 bunte Ölfässer zur Riesenmauer („The Wall“) geschichtet hat. Christo und seine Gefährtin Jeanne-Claude kehren die üblichen Verhältnisse um: Die bloße Vorstellung klingt prosaisch, die reale Umsetzung erweist sich hingegen als poetisch…

Kein besserer Ort ließe sich für diese Installation finden als just der Gasometer. Sieht man die gigantisch aufgetürmte Ölfässer-Wand vor sich, so wird einem auch die ungeheure Ausdehnung des Industriedenkmals erst so recht bewußt. „The Wall“ füllt die gesamten 68 Meter Durchmesser des Gasometers aus und ragt 26 Meter auf; haushoch zwar, aber in den Dimensionen des 110 Meter hohen Gasometers fast bescheiden. Steht man ganz nah davor, so kann einem freilich ein wenig bange werden. Doch keine Angst: Das Wunderwerk wird von einer massiven Stütz-Konstruktion ehern gehalten.

Niemals an eine Verhüllung gedacht

Obwohl für den Faßanstrich handelsübliche Industriefarben verwendet wurden, ist die Leucht-Wirkung phänomenal, vor allem im Kontrast zum Grau-in-Grau der stählernen Industrie-Kathedrale. Koloriert wurden die Fässer, die später wieder in den Wirtschafts-Kreislauf zurückwandern, nach einem ausgeklügelten System: Rund 45 Prozent der Behälter gleißen hellgelb, 30 Prozent schimmern rötlich, der Rest weist blaue, graue, grasgrüne und weißliche Tönungen auf. Viele, viele bunte Kreise? Nein: Mehr Farbe, als das Auge trinken kann.

Projektleiter Wolfgang Volz, der den dreimonatigen Aufbau des „freundlichen Riesen“ für Christo überwachte, ist mit täglich 15 bis 20 Kräften ausgekommen – eine feine Organisationsleistung. Volz gestern zur WR: „Pannen hat es überhaupt nicht gegeben. Im Gegenteil: Es ging schon fast zu glatt.“

Christo und Jeanne-Claude sonnen sich derweil im Scheinwerferlicht etlicher Fernsehteams und im Blitzlicht zahlloser Pressefotografen. Auf die Frage, ob sie je an eine Verhüllung der Fässer gedacht hätten, reagieren sie allergisch. Ihre letzte Verhüllungs-Idee stamme von 1975. Jeanne-Claude: „Wir sind keine Verhüllungskünstler.“ Christo nickt. Weitere Frage: Ob wir bei „The Wall“ auch an die Berliner Mauer denken sollten? Jeanne-Claude schelmisch: „Es gibt auch eine chinesische Mauer…“

Nun denn. Jetzt nichts wie hin nach Oberhausen: Nachzählen, ob es wirklich genau 13 000 Fässer sind.

Christo & Jeanne-Claude: „The Wall“ (und Doku-Ausstellung zu früheren Christo-Projekten). Gasometer Oberhausen (A 42, Abfahrt OB-Zentrum). Bis 3. Oktober, täglich 10-20 Uhr. Eintritt 10 DM, Familienkarte 20 DM. (Infos: 0208/80 37 45).