„Nicht dich habe ich verloren, sondern die Welt“ – Ingeborg Bachmann und Max Frisch, der Briefwechsel

Bis zum Sommer 1958 sind sich Ingeborg Bachmann und Max Frisch nie begegnet. Plötzlich schreibt Frisch der jungen Autorin, die mit ihren Gedichten für Furore gesorgt und in die von Männern dominierte Nachkriegsliteratur die starke Stimme einer auf Emanzipation bestehenden modernen Frau eingefügt hat, einen Brief.

Er ist von einem ihrer neuen Hörspiele so begeistert, dass er ihr schreibt, wie gut es sei, „wie wichtig, dass die andere Seite, die Frau, sich ausdrückt“. Gönnerhaft fügt er hinzu: „Wir brauchen die Darstellung des Mannes durch die Frau, die Selbstdarstellung der Frau.“

Ingeborg Bachmann, die gerade dabei ist, sich aus der unglücklichen Liebe zu Paul Celan zu befreien, lässt sich vom leicht herablassenden Ton Frischs nicht beirren, fühlt sich geschmeichelt: „Verehrter, lieber Max Frisch“, antwortet sie, „Ihr Brief ist mir schon vieles gewesen in dieser Zeit, die schönste Überraschung, ein beklemmender Zuspruch und zuletzt noch Trost nach den kargen Kritiken, die dieses Stück bekommen hat.“ Die Antwort (vom 9. Juni 1958) ist Auftakt zur Jahrhundertliebe eines der berühmtesten Paare der deutschsprachigen Literatur.

Die Liebe beginnt förmlich, nimmt aber schnell leidenschaftliche Fahrt auf und findet schließlich nach wenigen Jahren ein ziemlich unrühmliches Ende: Frisch und Bachmann werden sich nicht nur um die Möbel in ihrer gemeinsamen römischen Wohnung streiten, sondern auch über die Deutungshoheit ihrer Liebe: Frisch wird seine Geliebte in „Mein Name sei Gantenbein“ als kapriziöse Diva porträtieren, Bachmann wird in ihrem Roman „Malina“ ihren Geliebten zum Urbild männlicher Überheblichkeit und Gewalt verzerren.

Viel ist darüber spekuliert worden, was die beiden Liebenden vereinte und warum ihre Leidenschaft so gnadenlos unter die Räder des Alltags kam. Genauere Auskünfte erhoffte man sich von den rund 300 Briefen, die in den Archiven lagerten und eigentlich niemals hätten publiziert werden dürfen. Zwar hatte Frisch in seinem letzten Testament verfügt, dass seine privaten Dokumente 20 Jahre nach seinem Ableben veröffentlicht werden können (also ab 2011). Doch Bachmann hatte es kategorisch abgelehnt, ihre Liebe dem Voyeurismus des Publikums auszuliefern. „Ich will alle meine Briefe zurückhaben“, schrieb sie. „Es ist selbstverständlich, dass ich nichts aufbewahren werde.“ Weil Frisch sich weigerte („Deine Briefe gehören mir, so wie meine Briefe dir gehören“), bat sie, die Briefe zu verbrennen, „damit niemand ein Schauspiel hat eines Tages, denn wir wissen ja nicht, wie lange wir im Besitz von Dingen bleiben, die Dich und mich allein etwas angehen.“

Dass der lückenhafte, oft von Phasen des Schweigens begleitete Briefwechsel der Vernichtung entging und jetzt das Licht der Öffentlichkeit erblickt, ist den Erben Bachmanns zu verdanken. Sie haben recht gehandelt. Denn die Briefschaft legt Zeugnis davon ab, wie sich Leben in Literatur verwandelt, Bewunderung in Rivalität umschlägt, aus reiner Liebe quälende Eifersucht wird, Verlustängste und Fluchtimpulse das Miteinander vergiften.

Kaum haben sich die beiden endlich in Paris getroffen und das erste Mal miteinander geschlafen, notiert Frisch: „Ich bin nicht verliebt, Ingeborg, aber erfüllt von Dir, Du bist ein Meertier, das nur im Wasser seine Farben zeigt, Du bist schön, wenn mann Dich liebt, und ich liebe Dich. Das weiss ich – alles andere ist ungewiss.“ Die zu Undine stilisierte Bachmann seufzt: „Ich will Liebe, eine Unmasse Liebe, sonst kann ich nicht mit Dir leben, sonst bin ich lieber allein.“

Die beiden notorischen Einzelgänger, die von einer Liebesaffäre in die nächste taumeln und schwanken zwischen dem Wunsch nach einem gemeinsamen Heim und der absoluten Freiheit des kreativen Geistes, können im Alltag nicht mit, aber auch nicht ohne einander sein. Gemeinsam in einer Wohnung zu arbeiten, ist ihnen ein Graus. Nach vier Jahren trennen sich (1963) ihre Wege, der 51-jährige Frisch verliebt sich in die 23-jährige Studentin Marianne Oellers und mit reist ihr nach New York, um die Premiere eines seiner Stücke zu sehen.

Bachmann bleibt allein und krank zurück, muss sich in einem Zürcher Krankenhaus die Gebärmutter entfernen lassen: „Ich habe kein Geschlecht mehr, keines mehr, man hat es mir herausgerissen.“ Frisch ist betroffen, bittet um Verzeihung: „Wir haben es nicht gut gemacht“, resümiert er. „Es ist mir das Herz gebrochen“, antwortet sie, unversöhnlich und untröstlich.

Nach einigen Jahren des Schweigens meldet sich Frisch noch einmal bei Bachmann, bittet sie für eine Anthologie um Zusendung einiger Gedichte. Sie schickt ihm fünf Texte, darunter „Eine Art Verlust“, das mit den Worten schließt: „Nicht dich habe ich verloren, / sondern die Welt.“ Die Briefe, versehen mit klugen Kommentaren und seltenen Fotos, sind ein poetisches und erschütterndes Literatur-Dokument. Das Werk der beiden, deren Beziehung ein Verhängnis war, muss man fortan mit anderen Augen betrachten.

Ingeborg Bachmann / Max Frisch: „Wir haben es nicht gut gemacht.“ Der Briefwechsel. Hrsg. von Hans Höller u. a., Piper & Suhrkamp Verlag, 2022, 1040 S., 40 Euro.




Boulevard am Abgrund: „Biedermann und die Brandstifter“ zeigen in Bochum freundliche Gesichter

Die Kulisse lässt an anspruchsloses Tourneetheater denken, eine Art Wohnzimmerwand mit Türen darin, Sofa, Tisch, Sessel. Und wenn sich Herr Biedermann bei der Zeitungslektüre über die Brandstifter aufregt, die in der Stadt ihr Unwesen treiben, dann wirkt das immer noch wie Boulevardkomödie.

Herr Biedermann (Martin Horn, Mitte) mit dem Ringer Schmitz (Jürgen Hartmann, li.) und dem Kellner Eisenring (Matthias Eberle, re.). (Foto: © Thomas Aurin / Schauspielhaus Bochum)

Herr Biedermann (Martin Horn, Mitte) mit dem Ringer Schmitz (Jürgen Hartmann, li.) und dem Kellner Eisenring (Matthias Eberle, re.). (Foto: © Thomas Aurin / Schauspielhaus Bochum)

Doch spätestens mit dem Auftreten des dreiköpfigen Chores kommt Hintersinn ins Spiel. Regisseur Hasko Weber inszeniert auf der großen Bühne des Bochumer Schauspielhauses Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“, und dies ist angeblich eben keine Komödie, sondern, in den Worten des Dichters, „ein Lehrstück ohne Lehre“.

Zudem war dieses Lehrstück eins der erfolgreichsten Stücke der Nachkriegszeit. 1958 in Zürich uraufgeführt, erlebte es in der Folge über 250 deutschsprachige Inszenierungen. Damals, 13 Jahre nach Ende des Krieges, muss es genau den richtigen Ton getroffen haben, der trotz humoristischer Elemente fraglos ein hoch moralischer war.

Damals standen Verbrecher in Uniform im Mittelpunkt der Kritik, denen, kleiner Scherz gegen Ende des Frisch-Textes, die Qualen der Hölle erlassen werden, wenn sie ihre Verbrechen in Uniform begangen haben. Doch reicht dieses Stück mit seinen absurden inhaltlichen Elementen weit über die Begrenztheit einer Moralpredigt hinaus, ist ganz im Gegenteil ein schonungsloses Ausloten menschlichen Verhaltens in diffus bedrohlicher Situation und damit hoch aktuell.

Des Hausherrn rätselhafte Motive

Ob das Stück auf der Bühne funktioniert, hängt natürlich maßgeblich an der Interpretation des Biedermanns, der nahezu unspielbar ist. Ein aufrechter Bürger soll er sein, der völlig zu Recht die Unfähigkeit der Behörden beklagt, ein brutaler Chef aber auch, der seinen Mitarbeiter Knechtling in den Selbstmord getrieben hat und dessen Witwe die Hilfe verweigert; einer, der sich bei „armen Leuten“, eben den Brandstiftern, anbiedert und von deren Brandstiftungsabsicht selbst dann noch nichts wissen will, wenn diese auf dem Dachboden letzte Vorbereitungen für das große Zündeln treffen. Sie haben ja nicht mal Streichhölzer dabei, wie könnte Gefahr von ihnen ausgehen?

Martin Horn gibt diesen Herrn Biedermann nach anfänglicher Ambivalenz bald schon sorglos und entspannt. Die Motive seiner ungebetenen Gäste verleugnet er hartnäckig, und die Frage, warum er das tut, hätte durchaus etwas mehr Beachtung innerhalb dieser Inszenierung verdient. Ist es Naivität, Verleugnung aus schlechtem Gewissen, opportunistische Anbiederei?

Die Stadt in Flammen

Stattdessen nimmt das Bühnengeschehen seinen boulevardesken Fortgang. Anna, das Dienstmädchen (Kristina Peters) fällt wiederholt gekonnt in Bühnenohnmacht und muss dann wieder aufgerichtet werden, durchaus erheiternd gerät die stilgerechte Inszenierung eines „proletarischen“ Gänsebratenessens durch den absichtsvoll leger gekleideten Hausherren.

Bis zur Pause geht das so, auch die Gespräche zwischen bunten Benzinfässern auf dem Dachboden sind getragen von Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Nur die hübsche projizierte Stadtkulisse im Hintergrund (Bühne und Kostüme: Thilo Reuther) scheint irgendwann Feuer gefangen zu haben.

Nach der Pause denn also, nachdem die Stadt in Schutt und Asche liegt, treffen wir Herrn Biedermann und seine Frau Babette (Veronika Nickl) in der Hölle wieder, wo eine veritable Riesenflamme aus dem Boden schießt und ab und zu grelles Scheinwerferlicht die Zuschauer blendet. Im Hintergrund verbrennen Höllenmitarbeiter in einem Feuerkorb Blatt für Blatt den Grundrechteteil des Grundgesetzes, jeden Paragraph zitierend und mit Nummer 1 („Die Würde des Menschen ist unantastbar“) endend – ein ärgerlicher interpretatorischer Eingriff, der der breiten Gültigkeit des Stücks nicht gerecht wird. Kurz darauf ist das Spiel dann zu Ende, und auf die Pause hätte man gut verzichten können.

Der Chor kann nichts machen

In lebhafter Erinnerung bleiben Jürgen Hartmann und Matthias Eberle als die Brandstifter Schmitz und Eisenring, beide eher bedrohlich als bedürftig, trotz der rührenden Geschichten, die sie aus ihrem harten Leben erzählen.

Daniel Stock, Klaus Weiss und Luana Velis bilden den Chor nach dem Vorbild der klassischen griechischen Tragödie. Sie sind Beobachter des Geschehens, paraphrasieren und kommentieren es in gemessenen Versen. Und würde man sie rufen, dann würden sie auch helfen. Doch zunächst ist es an den Menschen selbst, zu handeln. Auch das „Lehrstück ohne Lehre“ kommt ohne Lehre nicht aus.

Herzlicher Applaus für die aufgeräumt aufspielende Darstellerriege.

  • www.schauspielhausbochum.de
  • Termine: 26., 28. Januar, 2., 7., 15., 25. Februar 2017,
  • 19.30 Uhr, Schauspielhaus
  • Karten Tel.  0234 3333 5555

 




Briefwechsel Bachmann/Celan: Dunkle Leidensgründe

Ich habe eine bedrückende Lektüre hinter mir, die dennoch (oder: gerade deswegen) einen eigenartigen Sog ausübt und mich weiter beschäftigen wird. Der demnächst neu erscheinende Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan ist nichts anderes als qualvoll – und doch nachdrücklich empfehlenswert.

Wie die beiden doch so Sprachmächtigen einander mit ausgesuchtesten, abgewogensten Worten umschlichen haben! Sie konnten (wenigstens brieflich) offenbar nie rundheraus sagen, worum es ihnen wirklich ging. Noch prekärer wurde die Situation dadurch, dass Celan in Paris Frau und Kind hatte. Und ab 1958 lebte Ingeborg Bachmann mit Max Frisch in allzeit problematischer Beziehung. Lauter Störgeräusche.

Zwischen den beiden Briefschreibern türmte sich Rücksichtnahme auf tausenderlei Empfindlichkeiten auf. Das heißt: Vor allem die Bachmann fühlte sich hier in der Bringschuld – vielleicht damals (die Briefe stammen wesentlich aus den Jahren 1948 bis 1961) eine typische Frauenhaltung.

Doch Celan war, aus dunkelsten Leidensgründen, wohl einer, dem auf Erden nicht mehr zu helfen war; auch nicht durch die allergrößte Einfühlung, die man Ingeborg Bachmann wohl attestieren darf. Diese vergebliche Liebesmühe hält man auch als Leser nur dosiert aus.

Vielleicht hätte das eine ganz große Liebe werden können. Doch die höchst unterschiedliche Herkunft, die abgründig verschiedenen Erfahrungen haben es verhindert. Sie war die Tochter eines österreichischen NSDAP-Mitglieds, er ein lange Zeit staatenloser Jude deutscher Sprache aus Czernowitz. Es war und blieb eine Liebe im Schatten von Auschwitz.

Veritable Besprechungen des Buches sollen bis zum 18. August zurückgehalten werden. So bittet der Suhrkamp-Verlag, der den Briefwechsel dann unter dem Titel „Herzzeit“ herausbringt. Deshalb lasse ich’s hiermit gut sein. Aber es liegt mir am Herzen und auf der Seele.

Links zu Leben und Werk der beiden Autoren:

http://www.ingeborg-bachmann-forum.de/
http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Celan




„Homo faber“ als Film – Postkarten-Idylle, jäh vergiftet

Von Bernd Berke

Max Frischs Roman „Homo faber“ (1957) handelt von einem Ingenieur, der fest an den Segen der Technik glaubt. Über deren angeblich verläßliche Rationalität hinaus sucht dieser Walter Faber nichts – keine Kunst, keine Mythen, keine Träume.

Doch dann packt ihn das Schicksal: Zunächst in Form technischer Pannen, dann mit Urgewalt wie in altgriechischen Drama zieht ihn der große Herrscher Zufall ins Chaos. Dieser Stoff hat Volker Schlöndorff gereizt, der schon einmal einen wichtigen Roman der 50er Jahre (Günter Grass‘ „Blechtrommel“) verfilmt hat.

Als solle man zeitlich vollends in die 50er Jahre zurückversetzt werden, beginnt der Film mit einer Schwarzweiß-Sequenz, die sich dann aber „einfärbt“; leider, möchte man seufzen, denn: In aller Welt, durch die der rastlose Faber jettet, entdeckt die Kamera jetzt Postkarten-Klischees und Folklore. Buntes Gewimmel in Mexiko, „typische Lokale“ in Italien und Griechenland sowie herrliche Geheimtip-Hotels am Wegesrand. In Paris ragt im Hintergrund der Eiffelturm auf, in Athen erhebt sich die Akropolis, damit wir bloß wissen, wo wir uns befinden. Dazu erklingen von der Tonspur meist melancholische, etwas abgegriffene Piano-Töne. Gebrochen wird diese stets leicht süßliche Perspektive aber einige Male durch bewußt unscharfe, verwackelte Handkamera-Aufnahmen.

Im weitläufigen Ambiente erzählt der Film zunächst eine geradezu paradiesische Liebesgeschichte, eine Idylle ohne jegliches Mißverständnis. Faber trifft auf einem Ozeandampfer zwischen New York und Paris die blutjunge, kunstversessene Elisabeth (Julie Delpy), die er liebe- und ahnungsvoll „Sabeth“ nennt und mit der er eine Reise durch Europas Süden bis nach Griechenland unternimmt. Es ist — ohne jede Ironie — wirklich wundervoll, diesem Idealpaar zuzusehen. Ein Traum, den man gern mitträumt.

Doch Sabeth – antike Tragik in Athen — ist in Wahrheit Fabers Tochter aus einer Verbindung mit einer Jüdin im Deutschland der 30er Jahre. Angesichts dieser Enthüllung scheint es nun nachträglich so, als habe Schlöndorff die ganze Idylle vorher nur aufgebaut, um sie desto nachhaltiger zu vergiften, und dies sogar buchstäblich: Am Umschlagpunkt der Geschichte sieht man einen Sonnenuntergang wie aus dem Bilderbuch: im selben Moment wird Sabeth von einer Giftschlange gebissen. Unschwer erkennt man das biblische Motiv: Schlange und Vertreibung aus dem Paradies.

Im Film wird auf die Stimme eines Ich-Erzählers verzichtet, die Reflexionen aus dem Roman wiedergeben könnte. Die Figuren denken hier also wenig nach, sie sind einfach da. Folglich überwiegt bei weitem die bloße Love-Story, der Konflikt zwischen Technik und Mythos kommt fast nur noch als Anekdote vor. In diesem Sinne ist Sam Shepard übrigens genau der richtige Hauptdarsteller. Sein Faber stammt nie und nimmer – wie in der Buchvorlage – aus der biederen Schweiz, sondern ist eben durch und durch Amerikaner. Er ist auch nicht nach europäischer Art kühl rational, sondern halt „cool“. All dies mag die internationale Kinoauswertung erleichtern. Aber Schlöndorff hat einen enttäuschenden Film gedreht.